15.05.2015

Autor*in

Matthias Kettner
KM Kolloquium

Philosophie, Kulturreflexion und Doing Culture. Zwei Kulturstudiengänge an der Universität Witten/Herdecke

Die Universität Witten/Herdecke, Deutschlands erste, 1982 gegründete Universität in privater Trägerschaft, bietet zwei Masterstudiengänge mit kultureller und kulturwissenschaftlicher Ausrichtung an. Beide werden von der Fakultät für Kulturreflexion und Studium fundamentale angeboten. Der eigentümliche Name der Fakultät ist zugleich ein nichttriviales Programm und soll daher kurz erläutert werden.
Studium fundamentale ist ein nach wissenschaftlichen, künstlerischen und kommunikativen Veranstaltungen ausdifferenziertes Angebot der Fakultät, das allen Studierenden offen steht und in sämtlichen Studiengängen der Universität einen beachtlichen Wahlpflichtbestandteil (10-15 Prozent der ECTS) darstellt. Dieses Angebot wird jedes Semester neu von den Lehrenden der Fakultät für Kulturreflexion erstellt. Der Aufbau von wissenschaftlicher Kompetenz, die Vermittlung von soliden fachlichen Ausbildungen und von allgemeinem Bildungs- und Orientierungswissen, die Kultivierung aufgeweckten Fragens, die Unterstützung von fortschrittlichem Engagement und die Bewahrung intellektueller Neugier, dies sind zentrale Bildungswerte, die den persönlichen Bildungsprozessen unserer Studierenden in und außerhalb der fakultätseigenen Studiengänge dienen sollen.

Was ist Kulturreflexion und wozu ist sie gut?


Kulturreflexion ist nicht Kontemplation, sondern die Einheit von theoretischer Einsicht und Praxis. Sie befasst sich mit der Erforschung kultureller Formen der Sinnbildung in der Gesellschaft und gewinnt Erkenntnis aus ihrer vergleichenden Betrachtung. Es geht um Veränderungswissen, um in kulturelle Prozesse intervenieren (Kulturmanagement), kulturelle Problemstellungen begreifen (z.B. kulturelle Konflikte) und kulturelle Lösungsstrategien verbessern zu können (z.B. Kommunikationsstrukturen von Organisationen). Kulturreflexion arbeitet interdisziplinär. Es geht darum, kulturelle Formen und Phänomene in Hinblick auf ihre Logik und ihren Zusammenhang zu beobachten und sich dabei selbst als am Gegenstand beteiligt zu wissen und konsequent mitzubeobachten.

Reflexion der Kultur und Kultur der Reflexion gemeinsam bilden Momente eines offenen Prozesses der Evolution von Sinn und sind selbst ein dynamischer Teil der modernen Kultur: Immer neu zu erfahren und immer neu zu verstehen, warum das Gegebene so ist, wie es ist, und wie es auch anders möglich sein würde.
Zwei der fakultätseigenen Studiengänge sind auf das kulturelle Feld zugeschnitten: Die Masterstudiengänge Philosophie und Kulturreflexion und Doing Culture. Ein dritter Masterstudiengang behandelt Ethik und Organisation.

Philosophie und Kulturreflexion als Studiengang


Von einem klassischen Masterstudium der Philosophie oder der Kulturwissenschaft hebt sich der Masterstudiengang Philosophie und Kulturreflexion durch seine transdisziplinäre Orientierung ab. Studierende entwickeln eigene Studien- und Forschungsprojekte, eingespannt in einen diskursiven Raum, der die respektlose und zugleich wertschätzende, zwischen Kritik und Begründung dialektisch pendelnde, konstruktive und umsichtige Auseinandersetzung mit unseren Denk- und Kulturbeständen ermöglicht. Die Module des Studiengangs Philosophie und Kulturreflexion umfassen Philosophie, und (in Variante 1) Gesellschaftswissenschaften oder (in Variante 2) Kunstwissenschaft, Literaturwissenschaft und Phänomenologie der Musik. Für die Vertiefungen in besondere Bereiche der Kulturreflexion können die Studierenden auch auf den an der Universität Witten/Herdecke eingespielten Dialog mit den Nachbarfakultäten (Wirtschaft, Medizin, Psychologie) zugreifen.

Beide Kulturstudiengänge betonen das eigenständige Arbeiten. Ein von mehreren Lehrenden geleitetes Forschungskolloquium zieht sich durch die Studiengänge hindurch, um Forschungsvorhaben zu diskutieren, neuen Input zu erlangen und Ergebnisse zu präsentieren. Studierende müssen sich frühzeitig im disziplinären Feld orientieren, eigene Fragestellungen entwickeln, Arbeitsweisen ausprobieren und ihr Denken kultivieren unterstützt durch intensive individuelle Betreuung.

MASTERARBEITEN

  • Friederike Machemer, BILLY Nach Normalität fragen. Eine philosophische Montage (2013)
  • Ursula Rothenbücher, Erfolgsformat USA-amerikanische Fernsehserie: Entscheidungsprozesse im deutschen Fernsehmarkt Vergleich zwischen Theorie und Praxis (2014)
VERBLEIBE EINIGER ABSOLVENTEN

  • Ursula Rothenbücher, Channel manager Pro7 Maxx
  • Börries Hornemann, Personalabteilung der Wala Heilmittel GmbH, Mitarbeiterentwicklung
  • Dorothée Schneider, Leader Talent Management, Goodyear Dunlop
  • Katrin Heimann, Doktorandin in den Neurowissenschaften an der Universität von Parma bei Vittorio Gallese
Über akademisches Wissen hinausgehen Doing Culture

Analytische und reflexive Kompetenz ist gerade für konzeptuelle Profilbildung und -entwicklung im Feld kultureller Einrichtungen unabdingbar. Die steigende Komplexität der gesellschaftlichen, ökonomischen, kommunikativen, technologischen und künstlerischen Bedingungen erfordert Fähigkeiten des Neu-Denkens, um Entwicklungsräume offenzuhalten und den Eigensinn des Ästhetischen zu bewahren.

Im Bewusstsein dieser Problemlagen wurde jüngst der Master-Studiengang Doing culture. Bildung und Reflexion kultureller Prozesse entwickelt und im Sommer 2014 gestartet. Er verbindet die interdisziplinäre Analyse kultureller Prozesse mit projektbezogener Anwendung. Die Studiengangsstruktur ermöglicht auch hier den Studierenden eine eigene Schwerpunktsetzung. Vorausgesetzt wird daher, dass Studierende die Bereitschaft zur Entwicklung individueller Projekte mitbringen. Das Kernmodul des Studiengangs, das wöchentlich im Plenum durchgeführt wird, beinhaltet die individuelle Projektarbeit und wird methodenvertiefend durch die weiteren Module Reflexion, Vermittlung, Inszenierung sowie das Master-Forschungskolloquium inhaltlich gestützt.

Bifokale Handlungsfähigkeit im kulturellen Feld gewinnen


Die Praxisfelder in Doing Culture umfassen bildende, darstellende Künste wie auch Literatur, Musik und Performance, zudem Kunstformen der neuen Medien. Die Praxisfelder ermöglichen den Absolventen somit neben dem Erwerb inhaltlicher insbesondere konzeptuelle, kommunikative als auch organisatorische Kompetenzen. Absolventen sollen befähigt werden, im Kultur und Bildungsbereich transformatorisch handeln zu können und in einschlägigen Theoriediskursen der Ästhetik, der Kunst- und Kulturphilosophie bewandert zu sein. Zur Agenda des Studiengangs gehört der Aufbau eines Lehrmuseums in Kooperation mit dem Märkischen Museum in Witten. Auch mit der Ruhr-Triennale und den Wittener Tagen für Neue Musik wird kooperiert.

Prof. Dr. Matthias Kettner ist Philosoph und Psychologe. Nach der philosophischen Promotion bei Karl-Otto Apel und Jürgen Habermas und mehrjähriger Forschungstätigkeit am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen (KWI) habilitierte er sich in Frankfurt über Diskursethik und nahm 2002 einen Ruf auf den Lehrstuhl für Praktische Philosophie an der privaten Universität Witten/Herdecke an. Seit 2008 ist er Forschungsdekan der Fakultät für Kulturreflexion und Studium fundamentale sowie Leiter des Studiengangs Philosophie, Politik und Ökonomik.

Die ausführliche Vorstellung der beiden Studiengänge Philosophie, Kulturreflexion und Doing Culture an der Universität Witten/Herdecke erschien in der Reihe KM Kolloquium im KM Magazin Dezember 2014.

Alle bisher erschienenen Beiträge zu KM Kolloquium finden Sie hier.

Informationen zum Studiengang Philosophie und Kulturreflexion an der Universität Witten/Herdecke in unserem Ausbildungsführer finden Sie hier.

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