15.11.2021

Themenreihe klimafreundlich

Autor*in

Gabriel Gach
ist Tourismus-Geograph und neben seinem Beruf als Referent für Marketing und Tourismus im LVR-Kulturzentrum Abtei Brauweiler als Dozent an einer Fachhochschule in Köln und als Reisebuchautor tätig. Er promovierte an der Universität Greifswald im Bereich des Kulturtourismus.
Wie kann Kulturtourismus nachhaltig gestaltet werden?

Praxisbeispiele aus dem LVR-Kulturzentrum Abtei Brauweiler

Kulturtourismus und Nachhaltigkeit erscheinen vielleicht erst einmal als Gegensätze. Doch Kulturinstitutionen können gut gleichzeitig nachhaltig agieren und touristisch attraktiv sein, wie die Abtei Brauweiler im Rheinland beweist.

Themenreihe klimafreundlich

Die ehemalige Benediktinerabtei Brauweiler liegt unweit westlich von Köln im Pulheimer Stadtteil Brauweiler und wurde 1024 gestiftet. Fast 800 Jahre hatte der Klosterbetrieb bis zur Auflösung unter Napoleon bestand. Danach folgte eine wechselvolle Geschichte der Umnutzung: Vom Bettlerdepot bis zur Arbeitsanstalt, von einem Gestapo-Gefängnis bis zur Psychiatrie. Heute ist die Abtei Brauweiler Sitz diverser Kulturdienststellen des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR), unter anderem des LVR-Kulturzentrums Abtei Brauweiler. Dessen Hauptaufgabe ist die Bewahrung und Vermittlung des kulturellen Erbes des bedeutenden Baudenkmals - was per se als nachhaltige Aufgabe angesehen werden kann. 
 
Warum Nachhaltigkeit im Kulturtourismus?
 
Heute hat der Nachhaltigkeitsbegriff neben der meist genutzten ökologischen auch eine ökonomische und eine soziokulturelle Dimension, mitunter auch eine institutionelle. Der Tourismus trägt in diesem Zusammenhang als weltweit größte Wirtschaftsbranche eine enorme Verantwortung. Prognosen ergaben (vor Corona) einen Anstieg der globalen internationalen touristischen Ankünfte um bis zu 100% bis 2050. 
 
Dieser dynamische Wachstumsmarkt tangiert auch die Kulturbranche: Kulturtourismus ist ein Megatrend und die Besichtigung von kulturell und historisch bedeutenden Sehenswürdigkeiten eine der beliebtesten Urlaubsaktivitäten überhaupt. In diesem Kontext besteht die Gefahr des overtourism: Schwierigkeiten der Besucher*innenlenkung und die Überforderung kultureller Destinationen mit großen Tourist*innengruppen erzeugen große Schwierigkeiten. 
 
Dass der Tourismus nicht nur zur kulturellen Bildung, sondern auch zur Völkerverständigung einen essenziellen Beitrag leisten kann, steht außer Frage. Deshalb ist es Aufgabe des Tourismus als Player im Kultursektor, neben der Bewahrung auch die nachhaltige Entwicklung der Ressource Kultur zu befördern. Derweil ist es laut der UNESCO Aufgabe kultureller Nachhaltigkeit, kulturelle Diversität zu schützen, das kulturelle Erbe und Gedächtnis ebenso wie die regionale kulturelle Vielfalt zu bewahren und zu fördern. Hier gehen also die Ziele von Nachhaltigkeit und Tourismus Hand in Hand, um Kultur für künftige Generationen zu schützen. Dies setzt sich auch das LVR-Kulturzentrum zum Ziel. Die dabei angesetzten Maßnahmen sind in ihrer Grundphilosophie auf verschiedenste Kultureinrichtungen und kulturtouristischen Destinationen übertragbar.
 
Kulturtourist*innen
 
Die Definition eines*einer typischen Kulturtourist*in fällt nicht leicht. Schon die Schwierigkeit der Eingrenzung des Begriffs Kultur im Kontext des Reisens verdeutlicht dies. Die Grenzen zwischen kulturellen und nicht-kulturellen Motiven und Kriterien für die Auswahl einer Destination oder einer Reisehandlung sind nicht vollends definiert und oft agieren Tourist*innen vermehrt "hybrid": Beispielsweise wird der Besuch eines Museums, Klosters oder einer historischen Sehenswürdigkeit mit einem zweiwöchigen Strandurlaub kombiniert.
 
Vergleicht man diverse Studien, so stößt man dennoch auf einige Eigenschaften, die Kulturtourist*innen ausmachen. Heutige Kulturtourist*innen sind demnach überdurchschnittlich gebildet und mit einem relativ hohen Einkommen gesegnet, anspruchsvoll und vielseitig interessiert, gern "einfach" und in kurzen Intervallen auf Reisen. Sie orientieren sich bei ihrer Planung an Events, beanspruchen überdurchschnittlich viele Informationen, suchen Erfahrungen und Erlebnisse, sind überdurchschnittlich sozial und legen Wert auf Prestige. Aber auch eine besondere Wertschätzung von ökologischer Nachhaltigkeit und Tradition sind Faktoren, die Kulturtourist*innen signifikant von anderen Gruppen abheben (Gach 2017; Kruska/Pröbstle 2017). Schon aufgrund der Nachfrage ist es also wichtig, bei der kulturtouristischen Produktgestaltung die Nachhaltigkeit im Blick zu behalten. 
 
Touristisches Konzept der Abtei Brauweiler
 
Das LVR-Kulturzentrum möchte seine Aufgabe der Bewahrung und Vermittlung der Abtei Brauweiler auf Basis einer nachhaltigen touristischen Nutzung noch besser erfüllen. 2017 entstand deshalb ein touristisches Konzept, welches nun als Leitfaden für die weitere Entwicklung des Besucher*innenverkehrs dient. Schwerpunktmäßig sind darin die Zielgruppen als Kulturtourist*innen definiert, insbesondere wird der heritage tourism bedient. 
 
Eine Zielgruppenanalyse ergab dabei allein aus den Regierungsbezirken Köln und Düsseldorf eine potenzielle Besucher*innenzahl von 4,8 Millionen Menschen. Mit rund 100.000 Besucher*innen jährlich ist die Abtei weit von dieser Zahl entfernt, es gibt also noch Potenzial nach oben. Eine nachhaltige Produkt- und Angebotsgestaltung wird dabei dennoch verfolgt, um eine authentische, emotionale und lebendige Vermittlung des kulturellen Erbes im Rahmen der monastischen Tradition mit einem von uns erarbeiteten Qualitätsprofil zu erreichen, das alle unsere touristischen Aufgaben umfasst. 
 
Konkrete Ziele, Maßnahmen und Ansätze
 
Die Kulturvermittlung in der Abtei Brauweiler findet auf zwei Ebenen statt. Auf der ersten Ebene orientiert sich die Arbeit am Begriff der Kultur an sich. Der Terminus Kultur wird von dem lateinischen cultura abgeleitet und heute im Wesentlichen als die Bildung zum geselligen Leben und zur Kenntnis der Künste definiert (Beer 2003). Dies findet im LVR-Kulturzentrum Abtei Brauweiler primär anhand diverser Kulturveranstaltungen und Events statt. 
 
Die zweite Ebene ist die der Geschichtsvermittlung und Angebotsgestaltung. Das Ziel beider Maßnahmen ist die Erstellung eines zeitgemäßen und innovativen Gesamtangebots für Interessierte im Bereich der Hoch- und Alltagskultur. Die Maßnahmen setzten an verschiedenen Stellen an, um die Bekanntheit der Destination zu steigern und neue Zielgruppen zu erschließen, aber auch um die Aufenthaltsqualität und Aufenthaltsdauer zu steigern. Auch die Barrierefreiheit und eine Verbesserung der Erreichbarkeit sind konkrete Ziele. 
 
Verfolgt wird dabei ebenso eine regionale wie auch internationale Ausrichtung, etwa durch Mehrsprachigkeit (Abteiführer, Website, Mitgliedschaft im deutsch-polnischen Netzwerk KLOSTERLAND e.V. usw.). Eine Sensibilisierung aller Mitarbeitenden des Standortes für das touristische Konzept ist ebenso wichtig wie die Schaffung einer allgemeinen Tourismusakzeptanz der Abtei in der Lokalbevölkerung. Diese wird bisher eher als Dienststelle des LVR wahrgenommen. Eine aktive Förderung der Gastfreundlichkeit und Servicequalität ist für ein positives und nachhaltiges Tourismusklima jedoch unabdingbar. Daran arbeiten wir aktiv gemeinsam mit der Stadt Pulheim.
 
Um der ersten Ebene, der kulturellen Bildung, Rechnung zu tragen, wurde das bestehende Angebot um DIY-Workshops und Erlebnisseminare erweitert. Teilnehmende können dort angelehnt an monastische Tradition nachhaltiges Handwerk wie Seifenherstellung oder Imkerei erlernen und erleben. 
 
Im Rahmen der zweiten Ebene setzt der neu eröffnete Abtei-Shop einen Schwerpunkt auf Fair-Trade-Produkte sowie die Zusammenarbeit mit regionalen Produzent*innen, beispielsweise einer lokalen Mikro-Brauerei, welche nun das Klosterbier braut. Das Marketing verfolgt im Shop ebenfalls eine nachhaltige Strategie: Produkte kurz vor Ablaufdatum werden nicht entsorgt, sondern über die App TooGoodToGo angeboten, welche gegen Lebensmittelverschwendung ankämpft. Im Sinne der nachhaltigen Verbesserung der Erreichbarkeit wird die klimaneutrale Anreise gefördert. Maßnahmen hierfür sind beispielsweise die Optimierung der ÖPNV-Anbindung oder die Einrichtung einer E-Bike Radstation. Beim Besucher*innenmanagement berücksichtigen wir die Rückmeldungen der Besucher*innen, die wir mittels Befragungen erfassen. 
 
Zum 1000-jährigen Jubiläum im Jahr 2024 wird nun die Revitalisierung des ehemaligen Klostergartens angestrebt - eine regenerative Maßnahme, die über Nachhaltigkeit hinausgeht. Weiterhin ist die institutionelle Nachhaltigkeit während der eigenen Arbeit an der Tagesordnung. Grundlage dafür ist es, in möglichst allen Arbeitsbereichen weltoffen und interdisziplinär im Sinne der institutionellen Nachhaltigkeit zu agieren, dabei neue Perspektiven anzunehmen, vorrausschauend zu denken und aktiv zu gestalten, aber auch langfristig zu planen. 
 
Fazit
 
Eine nachhaltige Strategie ist langfristig die beste Maßnahme, um sich den Herausforderungen der Nachhaltigkeit zu stellen, die der Tourismus mit sich bring. Fest steht, dass die touristische Erschließung für kulturelle Destinationen unabdingbar bleibt, denn "ohne touristisches Angebot schwindet der gesellschaftlich-politische Konsens, Kultur weitgehend zu ihrem Selbstzweck zu erhalten […]" (Stobbe 2011). Zugleich steigt aber auch die Nachfrage, wenn nicht gar die Forderung von Seiten der Tourist*innen, die eigenen touristischen Angebote nachhaltig, ökologisch und klimafreundlich zu gestalten. Kulturelle Destinationen können hier auf Impulse aus der Bevölkerung zurückgreifen. Im Fall der Abtei Brauweiler ist die Resonanz für unsere nachhaltigen Produkte und Angebote bisher in jedem Fall weitestgehend positiv.
 
Literatur
 
  • Beer, B. (2003): Kultur und Ethnizität. In: Beer, B. & Fischer, H. (Hrsg.): Ethnologie. Eine Einführung. Berlin: Dietrich Reimer Verlag, S. 53-73.
  • Gach, G. (2017): Pilgertourismus als alternative Reiseform. Chancen zur Erschließung von neuen touristischen Räumen, dargestellt am Pommerschen Jakobsweg. Sierke, Göttingen.
  • Kruska, C.; Pröbstle, Y. (2017): Kulturzeichen Kitzinger Land - Eine Region erzählt ihre Geschichte. In: Klein, A., Pröbstle, Y., Schmidt-Ott, T. (Hrsg.): Kulturtourismus für alle? Neue Strategien für einen Wachstumsmarkt. Transcript, Bielefeld, S.221-232.
  • Stobbe, U. (2011): Kultur touristisch inszenieren - Kultur bewahren durch Tourismus. In: Kagermeier, A.; Reeh, T. (Hrsg.): Trends, Herausforderungen und Perspektiven für die tourismusgeographische Forschung. Studien zur Freizeit- und Tourismusforschung, Bd. 3. S.115-132.
 

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