13.07.2012

Themenreihe Besucherforschung

Autor*in

Birgit Mandel
ist seit 2019 Leiterin des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim und dort Professorin für den Bereich Kultur und Management sowie Kulturvermittlung.
Konferenzrückblick

Methoden der Kulturnutzerforschung

Erster Methodenworkshop zur Kulturnutzerforschung am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim in Kooperation mit dem Fachverband für Kulturmanagement in Forschung und Lehre am 6./7. Juni 2012

Themenreihe Besucherforschung

 
Kulturnutzerforschung ist ein zentraler empirischer Baustein des Kulturmanagements in Forschung und Praxis. Ohne deren Erkenntnisse können Kulturmarketing und Audience Development als inhaltlich gestaltende Bereiche des Kulturmanagements nicht erfolgreich arbeiten. Neben dem Wert für Kulturmanagement aus einer eher institutionellen und betriebswirtschaftlichen Perspektive bilden Erkenntnisse der Kulturnutzerforschung eine wesentliche kultur- und gesellschaftspolitische Basis für Kulturmanagement als Lehr- und Forschungsgegenstand.
 
Wie aber lassen sich Erkenntnisse über Kulturnutzung, Kulturpublikum und Images von Kultureinrichtungen generieren ebenso wie Wissen über Einstellungen, Erwartungen und Interessen der vielen Menschen, die bestimmte (v.a. die öffentlich geförderten) Kulturangebote nicht nutzen? Anknüpfend an die Jahrestagung des Fachverbandes Kulturmanagement zum Thema Kulturpublikum im Januar 2012, befasste sich der Workshop spezifisch mit den Methoden der Kulturnutzerforschung.
 
Im ersten Teil des Workshops ging es um die Frage, wie sich aktuelle und potentielle Kulturnutzer segmentieren lassen, um als Zielgruppen identifizierbar und fassbar zu werden. Reichen soziodemografische Kategorisierungen wie Alter, Geschlecht, Wohnort, Einkommen, Bildung, Beruf, ethnische Herkunft aus, um vorhandenes oder gewünschtes Kulturpublikum zu beschreiben? Oder bedarf es der kommerziell angebotenen Methode der Sinus Milieus mit ihren mindestens 40 verschiedenen Items, um Milieu- und Lebensstil- Gruppen zu identifizieren?
 
Nutzung von Sinusmilieus

In seinem Gastvortrag beschrieb Klaus Gerhards sehr anschaulich die Vorzüge einer Segmentierung durch Einstellungen, Werte, Alltagsrituale, Konsumgewohnheiten, Geschmacksmuster, die für plastische Typologien sorgt. Klaus Gerhards, Inhaber der iD Agentur Ruhr, berät seit vielen Jahren Kulturinstitutionen, wie sie die Sinus Milieus für ihre Arbeit nutzen können und war u.a. beteiligt an der Aufbereitung der durch das Sinus Institut durchgeführten Studie des Landes NRW über Kulturnutzung und Kulturinteresse von Migrantenmilieus. Durch die Verknüpfung der Sinus-Milieus mit dem Konzept der microgeographischen Marktsegmentierung von microm sei es möglich bis auf Straßenzüge in einzelnen Stadtteilen zu ermitteln, wo welche Milieus wohnen und erreichbar sind.

In der nachfolgenden intensiven Diskussion des Sinus Ansatzes wurde deutlich, dass er zwar für die Praxis sehr anregend, jedoch für die Kulturmanagementforschung nur bedingt geeignet ist: Denn die Kriterien für die Berechnung der Sinus Milieus werden von Sinus als einem kommerziellen Unternehmen nicht transparent gemacht und sind insofern weder unabhängig von Sinus anwendbar noch überprüfbar. Durch eine noch differenziertere Abfrage soziodemografischer Daten, etwa neben dem eigenen Beruf auch den der Eltern, ließen sich in Kombination mit Befragungen zu Kulturpräferenzen und Kulturnutzung alternativ auch über soziodemografische Abfragen realistische Typologisierungen erstellen.
 
Methodenstreit
 
Im zweiten Teil des Workshops ging es um den "Methodenstreit", ob quantitative oder qualitative oder vielleicht sogar künstlerische Verfahren der Kulturnutzerforschung zu relevanteren Ergebnissen führen.
 
Dafür wurde die gleiche Forschungsaufgabe von Verfechtern quantitativer Verfahren, von qualitativ Forschenden sowie denjenigen bearbeitet, die die Integration künstlerischer Mittel in die Forschung für zielführend halten: Welche sozialen und persönlichen Barrieren der Nutzung (öffentlicher) Kultureinrichtungen sind denkbar, welche konkreten Forschungsfragen lassen sich auf Basis dieser Hypothesen formulieren und mit welchen Erhebungsinstrumenten und methoden sind darauf Antworten zu finden.
 
Die scheinbare Objektivität der Zahlen

In der Publikumsforschung gibt es aktuell eine klare Dominanz quantitativer Forschung, die sich u.a. dadurch erklärt, dass sich nur mit repräsentativen Zahlen Gehör finden lässt in Medien, Politik und Kulturverwaltung. Zahlen generieren eine scheinbare Objektivität und sind leichter erfassbar als komplexere Erklärungen über Gründe und Hintergründe.

Während es der Gruppe der quantitativ Forschenden relativ schnell gelang, sich auf eine Forschungsfrage zu einigen und daraus auf der Basis vorhandener Erkenntnisse und eigener Hypothesen einen standardisierten Fragebogen zu formulieren, beschäftigte sich die andere Gruppe zur qualitativen Forschung sehr lange damit, die Leitfrage der "Barrieren von Kulturnutzung" anzuzweifeln. Nur bei der Gruppe der Nicht-Mehr und Fast-Besucher könne man von Barrieren sprechen, bei der Mehrzahl derjenigen, die keine öffentlichen Kultureinrichtungen wie Theater, Konzerthäuser, Kunstmuseen besuchen, gäbe es vermutlich grundsätzlich kein Interesse an dieser Art kultureller Angebote. Statt danach zu fragen: "was hält die Leute davon ab, zu kommen?", sei es aus einer übergreifenden, nicht institutionell gebundenen Forschungsperspektive sinnvoller, danach zu fragen: "was machen die Leute stattdessen, wie sehen ihre kulturellen Interessen aus?".

 

Ergebnisse hängen von der Fragestellung ab

Deutlich wurde der Einfluss des Forscherstandpunkts auf die Formulierung der Fragestellung und in Folge damit auch für das Methoden-Setting:

Geht es um organisations- und marketingzentrierte Fragen, geht es um kulturpolitische oder bildungspolitische Fragen, geht es um soziologische Fragestellungen? Will man wissen, wie man mehr Publikum für ein Theater interessieren kann, möchte man unterrepräsentierte Gruppen stärker am öffentlich geförderten Kulturleben teilhaben lassen, möchte man wissen, wie Kultur als Faktor kultureller Bildung stärker genutzt werden kann, oder möchte man grundlegende Erkenntnisse darüber gewinnen, wie sich kulturelle Interessen im Zuge des demografischen Wandels verändern.
 
Qualitative Verfahren wie das narrative Interview, Fokusgruppen/Gruppendiskussionen oder teilnehmende Beobachtung sind in der Lage, Neues zu erfahren über Einstellungen, Images, Erwartungen, kulturelle Bedürfnisse und deren Hintergründe. Wie aber kommen Forscher ins (systematisch angelegte) Gespräch mit Menschen, die nicht zu den kunstaffinen Milieus gehören? Welche Rolle können künstlerische Mittel spielen als "Öffner" ebenso wie als Gesprächsanlass und Grundlage?
 
Wenn es um Ansätze künstlerischer Forschung für die Kulturnutzerforschung geht, ist damit weder "Kunst als Forschung" noch "Erforschung von Kunst" gemeint. Viel mehr geht es um Forschung durch künstlerische Mittel bzw. unter Einbindung künstlerischer Mittel. Kunst zeichnet sich aus durch Mehrdeutigkeit, Selbstreflexivität, Zweckfreiheit und produziert einen "Wahrnehmungs- und Erkenntnisüberschuss" über kognitives Wissen hinaus ebenso wie Spielräume, die ein "Als ob Handeln" ermöglichen können. Erfahrungen in Bevölkerungs-Befragungen zu Einstellungen und Image von Kunst des Instituts für Kulturpolitik zeigten, dass die Konfrontation mit Kunst bzw. die Einbindung in spielerische ästhetische und emotional anregende Settings dazu beitragen kann, Einblicke über sozial erwünschte Antworten hinaus zu erhalten und Menschen zu öffnen. Auch zeigen Forschungsprojekte wie "Emotions" im Kunstmuseum Graz, wie Ergebnisse von Kunstrezeptionsforschung mit künstlerischen Mitteln dokumentiert werden können.
 
Fazit
 
Erwartungsgemäß gab es beim "Methoden-Battle" keinen klaren Sieger. Für die Kulturnutzerforschung erweist sich vielmehr die Methodentriangulation als sinnvoll, um sowohl neues Wissen vor allem über solche Milieus, zu denen die Kulturschaffenden und Forschenden selbst nicht gehören, zu generieren wie auch Hypothesen repräsentativ zu überprüfen.
 

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