18.10.2021
Themenreihe Corona
Autor*in
Yvonne Petrina
leitet seit Anfang 2018 die Kinder-Akademie Fulda. Sie ist Vorstandsmitglied des Bundesverbands Deutscher Kinder- und Jugendmuseen e.V. In die Kulturvermittlung gelangte sie als Quereinsteigerin: Sie promovierte und habilierte in spätantiker und byzantinischer Kunstgeschichte an den Universitäten Mainz, München und Oxford.
Kinder- und Jugendmuseen in und nach der Pandemie
Nichts kann so bleiben, wie es ist
Hoffen, bangen weitermachen - so lassen sich die vergangenen 18 Monate aus der Sicht der deutschsprachigen Kinder- und Jugendmuseen zusammenfassen. Behördlich verordnete Schließungen aufgrund der Corona-Pandemie wechselten ab mit kurzen Zeitfenstern der Normalisierung unter strengsten Hygieneauflagen.
Themenreihe Corona
Das Kinder- und Jugendmuseum gibt es per Definition nicht. Die Bandbreite an Themen und deren Umsetzung ist vielfältig, aber alle Häuser verbindet vor allem eines: eine Vielzahl von interaktiven, multisensorischen Hands-On-Objekten und gewollte und geförderte Partizipation. Und genau das ist in Zeiten einer Pandemie problematisch, denn nichts liegt ferner, als gemeinsam mit anderen Menschen Objekte zu berühren und in engen, körperlichen Kontakt zu treten. Das gemeinsame Entdecken, Spielen und Lernen ist plötzlich tabu. In dieser Hinsicht haben es Kinder- und Jugendmuseen schwerer als andere Museen, die Gäste in genormten Abständen durch ihre Galerien führen konnten. Eine seit Jahrzehnten erfolgreich erprobte Methode des außerschulischen Lernens wird so zwar nicht inhaltlich, aber durch äußere Umstände unmöglich gemacht.
Das Problem mit der Einordnung
Bund und Länder überschlugen sich mit Verordnungen, die vom Hundesalon bis zum Tätowierstudio eine Vielzahl von Einrichtungen berücksichtigen, auch Museen. Für Kinder- und Jugendmuseen blieben dabei allerdings viele Fragen offen: Zählen sie zu den Kultur- oder Freizeiteinrichtungen? Sollen sie Vorkehrungsmaßnahmen wie Museen treffen? Oder eher wie Schulen? Wenn Museen geschlossen, aber Schulen offen sind: Dürfen Schulen den Unterricht in ein Kinder- und Jugendmuseum verlagern, wenn garantiert wird, dass Klassen ohne weitere Kontakte ins Haus kommen können? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, standen viele Häuser in engem Austausch mit den lokalen Gesundheitsämtern, die ebenfalls mit der Kategorisierung von Kinder- und Jugendmuseen überfordert waren. Hier half nur ein Austausch von Museum zu Museum, und plötzlich wurde vielen wieder bewusst, wie wertvoll die Verbandstätigkeit sein kann. Am Ende waren die Lösungen so vielfältig wie unsere Museumslandschaft und abhängig von der Vorgehensweise der unterschiedlichen Länder, Landkreise und Gesundheitsämter. Manche Museen öffneten unter Berücksichtigung aller aktuellen Hygienemaßnahmen umgehend nach den Shutdowns ihre Pforten, andere blieben länger geschlossen. Allerdings eröffnete der Austausch der Museumsleitungen und -mitarbeiter*innen in vielerlei Hinsicht neue Perspektiven, zum Beispiel bezüglich der Einlasskontrollen, der Testpflicht und den allgemeinen Hygienemaßnahmen.
Kinder- und Jugendmuseen waren und sind jedoch kein Ort des Stillstandes. Kreativität und Flexibilität sind an der Tagesordnung, und so griff jedes Museum vor allem während der Schließphasen nach jedem noch so kleinen Strohhalm. Zum einen, um im Gespräch zu bleiben und zum anderen, um dringend benötigte Einnahmen zu generieren, denn viele Häuser sind auf Einnahmen, Drittmittel und Spenden angewiesen: Programme außer Haus wurden neu- oder weiterentwickelt, etwa Ausstellungsobjekte und -materialien eingepackt und vor Ort in KiTas oder Schulen gezeigt, besprochen und bespielt; Pakete mit Anleitungen zum Forschen und/oder Kreativsein verschickt; diverse Online-Führungen und -Formate angeboten. Viele Einrichtungen stellten letztere vor große Herausforderungen, denn Online-Formate benötigen intensive Betreuung und bedeuten einen Mehraufwand an Equipment und Personal. Der Umgang mit dem Equipment musste zunächst erlernt und dann auch umgesetzt werden. Bei der Umsetzung von Online-Formaten, wenn auch live, fehlte den Guides/Edutainern der direkte Kontakt zur Zielgruppe. Was in Führungen vor Ort einwandfrei funktioniert, ist nicht unbedingt auf Online-Formate übertragbar. So lässt sich eine Gruppe ungestümer Kinder im Museum gut in den Griff bekommen und in den Bann ziehen. Online wird konsumiert und die Guides/Edutainer haben keinen direkten Einfluss auf die Konzentrationskompetenz ihrer Zuhörerschaft. Aus diesen Gründen haben einige Einrichtungen die Online-Formate nach den Shutdowns wieder aus dem Programm genommen.
All diese Alternativangebote wurden in sehr unterschiedlichem Maße genutzt, von euphorischer Begeisterung bis hin zu kaum Resonanz reichte die Bandbreite der Reaktionen. Familien, Lehrer*innen und Betreuer*innen waren vor andere, zeitraubende Herausforderungen gestellt und mussten zunächst selber lernen, mit der Situation umzugehen. Die Konsequenz war, viele der neu entwickelten Programme auf Eis zu legen und zu bewährten Konzepten zurückzukehren.
Zurück zur Normalität?
Erst mit den letzten Lockerungen kamen wieder mehr Gäste in die Häuser. Das Feedback vor allem seitens der Familien war durchweg positiv: endlich wieder ein Stück Normalität erleben zu dürfen! Und auch die Schulklassen und KiTa-Gruppen blieben nicht aus. Viele verbrachten die letzten Tage vor den Sommerferien in den Kinder- und Jugendmuseen. Die absoluten Besucherzahlen sind aber auch in diesen Tagen sehr viel niedriger als in den vorpandemischen Monaten; sie machen zum Teil weniger als die Hälfte aus. Allgemein lässt sich das auch für andere Einrichtungen außerhalb der Branche feststellen: Nach den vergangenen 18 Monaten sind viele Menschen immer noch zurückhaltend und eher in der freien Natur als im Innenraum aktiv. Diese Situation könnte sich zum Winter hin und mit sinkenden Temperaturen wieder ändern.
Weniger Besucher*innen heißt gleichzeitig weniger Einnahmen. Mitarbeiter*innen mussten zum Teil gekündigt oder in Kurzarbeit geschickt werden. Die November- und Dezemberhilfen taten den einzelnen Einrichtungen finanziell gut, deckten allerdings bei Weitem nicht die entstandenen Fehlbeträge. Viele Einrichtungen, jedoch nicht alle, konnten darüber hinaus von weiteren Bundesprogrammen wie "Neustart Kultur" profitieren. Einige Kinder- und Jugendmuseen sind formal in städtischer Hand, werden aber durch städtische Gelder nicht vollfinanziert. Sie hätten überregionale Förderprogramme gerne genutzt, konnten aber aufgrund ihrer Rechtsform keine Gelder beantragen. Viele Städte und Gemeinden unterstützen ihre Kinder- und Jugendmuseen jedoch großzügig, manche wurden durch private Geldgeber teilentlastet. Weitere Shutdowns könnten jedoch zur Existenzbedrohung für die Kinder- und Jugendmuseen werden.
Hinzu kommt, dass es in einigen Häusern zu vermehrtem Vandalismus und in Einzelfällen auch zu Diebstahl kam. Kinder- und Jugendmuseen waren und sind immer Indikatoren für die sie umgebende Gesellschaft. Wo es Wohlstand und Zufriedenheit gibt, florieren die Einrichtungen. Wenn es Nöte in der Zielgruppe gibt, machen die sich am ehesten in Einrichtungen bemerkbar, die viel Freiraum bieten. Und hier sind die Defizite unübersehbar: Jeder Einzelfall ist anders, aber tendenziell ist unter den Kindern und Jugendlichen nach den anhaltenden Monaten der Pandemie ein verstärkter Bewegungsdrang feststellbar, genauso wie ein verschlechtertes Konzentrationsvermögen, motorische Schwächen und fehlende Empathie. 18 Monate, in denen Kinder und Jugendliche vom sozialen Leben weitgehend ausgeschlossen waren, ohne die Möglichkeit, sich zu erproben, sich zu streiten und wieder zu versöhnen. Fast überall sind die Kinder- und Jugendpsychiatrien voll. Eltern und Schulen sind überfordert und können diese Mängel auch beim besten Willen nicht auffangen.
Diese Wesensänderung ist ein Schrei unserer Kinder und Jugendlichen nach Hilfe und Aufmerksamkeit. Die gesamte Gesellschaft muss sie nun auffangen. Eine der wichtigsten Anlaufstellen könnten die Kinder- und Jugendmuseen sein, aber hier gilt: Fehlende Einnahmen führen zur Verkürzung und Verschlechterung der Programme. Programme müssen der neuen Erwartungshaltung angepasst, Inhalte weiter verbessert werden. Dringend benötigt sind jetzt vor allem Spenden und überregionale Förderprogramme, die von allen Einrichtungen gleichermaßen genutzt werden können, egal welcher Rechtsform sie angehören. Die Politik muss hier verstärkt aktiv werden und für die Rechte der Kinder und Jugendlichen eintreten, denn sie sind unsere Zukunft. Um ihnen eine Zukunft zu geben und um die Schulen und Familien in dieser schwierigen Zeit zu entlasten, muss die außerschulische Bildung einen Aufschwung erleben und entsprechende Institutionen verstärkt, auch finanziell, unterstützt werden. Hier muss die Politik angreifen und offensiv dafür eintreten. Genauso darf im Namen unserer Kinder nicht von 3G auf 2G umgestellt werden, denn dadurch grenzen wir sie von wesentlichen Bereichen der gesellschaftlichen Teilhabe aus, gefährden ihre Entwicklung weiterhin, riskieren eine Zweiklassengesellschaft und schüren Hass. Positive Veränderungen in diesem Bereich würden eine Chance bieten, unsere Gesellschaft zu unterstützen und zu verbessern, Kinder und Jugendliche nach den vergangenen Monaten wieder für die Zukunft zu stärken und ihnen endlich wieder Freude in ihre Gesichter zu zaubern.
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von Kultur Management Network Redaktion, 21.10.2021 13:07»Liebe Frau Reich,
Sie haben natürlich recht, das ist ein sehr wichtiges Thema, das wir in unseren Beiträgen immer wieder aufgreifen und die Zustände offen kritisieren. Allerdings geben wir unseren Rezensent*innen natürlich nicht vor, welche Aspekte eines Buches sie behandeln möchten oder welche Aspekte, die ein Buch eben nicht behandelt.
Herzliche Grüße
Kristin Oswald
Leitende Online-Redakteurin von Kultur Management Network«
von Birgit Reich, 21.10.2021 12:42»Danke für diese wichtige Momentaufnahme, die all die brisanten Phänomene rund um Kulturelle Bildung im Museum bzw. in den ganz besonderen Kindermuseen und ihrer Klientel abdeckt. Allerdings: Bezeichnenderweise kein Wort zum Drama \"Absicherung und Stellung von Freien Honorarkräften in der Kulturvermittlung\". Damit sei eine Kritik an der Berichterstattung in Kulturfachzeitschriften geäußert: Sie denkt wie die Einrichtungen und Verbände aus einer institutionellen Anbieter-Nutzer-Perspektive, die notorisch Freiberufliche Dienstler*innen ihrem zweitklassierten Schicksal überlässt.
Birgit Reich KUK, Karlsruhe
Engagiert in: Das Bündnis
http://dasbuendnis.net/«