Kommentar
Die Verleihung der Goethe Medaille mit inspirierenden Gewinnern, vielen Worte und wenig Gesprächen
Am 28. August wurde der deutsch-brasilianischen Kulturmanagerin Eva Sopher, dem Direktor des British Museums Neil MacGregor und dem syrischen Philosophen Sadik Al-Azm die Goethe Medaille im Residenzschloss Weimar verliehen. Diese Auszeichnung steht für besonderes Engagement um den internationalen Kulturaustausch und für Ideen, die im deutschen wie internationalen Kulturmanagement mehr Beachtung finden und vorbildhaft sein sollten.
Mit dem diesjährigen Thema Der Geist der Geschichte sollten Kulturexperten ausgezeichnet werden, die sich mit der Komplexität von Gesellschaften, mit dem Kulturellen Gedächtnis und dem Zusammenhang von Vergangenheit und Gegenwart beschäftigen. Die Ausschreibung erfolgte bevor die Flüchtlingsdebatte an Brisanz gewann und der IS begann, Kunstwerke und Kulturerbestätten zu zerstören. Beide Entwicklungen und auch die Arbeit der ausgezeichneten Kulturexperten zeigen, welche Bedeutung eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Epochen der Vergangenheit heute haben kann und dass sie in engem Kontext zu interkulturellem Austausch und kulturmanagerialem Selbstverständnis steht.
So distanzierte sich das Goethe-Institut als Institution für Dialog und Austausch von Fremdenfeindlichkeit jeglicher Form und setzt mit dem ab Juni 2016 stattfindenden Kultursymposium ein Zeichen, das Fragen und mögliche Lösungen in den Mittelpunkt stellt und das man sich als klares Statement mit zugehörigen Formaten von mehr Kulturinstitutionen wünschen würde argumentieren sie doch stets, diejenige gesellschaftliche Instanz zu sein, die Toleranz beweist, Missstände aufzeigt und deren Hintergründe beleuchtet. Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, machte jedoch deutlich, dass die Wahrnehmung von Geschichte, Kontexten und Werten aufgrund von Globalisierung und Digitalisierung immer stärker an Jubiläen oder Einzelereignisse mit Unterhaltungswert gebunden sei. Diese Tendenz hin zu Informationsbeschleunigung und Aufmerksamkeitsökonomie hat Folgen für das Kulturmanagement, die über Kulturvermittlung und marketing hinausreichen. Sie machen es notwendig, dass Kulturmanager und Kulturpolitiker weniger über Probleme lamentieren, als Lösungen zu entwickeln und damit die Handlungsspielräume von Kultur erweitern etwa indem sie, wie Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, aufzeigte, die Bedeutung von Kultur für die Außenpolitik stärker aktiv vertreten.
In diesem Sinne tragen die drei Preisträger (...) mit ihrer aufklärerischen, humanistischen Haltung zur Verständigung in der Welt entscheidend bei, begründete Lehmann die Auszeichnung von Sadik Al-Azm, Eva Sopher und Neil MacGregor mit der Goethe-Medaille. Die Biografien von Sopher, die als Jüdin vor den Nationalsozialisten fliehen musste und in Brasilien eine neue Heimat fand, und von Al-Azm, der vor dem syrischen Bürgerkrieg nach Deutschland floh, belegen ebenso wie MacGregors Ausstellungen die historische Verantwortung Deutschlands und anderer westlicher Länder in der derzeitigen Flüchtlingskrise. Das Wissen um Herkunft und Geschichte bildet die Grundlage für eine Gleichwertigkeit der Kulturen und die Bereitschaft, sich auf andere Kulturen einzulassen, betonte Lehmann. Die drei geehrten Persönlichkeiten wirken in ihrem Schaffen jeweils auf einzigartige Weise dem derzeit zu beobachtendem Zerbrechen der geschichtlichen Zeit entgegen und vertrauen der Bildungsmacht der Kultur.
Die Gewinner der Goethe-Medaille 2015 bei der Verleihung am 28. August im Weimarer Stadtschloss. V.l.: Neil MacGregor, Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann, Eva Rubin, Ulrike Muhlschlegel und Sadik Al-Azm. © Maik Schuck
Sadik Al-Azm ist zwar nicht im Kulturbereich tätig, steht als einer der wichtigsten Intellektuellen der arabischen Welt aber für Themen und Inhalte, die die Kultur in der internen Arbeit wie dem externen Auftreten stärker aufgreifen und vermitteln könnte. Al-Azm lehrte Philosophie an der Amerikanischen Universität in Beirut, der Universität Damaskus sowie in Berlin und Hamburg und setzt sich für die Verständigung zwischen Europa und der arabisch-islamischen Welt sowie deren Modernisierung ein. Obwohl zu Recht im Westen gefeiert und in den arabischen Ländern zumindest viel gelesen, wie der Islamwissenschaftler Stefan Wild in seiner Laudatio betonte, werden seine Ansätze zu Völkerverständigung, Migration und Interkultur in den aktuellen Debatten hierzulande doch kaum öffentlich oder in der Kultur thematisiert.
Die kulturmanagerialen Leistungen des Schotten Neil MacGregor seit seinem Amtsantritt als Direktor des British Museum im Jahr 2002 beeinflussen über dessen Erfolg hinaus die Entwicklung der gesamten europäischen Museumslandschaft. Mit der Steigerung der Besucherzahlen des British Museum um ein Drittel steht das Haus nun auf Platz 2 der meistbesuchten Museen Europas hinter dem Louvre. Dass dieser Erfolg an die Person MacGregors geknüpft ist, leitet sich aus seiner Einstellung zu den Aufgaben eines modernen Museums ab. Er verknüpft in Ausstellungen komplexe Themen und bringt einem breiten Publikum ein neues Geschichtsbewusstsein näher. Eine seiner Überzeugungen: Museen müssen Geschichten erzählen, damit die moderne Gesellschaft nach ihren Wurzeln suchen und den Wert anderer Gesellschaften schätzen lernen kann, so Tim Schleider in der Stuttgarter Zeitung. Dabei sind nicht nur die realen Besucher für MacGregor zentral, vielmehr soll ein Museum Geschichte und Kultur an Menschen überall auf der Welt und zu jeder Zeit vermitteln. Zu seinen Konzepten gehören daher eine außerordentlich erfolgreich Reihe von BBCRadiovorträgen zur Geschichte der Welt in 100 Objekten und ein daraus entstandenes Buch, internationale Kooperationen und Projekte zu Kulturvermittlung, Citizen Science und Digitalisierung sowie eine umfangreiche Strategie für die Online-Kommunikation, die verschiedenste Plattformen und Medienformate einschließt. In ihrer Laudatio betonte Marion Ackermann, Künstlerische Direktorin der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, er habe etwas, was für einen Museumsdirektor selbstverständlich erscheint, aber leider doch allzu selten anzutreffen ist: Vertrauen in den offenen, künstlerischen Prozess. MacGregor habe es als einer der ersten als Aufgabe des Museums gesehen, die Produktion von Kunst anzuregen. Auch mit der aktuellen Konzeption einer neuen Ausstellung zu Weltkulturen im CSMVS Museum Mumbai zeigt MacGregor, dass er losgelöst von klassischen Kultur-, Sparten- oder Disziplinstrukturen ein Museum als theatrum mundi sieht, einen Ort, um die Komplexität der Welt besser zu verstehen und gemeinsam ein offenes, tolerantes Weltbild zu gestalten. Wenn er im Oktober seine Stelle als Leiter der Gründungsintendanz für das Humboldt-Forum in Berlin antritt, wird er diese Einstellung zur Aufgabe und zum Management von Museen hoffentlich in die Hauptstadt mitnehmen, deren große Häuser in ihren Strukturen und ihrer Kommunikation oft müde und im internationalen Vergleich fast ausgestorben wirken.
Eva Sopher, die Präsidentin des Theatro São Pedro, hat mit ihrem Engagement für die Bühnenkunst die Kulturlandschaft der Stadt Porto Alegre in Brasilien maßgeblich geprägt. Sie schuf mit dem renommierten Theater eine einzigartige internationale Begegnungsstätte für Bühnenkünstler jeglicher Couleur. Als Tochter einer deutsch-jüdischen Familie musste Sopher vor den Nationalsozialisten fliehen und fand in Brasilien Zuflucht. Dort studierte sie Zeichnen und Bildhauerei und arbeitete in einer Kunstgalerie, bevor sie das Theatro São Pedro Mitte der Siebzigerjahre übernahm und vor dem Abriss bewahrte. Als fachfremde Theaterleiterin und nicht-studierte Kulturmanagerin schuf sie eine Spielstätte, die in ihrer Lebendigkeit und Internationalität bemerkenswert ist. Das Theater besteht heute neben dem beinahe täglich bespielten Haupthaus aus einem Komplex von Räumen und Bühnen für Nachwuchskünstler und über Orte für interkulturellen Austausch. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Tür und Tor weit offen zu halten, berichtet die Schauspielerin Hanna Schygulla in ihrer Würdigung. Dies ist angesichts Sophers persönlicher Vergangenheit keine Selbstverständlichkeit und auch nicht der hierzulande häufigen Abgrenzung von Kultursparten und Tätigkeiten im Kulturbereich, wie sie die Diskussion um die Besetzung von Chris Dercon als Direktor der Berliner Volksbühne zeigte.
Eva Sopher, die Präsidentin des Theatro São Pedro, hat mit ihrem Engagement für die Bühnenkunst die Kulturlandschaft der Stadt Porto Alegre in Brasilien maßgeblich geprägt. Sie schuf mit dem renommierten Theater eine einzigartige internationale Begegnungsstätte für Bühnenkünstler jeglicher Couleur. Als Tochter einer deutsch-jüdischen Familie musste Sopher vor den Nationalsozialisten fliehen und fand in Brasilien Zuflucht. Dort studierte sie Zeichnen und Bildhauerei und arbeitete in einer Kunstgalerie, bevor sie das Theatro São Pedro Mitte der Siebzigerjahre übernahm und vor dem Abriss bewahrte. Als fachfremde Theaterleiterin und nicht-studierte Kulturmanagerin schuf sie eine Spielstätte, die in ihrer Lebendigkeit und Internationalität bemerkenswert ist. Das Theater besteht heute neben dem beinahe täglich bespielten Haupthaus aus einem Komplex von Räumen und Bühnen für Nachwuchskünstler und über Orte für interkulturellen Austausch. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Tür und Tor weit offen zu halten, berichtet die Schauspielerin Hanna Schygulla in ihrer Würdigung. Dies ist angesichts Sophers persönlicher Vergangenheit keine Selbstverständlichkeit und auch nicht der hierzulande häufigen Abgrenzung von Kultursparten und Tätigkeiten im Kulturbereich, wie sie die Diskussion um die Besetzung von Chris Dercon als Direktor der Berliner Volksbühne zeigte.
Diese vielfältigen Ansatzpunkte und das Selbstverständnis der Preisträger kann als Inspiration für Führungskräfte und den Nachwuchs im Kulturmanagement gelten. Leider bot das sehr klassische, enge und repräsentative Format der Verleihung im Residenzschloss Weimar kaum Möglichkeiten, daran anknüpfenden fachlichen Austausch oder Diskussionen anzuregen. Unter den Teilnehmern waren kaum junge Gäste vertreten und nach Grußworten und Laudationes kein Raum für tiefergehende Gespräche mit den Gewinnern.
Die Goethe-Medaille wurde 1954 vom Vorstand des Goethe-Instituts gestiftet und 1975 von der Bundesrepublik Deutschland als offizielles Ehrenzeichen anerkannt. Seit der ersten Verleihung 1955 sind insgesamt 338 Persönlichkeiten aus 62 Ländern geehrt worden. Die Kandidatinnen und Kandidaten werden von den Goethe-Instituten in aller Welt in enger Abstimmung mit den deutschen Auslandsvertretungen nominiert und die Gewinner von einer Kommission, die sich aus Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Kultur zusammensetzt, sowie vom Präsidium des Goethe-Instituts bestätigt.
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