27.02.2017

Themenreihe Soziokultur

Autor*in

Thomas Putz
Thomas Putz studierte Soziale Arbeit, Soziologie und Germanistik. Als Kulturarbeiter initiierte er unterschiedliche soziokulturelle Projekte, u.a. das Kultur- und Literaturmagazin hEFt. Seit 2015 ist er Projektmitarbeiter bei der LAG Soziokultur Thüringen.
Soziokultur in Thüringen

Zwischen Wald und Wiese

Soziokulturelle Projekte in ländlichen Räumen schaffen Strukturen, wo oft keine mehr sind. Dafür braucht es nicht nur multikompetente Akteure und eine gute Einbindung in die lokale Gemeinschaft, sondern auch Förderstrukturen, die eine kontinuierliche Arbeit ermöglichen.

Themenreihe Soziokultur

Soziokultur ist vor allem ein urbanes Phänomen. Als soziale Form der Kulturarbeit setzt sie auf die Beteiligung breiter Bevölkerungsgruppen, nimmt den Alltag und die Bedürfnisse der Menschen und damit die gesellschaftlich-politischen Aspekte von Kultur in den Blick. In größeren Städten kann sie dafür auf motivierte Kulturmacher und hinreichend ausdifferenzierte Nutzergruppen zurückgreifen, die für alternative, subkulturelle Ausdrucksformen offen und aktivierbar ist. Zugleich können hier Räume für Soziokultur zwar nicht unbedingt leichter erschlossen, aber rentabler betrieben werden.

Strukturwandel in ländlichen Regionen

Soziokultur im ländlichen Raum, in Kleinstädten und Dörfern, unterliegt hingegen anderen Voraussetzungen. Zwar gibt es hier durch den Strukturwandel meist genügend leerstehende Objekte, jedoch sind die infrastrukturellen und personellen Bedingungen ungleich schlechter. In vielen ländlichen Regionen wird die Einwohnerzahl in den nächsten Jahren durch die demografische Entwicklung und Wanderungsverluste weiter schrumpfen. Leerstand, eine Überalterung der Bevölkerung und ein Verlust an Attraktivität gerade für junge Menschen sind damit verbunden.

In den strukturschwachen ländlichen Regionen, wo es weniger Jobs und engagierte Kulturakteure gibt, können sich soziokulturelle Initiativen deshalb oft nur schwer entwickeln. Hier dominiert die ländliche Breitenkultur mit ihren Feuerwehr-, Kirmes- oder Gesangsvereinen, die traditionell stark in die Gemeinwesen eingebunden ist. Trotz aller Schwierigkeiten gelingt es Kulturmachern jedoch immer wieder, innovative soziokulturelle Projekte zu etablieren und die Potentiale zu nutzen, die der ländliche Raum bietet. Etwa, weil die Macher in der Region geblieben, hinzugezogen oder angereichert mit neuen Impulsen von außen zurückgekehrt sind.

Besonderheiten von Soziokultur auf dem Land

Was macht nun das Besondere dieser ländlichen Soziokultur aus? Für Thüringen und nur darüber kann hier die Rede sein ist diese Frage schwer zu beantworten, weil die inhaltlichen Ansätze und die örtlichen Gegebenheiten sehr unterschiedlich sind. Trotzdem können einige Gemeinsamkeiten ausgemacht werden:
 
  • Die soziokulturellen Projekte richten sich an eine weniger ausdifferenzierte Zielgruppe. Durch die strukturellen Voraussetzungen wie etwa die eingeschränkte Verkehrsanbindung auf dem Land können speziellere Adressatengruppen meist nur schwer erreicht werden.
  • Deshalb sind die Angebote und Veranstaltungsformate inhaltlich breiter aufgestellt und nehmen einen stärkeren Bezug auf die örtlichen Bedingungen und Traditionen, die hier noch eine größere Rolle spielen als in der Stadt. Dabei kann es vorkommen, dass die Grenzen zur Breitenkultur fließend sind.
  • Voraussetzung ist eine gute Einbindung in örtliche Netzwerke: Ein Kulturprojekt im ländlichen Raum funktioniert nur mit der Unterstützung und Akzeptanz mit der Gemeinschaft vor Ort. Auch wenn die infrastrukturellen Voraussetzungen schlechter sein mögen als in der Stadt hier kennt dafür jeder jeden und damit gibt es fast immer eine Lösung für ein Problem. Im besten Fall ist es ein gegenseitiges Geben und Nehmen.
  • Die Projekte sind oft stark von den Gründerpersönlichkeiten geprägt. Wer sich aufs Land begibt und etwa ein vorher leerstehendes Gebäude nutzt, braucht Fähigkeiten in unterschiedlichen Bereichen: vom Handwerklichen über die Finanzen (Buchhaltung, Förderung etc.), Recht und Sicherheit bis hin zur Unterbreitung und Vermittlung von Kunst und Kultur.
Neue Spielwiesen

Es kommt vor allem darauf an, die Potenziale, die der ländliche Raum bietet, zu nutzen. So kann man mit den Angeboten schnell Aufmerksamkeit erzielen, da es in der Regel nicht viel Vergleichbares gibt. Neben Räumlichkeiten gibt es dort kurze Wege und man kann auf die Unterstützung der örtlichen Gemeinschaft bauen.

Soziokultur setzt mit ihren Themen, Vermittlungsformen und Formaten neue Impulse. Sie bietet Möglichkeiten zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Alltag und den gesellschaftlichen Bedingungen und forciert Experimente in einem eher traditionellen Umfeld. So entstehen neue Spielräume auf ganz unterschiedlichen Ebenen und Strukturen entstehen wieder, die es in den Gemeinden oft nicht mehr gibt, sie ermöglichen kulturelle Teilhabe und tragen im besten Fall zu einem besseren Miteinander im Ort bei.

Voraussetzung ist dabei jedoch nicht nur das Vertrauen der Einwohner, sondern auch die der Bürgermeister, Landräte und Gemeindeverwaltungen. Erkennen sie den Wert der Kulturangebote, gibt es also eine Kultur der Anerkennung, ist schon viel gewonnen. Denn die Möglichkeiten der Unterstützung für die Kulturprojekte sind vielfältig und müssen nicht immer monetärer Art sein: von kostengünstiger Überlassung von Räumlichkeiten über das Nutzen von Spielräumen in Verwaltungsvorschriften bis hin zu Beratung oder der Organisation von regelmäßigen Vernetzungstreffen. Trotzdem sind viele der rein ehrenamtlich arbeitenden Projekte auf kontinuierliche finanzielle Förderung angewiesen. Im Sinne der Regionalentwicklung gilt es deshalb für die Kulturpolitik, die Förderpraxis wieder stärker zu kommunalisieren.

Raumpioniere in Thüringen

Zwei beispielhafte Kulturprojekte aus Thüringen sollen abschließend die vorangegangenen Aspekte illustrieren. Das Schloss Kannawurf liegt im überwiegend landwirtschaftlich geprägten Landkreis Sömmerda, nördlich von Erfurt. Seit 2007 baut der Verein Künstlerhaus Thüringen, dessen Initiatoren von außerhalb kamen, das Schloss schrittweise zu einem Begegnungsort für Kunst und Kultur aus. Musiker können hier proben, internationale Workcamps tragen zur Sanierung des historischen Gebäudeensembles bei und gemeinsam mit Schülern aus den umliegenden Dörfern werden Theaterworkshops durchgeführt. Inzwischen ist das Schloss zu einem kulturellen Knotenpunkt in der strukturschwachen Region geworden.

Ein noch relativ junger Verein ist dagegen das Kulturkollektiv Goetheschule aus der Kleinstadt Lauscha am Südhang des Thüringer Waldes. Seit 2014 baut der Verein das Gebäude der ehemaligen Schule zu einem soziokulturellen Zentrum aus. Inzwischen nutzen über 40 Maler, Grafiker, Musiker, Graffitikünstler, Glasbläser, Fotografen und Filmschaffende die Räumlichkeiten. Es finden regelmäßig Konzerte, Poetry Slams, Ausstellungen und Workshops statt. Diese Veranstaltungen berücksichtigten auch die kulturellen Traditionen des Ortes und machen einen für die Stadt emotional stark besetzten Ort durch eine kulturelle Nutzung wieder zugänglich.

Beiden Projekten ist es gelungen, in strukturschwachen Regionen unter Einbindung der örtlichen Traditionen und der Bevölkerung Knotenpunkte kulturellen Lebens zu etablieren. Wie das gelang, erzählen die Akteure in den beiden Filmportraits der Reihe Meine Kultur Raumpioniere der LAG Soziokultur Thüringen. Sicher, soziokulturelle Projekte und Initiativen werden die strukturellen Probleme ländlichen Räumen nicht lösen, aber sie können Bewegung ins Denken und Handeln bringen.
 

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