20.06.2014

Autor*in

Birgit Tellmann
Tagung Inklusive Bildung im Museum

Herausforderung, Anforderung, Überforderung

Am 23. und 24. März 2014 diskutierten in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland rund 150 Kunst- und Kulturvermittler/-innen und Vertreter/-innen von Betroffenenverbänden Entwicklungen und Perspektiven zu Inklusion und Barrierefreiheit in Museen. Ziel war es, neue Kriterien und Maßstäbe für eine tragfähige inklusive Bildungspraxis in den Museen zu formulieren.
Eine Berufsorientierung für Schüler/-innen inklusiver Hauptschulen, einen Inklusionsstandpunkt für ein Forschungsmuseum, Kunst und Kultur für Menschen mit Demenz und Menschen mit kognitiver Einschränkung und psychischer Erkrankung zum Auftakt der zweitägigen Veranstaltung gaben die Museen der Museumsmeile Bonn vor Ort Einblicke in die Spannbreite der inklusiven Bildungsangebote in deutschen Museen. Damit schufen sie eine praxisnahe Grundlage für die inhaltlichen Diskussionen im Lauf der Tagung zwischen Museumskolleg(inn)en und Vertreter/-innen von Betroffenenverbänden.
Inklusion schaffe die Voraussetzung für qualitativ hochwertige Bildung, sie bedeute einen Paradigmenwechsel, der das Bildungssystem nachhaltig verändern werde mit diesen Worten eröffnete Rein Wolfs, Intendant der Bundeskunsthalle, die Fachtagung. Gleichzeitig appellierte er an die Museen, den Weg zu einer inklusiven Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Dieser Herausforderung fühlt sich auch die Fachgruppe des Bundesverbandes Museumspädagogik Barrierefreie Museen und Inklusion verpflichtet, die seit 1999 mehrfach jährlich zu aktuellen Fragestellungen zusammenkommt.
Dennoch stellt inklusive Bildung im Museum laut Simone Mergen vom Landesverband Museumspädagogik Nordrhein-Westfalen e.V. immer noch eine große Herausforderung dar. Deutschland zählt in Europa zu den Schlusslichtern bei der Umsetzung von Inklusion, so ein Ergebnis des Expertenkreises der UNESCO-Kommission, die ihre Gipfelkonferenz Inklusion Die Zukunft der Bildung kurz zuvor in Bonn abgehalten hatte. Hohe Anforderungen leiten sich daraus zukünftig für die Museumsarbeit ab, aber nicht selten fühlen sich die Kolleg(inn)en überfordert im Hinblick auf ihre personellen und finanziellen Ressourcen. Gleichzeitig formulieren die Betroffenenverbände klare Ansprüche an die Museen. Hier ist ein offener Austausch ebenso notwendig wie wünschenswert, damit Museen und Verbände Machbarkeit und Prozesshaftigkeit von inklusiver Bildung im Museum im Blick behalten.
Inklusives, barrierefreies Denken, kontinuierliche Zusammenarbeit mit Betroffenenverbänden, Nachhaltigkeit und Vielfalt der Angebote das waren auch die wichtigsten Forderungen der Diskussionsteilnehmer/-innen, die zum Abschlusspodium Inklusive Bildungim Museum: Anforderung für Alle eingeladen waren. Sie forderten eine Erweiterung der Zugänge im Sinne der kulturellen Teilhabe und eine Verstetigung der Programmangebote. Das Thema inklusive Bildung solle künftig vielmehr als Querschnittsaufgabe verstanden werden, die das ganze Museum betrifft. Das Ziel eines inklusiven Museums verändert an erster Stelle das Selbstverständnis der Museen als Orte der kulturellen Teilhabe aller.
Eine wichtige praxistaugliche Erkenntnis der Tagung war für die Teilnehmer/-innen,dass inklusive Bildung im Museum nicht gleichbedeutend ist mit der Entwicklung einer Vielzahl von Einzelmaßnahmen. Vielmehr bedeutet inklusive Bildung im Museum für Museumspädagog(inn)en, zusammen mit den Betroffenenverbänden und anderen Querschnittsabteilungen der Museen schrittweise, aber kontinuierlich ein inklusives Museumskonzept zu erarbeiten. Es wurde immer wieder betont, dass Inklusion einen Weg, einen Prozess beschreibt. Auf diesen Weg kann sich jedes Museum unabhängig von Ressourcen und Aufgaben machen.
Als ein zentrales Ergebnis der Diskussionen kann weiterhin festgehalten werden: Inklusive Bildung betrifft das Museum und nicht seine Besucher. Museen können unterschiedliche Zugänge für alle Menschen schaffen, unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen, Geschlecht, Alter, Herkunft, Interessen. Als informelle Lernorte und kreative Erfahrungsräume verfügen sie über die besten Voraussetzungen. Von Inklusion profitieren alle Besucher/-innen. Klemens Kruse, Bundeskompetenzzentrum Barrierefreiheit stellte fest, dass Inklusion vor allem die richtige Perspektive benötigt, die das Defizitdenken im Zusammenhang mit Menschen mit Behinderungen hinter sich lassen muss.
Neben grundlegenden Beiträgen und Analysen zum state of the Art so von der freiberuflichen Museumspädagogin Hildegard Ameln-Haffke zum inklusiven Lernen im Museum oder von Folker Metzger, Bildungsreferent der Stiftung Klassik-Stiftung und Sprecher der Fachgruppe Barrierefreie Museen und Inklusion des Bundesverbandes Museumspädagogik e.V. zu Inklusion als Querschnittsaufgabe für das ganze Museum und nicht nur die Museumspädagogik prägten aktuelle Bestandsaufnahmen die Tagung als Vorträge und Workshops:
  • Hilfreiche Tipps und praktische Anleitungen bietet der neue, vom Deutschen Museumsbund initiierte Leitfaden Das inklusive Museum, den Bettina Scheeder (Museumsverband Rheinland-Pfalz e.V.) präsentierte.
  • Einen Überblick zu Angeboten für Blinde und Sehbehinderte bot Marcus Weisen (Consultant Museums and Galleries without Barriers). Museen müssen hier neue, multidimensionale und nicht unbedingt kostspielige Wege gehen: Weisen machte vor allem Mut zum Experimentieren in kleinen Schritten.
  • Ein Erfahrungsbericht von Uschi Baetz und Peter Gauchel für die Bundeskunsthalle präsentierte Vermittlungsangebote für die kulturelle Teilhabe von Menschen mit Demenz. Ein Erfolgsfaktor war stets der multisensorische Zugang. Damit ist die den Museumsgästen mit dementieller Veränderung die Wirkung des Ausstellungsbesuchs für ihr Wohlbefinden messbar.
  • Marianne Hilke vom LVRArchäologischer Park Xanten brachte die wichtigsten Kriterien für die Produktion von Gebärdensprachführer auf den Punkt: Die Zusammenarbeit mit dem Verband der Gehörlosen und Schwerhörigen und Gebärdendolmetscher/-innen ist unerlässlich.
  • Tanja Karrer-Feldkamp zeigte am Beispiel des Landesmuseums Württemberg (Stuttgart) und Wilma Otte (Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Berlin) und Imke Baumann (Förderbande.V. Kulturinitiative Berlin) am denkmalgeschützten Schloss Schönhausen in Berlin, wie mit einer klaren Strategie auch unter Denkmalschutz gestellte Museumsgebäude nahezu barrierefrei werden können. Zu den wichtigsten Voraussetzungen zählten dabei: mentale Barrieren im eigenen Haus abbauen, Zielgruppenvertreter/-innen einbinden und Budget einplanen .
  • Der blinde Soziologe und Kurator Siegfried Saerberg leitete den Workshop zur Entwicklung einer multisensorischen Ausstellung. Laut Saerberg liegt die Herausforderung dabei im Ermöglichen des leiblichen Raumerlebnisses, der weg vom Diktat des Visuellen führt.
  • Anja Dworski (Landesverband Sachsen, Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung) führte in Theorie und Praxis der Leichten Sprache ein und stellte Beispieltexte verschiedener Museen vor.
  • Der Workshop INSPIRATION von Carolin Buffet (Dreiländermuseum Lörrach) stellte die grenzüberschreitende Kunst-Projektreihe für Menschen mit kognitiv-körperlichen Beeinträchtigungen vor.
Das gesamte Tagungsprogramm können Sie hier einsehen.
Eine ausführliche Tagungsdokumentation mit allen Beiträgen wird im Dezember 2014 in der Fachzeitschrift für Museumspädagogik Standbein Spielbein erscheinen.
 

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