21.06.2021

Buchdetails

Besonderheiten im Theaterarbeitsrecht
von Lena Maria Worsch
Verlag: Ögb
Seiten: 168
 

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Autor*in

Verena Teissl
Verena Teissl ist Professorin für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft an der FH Kufstein Tirol. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Festivalmanagement und Kulturtourismus.
Buchrezension

Besonderheiten im Theaterarbeitsrecht

Mit dem österreichischen Theaterarbeitsrecht (TAG) wurde versucht, die Besonderheiten der Berufsausübungen im Theater im Arbeitsgesetz zu berücksichtigen. Lena Valeria Worsch hat das TAG auf Eignung überprüft und verdeutlich damit die komplexe Lage für künstlerische Berufe nicht nur in Österreich.
 
Besonderheiten eines Live-Sektors
 
Unübliche Arbeitszeiten, ein kreativer Arbeitsprozess, der sich nicht in Bürozeiten erfassen lässt, flexible Mobilität und die Interaktion mit dem Publikum als Erfolgsfaktor sind einige der Besonderheiten von Theaterberufen. Um ihnen arbeitsrechtlich Genüge zu tun, wurde das 1992 eingeführte österreichische Bundesgesetz über den Bühnenarbeitsvertag (bekannt als "Schauspielvertrag") 2010 als Theaterarbeitsgesetz novelliert. Lena Valeria Worsch betrachtet in ihrer 2018 im Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes erschienenen Publikation aus juristischer Sicht, inwiefern dieses Vorhaben gelungen ist und den Willen zur Verbesserung von Rahmenbedingungen zeigt. Sie stellt dazu die Unterschiede des TAG im Vergleich zum allgemeinen Arbeitsrecht vor, ordnet sie in die fachliterarische Interpretation und Handhabe in der Judikatur ein.   
 
Anwendung findet das TAG bei allen künstlerischen Theater-Berufen, wie Darsteller*innen, Spielleiter*innen, Bühnenbildner*innen oder auch Licht-Ton-Design. Als "künstlerisch" wird dabei die "schöpferische Persönlichkeitskräfte entfaltende Individualität" (S. 23) definiert, wohingegen unter "Theater" im Arbeitsrecht "Unternehmen" verstanden werden, in denen es zur Aufführung von Bühnenwerken kommt, Leistungen gegen Entgelt als "ernst gemeinte Vergütung" erbracht werden und Finanzierung über Subventionen oder Sponsoring stattfindet (S. 26f). Das TAG gilt insofern für die unterschiedlichen Trägerschaften und Rechtsformen: die ehemals öffentlich-rechtlichen Theater mit dem Mehrheitseigentümer Staat, kommerzielle Theater sowie die freie Szene, die in gemeinnützigen Vereinen institutionalisiert und in der Regel subventioniert ist. Das TAG ist für sie arbeitsrechtlich in Form von Anstellungen bindend und wird fallweise von der zuständigen Österreichischen Gesundheitskasse ÖGK überprüft. 
 
Die Abweichungen zum normalen Arbeitsgesetz betreffen insbesondere Arbeitszeiten am Abend und am Wochenende sowie die Möglichkeit der einseitigen Abänderung durch den Arbeitgeber. Arbeitsrechtlich festgelegt sind befristete Verträge inklusive deren möglicher und üblicher Wiederholung. Für die Ablehnung des Abschlusses eines neuen Vertrages nach Ablauf der Befristung gibt es die so genannte Nichtverlängerungserklärung. Ohne diese verlängert sich ein befristeter, mindestens einjähriger Vertrag automatisch um eine Saison. Die Nichtverlängerungserklärung hält also fest, dass es nach Ende eines befristeten Arbeitsvertrages nicht zu einem neuen Vertrag kommen wird. Für die Arbeitnehmer*innen gibt es das Recht auf Ablehnung einer Rolle sowie auf Beschäftigung im Sinne eines angemessenen Einsatzes. Bereits in diesen Beispielen spiegeln sich ein untypischer Arbeitsalltag und besondere Regelungen, um berufliche Erfüllung finden zu können.
 
Komplexe Interessenslagen 
 
Aus Betreiber*innensicht sind für den unternehmerischen Erfolg eines Theaters die Kriterien der Öffentlichkeitswirksamkeit und die Wünsche des Publikums, z.B. nach Abwechslung bei den Darsteller*innen, entscheidend. Eine Dauerbefristung der Verträge des künstlerischen Personals ist daher die Regel und arbeitsrechtlich vorgesehen. Umgekehrt soll das Recht auf angemessene Beschäftigung der Darsteller*innen diesen die nötige regelmäßige Bühnenpräsenz gewährleisten, um überhaupt den "steten Kontakt mit dem Publikum zu haben und damit seinen Bekanntheitsgrad und Marktwert zu erhalten bzw. zu steigern" (S. 69). Ob dieses Recht auf Beschäftigung der Kunstfreiheit des Regieführenden bei der Rollenbesetzung widerspricht, wird von Worsch mit dem Hinweis auf das Fehlen einer (z.B. zensorischen) Intention verneint. Sie sieht vielmehr Bedarf einer Gesetzesänderung, da "die Durchsetzung eines Rechts auf Beschäftigung aber v.a. daran scheitern (wird), dass die meisten Arbeitsverhältnisse auf eine Spielzeit befristet sind. (…) Obwohl das Recht auf Beschäftigung im TAG weitgehend als Vorbild für einen entsprechenden Anspruch in anderen Branchen gesehen wird, ist dieser (..) mangels Durchsetzbarkeit nicht als vollwertiger Anspruch zu sehen" (S. 79).
 
Keine Gleichstellung zu anderen Arbeitnehmer*innen
 
Die auch in der freien Theaterszene begrüßte Initiative zur Neuschaffung des TAG ist im Urteil von Worsch ein wichtiger Schritt, zugleich ist es aber nicht durchwegs gelungen, soziale Sicherheit für die künstlerischen Theaterberufe zu gewährleisten. Worsch sieht sogar eine Schlechterstellung durch die Arbeits- und Ruhezeitreglungen sowie durch die Vertragsbefristung als Norm. Auch wenn die Branche ein "erhöhtes Maß an Flexibilität vom Arbeitnehmer erwarten" kann, vermisst Worsch etwa Schutzgesetze für ältere Mitarbeiter*innen und argumentiert, dass das Interesse des Publikums nach Abwechslung die soziale Sicherheit und Stabilität von Arbeitnehmer*innen nicht überwiegen dürfte. 
 
Mit juristischer Gründlichkeit und empathischem Verständnis für die österreichische Theaterwelt stellt die Analyse eine gute Grundlage dar, um Angelpunkte des Prekariats im Kultursektor auch dort zu identifizieren, wo es bereits durchdachte Gesetzeslagen gibt - dazu lässt sich das durchaus TAG zählen. 
 
Spannend, wenn auch für die nicht-juristische Leser*innenschaft herausfordernd, sind die Einordnungen in die Fachliteratur. Sie verdeutlichen die hohe Interpretationsabhängigkeit von Gesetzen, etwa bezüglich der befristeten Verträge oder der Nichtverlängerungserklärung, die im worst case dazu führen, dass Arbeitnehmer*innen nicht denselben Arbeitsrechtschutz haben oder Leistungen wie Urlaubstage entfallen.  
 
Dem Narrativ der Persönlichkeitsentfaltung im Ausgleich zu schlechteren Arbeitsbedingungen und Rechtsunsicherheiten wird mit diesem juristischen Blick auf Gleichheit und Gleichberechtigung auf wohltuende Weise widersprochen. Gerade deshalb ist der Verzicht auf den Genderaspekt sowohl in der Sprache als auch in der Berücksichtigung des Umstandes, dass Frauen in Spielplänen und im Betrieb unterrepräsentiert sind, ein Manko der Studie. Geschlechtergerechtigkeit erscheint auch und v.a. in einem für Prekariat gefährdeten Arbeitsbereich als essenzielles Anliegen. 
 
Prekariat als Kernthema im Kulturmanagement
 
Unter anderem durch das Verknappungsproblem - wachsende Angebote, steigende Kosten, stagnierende Finanzierung - zählt die Kultur ohnehin zu einem prekären Sektor. Für den breiten Arbeitsmarkt untypische, aber für den Kultursektor typische Arbeitsfelder zeigen sich dabei in Österreich, aber beispielsweise auch in Deutschland in Form von atypischen Beschäftigungen wie Werkverträgen und freien Dienstnehmer*innenverhältnissen. Bei ihnen entfallen Arbeitslosen- und Krankenentgelt. Die 1998 in Österreich eingeführte Kranken- und Pensionsversicherungspflicht für "Neue Selbständige" - das sind laut Wirtschaftskammer "Personen, die aufgrund einer betrieblichen Tätigkeit steuerrechtlich Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielen" - war ein Schritt gegen Prekarisierung, allerdings nicht umfassend genug. 
 
Die Verdiensthöhen und Beschäftigungsverhältnisse sind seit langem Gegenstand einer politischen Debatte. Für den freien österreichischen Kulturbereich - subventionierte Kulturinitiativen in gemeinnütziger Rechtsform - hat die Interessensgemeinschaft IG Kultur 2011 die Kampagne "Fair Pay" gestartet. Und die Interessensvertretung der freien Theaterschaffenden bietet mit der Initiative IG Netz bereits seit 1991 Unterstützung für die Dienstgeberanteile von Darsteller*innen. Die Anstellungspflicht wird seit einigen Jahren von der ÖGK strenger überprüft und hat Subventionsgeber zu Erhöhungen und kleinere Theater teilweise zum Umplanen gezwungen. Damit kann Österreich im Vergleich zu Deutschland als vorbildlich gelten, wo entsprechende überregionale Initiativen meist scheitern und Gagen über Honoraruntergrenzen hinaus oder Ausfallhonorare oft vom good will abhängig sind - auch in den öffentlichen, kommunalen Theatern, die mit ihren Vertragskonditionen prekäre Beschäftigung häufig fördern.
 
Fazit
 
Die Verantwortung für soziale Sicherheit und Standards aller im Kultursektor Beschäftigten muss als gemeinsames Anliegen von Kulturpolitik, von Interessensvertretungen, aber auch von jedem einzelnen Kulturbetrieb gelten. Erhebungen zu Tätigkeitsfeldern und deren Besonderheiten sowie gesellschaftliche Kontextualisierungen sind dafür notwendige Voraussetzungen, die in der Kulturforschung geleistet und in der Kulturmanagementlehre gebührend vermittelt werden müssen. Bislang sind Arbeitsrechte und deren Auswirkungen auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Kulturschaffenden kein breites Thema im Kulturmanagement, maßgeblich vorangetrieben wird es immer noch durch Betriebsräte und Interessensvertretungen. 
 
Ein Buch wie Worsch’s Analyse zum Theaterarbeitsrecht wäre zu weiteren Sparten und Tätigkeitsfeldern sowie zu Deutschland und der Schweiz dringend erwünscht. Die spannende juristische Abhandlung ist deshalb insbesondere für die professionell agierende Theaterszene in Österreich von Belang, aber auch für Kulturmanagementlehre und -forschung in anderen Ländern.

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