21.05.2021

Autor*in

Julia Jakob
studierte Musikwissenschaft und Kulturmanagement in Weimar. Praktische Erfahrungen im Kulturbetrieb sammelte sie bei unterschiedlichen Festivals und in verschiedenen Veranstaltungsbüros sowie als Agentin bei weim|art e. V. Seit 2021 ist sie die Chefredakteurin des Kultur Management Network Magazins und stellvertretende Leiterin der Redaktion.
Rückblick Hans Diers Symposium 2021

Digitale Erfolgsrezepte

Dass der Kulturbetrieb die Digitalisierung ernstnehmen und (besser) für sich nutzen muss, ist im vergangenen Jahr besonders deutlich geworden. Wie es Kultureinrichtungen also gelingen kann, digital erfolgreich zu sein, diskutierte das 9. Hans Diers Symposium am 20. April mit seinen Teilnehmenden.
Im vergangenen Jahr hegte ich noch die große Hoffnung, diesen Frühling wieder analog auf unseren Medienpartnerkonferenzen unterwegs zu sein. Das Hans Diers Symposium in der Kunsthalle Bremen wäre dabei eine der Auftaktveranstaltungen für die Tagungssaison 2021 gewesen. Aber da in besonderen Zeiten nicht alle Wünsche erfüllt werden können, war die Teilnahme am #HDSBremen via Zoom im Homeoffice eine gute Alternative. Das Tagungsmotto "Digital erfolgreich. Wie es funktionieren kann" hatten die Veranstalter*innen der Kunsthalle Bremen, des Instituts markt.forschung.kultur der Hochschule Bremen und der WFB Wirtschaftsförderung Bremen schon für 2020 geplant, ebenso die Referent*innen. Umso erfreulicher war die Bereitschaft aller Beteiligten, dieses Vorhaben lediglich um ein Jahr zu verschieben. Zudem bekam das Thema Digitalisierung in Kultureinrichtungen in den letzten 12 Monaten ordentlich Schwung, wodurch auch viele Vorträge neue Impulse bekamen.

Entsprechend hoch war das Interesse der 120 Teilnehmer*innen. Das zeigte sich an der regen Beteiligung an den Diskussionsrunden, die jeweils an die Vorträge anschlossen und die jeweiligen Debatten mit weiterem wichtig Input voranbrachten. Dabei muss ein großes Lob an die Veranstaltenden und Referent*innen ausgesprochen werden, die diese Möglichkeit der Partizipation und Interaktion vor allem durch ein gutes Zeitmanagement gewährleistet haben. Wer darüber hinaus Redebedarf hatte, konnte den Hauptraum bei Zoom für eine Breakoutsession problemlos verlassen und in einem der digital nachgebildeten Räume der Kunsthalle Bremen in kleinerer Runde sprechen. Generell verlief die komplette Konferenz ohne technische Störungen, was sicherlich auch daran lag, dass die Internetleitung in der Kunsthalle Bremen extra für das Symposium ein Upgrade bekam. Etwas, das für den Erfolg einer solchen digitalen Tagung, aber auch bei anderen digitalen Formaten unbedingt mitgedacht werden muss!
 
Aber was braucht es darüber hinaus noch, um digital erfolgreich zu sein? Lassen sich die digitalen Erfolgsrezepte anderer Kultureinrichtungen 1:1 "nachkochen"? Oder muss jedes Haus seinen Ressourcen entsprechend den Zutaten variieren?
Digitale Haute Cuisine braucht Strategien

Nach einem Jahr Coronakrise sollte klar sein: Digitalisierung ist kein Trend, vor dem der Kulturbetrieb sich verschließen kann. Und was im Analogen gut funktioniert, kann nicht einfach abgefilmt und ins Netz gestellt werden - bzw. kann schon, das ist aber für die meisten digitalen Besucher*innen nicht sehr befriedigend. Ebenso können digitale Formate nicht einfach so - kostenfrei - aus dem Ärmel geschüttelt werden: Sie machen wie analoge Formate Arbeit und brauchen Ressourcen und kreative Ideen, die materiell wie ideell honoriert werden müssen.

So machte Christian Gries, Leiter der Abteilung Digitale Museumspraxis & IT des Landesmuseums Stuttgart, in seinem Auftaktvortrag deutlich, wie umfassend digitale Strategien für Museen, aber auch andere Kultureinrichtungen sein sollten. Folgende Handlungsfelder gilt es dabei zu berücksichtigen bzw. Fragen zur Umsetzung auf Seiten der Häuser zu beantworten:
  • Digitale Kompetenz (Digital Literacy): Wer?
  • Infrastruktur und Ausstattung: Womit?
  • Publikum im Wandel: Für wen und mit wem?
  • Der erweiterte Kulturbetrieb (eCulture): Warum?
  • Digitale Transformation: Wie?

Weiterhin plädierte Gries dafür, digitale Strategien als ganzheitliche Querschnittsaufgabe zu sehen, betreffen sie doch die komplette Organisation. Und er machte klar: Digitalisierung ist ein niemals endender Prozess. Sich vom Denken in abgeschlossenen Projekten zu verabschieden, ist deshalb definitiv ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Vielmehr geht es um stetiges Lernen und Verbessern der digitalen Angebote. Dafür müsste aber auch die Vergabe öffentlicher Fördergelder für Digitalisierung oder Digitale Formate entsprechend angepasst werden, die aktuell meist projektbezogen für bestimmte Themen und Häuser vergeben werden und nur schwerlich langfristig anwendbar oder auf andere Kontexte übertragbar sind.

Weiterhin machte Gries durch die Auswertung einer Studie von Etventure aus dem Jahr 2018 deutlich, dass der größte Verhinderungsgrund für die digitale Transformation die Verteidigung bestehender Strukturen sei. Immerhin: Die Coronapandemie hat hier vieles in Gang gesetzt, was davor unmöglich schien. Diese Entwicklung der letzten Monate betrifft aber nicht nur den Kulturbetrieb, sondern unsere gesamte Lebenswelt. Ein Grund mehr, den digitalen Wandel in Kultureinrichtungen strategisch anzugehen, bevor innere und äußere Strukturen sich nicht mehr zusammenbringen lassen. Dabei sei aber vor allem wichtig, digital und analog nicht gegeneinander auszuspielen, so Gries, sondern gemeinsam zu denken. Für die meisten Menschen ist das, was sie online tun, ein Teil ihrer "echten" Lebensrealität und entsprechend sollten sich digitale Kulturangebote anfühlen. Um es mit Gries‘ abschließenden Worten zu sagen: "Digitale Souveränität bedeutet auch zu wissen, wann es sinnvoll ist, analog zu arbeiten."

Dass die digitale Strategie eines Hauses nie von der "Offline-Welt" entkoppelt sein sollte, legte zudem Martin-Christian Heilgenberg in seinem Vortrag zu den Elementen einer digitalen Vertriebsstrategie dar. Denn: Kartenvertrieb und Marketing gehen im Kulturbetrieb noch immer (und) zu oft nicht Hand in Hand. Dabei gehen laut Heiligenberg jedoch wichtige Potenziale verloren oder geraten aus dem Blick: die Besucher*innen und ihre Daten. Wenn der Kulturbetrieb beginnt, diese Daten unter Berücksichtigung aller geltender Vorgaben zu nutzen, würde man für sich und für seine Besucher*innen messbare (Mehr-)Werte schaffen, so Heiligenbergs Plädoyer. Denn Nutzungsdaten zeigen beispielsweise sehr deutlich, wo im Marketingprozess oder beim Kartenkauf die User*innen aussteigen, wo die Kultureinrichtung also nachjustieren muss.

Digitale Erfolge als Probierhäppchen

Die weiteren Best Practice-Vorträge des Symposiums machten deutlich, dass im Kulturbetrieb schon eine Vielzahl an Kulturschaffenden sowie verschiedene Einrichtungen die Notwendigkeit und die Chancen des digitalen Wandels erkannt haben und entsprechend nutzen:

  • So gab Kerstin Glasow transparente Einblicke in die Marken- und Reichweitenentwicklung der Berliner Philharmoniker. Diese haben zwar mit der #DigitalConcertHall schon lange vor Corona digitale Formate angeboten, mussten zu Beginn der Pandemie ihre Kommunikation mit dem Publikum dennoch komplett umstellen. Mit Erfolg: Ihr analoges Stammpublikum ist mittlerweile digitalisiert. Dabei setzten sie auf exzellenten Kundenservice, um die Barrieren im Digitalen abzubauen, und sahen zudem Digitalisierung als Querschnittsaufgabe der kompletten Organisation an. Neben diesen Erfolgsmomenten räumte sie aber auch ein, womit sie bisher gescheitert sind: So braucht es beispielsweise für Familienkonzerte im Digitalen noch andere Formate.
  • Helga Huskamp und Christoph Wetzel sprachen darüber hinaus über die Umsetzbarkeit von agilem Arbeiten - einer Methodik digitalen Arbeitens - in der Staatsgalerie Stuttgart am Beispiel des Digitalprojektes ARTIFICATION 2019/2020. Ziel des Projekts war es dabei, Forschungswissen zur Sammlung auf eine spielerische, digitale Ebene zu übersetzen. Dafür arbeiteten sie ergebnisoffen im Netzwerk mit externen Partner*innen und internen Expert*innen. Für die digitale Vermittlung wurde beispielsweise eine Konzeptdesignerin anstelle einer Kunsthistorikerin eingestellt. Die größte Herausforderung: Museen als Organisation und den entsprechenden Strukturen sind aktuell noch immer das genaue Gegenteil zum agilen Arbeiten - es galt also, die das Museum für diese Strukturen zu öffnen und entsprechend anzupassen.
  • Wie umfassend des Weiteren der Prozess der Websiteentwicklung bis hin zum Launch ist, machten Alina Fuchte und Christian Hupertz am Beispiel des "Rhinopalasts" - der ersten Kinderwebsite eines Museums in Deutschland - deutlich. Dabei hoben sie auch immer wieder die Relevanz der Kinder als Zielgruppe für den Kulturbetrieb und ihre entsprechenden Bedürfnisse hervor und machten deutlich: Ein tolles, kindgerechtes digitales Angebot allein reicht nicht aus, Kinder langfristig für Kunst und Kultur zu begeistern, wenn sie sich im "analogen Museum" nicht willkommen fühlen.
  • Dinesh Kumari Chenchanna machte darüber hinaus die Chancen und Rahmenbedingungen von digitalen Kooperationen zwischen Rundfunkanstalten und Kultureinrichtungen am Beispiel von "Digitale Kunsthalle" und "Das Geheimnis der Bilder" der ZDF-Mediathek deutlich. Durch die Verbindung der Infrastruktur und des redaktionellen Know-Hows des ZDFs mit dem Content der Kultureinrichtungen können so neue Kommunikationsräume für die Gesellschaft geöffnet und digitale Kulturformate einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Insbesondere für kleine Häuser, denen bisher die notwendigen Ressourcen für eine umfassende digitale Strategie fehlen, könnten solche digitalen Partnerschaften spannend sein. Mit Blick auf die bisherigen Partnerinstitutionen sind es vor allem die großen Einrichtungen, die diese Kooperationen nutzen.
Einen Blick über den Kulturtellerrand gewährte zudem Lisa Krick von MetaDesign in ihrem Vortrag "Conversation Branding: Wie werden Bots und Voices zum Markenerlebnis?". Ihre These: Wollen Marken sich im Digitalen hervorheben und nicht unsichtbar bleiben, brauchen sie ein einzigartiges Persönlichkeitsprofil. Die von MetaDesign durchgeführten Studie befasste sich daher damit, wie die digitale Markenpersönlichkeit durch Sprache und Stimme ebenso unverwechselbar wird wie ein Mensch. Ziel war es, in einem user*innenzentrierten Prozess und Erkenntnissen der Sprachwirkungs- und Persönlichkeitsforschung markenspezifische Sprachassistenten und Chatbots zu entwickeln. Allerdings entstehen durch eine solche Zuspitzung von Persönlichkeitsmerkmalen natürlich Stereotype. Für den Kulturbereich und seine Diversitätsbetrebungen scheint das eher kontraproduktiv, was auch in der heftigen Debatte der anschließenden Diskussionsrunde deutlich wurde, waren die vier vorgestellten Markenpersönlichkeiten alle weiß und drei davon männlich. Krick schlug daraufhin mehrere Markenpersönlichkeiten als Sprachfamilien für eine Marke vor, die der Stereotypisierung entgegenwirken können.

Aber vielleicht machen es sich die Einrichtungen an dieser Stelle auch schwerer, als es sein muss: Für ein Theater könnte ein solches Coversion Branding mit markanten Stimmen verschiedener realer Schauspieler*innen hervorragend funktionieren. Im musealen Bereich könnten man mit den Stimmen arbeiten, die bereits für Audioguides verwendet werden. Oder sofern Häuser bereits Podcasts oder Videoformate anbieten, wären auch die jeweiligen Sprecher*innen/ Moderator*innen denkbar. Um den user*innenzentrierten Prozess dennoch zu berücksichtigen, stellt sich die Frage, wie divers wohl eine Kulturmarken sein kann, die von Besucher*innen entwickelt wurde - und inwieweit das von den Vorstellungen der Verantwortlichen in der jeweiligen Einrichtung abweicht.

Fazit: Sich von anderen Erfolgsrezepten anregen lassen und ein eigenes entwickeln

Es ist leider wie so oft: Es gibt keine Patentlösung für den Erfolg digitaler Formate, weshalb die beim Hans Diers Symposium vorgestellten Best-Practice-Beispiele lediglich als Anregung dienen können. Dabei wäre es wünschenswert gewesen, den Blick im Kulturbetrieb selbst noch ein wenig zu weiten und beispielsweise Unternehmen wie gigmit, Spotify, Netflix und Co. zu Wort kommen zu lassen, deren komplettes Geschäftsmodell darauf ausgelegt ist, digital erfolgreich zu sein. Ebenso hätte es allen Teilnehmer*innen geholfen, in einer Art Workshopformat selbst digitale (Teil-)Strategien zu entwickeln, was sich auch auf den Vernetzungsaspekt des Symposiums positiv ausgewirkt hätte. Mit Blick auf die Umsetzbarkeit im Rahmen einer solchen Tagung wäre dabei sicherlich ein Design Thinking Prozess zu einem vorgegebenen Thema eine gute Möglichkeit, um sich entsprechende Denkweisen anzueignen.

Unabhängig davon kann sich von den vorgestellten Beispielen jede Kultureinrichtung folgendes mitnehmen: Mutig zu sein und Perspektiven zu wechseln sowie über den Tellerrand zu schauen, dabei Geduld zu haben auch scheitern zu können und aus den Fehlern zu lernen, sind wichtige Erfolgsgaranten. Allem voran muss aber eine Grundhaltung stehen, die die Digitalisierung ernstnimmt und digitale Formate als gleichwertig zu analogen sieht.

Unterstützungsabos


Mit unseren Unterstützungsabos unterstützen Sie unsere Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – und damit alle unsere kostenfreien Inhalte, also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 15€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 15,00 EUR / 1 Monat(e)*

25€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 25€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 25,00 EUR / 1 Monat(e)*
* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Kommentare (0)
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.

Unterstützungsabos

Mit einem Unterstützungsabo unterstützen Sie die kostenfreien Inhalte unserer Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

25€-Unterstützungsabo Redaktion

* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Cookie-Einstellungen
Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig (z.B. für den Stellenmarkt), während andere uns helfen, unsere Angebote (Redaktion, Magazin) zu verbessern und wirtschaftlich zu betreiben. Einige Angebote können nur genutzt werden, wenn Cookies gesetzt wurden.
Sie können die nicht notwendigen Cookies akzeptieren oder per Klick auf die graue Schaltfläche ablehnen. Nähere Hinweise erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Ich akzeptiere
nur notwendige Cookies akzeptieren
Impressum/Kontakt | AGB