20.07.2023

Themenreihe Corona

Autor*in

Fabien Morf
leitet die Agentur L’Oeil du Public (Suisse), die auf strategisches Kulturmarketing und (Nicht-)Publikumsforschung spezialisiert ist. Er absolvierte einen Master in Marketing und einen Executive Master in Arts Administration. Er war im Bereich Marketing in internationalen Unternehmen sowie im Opernhaus Zürich und in der Wiener Staatsoper tätig. Darüber hinaus engagiert er sich als Dozent für Marketing und Kulturmarketing.
Auswirkungen von Corona auf die Kulturbesuche in Deutschland

Ein Gruß vom heimischen Sofa

Inwieweit hat die Bevölkerung in Deutschland nach Corona ihre Kulturbesuche wieder aufgenommen? Wie sind die Aussichten? Welchen Stellenwert haben dabei digitale Kulturangebote? Antworten auf diese Fragen liefert die Studie "Kulturbesuche in Zeiten von Corona in Deutschland" der Schweizer Kulturmarketing Agentur L’Oeil du Public in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Museumsbund.

Themenreihe Corona

Angesichts der aktuellen globalen Herausforderungen wie Inflation, internationalen Konflikten und der erst kürzlich zurückliegenden Gesundheitskrise war es dringend notwendig, die Rückkehr des Publikums in die Kultureinrichtungen seit der Coronakrise zu erforschen und fundierte Erkenntnisse zu dessen Verhalten sowie zum Einfluss der Krisen darauf zu erhalten. Aus diesen Gründen hat sich die Agentur L’Oeil du Public, die bereits vier ähnliche Studien zur Schweiz durchgeführt hat, gemeinsam mit dem Deutschen Museumsbund entschieden, das Forschungsprojekt zu Deutschland gemeinsam umzusetzen. 
 
Die wichtigsten Erkenntnisse
 
Eine Stichprobe von 1.032 Personen mit jeweils pro Bundesland proportional aufgeteilter Anzahl an Teilnehmenden und Quoten gemäß Altersklasse, Gender und Bildungsniveau gewährleistete eine hohe statistische Repräsentativität und verbindliche Resultate. Um eine vertiefte Analyse durchzuführen, wurde das Publikum unter anderem in zwei Kategorien eingeteilt: Als "Kulturpublikum" wurden Personen definiert, die kulturelle Einrichtungen häufiger aufsuchen und vor der Pandemie mindestens dreimal jährlich ein Museum, eine Kulturerbestätte, ein Festival oder eine Aufführung besucht haben. Die Kategorien unterscheiden somit zwischen einem Kulturverlangen, das intellektuell geprägt ist, und einem Kulturinteresse, das eher der Freizeitgestaltung dient. Diese zweite Kategorie wurde als "Nicht-Kulturpublikum" bezeichnet. Das sogenannte Kulturpublikum stellt 42% der Stichprobe dar, das Nicht-Kulturpublikum somit 58%.
 
Zwar kommen die Besucher*innen nach dem Ausklingen der Pandemie allmählich zurück (57 Prozent) und die Stimmung ist in vielen Betrieben aktuell positiv. Dennoch zeigt die Studie auch, dass eine Rückkehr des Publikums in die Kulturinstitutionen nur teilweise zu beobachten ist (siehe Abbildung 1). Davon sind Kinos, Opernhäuser/Theater und Festivals stärker betroffen als Freizeitparks, Kulturerbestätten und Museen. 
 
Zwar denken 57 Prozent, dass die Coronakrise vorbei ist. Dennoch lässt sich folgendes feststellen: Je geschlossener und enger die Veranstaltungsorte, desto mehr Bedenken haben die Besuchenden.
 
Abbildung 2 zeigt die Gründe für die Zurückhaltung. 39 Prozent der Befragten gaben an, sich vermehrt daran gewöhnt zu haben zuhause zu bleiben und weniger Lust zu haben auszugehen (2. Item). Die Intuition, dass sich eine neue Gewohnheit etabliert hat, ist nun in einer Dimension dokumentiert, die überraschen mag. Diese Erkenntnis unterstützt die Theorie des Cocooning-Effekts, also des Rückzugs in das häusliche Privatleben. Interessanterweise ist dieser Effekt nicht auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe beschränkt, sondern scheint weit verbreitet zu sein, denn es gibt keine signifikanten Unterschiede zwischen den Altersklassen. 
 
Zudem wird die Angst vor einer Corona-Ansteckung als Grund für die Zurückhaltung genannt (39 Prozent, 1. Item). Die Angst ist zwar bei den Älteren mehr ausgeprägt, aber trotzdem ist auch ein nicht unwesentlicher Teil (30 Prozent) der 20- bis 44-Jährigen betroffen. Einen weiteren Einfluss hat die finanzielle Situation der Befragten, welche durch die Inflation tendenziell schwieriger wurde (37 Prozent, 3. Item). 
 
 
   
 
Eine weitere Erkenntnis der Studie ist, dass das Budget für Kulturbesuche in Zukunft eher sinken sollte. 30 Prozent haben vor, die Ausgaben für Kulturbesuche zu reduzieren, und lediglich 14 Prozent, sie zu erhöhen (Abbildung 3).
 
Gute Nachrichten sind allerdings die Erkenntnisse zu den Abonnements: Insgesamt scheint die Nachfrage an Abos im laufenden und kommenden Jahr zu steigen. 19 Prozent äußern die Absicht "in den nächsten 12 Monaten Abonnements/Mitgliedskarten" zu kaufen oder wieder zu kaufen. Im Vergleich zum letzten Jahr ist dies eine Steigerung um 7 Prozent. Dies ist jedoch lediglich eine Absichtserklärung der Befragten. Ob es zum Kauf kommt, hängt auch von weiteren Faktoren wie der Kommunikation der Kulturbetriebe ab.
 
 
Es zeigte sich, dass digitale Kulturangebote zu 22 Prozent die Angebote vor Ort ersetzen. Dies ist zwar nicht unwesentlich, dennoch ist erkennbar, dass Digitales meist nicht als Ersatz, sondern mehr als Ergänzung der Besuche vor Ort angesehen wird. Das regelmäßige Publikum, welches viele kulturelle Institutionen besucht (Kulturpublikum), nutzt digitale Angebote signifikant häufiger (27%) im Vergleich zum Nicht-Kulturpublikum (17%). Wie auch andere Studien erkannt haben (Otte, Lübbe, Baum & Balzer 2022), kann vermutet werden, dass digitale Angebote vor allem bestehende Kunden*innen binden, aber weniger zur Gewinnung neuer Kunden*innen beiträgt. Allerdings bedarf es einer gezielten Untersuchung, um diese Vermutung zu bestätigen. 
 
Deutschland vs. Schweiz - Gemeinsamkeiten & Unterschiede
 
Die Studie zu Deutschland (März 23) ermöglicht einen Vergleich mit der früheren Studie aus der Schweiz (Nov 22) zu ziehen. Viele der Erkenntnisse sind übereinstimmend, jedoch gibt es signifikante Unterschiede:
 
Die Tendenz, sich in die eigenen vier Wände zurückzuziehen, ist in Deutschland stärker ausgeprägt als in der Schweiz. 51 Prozent der deutschen Wohnbevölkerung geben an, seltener kulturelle Einrichtungen zu besuchen als vor der Pandemie, während es in der Schweiz 41 Prozent sind. Ein ähnliches Ergebnis zeigt sich auch in Bezug auf Restaurant- und Barbesuche. In Deutschland gaben 54 Prozent an in den letzten 12 Monaten verglichen mit der Zeit vor der Coronakrise seltener Bars und Restaurants zu besuchen, in der Schweiz waren es 42 Prozent. Die genannten Gründe für den Rückzug sind ähnlich. Der einzige große Unterschied besteht darin, dass die Angst vor einer Corona-Ansteckung in Deutschland (39 Prozent) deutlich häufiger genannt wird als in der Schweiz (26 Prozent).
 
Trotz dahingehender Vermutungen zeigen sich keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf finanzielle Sorgen zwischen den beiden Ländern. Sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland stimmen die Befragten der Aussage "Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage (Inflation, Energiekrise) reduziere ich meine Ausgaben" gleichermaßen zu. Die überwiegend übereinstimmenden Ergebnisse legen nahe, dass die Gesundheitskrise und die weiteren Krisen, trotz länderspezifischer Unterschiede, ähnliche Auswirkungen auf das kulturelle Verhalten haben.
 
Fazit
 
Die vorliegende Studie hat das Ziel verfolgt, die Rückkehr des Publikums in die Kultureinrichtungen seit der Coronakrise zu untersuchen und die Einflüsse der aktuellen globalen Herausforderungen zu analysieren. Die Studie hat gezeigt, dass eine teilweise Rückkehr des Publikums in die Kulturinstitutionen zu beobachten ist, dass es aber auch verschiedene Gründe für die anhaltende Zurückhaltung gibt. Die digitale Kultur wird eher als Ergänzung denn als Ersatz für die physischen Besuche angesehen, was im Zusammenhang mit der Tendenz, sich in die eigenen vier Wände zurückzuziehen, besonders relevant erscheint. Dies müssen Kultureinrichtungen sowohl bei der Programmgestaltung als auch im Marketing beachten. 
 
Referenzen
 
Otte G., Lübbe H., Baum J., Balzer D., Kulturelle Bildung und Kulturpartizipation in Deutschland, Institut für Soziologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU), Juni 2022, https://www.uni-mainz.de/presse/aktuell/15790_DEU_HTML.php 
 
Der komplette Studienbericht ist auf folgender Seite kostenlos verfügbar: https://loeildupublic.com/de/studie-kultur-corona/

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