11.12.2019

Autor*in

Julia Jakob
studierte Musikwissenschaft und Kulturmanagement in Weimar. Praktische Erfahrungen im Kulturbetrieb sammelte sie bei unterschiedlichen Festivals und in verschiedenen Veranstaltungsbüros sowie als Agentin bei weim|art e. V. Seit 2021 ist sie die Chefredakteurin des Kultur Management Network Magazins und stellvertretende Leiterin der Redaktion.
Anja Schwarzer
studierte in Halle und Sarajevo Interkulturelle Europa- und Amerikastudien sowie Betriebswirtschaftslehre an der FernUni Hagen. In ihrer Zeit in Weimar betreute sie u.a. als wissenschaftliche Assistenz die AG Kulturkonzept der Landeshauptstadt Erfurt. Neben Ihrer Tätigkeit als Referentin bei KMN studiert sie berufsbegleitend CrossMedia an der FH Magdeburg-Stendal.
Rückblick MediaTech Hub Conference 2019

Auf, ins Unbekannte!

Ob real wirkende Animationsfilme, personalisierte Werbekampagnen oder vermenschlichte Roboter - digitale Medientechnologien eröffnen uns mittlerweile ungeahnte Möglichkeiten. Was sie für die Zukunft des Kultur-, Film- und Mediensektors bedeuten, diskutierte die MediaTech Hub Conference 2019.
Zugegeben: Die Film- und Medienbranche wird vom Kulturmanagement bisher eher stiefmütterlich behandelt. Dabei können klassische Kultureinrichtungen im Bereich der digitalen Transformation oder in Bezug auf digitales Nutzer*innenverhalten viel von ihr lernen. Denn auch diese Branchen stehen vor ähnlichen Fragen wie Theater, Museen oder Konzerthäuser: Welche Einnahmequellen können erschlossen werden? Welche Prozesse kann man wie optimieren? Mit welchen Formaten lässt sich neues Publikum gewinnen oder bestehendes stärker einbinden? Und können Daten Transparenz schaffen?

Eine Möglichkeit - auch als Branchenneuling - Einblicke in die aktuellen Entwicklungen und Antworten auf diese Fragen zu bekommen, bot am 19. und 20. November 2019 die zweite MediaTech Hub Conference auf dem Campus des Filmstudios Babelsberg in Potsdam. Als ältestes Großbildstudio der Welt kann es auf mehr als 100 Jahre Filmgeschichte zurückblicken und ist zugleich an neuen digitalen Lösungen für die Branche mitbeteiligt. In diesem Ambiente konnten rund 700 internationale Entscheidungsträger*innen aus Medien, Industrie, Start-up-Szene und Wissenschaft zwischen zwei parallel stattfindenden Konferenzschwerpunkten wählen:
  • MediaTech für die Unterhaltungsbranche (Film, TV, Web) oder
  • MediaTech für die Industrie
Workshops zur praktischen Anwendung ergänzten die Vorträge und Podiumsdiskussionen. Der Fokus lag dabei bei allen Formaten auf der Verbindung von Kreativität und Technologie.

Das Bekannte verlassen

Wenn von künftigen Entwicklungen gesprochen wird, geht es auch im Kulturbereich darum, die Komfortzone zu verlassen, um sich ins Unbekannte zu wagen. Denn nur dort finden sich die Antworten, die man noch nicht kennt. Dazu rief auch Stephanie Riggs (Creative Director of Experiential des amerikanischen Medienunternehmens Refinery29) in ihrer Keynote "The End of Storytelling?" auf. Ihr vorgeschlagener Weg: immersives Storytelling, denn "immersive narratives involve a complex interwoven network of: story, technology and humanity. This is the storyplex". Sie selbst hat dieses bei 29ROOMS erprobt, einem "Funhouse of Style, Culture, and Creativity". In 29 verschiedenen Räumen/interaktiven Mini-Galerien können Besucher*innen hier in eine multisensorische Ausstellung eintauchen.  Andere Kulturbereiche, etwa das Theater, erproben diese Form des Storytellings ebenfalls bereits, wie die Produktionen "The Borderline Prozession" (Schauspiel Dortmund) oder "Draw me close" (National Film Board of Canada und National Theater’s Immersive Storytelling Studio) zeigen. Um die Stücke dabei für das Publikum massiv erlebbar zu machen, kommen modernste VR-Technologien zum Einsatz.

VR kann aber auch in der Filmproduktion neue Wege eröffnen. Wie das konkret aussehen kann, zeigte Christoph Roth (Visual Effects Producer bei MPC Films) am Beispiel der Hollywood-Neuverfilmung von Disneys "Der König der Löwen". Das Team nutzte hierbei Virtual Reality, um die Szenen zu planen, zu filmen und zu animieren - eine Technik, die bisher noch in keinem anderen (Animations-)Film verwendet wurde. Das Resultat: lebensechte Bilder, die auch aus Tierdokus stammen könnten.

Auch im Marketing können durch den Einsatz neuer Technologien neue Pfade eingeschlagen werden. Björn Bremer (CCO der Kommunikationsagentur Ogilvy) zeigte dazu die Kampagne "Spar dir den Flug" für die Deutschen Bahn. Die Herausforderung: Wie bringt man deutsche Urlauber*innen dazu, öfter mit der Bahn zu verreisen? Indem man ihnen zeigt, wie viel kostengünstiger (und CO2-sparender) sie in Deutschland Orte mit hoher Instagramability erkunden können. Die Kampagne zeigt dazu mit einem Side-by-Side-Vergleich die schönsten Reiseziele rund um die Welt und stellt diesen Ziele in Deutschland gegenüber, die genau so aussehen. Dies ergänzte sie mit Flug- bzw. Bahnpreisen an den jeweiligen Ort. Neben der kreativen Idee ist das Spannende daran die technische Umsetzung: Auf Grundlage von Facebook- und Getty Images-Daten wurde ein Algorithmus entwickelt, der nach Bildern zielgruppenrelevanter Reiseziele und ähnlichen Bildern aus Deutschland sucht. Zudem wird mittels Geotargeting für jede Person der nächstgelegene Flughafen ermittelt. Den Ziel-Flughafen im Ausland und den aktuell günstigsten Flugpreis findet ein weiterer Algorithmus - in Echtzeit. Jede*r Nutzer*innen wird so gezeigt, wie viel der günstigste Flug zum Fernreise-Wunschziel gerade kostet, und ein Gegenangebot gemacht - komplett automatisiert und in unendlich vielen Variationen. Hier eine Verbindung zum Kulturbereich zu finden, ist nicht schwer. So könnten Häuser beispielsweise potenzielle Besucher*innen der Region auf ihre aktuellen Angebote aufmerksam machen und dabei zugleich auf die günstigeren Anfahrtswege und ggf. Eintrittspreise im Vergleich zu bekannteren, aber weiter entfernten oder teureren Wettbewerbern hinweisen.

Innovation ja, aber nicht um jeden Preis

Wenngleich neue Technologien ungeahnte Wege eröffnen, ist nicht jede Innovation für jedes Einsatzfeld geeignet bzw. dieses von Beginn an klar. So sprach sich Sara M. Watson (Technologiekritikerin) in ihrer Keynote für eine konstruktive Technikkritik aus: "Technology is power so it is accountable for what it has built. What tools did it take to build this? Can we ask better questions about emerging technologies to build the future we want to build?" 

Wer sich nicht direkt vorstellen konnte, was Watson damit meinte, bekam beim Vortrag von Hermione Flynn (CEO des 3D-Studios Mimic Production) zu "Experiencing the Digital Human" ein Beispiel. Ihre Agentur bietet das komplette Spektrum der Entstehung eines virtuellen Avatars an. Die Technik überzeugt auf ganzer Linie (ihr Lebens- und Geschäftspartner hat beim Oscargewinner "Avatar" mitgewirkt), wirft aber ethisch weitreichende Fragen auf. Auffällig war hier, dass ihr kritikloser Optimismus vom Publikum zwar geschätzt, aber nicht geteilt wurde. Anstoß nahmen viele z.B. an der Vorstellung, im Alter von 80 das eigene Ich als 50 Jahre jüngeren Avatar zur Seite zu haben, oder an der Frage, wie mit den Avataren von Verstorbenen umgegangen werden soll. Gerade im Bereich Museen und Gedenkstätten werden solche Fragen derzeit ebenfalls diskutiert. Hier entwickeln erste, vor allem nicht-deutsche Anbieter und Häuser aktuell virtuelle Abbilder von noch lebenden, bereits verstorbenen oder auch beispielhaften, aber nicht realen Holocaust-Überlebenden, die durch ehemalige KZs führen oder über ihre Erfahrungen berichten. Deutsche Kurator*innen, Kulturvermittler*innen und Historiker*innen diskutieren intensiv darüber, wie sich der Mehrwert eines solchen Formats - die Dokumentation von Zeitzeug*innen - mit den Gefahren der emotionalen Überwältigung bei gleichzeitig nie zu erreichender Authentizität verbinden lässt

Um Innovationen in den (kulturellen) Arbeitsalltag zu integrieren, müssen wir in jedem Fall etwas an unseren Gewohnheiten ändern. Dazu muss laut Nic Kemp (Workflow Managerin) und Mark Harrison (Managing Director) von Digital Production Partnership jeder den Entrepreneur in sich entdecken. In einer Studie zum kollaborativen Arbeiten in Medienproduktionsfirmen stellten sie fest, dass sowohl ältere als auch jüngere Firmen cloudbasiertem Arbeiten immer noch kritisch gegenüberstehen, obwohl es ihren Workflow nachweislich erleichtern und beschleunigen würde. Viele bangen jedoch um die Sicherheit ihrer Daten. Hier braucht es also weniger "shiny techtoys" als Pioniere, die mit gutem Beispiel vorangehen und anderen Firmen - und auch Kultureinrichtungen - die Angst nehmen. Harrison sprach sich hierbei dafür aus, die Sinnhaftigkeit innovativer Ideen stärker in den Mittelpunkt zu rücken: "Some say that new technology will enable a whole new kind of creativity. But we don’t need a new kind of creativity - we have loads of creativity! What we need is a whole new way to make the creative process less painful.”  

Nischen finden und nutzen

Sich ins Unbekannte zu begeben, kann auch dazu führen, dass man neue, vielversprechende Nischen für sich entdeckt und dabei auch neue Zielgruppen erschließt. Für den Entertainmentbereich kann das bedeuten, Video on Demand (VoD)-Angebote fernab des Mainstreams zu schaffen. So stellte Damian Pelliccione (CEO/ Co-Gründer) den VoD-Dienst "Revry" vor, der sich als erster Anbieter weltweit auf die LGBTQ-Szene spezialisiert hat und auf Exklusivität setzt. Die Mitglieder des Services erwartet hier eine kuratierte Auswahl an ikonischen Filmen, Serien, Podcasts, Musikalben und Revry-Originalen. Doch nicht nur Angebote für bestimmte Communities können Nischen darstellen. Auch der Bereich Edutainment - also unterhaltende Lernformate - wird bisher von den großen Streaminganbietern vernachlässigt. So hat sich "FilmDoo" auf Filme des Independent- und Weltkino spezialisiert, die das Publikum mehrheitlich für einen ganz bestimmten Zweck nutzt: um Sprachen zu lernen. Ein spannender Nebeneffekt, der nicht von den Macher*innen eingeplant war.

Ein weiteres besonderes Produkt für den Streamingbereich hat "filmfriend" in Deutschland erschlossen. Als "Filmportal für Bibliotheken" bietet es diesen eine flexible VoD-Lösung an. Nutzer*innen teilnehmender Bibliotheken können sich ohne zusätzliche Kosten entweder direkt über die Website von filmfriend oder - wie bei der Onleihe für Ebooks - über das Portal der jeweiligen Bibliothek mit der Nummer ihres Bibliotheksausweises und ihrem Passwort anmelden. Angereichert wird die Datenbank mit Hintergrundinformationen zu Filmschaffenden. Insbesondere für Bibliotheksnutzer*innen im ländlichen Raum möchte "filmfriend" damit attraktivere Angebote schaffen, so Andreas Vogel (CEO, filmwerte GmbH). Im Kulturbereich gibt es mit Opera Europe oder museumsfernsehen.de weitere ähnliche Angebote, deren Durchschlagskraft bisher aber noch auf sich warten lässt. Dennoch bietet der VoD-Bereich gerade für die Ansprache der nächsten Publikumsgeneration einige Potenziale für Kulturanbieter.

Fazit

Alles in allem bot die Konferenz spannende Einblicke in aktuelle und künftige Entwicklungen der Film- und Medienbranche durch den Einsatz moderner Technologien. Aufgrund der vielen Erfahrungsberichte und Best-Practices inkl. großer Player bekam man auch einen Eindruck davon, wie sich beispielsweise die Sehgewohnheiten der Nutzer*innen künftig ändern werden oder wie diese durch Data-Driven-Marketing clever erreicht werden können. Wenngleich zwar jedes Panel genügend Zeit für Fragen bot und diese auch genutzt wurde, gab es nur wenig Kontroversen und kritisches Hinterfragen. Offenere, interaktivere Formate könnten das in Zukunft anregen. 

Auf diese Weise könnte auch der Vernetzungsgedanke ausgebaut werden. Das tagungsbegleitende Format "Meet to Match" bot zwar die Möglichkeit, sich direkt mit (noch fremden) Konferenzteilnehmer*innen zu einem Gespräch zu verabreden. Die Umsetzung ist aber noch ausbaufähig: Der dafür vorgesehene Bereich war eher ungemütlich und wenig einladend. Zudem war das Verabreden etwas umständlich, da man nicht über die dazugehörige App benachrichtigt wurde, sondern per E-Mail. Um dann ein Treffen wahrzunehmen, musste man sich zusätzlich an einem Schalter registrieren. Hier wäre es angenehmer gewesen, sich einfach über die App anfragen und verabreden zu können, ohne sich in einem eigens dafür abgegrenzten Bereich zu treffen. Weiterhin schmälerte auch die Abgrenzung in VIP- und offener Bereich den Vernetzungsaspekt. 

Prinzipiell eignet sich die Konferenz aber sowohl für Insider*innen als auch für branchenferne Teilnehmer*innen, die die Potenziale des stetig wachsenden Sektors auch für ihre Kultursparte nutzen möchten.

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