03.06.2022

Autor*in

Julia Jakob
studierte Musikwissenschaft und Kulturmanagement in Weimar. Praktische Erfahrungen im Kulturbetrieb sammelte sie bei unterschiedlichen Festivals und in verschiedenen Veranstaltungsbüros sowie als Agentin bei weim|art e. V. Seit 2021 ist sie die Chefredakteurin des Kultur Management Network Magazins und stellvertretende Leiterin der Redaktion.
Rückblick auf das Hans Diers Marketing Symposium 2022

Vielfalt ist kein Chichi

Wo "Vielfalt" oder "Diversity" draufsteht, ist auch genau das drin - oder nicht? Nun ja, wenn es denn so einfach wäre, müsste der Kulturbetrieb sich nicht mit entsprechenden Öffnungsfragen beschäftigen. Da das Thema eben etwas komplexer ist, aber dringend angegangen werden muss, lud das Hans Diers Marketing Symposium Ende April 85 Teilnehmende zur Diskussion dessen ein.
Publikumsmangel war schon vor der Coronapandemie ein Ding im klassischen Kulturbetrieb. Man möchte also meinen, dass sämtliche öffentlich geförderten Einrichtungen spätestens JETZT in die Gänge kommen und sich an wirksamen Öffnungsstrategien versuchen. Was leicht gesagt ist, ist in der Umsetzung aber kompliziert. Durchdachte und langfristig erfolgreiche Öffnungskonzepte (fürs Publikum) betreffen die ganze Einrichtung. Nur so können (potenzielle) Besucher*innen das jeweilige Angebot als relevant empfinden und sich durch dieses repräsentiert fühlen. Kultureinrichtungen müssen dazu ihr Publikum kennen(lernen), Barrieren abbauen, Dialoge auf Augenhöhe schaffen und natürlich für eine diskriminierungsfreie Umgebung sorgen. Denn "Diversität" ist nun mal kein Zauberwort, dass man nur zu sagen braucht, um vielfältiger zu werden. 
 
Dieser Haufen netter Buzzwords muss für die praktische Umsetzung also mit Leben gefüllt werden. Und hier setzte das 10. Hans Diers Marketing Symposium am 26. April 2022 in der Kunsthalle Bremen an. Diese veranstaltete das Symposium gemeinsam mit markt.forschung.kultur und der WFB Wirtschaftsförderung Bremen. Unter dem Motto "Öffnung und Öffentlichkeit. Diversität in der Praxis" waren Expert*innen aus Theorie und Praxis des Kultur- und Medienbetrieb geladen, um mit den Teilnehmenden ihr Wissen zu teilen. Wer über den Hauptkonferenztag hinaus bereits Input zu barrierefreier Kommunikation und Veranstaltungen bekommen wollte, konnte bereits am 25. April am Workshop von Adina Hermann von den Sozialheld*innen teilnehmen. 
 
"Es gibt mehr Bürgermeister, die Michael heißen als Bürgermeisterinnen"
 
Mit diesem (bewusst nicht kommafehlerfreien) Statement brachte der erste Vortragende Stephan Anpalagan, Journalist und Gründer der gemeinnützigen Unternehmensberatung "Demokratie in Arbeit", das Plenum zum Lachen. Obwohl er sich einige Jahre zuvor geschworen hatte, nie wieder über Diversität einen Vortrag zu halten, sprach er in diesem Opener des Symposiums darüber, warum es mehr Vielfalt und weniger Diversity-Kampagnen brauche. To make a long story short: Wir brauchen mehr Vielfalt, weil es laut Anpalagan "der natürliche Zustand der Welt ist". Dennoch sitzt in den meisten Führungspositionen derselbe Typ Me… Mann. Wenn wir das ändern wollen, dann geht das nur über ein sehr unbequemes Thema: Wir müssen uns mit Diskriminierung auseinandersetzen. Für den Kulturbetrieb bedeutet das: Selbstkritisch zu betrachten, an welchen Stellen man bisher offensiv exklusiv ist, um konkrete Maßnahmen und Ziele zu formulieren, das zu ändern (SMART und so…).
 
Diese Forderung unterstrich auch Nasiha Ahouyd, Leiterin Kommunikation von neue deutsche organisationen - das postmigrantische netzwerk e.V., als Co-Speakerin des zweiten Vortrags. Gemeinsam mit Astrid Kurzeja von markt.forschung.kultur stellte sie Studienergebnisse zum Thema "Kultur für alle?! Wen erreicht Kultur? … und wen nicht?" vor. Diese kritische Selbstreflexion bezieht sich bei Kultureinrichtungen vor allem auf die 3 Ps (Personal, Programm, Publikum), wobei beim Leitungspersonal allein ein riesiges Ungleichgewicht zwischen den binären Geschlechtern herrscht: So sind etwa bei den Theaterleitungen 78 Prozent weiß und männlich, bei den Museen sind es 77 Prozent. Das hat Auswirkungen auf die 2 Rs (Relevanz und Repräsentanz) - denn der "Thomas-Kreislauf" des Personalmanagements lässt sich auch auf Programm und Publikum übertragen: So stellt Thomas (meistens) nicht nur Thomas ein, sondern schafft auch ein Programm, das vor allem Thomas gefällt (so zumindest die Herleitung der Autorin dieses Nachberichts). Tja - insofern ist es also auch nicht verwunderlich, dass laut den Umfrageergebnissen, die Kurzeja vorstellte, nur 35-40 Prozent der Bürger*innen ein grundsätzliches Interesse an (Hoch-)Kultur haben (wobei hier der Frauenanteil prinzipiell etwas höher ist als jener der Männer). Jüngere Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund sowie Menschen mit niedrigerer Bildung oder die Landbevölkerung werden am wenigsten erreicht. Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung brauche es sechs Generationen in Deutschland, damit sich die Klassen der Gesellschaft wandeln und ändern, wie Ayoud in ihrem Vortrag deutlich machte. Gut Ding will also Weile habe - aber das darf nicht bedeuten, dass sich die privilegierten Teile der Gesellschaft weiterhin auf ihren Privilegien ausruhen und diesen Vorgang in die Länge ziehen. Denn das Recht auf Kulturelle Teilhabe ist ein Menschenrecht - und zudem zahlen wir alle für Kultur.
 
Wie das in der Praxis aussehen kann, machten Christina Del Din, Leitung Kommunikation und PR von Radio Bremen, sowie Dr. Diana Dressel, Leiterin der Bildungsabteilung des Jüdischen Museums Berlin, in ihren Vorträgen deutlich. Radio Bremen nutzt für die kritische Selbstreflexion eine Diversity-Checklist. Zudem macht der Sender viel Outreacharbeit, um verschiedene Hörer*innen und ihre Bedürfnisse abzubilden sowie Vielfalt ins Programm zu bringen. Das Jüdische Museum Berlin bietet darüber hinaus kulturenübergreifende Programme und Veranstaltungen an, um unter anderem zu zeigen, welche Gemeinsamkeiten es zwischen den verschiedenen Religionen gibt. Zudem bietet das Haus Beteiligungsprojekte an, in denen Raum für Kunst und Begegnungen, etwa mit Geflüchteten, geschaffen wird. Ebenso wurden bei der Kinderwelt ANOHA von Anfang an Kinder - für die letztlich die Ausstellung gedacht ist - in deren Entwicklung einbezogen.
 
Sensibilisierung jetzt!
 
Mit der kritischen Selbstreflexion geht im besten Fall auch eine Sensibilisierung für Diskriminierungsformen einher, die ihnen letztlich entgegenwirkt. (Bild-)Sprache ist hierbei ein mächtiges Instrument, wie Hatice Ince, Mitglied der Neuen Deutschen Medienmacher*innen, in ihrem Vortrag deutlich machte. So können Medienhäuser beispielsweise über Sprache rassistische Vorurteile reproduzieren und verstärken. Besonders schwierig wird es dann, wenn dazu auch noch eine Bildsprache hinzukommt, die entsprechende Assoziationen verstärkt. Das gleiche gilt aber auch in der Kommunikation über behinderte Menschen, wie Adina Hermann von den Sozialheld*innen in ihrer Session zur "Barrierefreiheit bei Social Media" deutlich machte. Wer sich hier im eigenen Sprachgebrauch (sowohl privat als auch beruflich) reflektieren und sensibilisieren möchte, dem sei die Plattform leidmedien.de ans Herz gelegt. 
 
Weiterhin gab Hermann Tipps für barrierefreie Social Media Kommunikation und knüpfte damit an ihren Workshop an, den sie einer kleineren Gruppe von Teilnehmenden bereits am 25. April zum Thema barrierefreie Kommunikation und Veranstaltungen gab. Dafür unabdingbar sind:
  • hohe Kontraste, 
  • Inhalte leicht zugänglich machen (etwa durch einfache Sprache), 
  • kurze Alternativtexte für Fotos (diese können überall in den erweiterten Einstellungen für das jeweilige Bild eingefügt werden), 
  • Untertitel und Gebärdensprache für Videos, 
  • Transkripte für Podcasts, 
  • Audiodeskription, 
  • neue Bilder schaffen (um vorurteilsbehaftete Assoziationen zu ersetzen, aber ebenso neue Role Models zu schaffen),
  • barrierefreie Serviceketten und 
  • Menschen mit Behinderung zu Wort kommen lassen und ins Team holen. 
 
Insbesondere durch die letzten beiden Tipps wird Sichtbarkeit und Sensibilität für weitere Inklusionsthemen geschaffen. Denn ob Barrierefreiheit wirklich gewährleistet ist, entscheiden nicht nicht-behinderte Menschen. Für all jene, die barrierefreie Social Media Kommunikation umsetzen müssen, bedeutet das zunächst etwas mehr Zeit einzuplanen und Arbeitsabläufe umzustellen. Ein Aufwand, der sich definitiv lohnt, wenn so noch mehr Menschen Zugang zu den Inhalten bekommen. Adina Hermanns Plädoyer: Einfach anfangen! Mit jedem noch so kleinen Schritt ist jemandem geholfen.
 
Raus aus der Komfortzone!
 
Ein großes Lob gilt den Veranstalter*innen insbesondere für die vielfältige und durchdachte Referent*innenauswahl, durch die das Symposium im Sinne des Tagungsthemas absolut an Authentizität gewonnen hat. Besonders positiv möchte ich an dieser Stelle auch hervorheben, dass die Veranstalter*innen selbst - die allesamt der weißen Mehrheitsgesellschaft angehören - sich in sämtlichen Diskussionen angenehm zurückgehalten haben, um all jene zu Wort kommen zu lassen, die von Diskriminierung in jeglicher Form betroffen sind und entsprechende Erfahrungen gemacht haben. Selbst bei der abschließenden Podiumsdiskussion saßen auf der Bühne weder Prof. Dr. Peter Schmidt, markt.forschung.kultur/ Hochschule Bremen, noch Stefan Schnier, Geschäftsführer der Kunsthalle Bremen, um zu moderieren. Stattdessen übernahm die Moderation Michael Mindermann von "Antidiskriminierung in der Arbeitswelt Bremen", während "die alten weißen Männer" - wie sie sich selbst zu Beginn des Symposiums charmant selbstkritisch bezeichneten - (hoffentlich) aufmerksam im Publikum zuhörten.
 
Neben der Teilnahme in Präsenz, die nach den vielen digitalen Konferenzen in den letzten beiden Jahren absolut begrüßenswert war, war es vor allem schön zu sehen, dass es eine Vielzahl an Kulturschaffenden gibt, die sich für Öffnungsstrategien des Kulturbetriebs interessieren und diese auch umsetzen möchten. Ein strukturbedingtes Manko: Die große Mehrheit der Teilnehmenden waren Frauen. Nun kann man natürlich fragen, ob es vor allem Frauen sind, die jene Positionen/Bereiche in Kultureinrichtungen besetzen, für die das Tagungsthema besonders relevant ist (Vermittlung, Audience Development, etc.). Oder ob sich marginalisierte Teile der Gesellschaft generell verstärkt für den Abbau von Barrieren und Diskriminierung einsetzen, um entsprechende Chancengleichheit zu schaffen. Ganz unabhängig davon, wie diese Antwort nun lautet, bleibt natürlich die grundlegende Notwendigkeit der Öffnung des Kulturbetriebs bestehen. 
 
Daher bleibt zu hoffen, dass all jene Teilnehmer*innen nun auch genügend Chuzpe besitzen, um die besprochenen Themen des Symposiums in ihre Einrichtungen zu tragen - und dort sowie in der Politik entsprechende Entscheider*innen mit diesen Themen zu konfrontieren, sie sogar zu nerven und sich mit Gleichgesinnten (auch aus anderen Institutionen) zu vernetzen, wie Hatice Ince als Zaungästin in der abschließenden Podiumsdiskussion aus dem Zuschauer*innenraum äußerte. Denn "Vielfalt ist kein Chichi", wie Stephan Anpalagan bereits zu Beginn klar machte. Neben der unbequemen Auseinandersetzung mit dem Thema Diskriminierung, bedeutet das natürlich zunächst auch, dass das Umdenken schließlich zu neuen Aufgaben und Arbeitsschritten führt und hier sowohl zeitliche als auch personelle und finanzielle Ressourcen eingeplant werden müssen. Denn so etwas wie barrierefreie Social Media-Kommunikation macht sich nicht von allein. Ist das zunächst aufwendiger? Ja - aber das ist das Ausbrechen aus Routinen immer und man wird sich auch daran gewöhnen - und vielleicht fallen dadurch auch andere Arbeitsschritte weg. Lohnt sich dieser Aufwand? JA! Denn man wird dadurch nicht nur den eigenen Horizont erweitern, sondern trägt dazu bei, dass der Kulturbetrieb sich wirklich langfristigt öffnet und ALLE teilhaben können und wollen. Denn nur, wenn Kultureinrichtungen neue Publika mitdenken, ansprechen und an sich binden, werden sie auch in Zukunft bestehen können.

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