08.02.2016

Autor*in

Kristin Oswald
leitet die Online-Redaktion von Kultur Management Network. Sie studierte Geschichte und Archäologie in Jena und Rom sowie Social Media-Marketing in Berlin. Sie ist freiberuflich in der Wissenschaftskommunikation und im Museumsmarketing mit Schwerpunkt online tätig.
Rückblick Jahrestagung des Fachverbands Kulturmanagement zu Evaluation

Vom ängstlichen Vermeiden zu lösungsorientierter Kritik

Mit Evaluation im Kulturbereich hatte sich der Fachverband Kulturmanagement für seine 9. Jahrestagung kein einfaches Thema ausgesucht. Entsprechend vielfältig waren die Gesichtspunkte der Mess- und Bewertbarkeit von kulturellen Formaten und Produkten, die vom 14. bis 16 Januar an der ZHAW Winterthur diskutiert wurden. Über künstlerische Qualität hinaus müssen auch die Lehre, die Institutionen und die Kulturpolitik evaluiert werden. Hier können Evaluationen strukturelle Schwächen und Potenziale offen legen und die kulturelle und kulturmanageriale Tätigkeit unterstützen.
Jeder Kulturschaffende und jeder Kulturmanager muss sich irgendwann im Laufe seines Berufslebens mit der Evaluation seines Tuns auseinandersetzen sei es, weil ein Fördergeber dies vorschreibt, weil die eigene Institution ihre Arbeit auf diesem Weg punktuell prüft oder weil man selbst Stärken und Schwächen erkennen möchte. Letzteres, so zeigten die Erfahrungen der Referenten der Jahrestagung, ist dabei nur selten der Fall. Leider, denn Evaluationen aus eigenem Interesse bringen meist die besten Ergebnisse hervor setzen sie doch Offenheit für Veränderung und konstruktive Kritik voraus und werden weniger als Bedrohung denn als Potenzial wahrgenommen, um das eigene Standing aufzuzeigen oder spezifische Förderbedarfe aufzuzeigen und die eigenen Angebote zu verbessern.
 
Ist der Wert von Kultur unmessbar?
 
Kultureinrichtungen argumentieren stets, dass Kultur ein Grundbedürfnis der Gesellschaft ist und dass man trotz sinkender Mittel qualitativ hochwertige Produkte schaffe. Sollten sich der eigene Anspruch der Kulturschaffenden und die Notwendigkeit von Kultur dann nicht problemlos messen und damit greifbar machen lassen? Und sollten Evaluationsergebnisse nicht Argumentationsgrundlage für Förderanträge oder öffentliche Debatten um Kürzungen oder den Wert von Kunst sein?
 
Doch gerade das, was man nicht quantitativ messen kann, ist oft Kern der künstlerischen Leistung, formulierte es Tasos Zembylas in seinem Vortrag zu den Grundproblemen und Herausforderungen von Evaluation. Dieses Argument wird oft als Schutzbehauptung genutzt, man mache Kunst kaputt, wenn man Prozesse in der Kultur evaluiert, so Pius Knüsel. Doch wie lässt sich der gesellschaftliche Wert von Kunst, der oft als politisches Argument dient, in aussagekräftige Zahlen fassen? Die Vorträge zur Wirkungsmessung kultureller Formate präsentierten hierfür neue Perspektiven, die zeigen, dass die Angst vor Messbarkeit den Kulturinstitutionen eher im Weg steht als ihnen nützt. Denn da sich die Gesellschaft stetig verändert, müssen sich auch Kultureinrichtungen anpassen, um ihren Zweck zu erfüllen.
 
Hedy Graber zeigt mit der Initiative Migros-Kulturprozent, wie die gesellschaftliche Relevanz von Kultur ermittelt werden kann. Bei dieser Initiative werden Kulturprojekte finanziell unterstützt, jedoch nicht auf Basis ihrer Formate, sondern ihrer spezifisch definierten Wirkungszielen. Die Förderung soll also nicht helfen, Löcher im Keller zu stopfen, sondern Entwicklungen voranzubringen, so Graber. Die sogenannte lernende Zielmatrix dient zusammen mit regelmäßigen Evaluationen als Basis für den Förderungsvertrag, der regelmäßig an die Projektprozesse, Gelungenes, aber auch Misslungenes angepasst wird. Auf diese Weise werden Quantität und Qualität beachtet und die Erwartungen von Kulturschaffenden wie Fördergebern gleichermaßen umgesetzt. Gerade die Definition der Wirkungsziele ist ein regelmäßig auftretendes Problem, denn gesellschaftliche Wirkung greifbar zu machen, kann durchaus negative Ergebnisse bringen. Diesen Ängsten vor Kritik müssen sich Kultureinrichtungen jedoch stellen.
 
Quantität vs. Qualität im Kulturschaffen
 
Evaluation in der Kultur ist eher eine Haltung als eine Technik" fasste Knüsel zusammen. Und weil Haltungen schwieriger zu ändern sind als Techniken, waren Evaluationsmethoden kaum Diskussionsthema im Rahmen der Jahrestagung. Hier gibt es bereits vielfache Ansätze und hilfreiche Handreichungen, wie z.B. die neu erschiene Broschüre von Goethe-Institut und Educult oder den Leitfaden von Migros-Kulturprozent, der gemeinsam mit der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia entwickelt wurde und auf die Mehrheit der Kulturprojekte im deutschsprachigen Raum angewandt werden kann.
 
Die Tagung machte deutlich, dass die Motive für Evaluation in der Kultur bei den beteiligten Akteuren mitunter sehr unterschiedlich sind und Haltungen lassen sich kaum mit Hilfe eines Leitfadens überarbeiten. Vielmehr basieren sie oftmals auf Kommunikations- und Verständnisproblemen. Dabei könnten gerade Evaluationen als objektive Basis für die Kommunikation zwischen Häusern, Politikern und Öffentlichkeit dienen, betonte Jenny Svensson in ihrem Vortrag. Einen Ansatz hierfür präsentierte Matina Magkou mit der Art based Evaluation, der Übertragung von Evaluationskonzepten und Ergebnissen in künstlerische Formate, um sie zu veranschaulichen und an verschiedene Gruppen zu kommunizieren.
 
Leticia Labaronne zeigte anhand ihrer Forschung auf, dass gerade in Deutschland Skepsis gegen Kulturevaluation vorherrsche, während etwa im englischsprachigen Raum der Blick sowohl der Kulturschaffenden als auch der Kulturpolitiker auf Potenziale und Lerneffekte gerichtet sei. Hierzulande, so machte Zembylas deutlich, basieren Kulturevaluationen oft auf vorausgesetzten Konzepten, die kaum hinterfragt oder angepasst werden. Ihre unterschiedlichen Bewertungslogiken und Kontexte tragen ihren Teil dazu bei, dass auf beiden Seiten Verständnisprobleme bestehen und die Nutzung der Ergebnisse erschwert wird. Das von Svensson vorgestellte Kulturinteraktionsmodell aus Schweden, bei dem Gleichberechtigung und Vielfalt in Kulturprogramme implementiert werden, bietet hierfür Ansatzpunkte. Dank einer Kombination aus Selbst- und Fremdevaluation kombiniert wird hierbei der Austausch zwischen kulturpolitischen, quantitativen und qualitativen Aspekten sowie der Selbst- und Fremdwahrnehmung gefördert.
 
Wie wichtig in struktureller Hinsicht die Evaluation der Fremdwahrnehmung ist, zeigt das Projekt Mapping Museum Experience von Volker Kirchberg, Martin Tröndle und Karen van den Berg. Demnach setzt schon der Besuch einer Kultureinrichtung ein hohes Maß an fachlichem, aber auch sozialem Vorwissen voraus und oft übertragen die künstlerisch Verantwortlichen ihre Wahrnehmung auf die Besucher. Evaluationen können hier ansetzen, um das Wissen über Besucher, deren Erwartungen und Verhalten zu erhöhen. Ähnliches zeigte auch die von Nina Tessa Zahner präsentierte Nichtbesucherstudie an der Leipziger Oper. Vorbehalte von Seiten potentieller Partnereinrichtungen für solche Projekte stehen konstruktiven Erkenntnissen jedoch immer wieder im Weg.
 
Strukturen evaluieren Qualität verbessern
 
Über künstlerische Prozesse hinaus können Evaluierungen auch für kulturmanageriale Weiterentwicklung nutzbar gemacht werden. Dazu sollten Evaluationen gut konzeptioniert sein und Aussagen erzielen, die zumindest auf andere Projekte des eigenen Hauses oder im Idealfall auf andere Einrichtungen übertragen werden können. Dr. Vera Hennefeld macht in ihrem Vortrag deutlich, dass Evaluation einen übergeordneten Fokus brauche und eine Reflektion der Ergebnisse im gesamten Haus. Dann können sie im Kulturmanagement ein Werkzeug sein, um die Handlungsfähigkeit und künftige Ausrichtung zu verbessern. Für solche Evaluationen braucht es die Offenheit, auch mit negativen Ergebnissen arbeiten zu wollen. Gerade an der Bereitschaft und Strategien für eine kritische Selbstevaluation fehle es aber häufig, so Knüsel. Man verherrliche sich aus Überlebensängsten selbst, anstatt veränderte Anforderungen und Tätigkeitsbereiche in der Kultur mittels Prozessevaluationen zu reflektieren.
 
Ein Ansatz hierfür ist der Bereich Qualitätsmanagement, der im Rahmen der Tagung in einem eigenen Workshop behandelt wurde. Er dient dazu, interne Prozesse stetig zu optimieren, während es bei Evaluationen um punktuelle Analysen einzelner Aspekte geht. Beide Ansätze spielen sich gegenseitig in die Hände und liefern wichtige Daten, um bessere Produkte und eine höhere Außenwirkung hervorzubringen. Vorgestellt wurden das wirkungszielbasierte Managementsystem des Nationaltheaters Mannheim und das Theatre Quality Frame, ein Qualitätsmanagement-Modell, das am Theater Winterthur umgesetzt wurde, die beide von anderen Häusern übernommen werden können. Das Winterthurer Modell basiert auf dem Teatron Wiki-Management-System, einer Prozesslandkarte und einem Performance-Monitor. In einem solchen System können Prozessdaten und Mitarbeiterwissen gesammelt und damit die interne und Stakeholder-Kommunikation, Prozesse, Schnittstellenprobleme und die Lenkung der Organisation hin zu selbstdefinierten Zielen verbessert werden. "Qualitätsmanagement sorgt für kulturvolleres Miteinander innerhalb des Kulturbetriebs", fasste es Laura Bettag zusammen. Um entsprechende Initiativen zu vereinfachen, arbeitet die von Thomas Heskia und Irene Knava geleitete Agentur Audiencing derzeit an der Anpassung der ISO-Norm für Qualitätsmanagement an die Anforderungen von Kulturbetrieben.
 
Die Kunst, Kultur zu messen
 
Evaluation in der Kultur ist eine Kunst für sich, so zeigte die Tagung, die hilft, die qualitative Leistung einer Einrichtung langfristig zu verbessern. Doch hierfür braucht es eine Sensibilisierung für die Bedeutung stetigen Lernens, der Reflektion von Strukturen und externen Blickwinkeln. Mit den Worten Evaluation ist überall. begann Hedy Graber ihren Vortrag. Im Zeitalter von Big Data wird beinahe jede unserer Handlungen evaluiert und eingeordnet, um uns neue Produkte anzupreisen und unser Nutzererlebnis zu verbessern. Evaluation dient also auch dem Wissensmanagement. Trotz einer Vielzahl neuer Formate tut sich aber gerade die Kulturmanagement-Lehre noch schwer damit, Evaluierung zu nutzen, um den Bedürfnissen, die der Sektor an seinen Nachwuchs richtet, nachzukommen. Universitäres und praktisches Wissensmanagement im Kulturbetrieb zu setzen, sollte also ganz oben auf die Liste künftiger Evaluationen gesetzt werden.

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