19.10.2022

Buchdetails

Die Klugheit der Städte: Bildung – Kultur – Demokratie
von Dieter Rossmeissl
Verlag: kopaed
Seiten: 279
 

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Autor*in

Oliver Scheytt

ist Inhaber der Personal- und Strategieberatung Kulturexperten sowie Geschäftsführer der Kulturpersonal GmbH. Er war Kulturdezernent der Stadt Essen Geschäftsführer der RUHR.2010. Oliver Scheytt ist seit 1997 Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. und seit 2007 Professor für Kulturpolitik an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. 
Buchrezension

Die Klugheit der Städte. Bildung – Kultur – Demokratie

Kulturpolitik als Teil von Stadtpolitik kann und soll eine demokratische Gesellschaft fördern und der Stadt helfen, sich an eine sich verändernde Gesellschaft anzupassen, so das Buch "Die Klugheit der Städte". Damit vertieft und untermauert die Publikation Argumentationen, die in den letzten Jahren und insbesondere mit der Coronakrise immer lauter und relevanter geworden sind.
 
Die inspirierende Publikation des früheren Erlanger Kulturdezernenten Dieter Rossmeissl - erschienen 2021 im kopaed Verlag - ist eher ein Lesebuch als ein Lehrbuch. Schließlich ist Klugheit auch nicht nur eine Eigenschaft, die gelehrt wird, sondern die sich aus der Paarung von Intellekt, Erfahrung, Intuition und Urteilskraft speist. Gerade über diese Quellen von Klugheit verfügt der Autor in einem hohen Maße, blickt er doch nicht nur auf 40 Jahre kommunalpolitischen Wirkens zurück, sondern hat auch die Kulturpolitik auf der Ebene des Bundes und des Landes Bayern in verschiedensten Konstellationen intensiv reflektiert und vielfach mitgestaltet. Diese Erfahrungen und seine Grenzgängerschaft, indem er aus der ehrenamtlichen Kommunalpolitik mit den einschlägigen politischen Gremien (Mitglied des Nürnberger Stadtrats von 1982-2000) in die hauptamtliche Führungsposition als Dezernent für Bildung, Kultur und Jugend bei der Stadtführung Erlangen (2000-2017) gewechselt ist, sind Basis dafür, dass er alle Felder, Ebenen und Methoden kulturpolitischen Denkens und Handelns durchschreiten kann. Daraus hat sich ein Materialreichtum entwickelt, der anderweitige Publikationen zur Kulturpolitik in den Schatten stellt. Zugleich ist dies offensichtlich Grund dafür, dass das Buch keinem einheitlichen kulturpolitischen System oder Grundmodell folgt, sondern die Klugheit der Städte im Stile eines Feuilletons im Großformat durchdekliniert.
 
Zielsetzung seines Buches, beschreibt der Autor, ist damit, dass die "nachhaltige Existenz der Städte, ihre alle staatlichen und nationalen Umbrüche überdauernde Resilienz" sich vor allem durch ihre Fähigkeit zu Veränderungen erkläre. So heißt es weiter (S. 15): "Mit den kulturpolitischen Trieb- und Steuerungskräften dieser Veränderung befasst sich dieses Buch, nicht um Ergebnisse zu verkünden, sondern um zum eigenen Nachdenken anzuregen und die Kompetenz zum eigenen Handeln zu fördern."
 
Aufbau
 
In sechs Kapiteln befasst sich Rossmeissl mit (1.) den Grundbegriffen kultureller Urbanität, (2.) den "Überlebens-Strategien" der Stadt, (3.) der Kulturpolitik als Stadtpolitik, (4.) den kommunalen Bildungslandschaften sowie unter der Überschrift (5.) "Stadtkultur 4.0" mit aktuellen Entwicklungen in der Digitalität, der Kultur- und Kreativwirtschaft sowie Audience Development, um sodann unter der Überschrift (6.) "Kant scheitert im Rathaus" das Wechselspiel zwischen Ethik, Ästhetik und Öffentlichkeit auszuleuchten. 
 
Grundlagen kommunalen (kultur-)politischen Handelns
 
Im Schlusskapitel wird der in der Zielsetzung benannte Ansatz in besonderer Weise deutlich: Der Autor will die Leser*innen zu einer eigenen Position ermuntern. Er begründet dabei seine Feststellung, dass der "Werteverlust" letztlich weniger relevant erscheine als der "Funktionsverlust von Werten". Politische Entscheidungen und kategorische Maximen, die sich auch aus Werten ergeben würden, würden in der praktischen Politik meist "durch Interessenabwägungen überlagert und ersetzt" (S. 263). Das Gleichheitsprinzip verliere seine normative Kraft in der und für die Kulturpolitik, da diese auf einen "objektiv nicht verifizierbaren Qualitätsbegriff rekurriert". Die subjektiv geprägte ästhetische Wahrnehmung sei nicht nur ein generelles politisches Phänomen, sondern gerade in der Kulturpolitik grundlegend, "wo Ästhetik nicht nur der Vermittlung von Politik dient, sondern zugleich ihr Gegenstand, ihr Objekt ist". Dritter Aspekt politischen Handelns sei allerdings der öffentliche Diskurs, sodass der Öffentlichkeit als demokratisches Kollektiv eine besondere Rolle zukommt. 
 
Für dieses einleuchtend skizzierte Wechselspiel zwischen Ästhetik, Ethik und Öffentlichkeit/Bürgerschaft enthält das Buch eine fast erschlagende Materialfülle. Für jedes der genannten Themen greift der Autor auf eine reichhaltige Sammlung einschlägiger kulturpolitischer Dokumente zurück, die in dieser Form in kaum einer anderen Publikation in einer derartigen Zusammenschau anzutreffen ist - außer im Enquete-Bericht des Deutschen Bundestages "Kultur in Deutschland", der zurecht eine besondere Rolle in den Zitaten und Reflexionen des Autors spielt. Zum anderen ist das Werk gespickt mit geisteswissenschaftlichen Textpassagen und Zitaten, die einen historisch und politisch geschulten Germanisten erkennen lassen. 
 
Der Mehrwert des Buches
 
Besonders hervorzuheben ist, dass in diesem Lesebuch zahlreiche praktische Erfahrungen und Beispiele die Gedankenführung und die zahlreichen Exkurse untermauern, welche insbesondere aus der Praxis des Autors in Erlangen und Nürnberg sowie in der Kulturpolitik Bayerns geprägt sind. Deshalb hat das Buch auch eine Bedeutung für die bisher leider zu selten beleuchtete "Geschichtsschreibung" zur Kulturpolitik, da es Entwicklungen dokumentiert, die so bisher kaum systematisch aufgearbeitet worden sind. So werden etwa im Kapitel "Aufgabenfelder kommunaler Kulturpolitik" beispielsweise die Gehaltsstrukturen von Theaterintendant*innen, die Aufstellung von Kunstwerken im öffentlichen Raum, die Funktion von Kulturorten und Festivals für die Inszenierung von Urbanität oder die Themen "Bier" oder "Fußball" in der kommunalen, kulturellen Außenpolitik nicht nur von bayerischen Städten thematisiert. 
 
Ein weiterer Vorteil des Werkes besteht darin, dass die einzelnen Kapitel für sich allein lesenswert und nachvollziehbar sind und die relevanten Dokumente aus den letzten Jahrzehnten des kulturpolitischen Diskurses kundig, ja klug zusammenführen. Exemplarisch benannt sei dafür das Kapitel 4 "Die Stadt kulturell bilden". Allein schon die Formulierung der Überschrift lässt den Ansatz der Ausführungen erkennen: Die Stadt ist als System zu verstehen, das idealerweise selbstlernend angelegt ist und dabei nur dann wirklich "gebildet" wird, wenn es die Einwohner*innenschaft "ganzheitlich und kulturell, partizipativ und lebensbegleitend" in das Zentrum der kommunalen Bildungslandschaften stellt.
 
Basierend auf den praktischen Erfahrungen des Autors werden zudem allgemeine Thesen, Checklisten oder Punktationen abgeleitet, die die Übertragbarkeit der Ausführungen und Erkenntnisse auf die Kulturpolitik generell und insbesondere auf Konstellationen und Herausforderungen der kommunalen Kulturpolitik abzielen. So gibt es grau unterlegte Kästen, etwa mit "Fragen zur Kultur im demographischen Wandel" (S. 27), "Thesen zur Zukunft der Stadt" (S. 61), Folgerungen zum Komplex "Potenziale kultureller Stadtentwicklung" (S. 111) oder "Anforderungen, die Integration und Teilhabe an das Bildungs- und Kultursystem in den Städten stellen" (S. 208). Auch darin spiegelt sich der Charakter der Publikation als inspirierendes Lesebuch wider.
 
Fazit
 
Zwar liegt dem Buch keine einheitliche kulturpolitische Systematik zugrunde, doch veranlasst dies den Leser, nicht nur die entwickelten Thesen, kulturpolitischen Entwicklungen und Dokumente zu rezipieren, sondern immer wieder auch eigene Erfahrungen und Erkenntnisse zu reflektieren und selbst Position zu beziehen. Das Buch ist mit viel Überzeugungskraft geschrieben, doch nicht in einem diskursiven, fragenden Stil. Daher wächst unwillkürlich der Wunsch, mit dem Autor in eine reale Diskussion einzutreten, die - wie ich aus unmittelbarem Erleben weiß - sehr spannend sein kann. Für Persönlichkeiten, die mit den kulturpolitischen Debatten und der Literatur der letzten Jahrzehnte nur wenig vertraut sind, bringt die Lektüre dieses Werk folglich jedoch einen relativ hohen Anspruch mit. 
 
Insgesamt wird der Titel indes eingelöst: Klugheit beruht auf der Berücksichtigung von Fakten und Einsichten, um zu einem angemessenen Handeln in unterschiedlichen Situationen zu befähigen. Selbstverständlich befasst sich der Autor in diesen Kontexten auch mit aktuellen Themen wie Diversität, Inklusion, Transition oder "kultursensible Pädagogik", gerade auch mit Blick auf Bildungsangebote für Flüchtlinge. 
 
Ein ausführliches Literaturverzeichnis regt zum weiteren eigenen Studium vertiefender Artikel und Publikationen an. Zudem versteht es Dieter Rossmeissl, sich von Strömungen und kulturpolitischen Mantras immer wieder zu lösen, diese zu reflektieren und kritisch zu beleuchten und damit der Klugheit der Leser*innenschaft einen Dienst zu erweisen. Gerade für kulturpolitisch interessierte Kulturmanager*innen enthält das Buch zahlreiche konkrete Ansätze und Vorschläge, denn die Handlungsempfehlungen basieren auch auf den eigenen Erfahrungen des Autors in der Umsetzung kulturpolitischer Konzepte. Zudem hat Dieter Rossmeissl an zahlreichen wegweisenden Texten der Bildungs- und Kulturausschüsse des Deutschen und des Bayrischen Städtetages mitgewirkt und als langjähriges Mitglied im Vorstand der Kulturpolitischen Gesellschaft stets die eigene Praxis als Kulturmanager und Kulturpolitiker reflektiert hat. Seine Publikation regt entsprechend zur eigenen Erprobung und Umsetzung in einer kulturpolitisch fundierten kulturmanagerialen Praxis an. 

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