23.08.2021

Themenreihe Wahlkultur

Autor*in

Kristin Oswald
leitet die Online-Redaktion von Kultur Management Network. Sie studierte Geschichte und Archäologie in Jena und Rom sowie Social Media-Marketing in Berlin. Sie ist freiberuflich in der Wissenschaftskommunikation und im Museumsmarketing mit Schwerpunkt online tätig.
Bundestagswahl 2021

Das kulturpolitische Programm der AfD

Welche kulturpolitischen Aspekte die größten deutschen Parteien zur Bundestagswahl 2021 für besonders wichtig erachten, zeigt unsere Reihe Wahlkultur. Dieser Beitrag basiert auf dem Wahlprogramm der Alternative für Deutschland und zusätzlichen Fragen an Marc Jongen, dem kulturpolitischen Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion.

Themenreihe Wahlkultur

I. Rang und Einordnung von Kulturpolitik im Parteiprogramm
 
Im Wahlprogramm der AfD steht das Thema Freiheit im Zentrum. Das Programm umfasst 210 Seiten, von denen sich 1,5 Seiten der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik widmen und weitere vier Seiten dem Thema Kultur. Der Grundansatz ist dabei einerseits die Idee von Kultur als bedeutendem Aspekt für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und andererseits als Unterscheidungskriterium zwischen Nationalstaaten und unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Als oberstes kulturpolitisches Ziel möchte die AfD die deutsche Leitkultur als identitätsstiftendes Moment und zugleich politisches Distinktionsmerkmal bewahren. Deutsche Leitkultur versteht die Partei dabei als Kombination der deutschen Sprache, Werte und Geschichte, basierend auf dem Christentum, dem Humanismus und der Aufklärung, sowie den deutschen künstlerischen und wissenschaftlichen Werken (S. 158). Welche Werte und Werke dies genau umfasst und welche nicht, lässt das Wahlprogramm offen. Ein Nebeneinander verschiedener Kulturen innerhalb Deutschlands lehnt die AfD ab. 
 
Leider beinhaltet das Wahlprogramm, im Gegensatz zu denen anderer Parteien, keine allgemeine Einführung, die eine Einordnung der kulturpolitischen Forderungen in einen größeren Kontext mit den breiten gesellschaftlichen Zielen der Partei möglich macht. Es lässt sich aber eine enge Verflechtung von kulturellen und weiteren Themen feststellen, beispielsweise der Asylpolitik. "Kulturpolitik begreifen wir nicht als Spartenpolitik, sondern es handelt sich um ein Grundsatzthema, das auf viele andere Politikbereiche ausstrahlt", so Marc Jongen. 
 
II. Besonders betonte Inhalte des kulturpolitischen Programms
 
Das Wahlprogramm der AfD und auch die Antworten von Marc Jongen fokussieren stark auf die Inhalte kultureller Arbeit. Entsprechend der Idee der Relevanz der deutschen kulturellen Identität werden Aspekte wie Brauchtum, Mundarten, lokale Kulturvereine, Baudenkmäler und Architektur sowie Erinnerungskultur als besonders schützenswert thematisiert. Dabei möchte die Partei die deutsche Geschichte in ihrer Gänze würdigen und weniger die Tief- als die Höhepunkte berücksichtigen. Was genau das in der Umsetzung bedeutet, wird jedoch nicht konkretisiert. In jedem Fall sollen die deutschen Kulturgüter, Traditionen und Geschichte ein fester Teil schulischer Lehrpläne bleiben, um "Heimatliebe und Traditionsbewusstsein" zu fördern (S. 152). 
 
Über solche kulturellen Inhalte hinaus lässt das Wahlprogramm der AfD kein Gesamtbild in Hinblick auf die Frage erkennen, wie Kulturarbeit und Kulturmanagement künftig umgesetzt werden sollen. Stattdessen sind konkrete Forderungen mit Bezug zum Kulturbereich einzeln über das Programm verteilt und können hier deshalb nur kurz wiedergegeben werden. So möchte die Partei die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung und hier speziell die Nutzung quelloffener Software voranbringen und die Kommunen besser finanziell und beratend unterstützen. In diesem Kontext ist vor allem von E-Government die Rede, was hinsichtlich einer besseren digitalen Infrastruktur aber auch kommunalen Kultureinrichtungen zugute kommen könnte. Darüber hinaus will die AfD die kulturelle Infrastruktur auf dem Land unterstützen und ausbauen. Hinsichtlich der sozialen Medien setzt sich die Partei für eine Deregulierung ein, um die Meinungsfreiheit zu stärken. Neuere gesetzliche Regelungen wie Uploadfilter oder Kontensperrungen, von denen auch Kultureinrichtungen und -schaffende hin und wieder betroffen sind, würden damit wohl entfallen.
 
Ein größeres Thema der AfD ist zudem der Bereich Wissenschaft und Studium. Hier möchte die Partei die Grundfinanzierung der Hochschulen erhöhen sowie Diplom und Magister wieder einführen. Beide Punkte könnten den Kultur- und Geisteswissenschaften entgegenkommen. Einerseits leiden diese meist unter einer besonders schlechten Finanzierung. Andererseits hat sich der Bachelor hier nicht zu einem ausreichenden Hochschulabschluss für eine Tätigkeit im Kulturbereich entwickelt. 
 
Eine andere Forderung hingegen könnte die Geistes- und Kulturwissenschaft eher schwächen: Die AfD möchte "Schulbildung, Hochschulbildung und Forschung verstärkt auf MINT-Fächer ausrichten, die Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Produkte fördern, Selbständigkeit und Erfindergeist fördern und damit die Dynamik kleiner innovativer Einheiten nutzen" (S. 44). Hier wird nicht nur ein starker Fokus auf technische Errungenschaften deutlich, sondern auch, dass die Partei ökonomisch und innovativ relevante Bereiche wie die Kultur- und Kreativwirtschaft nicht entsprechend wahrnimmt. 
 
III. Kulturpolitik und gesellschaftliche Kontexte
 
Ihren grundlegenden Ansatz, staatliche Regulierungen zu reduzieren und damit mehr Entscheidungsfreiheit in den meisten Bereichen zu schaffen, überträgt die AfD auch auf den Kulturbereich. Entsprechend zielen die Forderungen der Partei hinsichtlich des Verhältnisses von Kultur und Gesellschaft vor allem darauf ab, diesbezügliche Entwicklungen der letzten Jahre rückgängig zu machen. In diesen sieht sie eine "Gefährdung unserer kulturellen Identität durch linksideologische Strömungen, die von "Cancel Culture" über den Postkolonialismus bis hin zur linken Identitätspolitik reichen", so Jongen. Hier bezieht sich die AfD vor allem auf Diversitätsthemen wie Quoten, Antidiskriminierungsgesetze, gendergerechter Sprache und Gleichstellungsregelungen, denn die Partei sieht Gleichbehandlung als Aufgabe des Staates gegenüber den Bürger*innen, aber nicht der Bürger*innen untereinander. Dies würde sich besonders auf den Kulturbetrieb auswirken, da hier ungleiche Machtverhältnisse stark ausgeprägt sind. Zudem möchte die AfD Bemühungen zur Begrenzung der Klimakrise reduzieren. 
 
Beide Themen - Diversität und Klimakrise - sollen dabei sowohl in (kulturellen) Bildungskontexten als auch hinsichtlich der Förderung von Kultureinrichtungen keine Rolle mehr spielen. Dabei betont Jongen, dass es der Partei im Sinne der Freiheit darum ginge, inhaltliche Gängelungen und Konformität in der Kulturarbeit zu reduzieren, um eine lebendige Kulturlandschaft zu fördern. Zugleich - und dies offenbart einen Widerspruch - sieht die Partei in der Ablehnung von Diversität einen Weg, "das Eigene zu verteidigen und zu bewahren", wie Jongen es formuliert. Dass hier mit "das Eigene" die "weiße" Kultur und Geschichte gemeint sein könnte, zeigt sich im Wahlprogramm zum Thema "Dekolonisierung". Hierin sieht die Partei eine "Verteufelung des weißen Mannes" (S. 161). Entsprechend lehnt die AfD eine pauschale Rückgabe von Sammlungsgütern aus kolonialen Kontexten ab. 
 
Zudem sollen sich Kulturbetriebe, Vereine und Stiftungen, die staatlich gefördert werden, zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen (S. 159). Aussagen wie diese finden sich im Wahlprogramm der AfD häufig, jedoch ohne Beleg, dass dem aktuell nicht so wäre. Ebenso lässt sich die Forderung, die Förderung von Kultureinrichtungen müsse transparent sein, kaum einordnen. Das gilt auch für Jongens Hinweis auf "das Verschwinden Deutschlands als Kulturnation", dessen Verhinderung er als "eigentlichen Schwerpunkt im Verhältnis von Kulturpolitik und gesellschaftlichen Themen" sieht.
 
IV. Arbeitsbedingungen im Kulturbereich
 
Im Wahlprogramm der AfD finden sich kaum konkrete Inhalte zu den Arbeitsbedingungen im Kulturbereich selbst. Einige allgemeine Forderungen beschäftigen sich aber mit Themen, die auch Arbeitnehmer*innen im Kulturbereich betreffen würden. Hier stechen vor allem die zahlreichen Forderungen zur Besserstellung von Familien heraus. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für Kulturschaffende aufgrund ungewöhnlicher oder unregelmäßiger Arbeitszeiten, prekärer Beschäftigungsformen oder Befristungen häufig ein Problem. Pro-Kind-Vorteile für Eltern wie drei Jahre volles Netto-Betreuungsgeld, Rentenrückzahlungen bei gleichzeitiger Beibehaltung der Rentenpunkte, Bafög- und KfW-Vorteile, Familienfreundlichkeit in der Verwaltung, Stärkung von Betriebskindergärten usw. dürften vielen Kulturschaffenden mit Kindern oder Kinderwunsch deshalb entgegen kommen. 
 
Inwieweit das auch für zwei weitere Forderungen der AfD - die Entschlackung und Flexibilisierung des Arbeitsrechts sowie höhere Steuerzuschuss in der Rentenfinanzierung und "gerechtere Renten" - zutrifft, lässt sich kaum sagen. In beiden Fällen erklärt das Wahlprogramm nicht, was genau damit gemeint ist. Entsprechend lässt sich auch kaum abschätzen, ob Kulturschaffende davon betroffen wären. 
 
V. Gestaltung des Verhältnisses zwischen Bund, Ländern und Gemeinden
 
In Bezug auf das kulturpolitische Verhältnis zwischen den verschiedenen politischen Träger- und Entscheidungsinstanzen lässt sich die Position der AfD klar und kurz zusammenfassen: Die Partei bekennt sich zur Kulturhoheit der Bundesländer und will die kulturpolitischen Aktivitäten des Bundes begrenzen. Ein Bundeskulturministerium oder eine Aufweichung des Kooperationsverbotes, wie sie andere Parteien fordern, wären demnach für die AfD wohl nicht wünschenswert. 
 
VI. Auswärtige Kulturpolitik und -förderung
 
Die auswärtige Kulturpolitik wird im Wahlprogramm der AfD immer wieder thematisiert. Grundprämisse der Partei ist dabei die Unabhängigkeit und kulturelle Eigenständigkeit von Nationalstaaten als einem Gebilde eines Staatsvolkes mit einer eigenen kulturellen Identität (S. 28). Diese Form kultureller Vielfalt und Unabhängigkeit zu bewahren, sieht die Partei als Kernelement der internationalen Kulturpolitik, auch und insbesondere auf EU-Ebene. "Der Imperativ, dass die Kulturhoheit der Länder und Kommunen nicht weiter beeinträchtigt werden darf, gilt für die AfD auch mit Blick auf die europäische Kulturpolitik." Die Partei setzt sich deshalb dafür ein, "dass die EU kulturpolitisch nur dann aktiv werden sollte, wenn ein Problem oder Vorhaben nicht auf der Ebene der EU-Mitgliedstaaten gelöst oder realisiert werden kann", so Jongen. Damit will die AfD sicherstellen, dass Deutschland auf dem Völkerrecht basierende internationale Beziehungen pflegt, die die kulturelle Unabhängigkeit der Völker Europas berücksichtigen. Hierbei möchte die Partei die Rolle zwischenstaatlicher Organisationen, NGOs und global agierender Konzerne verringern, wobei erneut unklar bleibt, worin diese aktuell besteht und was die Forderung konkret bedeutet. Kulturelle Durchmischung oder Vereinheitlichung lehnt die Partei auch auf internationaler Ebene ab und negiert damit, dass solche Prozesse schon immer stattfanden.
 
Für die AfD ist Deutschland "eine der bedeutendsten Kulturnationen der Welt" (S. 62) und sie setzt sich dafür ein, dass das stärker anerkannt wird. Entsprechend sollen sich international tätige deutsche Kultureinrichtungen wie das Goethe-Institut vor allem diesem Ziel widmen, die deutsche Kultur und Sprache im Ausland stärker fördern und ein positives Bild Deutschlands in der Welt vermitteln (S. 71). Inwieweit weitere Aufgabenbereiche dieser Institute zur Verbesserung der Völkerverständigung, die in den letzten Jahren deutlich in Richtung Unterstützung internationaler Künstler*innen und kultureller Infrastruktur erweitert wurden, weiter Unterstützung finden, bleibt im Kontext der Ablehnung postkolonialer Ansätze durch die AfD offen.
 
Fazit
 
Das Wahlprogramm der AfD zur Bundestagswahl 2021 enthält zahlreiche kulturpolitische Aspekte, die häufig auf mehrdeutigen und unbelegten Behauptungen basieren und einen weiten Interpretationsspielraum zulassen. Die Forderungen widmen sich vor allem der inhaltlichen Ausrichtung und dem gesamtgesellschaftlichen Ziel der Kulturarbeit, nämlich der Bewahrung und Förderung einer deutschen Leitkultur im Gegensatz zum Multikulturalismus. Zwar gibt es an einigen Stellen Forderungen dazu, wie dieses Ziel kulturpolitisch gefördert werden soll. Konkrete Vorschläge zur Umsetzung in der kulturpolitischen und kulturmanagerialen Praxis macht die Partei jedoch nicht. Einzige Ausnahme bilden hier die Forderungen zur Familienpolitik, die den Arbeitsalltag im Kulturbetrieb für Kulturschaffende positiv verändern könnten. 
 
Gänzlich außen vor bleibt im Wahlprogramm auch die Kultur- und Kreativwirtschaft und deren Relevanz für die Wirtschafts- und Innovationskraft Deutschlands. Zudem finden die schwerwiegenden Probleme von Freischaffenden und Soloselbstständigen im Kulturbereich, die die Pandemie nochmals deutlich gemacht hat, im Wahlprogramm keine Erwähnung.

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