11.08.2021

Themenreihe Digitale Formate

Autor*in

Sandra Richter
ist Masterstudentin der Kunstgeschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Ihre Bachelorarbeit in Museumskunde wurde mit dem Abschlusspreis der Freunde und Förderer der HTW Berlin e.V. ausgezeichnet. Praktische Erfahrung im Museumsbetrieb sammelte sie in Praktika u. a. in den Staatlichen Museen zu Berlin und dem Museum Barberini. 
Digitale Museumsvermittlung

Untersuchung der Angebote aus dem Corona-Frühjahr 2020

Die digitale Vermittlung in Museen wurde während der Corona-Krise in einem bemerkenswerten Maß ausgebaut. Zeit für ein Zwischenfazit: Welche Konzepte waren am erfolgreichsten? Und aus welchen Fehlern lässt sich lernen?

Themenreihe Digitale Formate

Die Herausforderungen des letzten Jahres erforderten von Museen Experimentierfreudigkeit und viel Einsatz, um in der Verlagerung der Freizeitaktivität ins Digitale und der umfangreichen Konkurrenz nicht zu verschwinden. Im Rahmen meiner Bachelorarbeit im Studiengang Museumskunde der HTW Berlin habe ich eine Fallstudie zu elf digitalen Vermittlungsangeboten durchgeführt, die während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 erstmalig zur Verfügung gestellt wurden. Dabei konnte ich bestimmte Gestaltungsmerkmale und Strategien der neukonzipierten Angebote der untersuchten Museen ausmachen.
 
Die untersuchten Beispiele sind
 
Zwischen Tradition und Experiment 
 
Mit den Museumsschließungen im Frühjahr 2020 haben Museen vielfach bestehende digitale Vermittlungsangebote nochmals prominent platziert. Gleichzeitig erlebte die Neuproduktion einen immensen Aufschwung. Anhand einer Studie des Network of European Museums Organisation (NEMO 2020) wird deutlich, dass Museen dabei vor allem klassische Angebote in ihr digitales Vermittlungsrepertoire überführt haben:
 
1. Führungen
2. Ausstellungen
3. Quiz-Angebote und Wettbewerbe
 
Letztgenanntes teilt sich den dritten Platz mit Lernangeboten sowie der Sammlungs- und Objektpräsentation (NEMO 2020, S. 12). Bleibt demnach alles beim Alten - nur in digital?
 
Mitnichten! Was in den vier Wänden des Museums funktioniert, lässt sich noch lange nicht auf Videos, Apps oder Webseiten übertragen. Die eigentliche Herausforderung liegt in der Adaption analoger Methoden - nicht Formate - und der wertschöpfenden Übersetzung in den digitalen Raum. Dabei kommt es u.a. darauf an, welche Nutzer*innen digital erreicht werden sollen und wie sie mit dem Angebot interagieren können.
 
Das digitale Publikum
 
Bisher steckt die Nutzer*innenforschung für digitale Vermittlungsangebote von Museen noch in den Kinderschuhen. Wir wissen daher sehr wenig darüber, wer sich auf der anderen Seite des Bildschirms befindet. Die Tate Gallery in London entwickelte jedoch bereits 2013 einen Vorschlag zur Gruppierung ihres digitalen Publikums (Gries 2016, S. 98ff.). Dabei werden vier mögliche Kombinationen aus geringem oder spezifischem Vorwissen sowie intellektueller oder emotionaler Motivation zu Nutzungstypen klassifiziert. Die Gruppierung ermöglicht es, Angebote auf die Bedürfnisse der Nutzungstypen auszurichten und damit mehr Menschen von den eigenen digitalen Formaten zu überzeugen. 
 
Digitale Nutzergruppen nach einer Einteilung der Tate Gallery (Nach: Gries 2016, S. 98ff.).

   Spezifisches Vorwissen   Geringes Vorwissen 
 Intelektuelle Motivation   Researchers   Self-Improvers
 Emotionale Motivation  Art Enthusiasts   Explorers 
 
Diese Einteilung ist auch auf die untersuchten Vermittlungsangebote aus dem ersten Lockdown 2020 anwendbar. An ein Publikum mit geringem Vorwissen richtet sich zum Beispiel die Social-Media-Videoreihe "Museum of untold stories" der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Mitarbeiter*innen präsentieren hier Anekdoten aus ihrem Arbeitsalltag mit einem Bezug zu einzelnen Objekten. Dieses kurzweilige Angebot bietet vor allem einen emotionalen Zugang und zielt somit auf den Zielgruppentypus "Explorers" ab.
 
Insgesamt wird in den elf untersuchten Vermittlungsangeboten deutlich, dass die Museen tendenziell nur ein geringes Vorwissen bei ihrem Publikum voraussetzen. Emotionale und intellektuelle Motivation halten sich die Waage. Nach der Gruppierung der Tate wird in den Fallbeispielen somit vorwiegend die Ansprache der Typen "Self-Improvers" und "Explorers" verfolgt.
 
Im Austausch bleiben
 
Einen persönlichen Besuch im Museum durch digitale Kommunikation ersetzen zu wollen, bedeutet auch, dem Publikum Interaktionsmöglichkeiten einzuräumen. Bereits eine interaktive Anwendungsoberfläche in Apps oder Webseiten befähigt die Nutzer*innen zu einer selbstbestimmten Auseinandersetzung mit den Museumsinhalten. Das kann zunächst die eigenständige Navigation meinen, eingesetzt beispielsweise in der virtuellen Ausstellung "Marken:Zeichen. Das Grafische Atelier Stankowski + Duschek" der Staatlichen Museen zu Berlin. Während sich jede*r Besucher*in nach Interesse durch den digitalisierten Ausstellungsraum klicken kann, bieten zusätzliche Scans einen detaillierten Blick auf die Ausstellungsobjekte. 
 
Die häufigste Interaktionsform der digitalen Kunstvermittlung im ersten Corona-Quartal bildete der Austausch zwischen Publikum und Museum. Die Dialogmöglichkeiten in den Sozialen Medien wurden bspw. dafür verwendet, zu erfragen, welche Inhalte sich die Nutzer*innen in dieser außergewöhnlichen Situation wünschen. Auch Feedback zu den veröffentlichten Angeboten wurde gezielt eingeholt. So nutzte die Live-Führung "Kunst und Krise" der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zum einen die Fragen der Zuschauer*innen für das Kunstgespräch und zum anderen Anregungen für die stete Weiterentwicklung des Angebotes. Erst durch den Wunsch des Online-Publikums wurde beispielsweise die Kunstwerkpräsentation in englischer Sprache ins Programm aufgenommen. 
 
Hingegen blieb ein gemeinschaftliches Museumserlebnis - wie es bei einem analogen Besuch häufig der Fall ist - aus. Einzig Angebote wie die "KuMa-Challenge" der Kunsthalle Mannheim zielen auf einen Austausch innerhalb des Publikums ab. Hier stellten Privatpersonen mit persönlichen Anekdoten in kurzen Videos Werke aus der Sammlung vor. Im Anschluss hatten sie die Möglichkeit, Freund*innen und Bekannte für die Teilnahme der Challenge zu nominieren. 
 
Eigenständiger Mehrwert
 
Will die digitale Vermittlung auch nach der Wiedereröffnung relevant bleiben, muss sie über digitale Kopien eines analogen Angebotes hinaus gehen. Dieser Anspruch der Eigenständigkeit gelingt den untersuchten Vermittlungsangeboten nur bedingt. Überwiegend orientieren sich diese an bestehenden, physischen Formaten, passen sich aber zumindest im Detail an die digitalen Besonderheiten an. Das Konzept der Führungen "Zirkeltraining" der Berlinischen Galerie existierte etwa bereits vor dem Lockdown. Die Bildvergleiche wurden nun allerdings - anders als in der analogen Führung - in separate Videos unterteilt, wodurch eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne benötigt und die interessengeleitete Auswahl der Inhalte möglich wurde.
 
Ebenso häufig erfolgte eine Orientierung an Internetphänomenen. Treffendstes Beispiel hierfür ist der "Meme-Creator" der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Die User*innen können Kunstwerke aus der digitalen Sammlung in das Tool laden und mit einem individuellen Textsehen. Die so entstehenden humorvollen Memes werden in öffentlichen Foren Teil der Internet- und Popkultur.
 
Lediglich zwei der elf Beispiele kann insofern ein hohes Maß an Eigenständigkeit zugesprochen werden, dass sie bestehende Formate aus der analogen und digitalen Vermittlung reflektieren, weiterentwickeln und sich weitgehend vom Museumsbesuch lösen. Dazu zählt die Online-Ausstellung "Die Demokratische Schnecke" des Museums Villa Stuck. Das Konzept der künstlerischen Installation blieb bestehen, nahm jedoch im digitalen Raum eine grundlegend andere Gestalt an. In schlichten Kacheln werden auf der Ausstellungswebseite Textfragmente, Video- und Audiodateien präsentiert. Sie ordnen sich je nach gewähltem Schwerpunkt assoziativ an und laden zum Stöbern und Vertiefen ein. Diese Art der Erfahrung wäre für einen analogen Ausstellungsraum nicht denkbar gewesen. 
 
Mit den drei Gestaltungskriterien Nutzer*innenansprache, Interaktion und Eigenständigkeit werden also unterschiedliche Strategien der digitalen Vermittlung während der Corona-Krise deutlich. Ein abschließender Blick auf die Zugriffzahlen soll eine quantitative Einordnung ermöglichen.
 
Numbers, please!
 
Aus Daten der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und der Berlinischen Galerie, die mir für die Studie zur Verfügung gestellt wurden, zeigt sich deutlich ein verstärktes Interesse an digitalen Angeboten während des ersten Lockdowns. So hat sich im Zeitraum März bis Mai 2020 der durchschnittliche Follower*innen-Zuwachs auf dem Instagram-Kanal der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen von 6% auf 12% verdoppelt. Die Berlinische Galerie verzeichnet für ihren Instagram-Kanal eine Steigerung der Interaktionsrate um 15%.
 
Welchen Effekt einzelne Angebote haben können, zeigt sich bspw. an den Videoführungen "Allein im Museum" der Staatlichen Museen zu Berlin. Die Berliner Direktor*innen führten in der Reihe durch ihr jeweiliges Museum und erzielten im Durchschnitt 2.500 Aufrufe. Der Mittelwert aller Videos auf dem YouTube-Kanal der Staatlichen Museen zu Berlin liegt für die erste Jahreshälfte 2020 lediglich bei 340 Klicks (Stand dieser Erhebung: 24.07.2020). 
 
Hingegen sanken die Aufrufzahlen der Museumswebseiten um 25% bei den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und um 50% bei der Berlinischen Galerie. Nach Angaben der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen muss hierbei allerdings zwischen Besuchsinformationen, deren Zugriffszahl nahezu vollständig zurückging, und objektbezogenen Informationen unterschieden werden. Trotz des allgemeinen Negativtrends erzeugte die Video-Reihe "Kunstminute" verstärktes Interesse, auch wenn sie bereits 2019 veröffentlicht wurde. Die Videos wurden zudem doppelt so häufig bis zum Ende geschaut wie vor der Schließung.
 
Grundsätzlich bestand während des ersten Lockdowns demnach ein höheres Interesse an den nicht-besuchsbezogenen Museumsinhalten. Es wird allerdings aus dieser Betrachtung nicht deutlich, welche Nutzer*innen die Angebote mangels alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten wahrnahmen und welche dies aus spezifischem Interesse am Museum taten. Das Ziel, das Publikum trotz geschlossener Häuser zu erreichen, erreichten die untersuchten Museen dennoch bis zu einem gewissen Grad.
 
Digitale Vermittlung während der Pandemie
 
Eine fertige Schablone für gelungene Online-Vermittlung gibt es nicht - und das ist gut so! Denn so vielfältig wie die Museumslandschaft darf auch die digitale Museumsvermittlung sein. Das Corona-Jahr zeigte aber, dass der Schlüssel in der zielorientierten Entscheidung liegt: Wen möchten wir erreichen? Welche Bedürfnisse können wir befriedigen? Welche Interaktion ist dem Angebot zuträglich? Und wie kann mit der Anwendung ein digitaler Mehrwert geschaffen werden? 
 
Die untersuchten Vermittlungsangebote des ersten Lockdowns setzen überwiegend auf ein Publikum mit geringem Vorwissen, legen großen Wert auf den Austausch zwischen Museum und Nutzer*innen und adaptieren analoge Vermittlungsformate oder Internetphänomene. 
 
Auch nach der Wiedereröffnung der Museen können digitale Angebote ein Mehrwert für die museale Vermittlung sein. Sie erheben jetzt nicht mehr den Anspruch, Ersatz zu sein, sondern wertvolle Ergänzung der Museumserfahrung. Museen werden auch in Zukunft dort ihr Publikum erreichen, wenn sie wirklich bereichernde Angebote im Digitalen konzipieren.
 
Literatur 
 
  • Gries, Christian (2016): Niemand besucht das Museum. In: Rainer Wenrich und Josef Kirmeier (Hg.): Kommunikation, Interaktion und Partizipation. Kunst- und Kulturvermittlung im Museum am Beginn des 21. Jahrhunderts. München: Kopaed, S. 95-106.
  • NEMO (Hg.) (2020): Survey on the impact of the Covid-19 situation on museums in Europe. Final Report. 
  • Richter, Sandra (2020): Museale Kunstvermittlung Online. Exemplarische Betrachtung digitaler Vermittlungsangebote während der Corona-bedingten Schließung im Frühjahr 2020. (Bachelorarbeit, HTW Berlin). www.dx.doi.org/10.13140/RG.2.2.11144.96000

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