10.10.2016

Themenreihe Besucherforschung

Buchdetails

Nicht-Besucherforschung. Die Förderung kultureller Teilhabe durch Audience Development
von Thomas Renz
Verlag: transcript
Seiten: 324
 

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Autor*in

Jürgen Weintz
ist Professor für Kulturarbeit sowie Kulturmanagement an der Hochschule Niederrhein. Er studierte Erziehungswissenschaften und war als Theaterpädagoge, Kulturmanager, Unternehmensberater und Coach (DGfC) tätig, unter anderem als langjähriger Geschäftsführer der Akademie Off-Theater nrw.
Buchrezension

Nicht-Besucherforschung. Die Förderung kultureller Teilhabe durch Audience Development

Innerhalb des letzten Jahrzehnts rückte das Publikum immer mehr ins Zentrum von ForscherInnen, ManagerInnen und VermittlerInnen im Kulturbereich. Dies ist auch ein Verdienst des Hildesheimer Instituts für Kulturpolitik. Dort ist Thomas Renz tätig, der kürzlich eine umfangreiche, interdisziplinäre Studie zu (Nicht-)Besucherforschung vorgelegt hat. Sie untersucht, was einen Großteil der Bevölkerung vom Besuch öffentlicher Kultureinrichtungen abhält, und zeigt Strategien auf, um mehr kulturelle Teilhabe zu ermöglichen.

Themenreihe Besucherforschung

 
Das Erkenntnisinteresse von Renz Publikation Nicht-Besucherforschung. Die Förderung kultureller Teilhabe durch Audience Development richtet sich auf die Frage, wie die Einrichtungen der öffentlich geförderten (Hoch-)Kultur jenseits von Massen-Events und Vermittlungs-Highlights für Nicht- und Gelegenheitsbesucher attraktiver werden können. Diese Eingrenzung mag man affirmativ oder eindimensional empfinden, sie macht aber Sinn, da die Kulturpolitik gerade an die von ihm untersuchten Kultureinrichtungen eine derartige Erwartung stellt.
 
Der Autor setzt sich zunächst mit den Gründen für das zunehmende Interesse am Kulturpublikum, mit Audience Development als besucherorientiertem Kulturmanagement und mit den unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansätzen der (Nicht-)Besucherforschung auseinander. Daran schließt sich eine Analyse der bisherigen quantitativen Erkenntnisse über die (Nicht-)Besucher an. Nach der Vorstellung einer eigenen qualitativen Untersuchung von Gelegenheitsbesuchern im Theater gibt Renz schließlich eine Reihe von Empfehlungen, um mehr Teilhabe im Kulturbereich zu ermöglichen
 
Die theoretischen Grundlagen
 
Im Rahmen seiner Bestandaufnahme kristallisieren sich für Renz zwei theoretische Bezugspunkte heraus: Einer ist das Modell der Teilhabegerechtigkeit von Amartya Sen, das dem Staat als demokratischem Gemeinwesen die Aufgabe zuweist, allen Individuen Verwirklichungschancen und Wahlfreiheiten zu eröffnen. Dieses Konzept wird von Renz im Laufe der Studie zu einem profunden, interdisziplinären Modell erweitert, das sowohl besuchsverhindernde Barrieren als auch die Frage der Rezeptionshürden einbezieht.
 
Ein weiterer Bezugspunkt ist das Feld des Audience Development, das Ansätze aus Kulturpolitik, Marketing/PR und Vermittlung zu einem umfassenden Konzept integriert und bei möglichst vielen Entscheidungen das Publikum mitbedenkt.
 
Quantitative und qualitative (Nicht-)Besucherstudien im Vergleich
 
Renz´ Auswertung von knapp 100 quantitativen Studien zur Besucherforschung aus den letzten 25 Jahren macht deutlich, dass die deutschen Kulturbetriebe noch weit von der Vision einer Kultur für alle entfernt sind. Im Mittelwert nimmt etwa 50% der Bevölkerung überhaupt keine Kulturangebote wahr, die regelmäßigen Besucher machen 5-15% aus und der Anteil der Gelegenheitsbesucher, die mindestens einmal pro Jahr eine Kultureinrichtung besuchen, beträgt 35-45% der Gesamtbevölkerung. Als Barrieren für die Besucher werden in all diesen Studien übereinstimmend genannt: die Infrastruktur vor Ort, der Eintrittspreis, die Kommunikationspolitik, das fehlende Informationsverhalten auf Nicht-Besucherseite, das Image der Institution, fehlende Zeit, mangelnde Begleitung sowie die durch Bildung, Sozialisation/Elternhaus oder auch Geschlecht bedingten geringeren Teilhabechancen. Hinzu kommen die psychographischen Barrieren, die durch Lebensstil und entsprechende Milieu-Orientierungen bedingt sind.
 
Die meisten dieser Faktoren sind durchaus bekannt, werden aber nach wie vor von vielen Einrichtungen ignoriert oder falsch bewertet. Renz Metaanalyse hilft hier, die Bedeutung dieser Aussagen und deren Auswirkungen auf das BesucherInnenverhalten noch einmal zu unterstreichen. Jedoch stellt sich die Frage, warum der Autor bei seiner Bestandaufnahme nicht auch die sehr gut erforschten Sinus-Milieus mit einbezogen hat.
 
Wichtige neue Aspekte fördert die eigene qualitative Untersuchung zu Tage, die Renz im Rahmen von 24 episodischen Interviews mit Gelegenheitsbesuchern eines Theaters vorgenommen hat. Dabei werden zum einen anhand der biographischen Stationen der Befragten die Einflussfaktoren identifiziert, die für die Herausbildung eines kulturellen (Des-)Interesses wesentlich sind (Elternhaus, Schule, Peers und Partner). Vor allem aber wird deutlich, wie textfokussiert das Rezeptionsverhalten der Besucher im Theater ist (auch bedingt durch die schulische Sozialisation) und dass die Inszenierungsleistung nicht als Mehrwert gesehen, sondern aufgrund fehlender Kulturvermittlung oftmals eher als verstörend wahrgenommen wird.
 
Strategien zum Abbau der Hemmnisse
 
Zur Förderung von mehr kultureller Teilhabe empfiehlt Renz ein Reihe von Maßnahmen, die nicht unbedingt neu sind, aber in ihrer Bündelung eine stärkere Wirkung erzielen können:
 
  • mehr Programme der kulturellen Bildung (auch durch Kooperation zwischen Schule und Kultureinrichtung)
  • besondere Maßnahmen des Audience Development (z.B. aufsuchende Veranstaltungen im Stadtteil, Kulturbotschafter und neuartige Kooperationsformen)
  • Marketingmaßnahmen z.B. bei der Preis- und Kommunikationspolitik
  • sowie eine angemessenere Vermittlung in der Kulturinstitution selbst.
Man kann Renz jedoch widersprechen, wenn er eine Kultureinrichtung fordert, die primär mit populären Kunstformen ihr Überleben zu sichern versucht. Das Leitziel der Publikumsorientierung sollte statt zu einer stromlinienförmigen Anpassung des Programms (z.B. noch mehr Blockbuster-Ausstellungen statt sperrige Konzeptkunst) eher zu einer Annäherung führen als zu einer Unterordnung der künstlerischen Konzeption (z.B. Faust I und II in nur 90 Min?) unter den Publikumsgeschmack. Vielmehr hat die Kulturvermittlung nach wie vor die Schlüsselrolle bei der Ansprache und Heranführung neuer Publikumskreise inne.
 
Fazit
 
Das Buch von Thomas Renz stellt eine Bestandsaufnahme und Weiterführung von 25 Jahren Publikumsforschung dar und ist absolut lesenswert. Die Studie fokussiert den Blick auf die sogenannten Gelegenheitsbesucher, denen auch eine eigene qualitative Untersuchung gewidmet ist. Trotz des Titels bleiben aber einmal mehr die konsequenten Nicht-Besucher außen vor, die sich nicht einmal zufällig im Theater wiederfinden. Sie werden sowohl von den Institutionen als auch von der Forschung eher selten wahrgenommen und lassen sich eben nicht in den Institutionen, sondern nur auf der Straße befragen.

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