03.08.2007
Virtuelle Galerie

Gemäldegalerie Alte Meister Dresden @ Second Life

Seit 31. Mai 2007 besitzt die Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eine Dependance in der Wüste. Natürlich nur rein virtuell: Das Museum steht in der Online-Welt von Second Life®.
Dreidimensional und maßstabsgetreu sind die prächtigen Räume des Museums nachgebaut, alle 750 ausgestellten Meisterwerke werden präsentiert. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche stehen die Türen für die Besucher offen: In Echtzeit kann man die Kunst anschauen, mit den anderen Besuchern kommunizieren, Informationen zu den Kunstwerken abrufen, an Veranstaltungen der Kunstvermittlung teilnehmen, Eindrücke im Gästebuch notieren oder sich im Shop umsehen.

Der virtuelle Klon der Gemäldegalerie Alte Meister steht auf der Insel "Dresden Gallery", die mehr als 300.000 qm umfasst. Eigens wurde für das Projekt auch eine Homepage geschaltet: www.dresdengallery.com. Dort ist ein Link zu finden, mit dem sich die Community von Second Life direkt zum Museum beamen lassen kann. Voraussetzung ist eine eigene Figur in Second Life, Avatar genannt (im Basic- Account kostenlos).

Auf "Dresden Gallery" ist der komplette Zwinger errichtet, eine der schönsten Anlagen aus dem barocken Dresden. Teil des Zwingers ist das große Gebäude der Gemäldegalerie Alte Meister, erbaut im Stil der Neo-Renaissance Mitte des 19. Jahrhunderts. Sechs Designer waren drei Wochen damit beschäftigt, dieses einzigartige Architekturensemble virtuell nachzubauen. Die gesamte Gemälde­galerie Alte Meister ist zu sehen: Foyer, Treppenhäuser, alle 54 Säle und Kabinette, sämtliche Gemälde, Pastelle und Gobelins.

Kein Reproduktionsmedium konnte bislang in Echtzeit den räumlichen Eindruck eines Museums­besuchs so wirkungsvoll suggerieren. Dabei ist die Geschichte der Museen seit Anbeginn auf das Engste verknüpft mit der Historie der Reproduktionsmedien. Beispielsweise erschien 1753, kurz nachdem August III., der sächsische Kurfürst und König von Polen, die Gemäldegalerie in Dresden eröffnet hatte, das "Königliche Galeriewerk": In Form von großen Kupferstichen präsentierte es die Schätze der Sammlung. Im Laufe der Jahrhunderte wurden neue Medien eingesetzt, von der Fotografie bis zur CD-ROM. Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, hält es deshalb für folgerichtig, sich dem aktuellen Entwicklungsschritt der Reproduktionsmedien zu stellen: "Es liegt in der Logik der musealen Mediengeschichte, jetzt das Experiment mit den neuen Möglichkeiten des Web 2.0 zu wagen: Virtuell ein dreidimen­sional erfahrbares Museum einer weltweiten Community in Echtzeit zugänglich zu machen."

Die Dresdener Gemäldegalerie Alte Meister ist das erste Museum von internationalem Format, das auf die neuen Herausforderungen des Webs mit einem echten Klon seiner selbst reagiert, eins zu eins. Damit unterscheidet sich das Konzept grundsätzlich von den vielen rein fiktiven Museums­kreationen im Netz, die kein Pendant im "Real Life" haben. Martin Roth lädt ausdrücklich zu kritischer Auseinandersetzung ein: "Zu Beginn des großen Kunstsommers in diesem Jahr, an dem sich die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden mit einer Vielzahl von Ausstellungen zeitgenössischer Kunst beteiligen, werden durch den virtuellen Auftritt der Gemäldegalerie Alte Meister zentrale Fragen des Selbstverständnisses eines Museums im 21. Jahrhundert zur Diskussion gestellt. Die Reaktionen der Second Life - Mitglieder wie auch allgemein unseres Publikums und der interessierten Öffentlichkeit sind uns wichtig, eine gegebenenfalls auch kontroverse Debatte über den Einstieg der Gemälde­galerie Alte Meister in die Welt des Second Life durchaus erwünscht."

Second Life unterscheidet sich konzeptuell von herkömmlichen Online-Spielen, da der Schwerpunkt auf der sozialen Interaktion und der Erstellung von Inhalten liegt. Deshalb weist die Community eine signifikante Besonderheit auf: Sie hebt sich in der Geschlechter- und Altersstruktur von allen anderen Plattformen deutlich ab. Das Durchschnittsalter ist mit mehr als 30 Jahren für eine Internet­community überraschend hoch, und anders als die nur von jugendlichen, durchweg männlichen Spielern dominierten Web-Games ist die Verteilung der Geschlechter in Second Life fast paritätisch besetzt. Damit stellen die Mitglieder von Second Life gerade auch für Museen eine interessante Klientel dar.

Der Auftritt der Gemäldegalerie Alte Meister der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in Second Life ist ein Experiment, bei dem sich erst noch herausstellen wird, was die Bewohner der künstlichen Internet-Welt mit dem einmaligen Angebot anfangen werden. Das Institut für Kommunikations­wissenschaft der Technischen Universität Dresden wird dieses Experiment unter der Leitung von Prof. Dr. Lutz M. Hagen als Projekt wissenschaftlich begleiten. Dr. Andreas Henning, Projektleiter und Konservator für italienische Malerei: "Dem Experiment liegt die Arbeitshypothese zugrunde, dass sich über das neue dreidimensionale Web erstmals zwei Schlüsselerlebnisse eines Museumsbesuchs transportieren lassen: Raum und Interaktion." Das Erlebnis des Raums ist existentiell mit der Kunsterfahrung im Museum verbunden. Das Betrachten eines Kunstwerks aus der Ferne, die schrittweise Annäherung, dann das Fokussieren von Details und schließlich der vergleichende Blick auf andere Kunstwerke im Raum, all diese Bewegungen prägen die Rezeptions­haltung eines Besuchers im Museum. Hinzu kommt als zweites Kernerlebnis die soziale Komponente. Ob explizit oder auch nur stillschweigend, immer steht der Rezipient in Interaktion mit anderen Besuchern und erlebt den Gang durch ein Museum auch als soziales Ereignis.

Raum und Interaktion, zwei grundlegende Schlüsselerlebnisse eines Museumsbesuchs, können mit dem Auftritt der Gemäldegalerie Alte Meister in Second Life suggeriert werden. Das heißt aber nicht, dass damit der reale Besuch ersetzt wird. Die virtuelle Gemäldegalerie Alte Meister soll neugierig machen auf den Museumsbesuch im Real Life. Die Kritik an sämtlichen Reproduktionstechniken, die im Laufe der Jahrhunderte auf den Markt kamen, hat immer wieder gezeigt, dass mediale Auftritte nur Andeutungen sein können und auch nur Andeutungen sein dürfen. So kann die virtuelle Dependance auch nicht die zentrale Schlüsselfähigkeit eines Museumsbesuchs ersetzen, die sinnliche Wahrnehmung vor dem Original. Explizit werden deshalb die virtuellen Besucher beim Eintrag ins Gästebuch gefragt, wie sie die Differenz in der Wahrnehmung eines Kunstwerks im wirklichen Leben und in Second Life beurteilen.

Niemals zuvor in der Geschichte der Reproduktionsmedien konnte der Gegensatz zwischen der leibhaftigen Kunstbetrachtung im Museum und ihrer bloß medialen Vermittlung in eine größere Opposition gebracht werden. Roth: "Die reale Gemäldegalerie Alte Meister und ihr virtueller Klon bilden extreme Polaritäten: In diesem Spannungsfeld soll das neue Kommunikations­experiment der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden stattfinden."
 

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