03.08.2023

Autor*in

Vanessa Hartmann
studierte nach ihrem B.A.-Abschluss in Germanistik und Theaterwissenschaft an der LMU München im Master Theater- und Orchestermanagement an der HfMDK Frankfurt. Praktische Erfahrungen erwarb sie in den Bereichen Dramaturgie sowie Presse- & Öffentlichkeitsarbeit. 2021 arbeitete sie als Forschungsassistentin für ein Forschungsprojekt des Fonds Darstellende Künste. Seit der Spielzeit 2022/23 ist sie Dramaturgieassistentin am Schauspiel Hannover.
Das deutsche Theater – politisch und politisiert

Kultur unter Feuer?

Das deutsche Theater versteht sich als gesellschaftskritische und politische Institution. Gleichzeitig steht es als Empfänger öffentlicher Mittel in der steten Abhängigkeit seiner Träger - ein Spannungsfeld, welchem sich Vanessa Hartmann in ihrem Artikel widmet. Welche Gefahren bedeutet rechte Lokalpolitik für Kulturschaffende?
Kunst ist fast immer politisch. Im 18. Jahrhundert nutzten Dramatiker wie Friedrich Schiller die Theaterbühnen dafür, den absolutistischen Herrschern ihrer Zeit fortschrittliche politische Ideen wie die der Aufklärung nahezubringen. Später entwickelte dann Bertolt Brecht seine Idee des epischen Theaters, um auf der Theaterbühne gesellschaftliche Problemstellungen, z. B. soziale Ungerechtigkeit oder Krieg, zu thematisieren. Auch heute müssen sich die Theater positionieren. Sie können und müssen ihren Platz in der Gesellschaft dafür nutzen, gegen menschen- und demokratieverachtende Politik vorzugehen und Stellung zu beziehen. Ein Theater, das sich als relevant für die Gesellschaft und als wesentlich für die Demokratiestärkung und -förderung bezeichnet, für Weltoffenheit, Toleranz und Diversität stehen will, wird daher auch immer politisch sein. Doch das ist wohl leichter gesagt als getan. Was tun, wenn diejenigen, gegen die das Theater sich positionieren will und die das Theater und seine Kulturakteur*innen anfeinden, längst im Stadtrat sitzen und als Reaktion auf jede Positionierung mit Kürzungen der Subventionen drohen, die Kunst aktiv unterdrücken und zu verändern versuchen?
 
Das beschriebene Szenario spielt sich nicht nur in undemokratischen Staaten bzw. Diktaturen wie Ungarn oder Russland ab, in denen die Kunstfreiheit oder das Recht auf freie Meinungsäußerung schon lange nicht mehr gelten. Es findet auch hier in Deutschland statt. Einer Recherche von ttt - titel, thesen, temperamente und Süddeutsche Zeitung zufolge wird die Neue Rechte in Deutschland von der "Aversion gegen ein weltoffenes, liberales Kulturleben" geeint sowie von dem "Versuch, Kunstinstitutionen zu diskreditieren". Beschrieben werden "exemplarische Vorfälle", in denen die Neue Rechte Kultureinrichtungen sowohl mit Gewalt als auch mit der Kürzung von finanziellen Mitteln droht. 
 
Kulturfinanzierung als politisches Druckmittel
 
Politischer Extremismus jeglicher Form ist gefährlich. Aber die beispiellose Bedrohung der Kulturszene in Ländern wie z. B. Ungarn durch rechtskonservative und nationalistische Politiker*innen ist nicht nur eine fatale Entwicklung für das Theater und die Darstellenden Künste, sondern bedeutet ebenso - in einem Europa, in dem das Theater historisch mit progressiven gesellschaftlichen Entwicklungen und Identitätsbildung verbunden ist - eine Gefahr für die Vielfalt einer offenen Gesellschaft. Exzessive Kürzungen des Kulturbudgets, wie sie z. B. der flämische Ministerpräsident von der "moderat nationalistischen N-VA" 2020 durchführen wollte, sind eine Bedrohung für eine vielfältige Theater- und Kulturszene. Auch in Deutschland gibt es diese Versuche von rechts, Künstler*innen einzuschüchtern oder finanziell einzuschränken - eine Entwicklung, der unbedingt entgegengewirkt werden muss. Die Recherche von ttt und SZ ist hier exemplarisch und erschreckend. Nur zwei Beispiele aus der langen Liste an Anfeindungen und Bedrohungen: Im Juni 2019 stellt die AfD im baden-württembergischen Landtag den Antrag, wissen zu wollen, "wie viele Balletttänzer, Schauspieler, Sänger und Musiker an den Opern und Theatern des Bundeslandes keinen deutschen Pass besitzen, welche Staatsangehörigkeit die Künstler haben [...]". Ebenso wurde u. a. 2017 die Kürzung der Gelder für zwei der einflussreichsten Berliner Theater, dem Deutschen Theater und dem Maxim Gorki Theater, beantragt, da sie der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus zufolge "Gesinnungstheater" sowie "Propagandatheater" machen würden. In beiden Fällen wurden die Intendant*innen der Häuser benannt und verbal angegriffen. Welchen Zweck können diese Aktionen abgesehen von Schikane und Hetze haben?
 
Das kann geschehen, indem Theater und andere Kultureinrichtungen die breite Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen und sich, z. B. im Verein Die Vielen e.V., zusammenschließen, um die Errungenschaften und Beförderung einer offenen und toleranten Gesellschaft zu verteidigen. Natürlich sollte eine Diskussion über die Finanzierung der öffentlichen Theater nicht nur möglich sein, sie ist auch notwendig - gerade hinsichtlich der Förderstrukturen. Aber es sollte dabei beachtet werden, welche Bedeutung eine weltoffene Theater- und Kulturszene für die ganze Gesellschaft hat. Die öffentlichen Theater in Deutschland erfüllen einen Bildungsauftrag: öffentliche Finanzierung gibt es für die Kultureinrichtungen, die diesen Auftrag wahrnehmen und einen Beitrag für eine vielfältige Gesellschaft leisten. Gleichzeitig befinden sich die öffentlichen Theater in einem Spannungsfeld: zwischen den Träger*innen, die die öffentlichen Gelder zur Verfügung stellen und daraus den Bildungsauftrag ableiten, und den Zuschauer*innen, für die gespielt wird und die ins Theater gehen. Zuschauer*innen, deren Steuergelder und Kartenkäufe das Theater finanzieren. Ein Spannungsfeld, das sich mehr und mehr auch politisch auflädt. Öffentliche Finanzierung wird so zur ideologischen Debatte. Welche Art von Kultur soll gefördert werden und welche Parameter werden von der Politik angelegt, wenn es um die Verteilung der Subventionen geht?
 
Das "Dilemma" der politischen Positionierung
 
Auf ein solidarisches Banner können sich die Theater und Kultureinrichtungen dieser Tage einigen: "We stand with Ukraine" oder "No more war" sieht man an vielen Theaterfassaden in der Republik hängen, mal vor neoklassizistischen Giebeln, mal an verglasten Stahlfassaden. Ist diese - wichtige und notwendige - Solidarität der kleinste gemeinsame Nenner, eins der wenigen politischen Statements, auf die sich die polarisierte Gesellschaft aktuell einigen kann? Sogar das in vielen deutschen Theatern und Kultureinrichtungen quasi selbstverständliche Bekenntnis zur Erklärung der Vielen liest sich mancherorts wie eine radikale Beteuerung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Für ihre Position gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit müssen sich Künstler*innen und Theaterleitungen neuerdings rechtfertigen, während zeitgleich auf dem Platz vor dem Brandenburger Tor diverse Flaggen wehen, die sich der Reichsbürger*innen-Bewegung zuordnen lassen.
 
Neben Anfeindungen und Bedrohungen aus dem rechtsextremen Spektrum kämpft die deutsche Theaterlandschaft auch damit, sich zwischen den politischen Extremen zu positionieren, ohne sich wiederum vorwerfen lassen zu müssen, sie seien ja auch nicht besser als die Rechten (u.a. Beron und Turnheim 2017). Was also ist die geeignete Vorgehensweise gegen eine ausgrenzende, rassistische und demokratiefeindliche Kulturpolitik von rechts? Machen sich Kultureinrichtungen angreifbar, wenn sie - ebenso wie viele Cafés oder Kneipen - z. B. verkünden würden, "Nazis müssen draußen bleiben"? Gibt es überhaupt eine Strategie, mit der man sich keine Feinde macht? Und ist das überhaupt der Anspruch, den die Kultureinrichtungen haben sollten, wenn es um den Umgang mit Rechtsextremismus geht? Müssen die Theater sich nicht vielmehr klar positionieren?
 
Anfeindungen gegen Kultureinrichtungen und Künstler*innen
 
Mehrere Interviews, die im Rahmen einer 2021 durchgeführten Studie zur Untersuchung der Thüringer Kultur- und Förderlandschaft geführt wurden - eine Studie, an der die Verfasserin dieses Artikels beteiligt war -, haben ergeben, dass gerade die institutionelle Bedrohung durch rechtspopulistische Akteur*innen und Politiker*innen - namentlich der AfD - zu einer immer realeren Gefahr in vielen thüringischen Gemeinden wird.** Die Finanzierung der Kultureinrichtungen liegt in vielen Thüringer Städten in der Verantwortung der Kommunen. In den entscheidenden Stadträten ist die AfD vielfach stark vertreten. Auch wenn es keinen direkten kausalen Zusammenhang geben mag, ist das den Subventionen für Kultur sicher nicht gerade zuträglich. Ein*e Interviewpartner*in der Studie bezeichnete diese Entwicklung als "echten Kulturkampf", andere beschreiben Situationen, in denen die AfD-Stadtratsfraktion die gesamte Förderung einer überregional und international arbeitenden Einrichtung streichen wollte.
 
Auch wird versucht, die Förderung der Kultur gegen die Fördermittel für öffentliche Infrastruktur oder Bildung auszuspielen; unabhängig davon, dass hierbei nicht einmal der gleiche Förder- bzw. Steuermitteltopf zur Debatte steht (u.a. Hartmann 2021). Es ist klar zu erkennen, dass nicht für die Belange von Kindern oder Jugendlichen argumentiert wird, sondern die Kultur in ihrem finanziellen Handlungsspielraum eingeschränkt und ihre Legimation in der Stadtgesellschaft untergraben werden soll. Besonders die Kulturakteur*innen, die die Politik der AfD und anderer rechtspopulistischen Gruppierungen kritisieren, sind explizit betroffen. Dabei scheint es nicht darum zu gehen, politische Stellungnahmen generell zu unterbinden, sondern bloß diejenigen, die den kritisierten Politiker*innen nicht gefallen.
 
Wie ernst solche Entwicklungen zu nehmen sind, zeigt ein Blick in die deutsche Geschichte: Bereits im Februar 1933, im Monat nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, begann der Ausschluss all derjenigen Schriftsteller*innen, Schauspieler*innen usw., die dem neuen Regime offen gegenüberstanden oder nicht der neuen Ausrichtung der NS-Kulturpolitik entsprachen. Nur wenig später begann die systematische Gleichschaltung der deutschen Kulturlandschaft. Ebenfalls einen Monat nachdem Hitler an die Macht gekommen war, musste Bertolt Brecht Deutschland verlassen. Wegen seiner politischen Überzeugungen und seiner Stücke, die diese Überzeugungen auf die Bühne brachten, war er schon seit mindestens 1930 im Visier der Nationalsozialisten. Knapp 100 Jahre später beschlossen mehrere Künstler*innen mit Migrationshintergrund, "ihr Engagement am Theater Altenburg nicht zu verlängern, weil sie außerhalb des Theaters in ihrem Alltag zu oft rassistisch beleidigt wurden". Bei einem der Künstler sei dieser Alltagsrassismus der einzige Grund für diese Entscheidung gewesen. Das war im Jahr 2016. Das politische Klima hat sich seitdem nur weiter aufgeheizt. Es ist bis jetzt vielleicht noch nicht zu solch systematischen, von höchster politischer Ebene ausgehenden Repressionen gegen Künstler*innen gekommen wie in anderen (europäischen) Staaten oder in der deutschen Geschichte. Aber das bedeutet nicht, dass nichts getan werden muss gegen jede versuchte Einflussnahme von extremistischen Strömungen auf die vielfältige und freie, sich politisch positionierende Kulturlandschaft.
 
Kultur als Staatsziel?
 
Das Grundgesetz von 1949 sollte, aus diesen historischen Entwicklungen Lehren ziehend, zukünftig solche Übergriffe durch undemokratische Regierungen verhindern. Die Kunstfreiheit steht unveränderlich festgeschrieben: In Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes heißt es, "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei". Die Strukturen der Finanzierung und politischer Entscheidungsprozesse geben dies, wie zuvor dargestellt, allerdings nicht automatisch vor. 
 
Angesichts dessen wird mit dem wachsenden politischen Einfluss rechtspopulistischer Parteien die umstrittene Frage, ob und wie die Kultur als Staatsziel verankert werden sollte, immer dringlicher. Wie würde sich so ein Festschreiben der Kultur als Staatsziel im Grundgesetz auf einen möglichen Schutz der öffentlich finanzierten Theater- und Kulturlandschaft vor politischen Repressionen auswirken? Ein entsprechendes Gesetz könnte dabei helfen, die Kultur wehrhafter zu machen gegen politisch motivierten Bedrohungen. Künstler*innen und Akteur*innen der Kulturlandschaft wären nicht länger schutzlos gegen politische Bewegungen, die ihnen die Existenz(-grundlage) absprechen wollen. Einen ernsthaften Versuch wäre die Verankerung der Kultur als Staatsziel zumindest wert, um u. a. die öffentliche Förderung der Kultur in Deutschland stärker abzusichern und der kulturellen Bildung - wie auch der Bildung gegen politischen Extremismus - einen größeren Stellenwert zu verschaffen. Nicht zuletzt gilt kulturelle Vielfalt auch als Kennzeichen einer starken Demokratie.
 
Dieser Beitrag erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin Nr. 168: "Under Pressure" - einer Sonderausgabe, die in Kooperation mit dem Masterstudiengang Theater- und Orchestermanagement der HfMDK Frankfurt entstand.
 
** Weitere Perspektiven auf die ostdeutsche Kulturlandschaft zeigt unser August-Magazin mit dem Schwerpunkt "Ostdeutschland" auf.

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