05.10.2020

Buchdetails

Gegenöffentlichkeit organisieren: Kritisches Management im Kuratieren (Edition Angewandte)
von Matthias Beitl, Beatrice Jaschke, Nora Sternfeld
Verlag: de Gruyter
Seiten: 224
 

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Autor*in

Regina Weidmann
studierte Germanistik/Philosophie und Deutschsprachige Literaturen mit dem Schwerpunkt Gender und Kultur. Auf Tätigkeiten im Siftungsbereich folgten Anstellungen bei Literatur-, Kunst- und Kulturfestivals, zuletzt bei der Ruhrtriennale unter den Intendanzen von Johan Simons und Stefanie Carp. Gegenwärtig ist sie Projektmanagerin des HMKV (Hartware MedienKunstVerein e.V.).
Buchrezension

Gegenöffentlichkeit organisieren. Kritisches Management im Kuratieren

Seit den 1990er Jahren gibt es einen kritischen Diskurs um die Folgen der Ökonomisierung von Kunst- und Kulturinstitutionen. Die Publikation "Gegenöffentlichkeit organisieren. Kritisches Management im Kuratieren” treibt den Diskurs weiter voran und ergänzt ihn um Vorschläge für kritisches Handeln, das in die Strukturen der Ausstellungshäuser drängen soll.
 
Wider der Ökonomisierung - Kritik am System in den eigenen Strukturen nutzbar machen

Ausgangspunkt der Publikation, erschienen 2019 bei De Gruyter, ist die Beobachtung, dass der Effizienzanspruch von Ausstellungshäusern sowie die damit verbundenen wirtschaftlichen Zwänge einen Wettlauf um Besuchszahlen nach sich ziehen, um dessentwillen Inhalte zu verflachen drohen. Hieran schließen die Herausgeber*innen Matthias Beitl, Beatrice Jaschke und Nora Sternfeld die Frage, wie die bisher geübte Kritik in der Auseinandersetzung des Ausstellungsbetriebs mit den eigenen Strukturen zukünftig konkret umgesetzt werden kann. Es ist zentrales Anliegen der Publikation, die Lücke zwischen theoretischem Diskurs und praktischem Handeln zu überwinden. Denn erst in der Praxis kann dieser echte Wirkmacht erlangen und tatsächliche Veränderungen in den Institutionen erreichen, um dem eigenen Anspruch "Gegenöffentlichkeit zu kuratieren" gerecht zu werden.

Dieser Problematik nähert sich die Herausgeberschaft in vier Kapiteln, denen Leitfragen übergeordnet sind. Die Textauswahl ist dabei ausgesprochen heterogen und changiert zwischen Theorie und Praxis, wodurch der Band im deutschsprachigen Raum Neuigkeitswert hat und einen wertvollen Beitrag leistet. Aus praktischer Perspektive fragen die Beiträge des ersten Teils: "Wem gehören die Institutionen?" Geantwortet wird, indem die Rollen von Leiter*innen, Mitarbeiter*innen, staatlicher Wirkmacht, Besucher*innen und Nicht-Besucher*innen reflektiert werden. Ein Schluss dieser Betrachtungen ist, dass neoliberale Politiken zwar den größten Anspruch auf besitzbasierte Wirksamkeit in die Institutionen erheben, dass wirkliche Gestaltungsmacht aber bei den Mitarbeiter*innen und der Öffentlichkeit liegt. Das führt zu den Fragen des zweiten Kapitels: "Welche Öffentlichkeit? Und welche Arbeit?". In diesen Beiträgen stehen Produktion und Rezeption von Ausstellungen und Programm zur Diskussion. Unter anderem werden die vermeintlichen Konflikte zwischen kuratorischen und betriebswirtschaftlichen Interessen und kuratorischer Arbeit und Öffentlichkeitswirksamkeit aus ihrem Widerstreit gelöst und in produktiver Konstellation zusammengebracht.

Ausgesprochen praxisorientierte Texte versammelt der dritte Teil der Publikation unter der Fragestellung "Was tun und wie?". Erfahrungsberichte aus dem Ausstellungsfeld sowie dem wissenschaftlich-universitären Kontext fließen hier in konkrete Handlungskonzepte. Zum Beispiel sei "Teilhabe nicht als Vermittlungsfrage, sondern als Kernbereich der Arbeit von Kunst- und Kulturinstitutionen" (Martin Fritz, S. 125) zu verstehen oder - ganz unpopulär für den Kunst- und Kulturbetrieb - die "Orientierung am Kunden" zu fokussieren ohne dabei außer acht zu lassen, dass "auch die Überraschung, das Unerwartete, die Herausforderung" (Wolfgang Tobisch, S. 146.) zu dessen Zufriedenheit führen können. Den Schluss bilden zwei Bildstrecken von Isa Rosenberger, in denen in Text und Bild Institutionen porträtiert werden, die ihre Strukturen kritisch betrachtet und mutig umgestaltet haben.
Richtungsweisende Impulse für das Management

Mit der dem derzeit virulentesten Themenkomplex beschäftigt sich der Beitrag "Dekolonialisierung des Kulturmanagements: Vorschläge für sich ändernde Zeiten" von Lorena Vicina. Hier wird ganz konkret gefragt: "Wie können künstlerische und kulturelle Institutionen in Orte für symbolische Verschiebungen von Narrativen verwandelt werden, auch wenn diese Verschiebungen oftmals die Bedrohung der eigenen Privilegien erscheinen?" (S. 172f.) Die Autorin erarbeitet ein Konzept zur Dekolonialisierung von Institutionen in drei Schritten:
 
1. Inhalt,
2. Methodologie,
3. Institutioneller Modus Operandi.

Während über den ersten Punkt "Inhalt” in den vergangenen Jahren verstärkt gesprochen wurde und in diesem Zuge die Provenienzforschung zu einer der Kernaufgaben zahlreicher Häuser geworden ist, sind "Methodologie” und "Institutioneller Modus Operandi” weniger populäre Themen, deren Bedeutung an dieser Stelle Nachdruck verliehen wird. Lorena Vicinas Beitrag trägt auf diese Weise zur aktuellen Debatte bei und vermag es richtungsweisend zu sein und damit die Relevanz der Publikation zu untermauern. So hat Nora Sternfeld neben dem hier diskutierten Band 2017 die Veröffentlichung Kuratieren als antirassistische Praxis herausgebracht und der Thematik weiteres Gewicht verliehen, indem ihre Rolle in den Strukturen der Institutionen bekräftigt wurde.

Die Publikation selbst vermag diesem Muster jedoch, und dies ist sicher ein Wermutstropfen in der Lektüre, nicht in allen drei Schritten zu folgen. Mit dem Beitrag "Haptikalität in den Undercommons, oder: Von der Betriebsführung zu verdeckten Operationen” von Stefano Harney arbeitet der Autor PoC-Wissen aus der Unterdrückungserfahrung durch die weiße Mehrheitsgesellschaft während der Sklaverei heraus. Dieses schwarze Wissen überführt er in museale Arbeitsstrukturen. Als Methode, die sich kritisch mit weißem Herrschaftswissen auseinandersetzt, ist dies zunächst gelungen. Aber Stefano Harney ist weiß. Und auch wenn der Beitrag auf die Publikation "Die Undercommons. Flüchtige Planung und schwarzes Studium” referiert, die Stefano Harney und Fred Moton gemeinsam veröffentlicht haben, findet an dieser Stelle durch die alleinige Autorschaft von Harney eine Kapitalisierung schwarzen Wissens durch ein Mitglied der weißen Mehrheitsgesellschaft statt. Koloniale Strukturen finden somit den Weg in eine Publikation, die sich vorgenommen hat, eine Gegenöffentlichkeit kritisch zu erzeugen.

Die große Stärke der Herausgeber*innenschaft ist allerdings, dass sich nicht gescheut wird, scheinbar feststehende Definitionen von ganz grundlegenden Begriffen wie "Öffentlichkeit”, "Publikum” und "Arbeit” in Frage zu stellen. Durch diesen ausgesprochen kritischen Zugang gelingt es, das Moment des sich festgefahren Fühlens (wirtschaftliche Zwänge machen den Anschein, wenig Freiraum zu bieten) zu überwinden und Handlungsfähigkeit zu erzeugen. Besonders gelungen ist die Darstellung dieser Methodik in dem Beitrag von Barbara Steiner in "Doch künstlerische Freiheit ist voll und ganz gegeben. Institutionen zwischen Freiheitsversprechen und Demokratie". Häufig stehen die Interessen einzelner Bereiche in einem Ausstellungshaus - zum Beispiel von Verwaltung und den Künsten näheren Bereichen - quer zueinander. Dieser vertrackten Situation begegnet Barbara Steiner, indem sie dafür plädiert, das ”institutionelle Selbstverständnis, das Struktur, Funktionsbereiche, Kunstprojekte und Ausstellungen als getrennt voneinander begreift” (S. 69) in Frage zu stellen. Sie schlägt vor, die Schnittstelle zwischen Inhalt und Struktur durchlässiger zu gestalten, um nachhaltige strukturelle Veränderungen zu etablieren.

Thematisiert und ganz unmittelbar umgesetzt wird der von den Herausgeber*innen viel beschworene Brückenschlag zwischen Theorie und Praxis mit den an den Schluss der Publikation gestellten Bildstrecken von Ida Rosenberger. Hier werden unter anderem das Museum of Impossible Forms Helsinki und das Volkskundemuseum Wien porträtiert und damit zwei Institutionen vorgestellt, die sich ganz bewusst für eine alternative Organisation der eigenen Strukturen entschieden haben (siehe dazu auch die in diesem Beitrag erwähnten "20 Herausforderungen für eine öffentliche Institution” von Martin Fitz)

Wem gehört die Publikation?

Während der Untertitel des Bandes auf die zentrale Rolle von Kurator*innen verweist ("Kritisches Management im Kuratieren"), erwähnen die einzelnen Textbeiträge mehrfach, dass Institutionen von der Diversität ihrer Mitarbeiter*innen leben und betonen die Relevanz, die Potentiale aller Mitarbeiter*innen für das Haus zu nutzen. Im Hinblick darauf wird etwa diskutiert, in welchem Verhältnis die kuratorischen zu den geschäftsführenden und den vermittelnden Instanzen einer Institution stehen und dass sie dann synergetisch handeln können, wenn ihnen in ihrer jeweiligen Expertise ein gleich hoher Stellenwert zugeschrieben wird Die Auswahl der eingeladenen Autor*innen bekräftigt diese Überlegungen, denn kritisch beigetragen wird sowohl aus kuratorischer, kaufmännischer, vermittelnder und koordinatorischer Perspektive.

Die Publikation ist daher eine lohnenswerte Lektüre für alle, die die Organisation von Ausstellungshäusern neu denken wollen und auf der Suche nach kritischen Impulsen sind - die Rezeption der Veröffentlichung von nicht kuratorischem Personal vervollständigt gewissermaßen die Publikation.

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