28.10.2020
Autor*in
Christian Horn
ist forschender Kulturmanager für Formate der Erinnerungskultur, Museumskonzepte und Ökosysteme für kreatives Tun. Nach dem Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik und Betriebswirtschaft sowie nach Berufsstationen bei Kulturbetrieben im In- und Ausland ist er seit 2022 Kulturdirektor der Landeshauptstadt Erfurt.
Museum Out of the Box
Neue Dialogsituationen in der Museumsarbeit
Im thüringischen Altenburg hat sich die Museumsarbeit des Schloss- und Kulturbetriebs neu aufgestellt. Er ist zu einem Ort geworden, um gemeinsam mit den Bürger*innen Zukunftsentwürfe für die Stadt zu entwickeln.
Der erste Teil dieses Beitrags analysiert die Ursachen des Relevanzproblems deutscher Museen.
Der Ausgangspunkt der Reise war der museale Schloss- und Kulturbetrieb Residenzschloss Altenburg, der rund 70.000 Besucher*innen jährlich anlockt. Inzwischen stehen die beiden umfassenden Projekte, die aus dem städtischen Eigenbetrieb heraus angestoßen wurden mit der Idee, die Arbeitskultur und die Zusammenarbeit mit den Bürger*innen Altenburgs neu zu gestalten (siehe Masterplan 2018-2028), auf mehreren und eigenständigen Säulen. Beide haben einen nationalen bzw. freistaatlichen Unterstützer als starke finanzielle, aber auch symbolische Partner, die gewissermaßen ihr "Siegel" den innovativen Ansätzen verliehen haben.
Praxisbeispiel 1: Stadtentwicklungsprojekt Stadtmensch
Das Stadtentwicklungsprojekt "Stadtmensch" verhandelt die Gestaltung öffentlichen Raums öffentlich neu.
Warum fühlt sich ein Museumsbetrieb berufen, ein Stadtentwicklungsprojekt auf den Weg zu bringen? Die Antwort liegt im Verständnis von städtischem Raum als öffentlichem Raum sowie der Wechselbeziehung unserer Vorstellungen von Öffentlichkeit und Geschichte - womit ein Stadtentwicklungsprojekt und Museumsarbeit starke Gemeinsamkeiten haben.
Auf der Suche nach zeitgemäßen Formen der Museumsarbeit und des Dialoges darüber, wie wir Geschichte heute verstehen und gestalten, hat sich der Schloss- und Kulturbetrieb Altenburg daher aufgemacht, ein Projekt aus der Taufe zu heben, in dem ein zeitgemäßer Kommunikationsraum etabliert wird. Das heißt: Das Stadtentwicklungsprojekt basiert auf Netzwerkarbeit anstatt auf Institutionen, wobei aber Ressourcen der Museen und des Projekts geteilt werden, und es fördert selbst Projekte, die von der Stadtgesellschaft entwickelt werden. Dabei ist die Netzwerkarbeit transparent und agil, projektorientiert und auf Befähigung ausgerichtet, und sie ist schwellenarm durch ein OpenLab im Stadtzentrum. Zudem verzichtet sie vollkommen auf "starke Arme" einzelner Entscheider*innen, auf Beiräte prinzipiell, auch aus der Erfahrung heraus, dass diese mitunter überaltert und partikular interessengetrieben sind. Die Verantwortung liegt auf vielen Schultern.
Nach einem ersten Festival im Sommer 2018 wird das Projekt seit Anfang 2019 durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) mit insgesamt knapp 700.000 EUR über drei Jahre gefördert. Da es in diesem Beitrag darum geht, neue Dialogsituationen und Arbeitsstrukturen - Stichwort: New Governance - vorzustellen, sollen exemplarisch die Kommunikationsstruktur, die Entscheidungsfindung zur Vergabe von Fördermitteln und damit die Verantwortungsverteilung herausgestellt sein. Denn dass es - wo die "starken Arme" einzelner Entscheider*innen oder Beiräte fehlen - gar keine Autorisierungsstrategie gäbe, wäre Humbug, ein Ding der Unmöglichkeit! Mit viel ehrenamtlichem Einsatz und mit großer Professionalität im Projektmanagement wurden daher agile, transparente, öffentliche Autorisierungsstrukturen etabliert.
Das Verfahren ist zweistufig: Dem Aufruf, sich auf Projektgelder in Handlungsfeldern der Stadtentwicklung zu bewerben, folgt in einem ersten Schritt die Einstellung und Präsentation der Projektideen auf der Homepage von "Stadtmensch". Hier sind die eingebrachten Projekte Gegenstand eines digitalen Votings.
Durch die Anzahl der Stimmen werden die Finalist*innen ermittelt. Diese treten im zweiten Schritt in einem "Battle" an. Dieses findet im OpenLab des Stadtmenschnetzwerks statt, das auf 250 m2 im Zentrum von Altenburg geschaffen werden konnte. In der offenen Veranstaltung stimmen die anwesenden Bürger*innen erneut ab, welche Projekte es auf das Siegertreppchen und damit zum Fördermittelzuschlag schaffen. Alle geförderten Projekte vereint, dass damit die seit dem Mittelalter in Altenburg gewachsenen städtischen Räume und Architekturen mit neuen Nutzungskonzepten in die Zukunft fortentwickelt werden.
Das Projekt "Stadtmensch" wurde mit Ressourcen des Schloss- und Kulturbetriebs Residenzschoss Altenburg auf den Weg gebracht. Zunächst handelte es sich dabei um ein einmaliges Festival im Mai 2018, gemeinsam organisiert mit vielen Akteur*innen aus Altenburg. Beflügelt von dessen Erfolg, wurde ein Förderantrag beim BMI gestellt und positiv beschieden. Dabei ist die Trägerschaft auf die Altenburger Erlebe was geht gGmbH übergegangen. Sie ist nunmehr Fördermittelempfänger und somit auch Arbeitgeber der mit dem Projekt verbundenen Projektleitung. Der beschriebenen Notwendigkeit, dass zur Erzeugung neuer Governancestrukturen von Seiten der Museen Kontrolle umfassend aus der Hand zu geben ist, wurde gefolgt.
Die Etablierung dieses neuen, von Bürger*innen getragenen Dialograums hat für die museale Arbeit des Schloss- und Kulturbetriebes (u.a. Ausstellungen, Sammlungen, Nachwuchsförderung) verschiedene konkrete Folgen mit sich gebracht. Diese sind am Ende dieses Beitrages beschrieben, außerdem in Stichworten im Transferprotokoll festgehalten.
Praxisbeispiel 2: Spielewelt
Die Spielewelt ist ein Ort, an dem das Thema "Spiel" touristisch, museal und zugleich für professionelle Anwendungen erlebnisorientiert erschlossen wird.
Altenburg ist als Stadt der Spielkarten und für die Erfindung des Skats bundesweit bekannt. Der Schloss- und Kulturbetrieb Residenzschloss Altenburg verfügt über die mindestens europaweit größte Spielkartensammlung. Touristisch und museal soll dieses Potenzial mit der Spielewelt gehoben werden. Der Masterplan sieht einen Ausstellungsbereich zur Geschichte des Spiels von der Antike bis in die digitale Gegenwart, ein Spiele-Café und ein InnovationLab zur professionellen Nutzung von Spielmethoden (Produktentwicklung, Fortbildung, Persönlichkeits- und Teambuilding) vor. Das voraussichtliche bauliche Investitionsvolumen beläuft sich auf rund 18 Millionen Euro, wovon ein Großteil durch die Wirtschaft- und Tourismusförderung in Verantwortung des Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und digitale Gesellschaft des Freistaat Thüringen getragen sein soll, weitere Teile durch die Städtebauförderung und die Stadt Altenburg.
Der Megatrend Spiel ist nicht nur Thema des Vorhabens, sondern auch sein praktischer Treiber, wie das InnovationLab und das Spiele-Café zeigen. Aber auch der Ausstellungsbereich wird nur in einem Spielmodus zu durchlaufen sein. Das Projekt steht also für neue Dialogsituationen, die durch Spiele erzeugt werden, mit drei wesentlichen Gruppen und Shareholder*innen: Bürger*innen Altenburgs, kulturaffine Tourist*innen und Wirtschaftsakteur*innen.
Die Anleihe, welche für diese Produktentwicklung beim Skat genommen wurde, ist dabei auch in historischer Hinsicht aufschlussreich. Denn Skat entstand als Teil einer Salonkultur des 19. Jahrhunderts als Ergebnis und Antwort umfassender gesellschaftlicher Umbrüche, vergleichbar heutigen "Thinktanks" oder "InnovationHubs". Der aristokratisch gelenkte Staat befand sich in der Krise, das sich emanzipierende Bürgertum und immer mehr auch Arbeiter*innen drängten auf politische Mitspracherechte. In Salons versammelten sich Menschen, welche über neue Gesellschaftsformen nachdachten, Fesseln abstreifen wollten. In den Altenburger Salons wurde das Skatspiel mit einer klaren Pointe erfunden: Nicht der König war der höchste Trumpf, sondern der Bauer.
Spiel schafft und fördert neue Dialogsituationen. Es vereint Menschen. Die Altenburger Spielewelt findet bereits in ihrem Entwicklungsstadium unter Bürger*innen breite Unterstützung, u.a. durch den Altenburger Spieletag. Mehrmals im Jahr kommen hier hunderte Altenburger*innen zum Spielen zusammen. Für die Entwicklung des Spiele-Cafés als Teil der Spielewelt haben der Schloss- und Kulturbetrieb und der Altenburger Spieletag zum Beispiel in einem Workshop im November 2019 zusammengewirkt.
Regelmäßig finden zudem Ausstellungen und Veranstaltungen zum Thema Spiel statt. Hierzu hat der Schloss- und Kulturbetrieb die Veranstaltungsreihe "Build2Play" aufgesetzt. Dabei fanden im Residenzschloss u.a. eine Puzzle- und eine Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Meisterschaft statt. Zudem wurde ein Bauarbeiter-Ballett, in dem die Spielewelt künstlerisch und choreografisch "gebaut" wurde, im Rahmen der Altenburger Museumsnacht 2019 realisiert.
Nicht absehbar war eine weitere produktive Wechselbeziehung: der Aufbau eines mobilen Spiele-Cafés für Altenburg. Akteur*innen des Altenburger Spieletages haben hierfür einen Antrag im Stadtentwicklungsprojekt "Stadtmensch" gestellt und realisieren somit einen Ort, der auf eines der drei Module der Spielewelt - das dortige Spiele-Café - bereits vorausweist.
Transferprotokoll
Das Bild von Kultur als "Hefe der Gesellschaft" hilft zu verdeutlichen, wie sich die Projekte "Stadtmensch" und "Spielewelt" auf die museale Arbeit des Schloss- und Kulturbetriebs Altenburg als Institution der Erinnerungskultur ausgewirkt haben. Vor allem ist dies durch die Befähigung kulturell und historisch interessierter Bürger*innen und nachrückender Generationen geschehen. So sind zwei Schüler*innen, die im Jahr 2017 zu dem Netzwerk gestoßen sind, inzwischen Studierende der Museologie in Leipzig bzw. des Designs in Hamburg - und bleiben zugleich in Altenburg aktiv. Sie übernehmen zum Beispiel Führungen im Residenzschloss, haben ein historisches Comic gestaltet, betreiben den Twitter-Account der historisch interessierten Kunstfigur Gitta Taubrathl oder haben das Layout für den Masterplan der Spielewelt geschaffen
Durch den Dialog in den Netzwerken öffneten sich zudem Türen, um Ausstellungsgestaltung, historisches Wissen, Veranstaltungsplanungen und Sammlungsaufbau des Schloss- und Kulturbetriebes zu fördern. So gestalteten Künstler*innen der Altenburg Farbküche ein Graffiti für die Ausstellung "Intrige im Goldsaal", die das Verhältnis von Chaos und Ordnungsregime in der Erinnerungsarbeit thematisierte. Das Kunstwerk befindet sich im modernen Erschließungsbau zum historischen Festsaal des Residenzschlosses, wo es dauerhaft zu sehen ist. Die lokale Firma W3 betreibt mit Unterstützung des Stadtmensch-Netzwerks und des Schloss- und Kulturbetriebs ein Forschungsprojekt zur Wiederbelebung des Safrananbaus, der für Altenburg historisch belegt ist. Im Jahr 2018 wurde dafür ein Hochbeet an der Schlossauffahrt angelegt und eine Texttafel informiert über die Tradition. Die Beteiligung und Multiplikatorenfunktion des Netzwerks "Stadtmensch" ermöglichte zudem das Cabaret "Der Neue Mensch" in Altenburg. Diese Inszenierung der Other Music Academy aus Weimar kam unter Mitwirkungen Altenburger Bürger*innen im Herbst 2019 im Residenzschloss zur Uraufführung.
Schließlich gelang eine substanzielle, international herausragende Erweiterung der Sammlungen des Schloss- und Kulturbetriebes, die ohne die Netzwerkarbeit in den beiden Projekten nicht denkbar gewesen wäre: Mit vielen helfenden Altenburger Händen, vor allem des Altenburger Spieltages, und dank des unermüdlichen Engagements des Spieleexperten Jens Junge konnte die Spielesammlung de Cassan aus Österreich nach Altenburg überführt werden. Der Schloss- und Kulturbetrieb verfügt nun über Europas größte Spielesammlung.
Weitere vielfältige Transferprozesse zwischen der traditionellen musealen Arbeit des Schloss- und Kulturbetriebes Residenzschloss Altenburg und den beiden hier vorgestellten Projekten sind tabellarisch festgehalten. Sie zeigen, dass solche Projekte, die die Denk- und Arbeitsweisen von Museen gestalten, durchaus nicht einfach ein Zugeständnis an die Stadtgesellschaft, sondern vor allem Gewinn für die Museen und ihre Mitarbeiter*innen sind.
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