06.12.2007

Autor*in

Thomas Düllo
Elke Glistau
Daniela Düring
Kulturmanagement

Logistik im Kulturbetrieb

Der folgende Beitrag zeigt die Verbindungen zwischen der Logistik und dem Kulturbetrieb auf, stellt Definitionen auf und erläutert die kulturwissenschaftliche Dimension des Themas Logistik.

Kulturwissenschaftliche Ausrichtung des Kulturmanagements?

Der Kultursoziologe und Eventtheoretiker Gerhard Schulze hat in seinem Buch Die beste aller Welten dem Kulturmanagement folgendes Credo ins Stammbuch geschrieben: Nicht Konstruktionen stehen im Mittelpunkt der Kulturwahrnehmung, sondern Prozesse; nicht Zustände, sondern Episodenketten; nicht anatomische Analogien, sondern physiologische und evolutionstheoretische Metaphern. Es geht in erster Linie um Geschichten und nur in zweiter Linie um Konstruktionen, auch wenn sich letztere wie ein Insekt unter einer Glasplatte in den Vordergrund drängen und unsere Wahrnehmung besetzten. Regelmäßigkeiten des Handelns (gewissermaßen Physiologie und Evolution) sind im Vergleich dazu viel schwerer zu erfassen, gleichzeitig aber sind sie es, denen unser Augenmerk hauptsächlich gelten muss, wenn wir wissen wollen, wer wir selbst eigentlich sind. (G. Schulze 2004, S. 348f.) Schulzes Bemerkung lässt sich in zwei Richtungen lesen: erstens als Appell für eine kulturwissenschaftliche und narrative Orientierung des Kulturmanagements (also beim Management nicht das spezifisch Kulturelle zu vergessen); zweitens als einen Appell, die Logistik in die Werkzeugkiste von auszubildenden Kulturwissenschaftlern und Kulturmanagern aufzunehmen. Dieser Beitrag will den zweiten Appell verstärken. Zuvor sei zumindest angedeutet, dass kulturelle Events, Praktiken und Themen, die in Kulturbetrieben sowohl mit temporären als auch mit fest institutionalisierten Formaten professionell betrieben und artikuliert werden, entlang einer Kette von unterschiedlichen, aber mit einander verknüpften Dimensionen stattfinden und entwickelt werden. Diese Kette hat fünf Dimensionen.

Was im Theater, in der Literatur, in der Musik, in der Bildenden Kunst, in der Alltagskultur, in der urban culture oder visual culture kulturell erzeugt und rezipiert wird, lässt sich als zirkulierende, kommunikative oder wilde Energien, die in als Artefakten und Geschichten in einer Gesellschaft artikuliert sind, begreifen was kursiert? lautet die Frage. Als Referenzen für die erste Dimension des Kulturellen stehen etwa Aby Warburg, Walter Benjamin, Stephen Greenblatt, Siegfried J. Schmidt oder Bruno Latour Pate. Was ist diesen Energien als Bedingungen unterlegt? das ist die Dimension der Wirklichkeitsprogramme hinter den Artefakten und Geschichten. Die dritte Dimension der kulturellen Praktiken fragt: was machen die Leute damit? Die vierte Dimension, die der Kontexte, fragt: wodurch sind die Energien, Artefakte und Geschichten gerahmt? Schlussendlich prüft die fünfte Dimension, die der Repräsentationen: wen oder was repräsentieren die kulturellen Artikulationen und was lassen sie weg also die Frage der Vertretung? Zusammengefasst lassen sich diese Dimensionen kulturellen Versprechens und Vertretens als ein Kontroll- und Planungsinstrument einer Angewandte Kulturwissenschaft lesen, wenn man ihnen Tätigkeiten zuordnet. Auf unterschiedlichen Ebenen können logistische Prozesse und Operationen innerhalb dieses Handlungsfeldes stattfinden.
 

Logistik was ist das?

Logistik ist ein Begriff des Alltags. Fahrzeuge von Speditionen tragen die Aufschrift Logistik. Plakate werben für Standorte mit hervorragender logistischer Anbindung. Versandhäuser und Unternehmen der Frachtpost betonen ihre hervorragende logistische Qualität.
Der Begriff Logistik ist jedoch nicht neu, wie man vermuten könnte. Logistik wird bereits seit der griechischen Antike verwendet: zunächst für ein Vorausdenken und Vorausberechnen.

Über die Jahrhunderte hat der Begriff einen gravierenden Bedeutungswandel erfahren: Heute versteht man unter Logistik allgemein eine Dienstleistung zur
 
  • Versorgung mit Gütern (Waren, Material), auch mit speziellen Informationen
  • Entsorgung von Stoffen (Abfällen) und der
  • Ortsveränderung von Objekten (Personen, Tieren, Gegenständen, Informationen).
Die Logistik plant und realisiert jegliche Art von Material-, Informations- und Personenflüssen. In jedem Punkt muss dabei dafür gesorgt werden, dass ein bestimmtes Ereignis zu einer definierten Zeit eintrifft. Man spricht allgemein von den 6+1 Richtigen der Logistik: Das richtige Objekt muss zur richtigen Zeit, in der richtigen Menge, am richtigen Ort in der richtigen Qualität zu den richtigen Kosten und ökologisch richtig eintreffen oder abgeholt werden. Damit alles reibungslos funktioniert, ist dazu eine planerische Meisterleistung erforderlich.
 

Welche Bedeutung hat Logistik für Kulturbetriebe?

Ein Kulturbetrieb, man möge diese Aussage verzeihen, ist logistisch gesehen ein Betrieb wie jeder andere. Es müssen verschiedenste Dinge beschafft, transportiert, gelagert, verpackt, identifiziert (beschriftet), gesammelt, sortiert und zusammen gestellt, verteilt und entsorgt werden.

Bei der Betrachtung einer beliebigen Veranstaltung ist das, was negativ in Erinnerung bleibt, eine beschwerliche Anfahrt, chaotische Parksituationen, lange Wartezeiten, schlechte Orientierung und überdimensionale Müllberge. Ein deutliches Zeichen dafür, dass die Logistik in ihrer Bedeutung und Komplexität unterschätzt oder falsch geplant und ausgeführt wurde.
Die Bedeutung der Logistik für Kulturbetriebe lässt sich folgendermaßen fassen:
 
  • Logistik ist ein Garantiefaktor: Ein Kulturbetrieb ohne Logistik existiert nicht! Die Frage ist also nur, ob man sich dessen bewusst ist. Um dieses typische Das Konzert selbst war klasse, aber stell Dir vor zu vermeiden, sollte die Logistik als Dienstleistung im Hintergrund dafür sorgen, dass auch der entsprechende Rahmen für kulturelle Aktionen gegeben ist. Der Kulturinterssierte stellt (Mindest-)Anforderungen an den Charakter der Veranstaltung, der Logistiker prüft deren Umsetzbarkeit unter Beachtung aller möglichen Bedingungen und findet Wege für deren Umsetzung. So wird sichergestellt, dass die Veranstaltung überhaupt wie geplant stattfinden kann.
  • Logistik ist ein Erfolgs- und Wettbewerbsfaktor: Je reibungsloser eine Veranstaltung geplant und durchgeführt wird, desto mehr spricht sich der Erfolg der Veranstaltung herum. Veranstaltungen werden durch die Logistik nicht nur abgesichert, sondern können durch jede zusätzliche logistische Leistung an Qualität gewinnen und gegenüber der Konkurrenz punkten.
  • Logistik ist ein Inspirator: Logistik als Wissenschaftsdisziplin stellt einen breiten Methodenvorrat zur Verfügung. Dieser Methodenvorrat umfasst unter anderen Konstruktionsmethoden (z.B. Modularisierung, Verschachtelung), Visualisierungs-methoden (3-dimensionale Logistikplanungen, Visualisierung von Prozessen) und Technologien (z.B. Verpackungs-, Montage- und Demontagetechnologien). Die Übertragung der Methoden auch auf kreative und schöpferische Prozesse kann Synergieeffekte erzeugen. Dies betrifft zum Beispiel die Modularisierung von Bühnenaufbauten, die neue, flexible künstlerische Verwendungen erst ermöglicht.
  • Logistik ist ein Effizienzfaktor: Zeit und Aufwand für logistische Tätigkeiten sind teilweise enorm und überschreiten die eigentliche Veranstaltungsdauer und -kosten leicht um das 5 bis 10fache. Hier liegen gewaltige Kosteneinsparpotenziale. Dabei können viele bewährte logistische Praktiken aus der Industrie leicht auf Kulturbetriebe übertragen werden, wie Musterprojekte in Theatern und Agenturen belegen.
  • Logistik schafft Transparenz: Für die Logistik spielen Transparenz und Rückverfolgbarkeit eine große Rolle. Suchzeiten von Requisiten und Kostümen entfallen bspw. durch den Einsatz von Identifikationstechnik.

Welches logistische Wissen wird benötigt?

Eine logistische Aufgabe ist zunächst zwar individuell, bezogen auf den Aufgabentyp, die Methoden zur Lösungsfindung und übertragbare Musterlösungen aber gleichzeitig auch gewöhnlich.

Ausgebildete Logistiker verfügen über ein Repertoire von mehr als 1300 Methoden, mit denen sie die verschiedensten Logistikaufgaben fallspezifisch, kreativ und schnell lösen.

Zur Verdeutlichung einige Beispiele:
 
  • Große Bühnenaufbauten müssen irgendwo gelagert werden die Logistik hilft mit Checklisten zur Standortwahl und zur Entscheidung über Eigenerfüllung oder Fremdvergabe der Bewirtschaftung des Lagers.
  • Zu einer Aufführung gehören die unterschiedlichsten Requisiten die Logistik hilft mit Identifikations- und Kommissionierungstechniken, die im Handel und in der Automobilindustrie bereits langjährig erprobt sind. Die Zuordnung zu einer Vorstellung wird damit ein Kinderspiel.
  • Requisiten und Kostüme müssen gelagert werden Logistiker helfen mit rechnergestützten Lagerorganisationslösungen. Langes Suchen entfällt. Transparenz über die vorhandenen Bestände wird erzeugt.
  • Bei wechselnden Veranstaltungsorten werden der Transport und die Lagerung Kosten bestimmend Logistiker helfen mit Berechnungen zur Routen- und Tourenoptimierung.
  • Alle zu verbrauchenden Güter Flyer, Poster, Getränke, Speisen müssen bzgl. der benötigten Anzahl im Vorfeld berechnet oder geschätzt werden. Die Logistik hilft mit Methoden zur Bedarfserfassung und Mengenplanung.
  • Veranstaltungsstätten müssen für die Veranstaltung eingerichtet werden die Logistik hilft mit Methoden der Flächenberechnung und der Layoutplanung, Flüsse können im Vorfeld simuliert werden und so Engpässe und Stauungen rechtzeitig erkannt und vermieden werden.
  • Störungen gehören zum Alltag die Logistik hilft an wichtigen Stellen Redundanzen einzubauen und schnelle Regelkreise zur Störungsbeherrschung zu installieren. So wird eine Veranstaltung nicht zum Abenteuer, sondern zu einem Ereignis.
  • Zum Kulturalltag gehören Hilfskräfte und angemietete Technik Logistiker helfen die notwendige Anzahl an diesen Ressourcen zu bestimmen und ihren Einsatz zu disponieren.
  • Kosten spielen für Kulturbetriebe zunehmend eine große Rolle die Logistik hilft mit Methoden zur Erzielung von Kostentransparenz und mit Methoden zur Schwachstellen- und Potenzialanalyse. So können wirtschaftliche Reserven aufgedeckt und nachfolgend erschlossen werden.
  • Es sind für eine Veranstaltung eine Vielzahl von Abläufen zu planen die Logistik hilft mit Standardprozessen und ausgefeilten organisatorischen Lösungen. Alle Verschwendungen wie Doppelarbeit, lange Transportwege und umständliches Handling werden vermieden.

Wie und Wo kann man logistisches Wissen erwerben?

Erster und einfachster Weg: Man bindet einen ausgebildeten Logistiker an das Unternehmen.

Logistiker werden in Deutschland mittlerweile an Universitäten und Fachhochschulen ausgebildet. Traditionell ist ein Aufbau- oder Simultanstudium in Kombination von Technik und Wirtschaftswissenschaften.

Neu sind Kombinationen mit Kulturwissenschaften. An der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg werden ein Bachelor- und ein Masterstudiengang zum Cultural Engineering als Verknüpfung von Kulturwissenschaften, Wissensmanagement und Logistik durchgeführt.
 

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