07.11.2024
Studie zu Selbstständigkeit in Kultur- und Kreativberufen

Häufig prekär, schlecht abgesichert und kaum vorbereitet

Soloselbständigkeit und hybride Erwerbstätigkeit sind in der Kultur- und Kreativarbeit in Deutschland weit verbreitet. Die Datenlage zu ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage ist allerdings als unzureichend. Das möchte eine Studie des Bundesverbands Freie Darstellende Künste ändern.
Die Studie zur wirtschaftlichen und sozialen Lage von Soloselbstständigen und hybrid Erwerbstätigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW), dem öffentlichen Kulturbetrieb und Kulturberufen in Deutschland wurde von der Prognos AG gemeinsam mit dem Bundesverband Freie Darstellende Künste e. V. im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien durchgeführt. Mit Soloselbstständige sind darin selbstständig Erwerbstätige gemeint, die in der Regel keine Mitarbeitenden beschäftigen. Hybrid Erwerbstätige sind sowohl selbstständig tätig als auch angestellt/abhängig beschäftigt, entweder parallel oder abwechselnd. 
 
Das methodische Setting umfasst die Auswertung statistischer Daten des Mikrozensus und der Künstlersozialkasse (KSK) sowie die Befragung von rund 1.600 Soloselbstständigen und hybrid Erwerbstätigen in der KKW und in Kulturberufen mittels einer Online-Umfrage im ersten Quartal 2024. Ergänzt werden die Befunde durch die Beteiligung von Branchenakteur*innen sowie eine Analyse bestehender Informationsangebote. 
 
Kernergebnisse
 
Die Sekundärdatenanalyse zeigt, dass Soloselbstständigkeit in Kultur- und Kreativberufen von hoher Bedeutung ist: Laut Mikrozensus waren im Jahr 2022 von den rund 1,8 Millionen Soloselbstständigen 562.000 in Kultur- und Kreativberufen tätig, also etwa jeder jede*r Dritte. Bezogen auf alle Erwerbstätigen in Kultur- und Kreativberufen lag der Anteil der Soloselbstständigen bei 13 Prozent und damit mehr als dreimal so hoch wie bei den Erwerbstätigen insgesamt (rund 4%). Für den Zeitraum seit 2012 zeigt sich jedoch, dass die Zahl der Soloselbstständigen (insgesamt und in den Kultur- und Kreativberufen) rückläufig ist und um ein Fünftel abgenommen hat; besonders deutlich wird dies in den "Corona-Jahren" 2020 bis 2022. Auch die Versichertenzahlen der KSK verweisen auf einen Rückgang im Kulturbereich hin, insbesondere in den Berufsgruppen Wort und Musik. Demgegenüber ist die Zahl der abhängig Erwerbstätigen in Kultur- und Kreativberufen im betrachteten Zeitraum nahezu kontinuierlich gestiegen.
 
Ähnlich wie die Soloselbstständigkeit ist auch die Ausübung hybrider Erwerbstätigkeit durch Kultur- und Kreativberufe geprägt: Im Jahr 2022 waren laut Mikrozensus von den rund 100.000 hybrid Erwerbstätigen 40 Prozent in Kultur- und Kreativberufen tätig. Diese Zahl war bis 2019 relativ stabil und gewinnt nach einem Rückgang während der Corona-Pandemie an Bedeutung.
 
Im Vergleich zu den Erwerbstätigen in der Gesamtwirtschaft zeigen sich verschiedene Unterschiede: So gehören Soloselbstständige in Kultur- und Kreativberufen (und Soloselbstständige insgesamt) zu einem vergleichsweise hohen Anteil der Altersgruppe "55 Jahre und älter" an (37%; Erwerbstätige insgesamt: 26%). Sie zeichnen sich zudem durch ein hohes Bildungsniveau aus; rund 60 Prozent verfügen über einen Hochschulabschluss (Erwerbstätige insgesamt: 33%). Unterschiede zeigen sich auch in der Geschlechterverteilung: Soloselbstständigkeit in Kultur- und Kreativberufen wird tendenziell häufiger von Männern ausgeübt (61%, Erwerbstätige gesamt: 53%).
 
Zur wirtschaftlichen Situation
 
Mit Blick auf die wirtschaftliche Situation fällt die heterogene Einkommenssituation innerhalb der Gruppe der Soloselbstständigen in Kultur- und Kreativberufen auf: Jede*r vierte verdiente 2022 laut Mikrozensus weniger als 1.000 Euro netto im Monat, jede*r fünfte mehr als 3.000 Euro netto. Damit haben Soloselbstständige deutlich häufiger sehr niedrige Einkommen als Erwerbstätige insgesamt in Deutschland (15% unter 1.000 Euro), im oberen Einkommensbereich ist der Anteil vergleichbar. Überwiegend wird in Vollzeit oder vollzeitnah gearbeitet. Die Jahresarbeitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit liegen bei Vollzeitbeschäftigten im Median bei 18.750 Euro (nach Abzug von Betriebsausgaben). Bei fast der Hälfte der Befragten lag das Jahresarbeitseinkommen im Jahr 2023 unter 15.000 Euro, bei rund einem Viertel zwischen 15.000 und 25.000 Euro. Zum Vergleich: 15.000 Euro netto wurden für das Jahr 2022 als Schwellenwert der Armutsgefährdungsgrenze für eine alleinlebende Person in Deutschland festgelegt. Auch wenn ein Teil der Soloselbständigen hohe Einkünfte erzielt, sind die Einkommen insgesamt unterdurchschnittlich.
 
Deutliche Unterschiede zeigen sich dabei nach Geschlecht. Während der Anteil derjenigen, die in Vollzeit arbeiten, bei den Männern im Jahr 2022 bei 56 Prozent lag, war er bei den Frauen mit 32 Prozent deutlich geringer. Dies wirkt sich negativ auf die Einkommenssituation der Frauen aus. Entsprechend liegen die Einkommen der Frauen bereinigt um den Erwerbsumfang im Durchschnitt 15 Prozent unter denen der Männer; bei in Vollzeit beschäftigten Frauen ist der Gender Pay Gap mit 24 Prozent am höchsten.
 
Auch bei den Haushaltseinkommen der Befragten zeigt sich eine Heterogenität sowie ein Schwerpunkt im niedrigen Einkommensbereich. Danach lag das Haushaltsbruttoeinkommen der Befragten im Jahr 2023 im Median bei 24.375 Euro. Auch hier werden die Einkommensunterschiede von Soloselbstständigen und hybrid Erwerbstätigen deutlich: Gewichtet lag das Brutto-Haushaltseinkommen von Soloselbstständigen 2023 im Median bei 23.125 Euro, bei den hybrid Erwerbstätigen bei 31.250 Euro. Hybrid Erwerbstätige bewerten ihre wirtschaftliche Situation entsprechend zu einem etwas höheren Anteil von 35 Prozent als gut oder sehr gut als Soloselbstständige (25%).
 
Die Arbeit der Soloselbstständigen und hybrid Erwerbstätigen ist überwiegend durch mehrere Standbeine geprägt: über 60 Prozent aller Befragten üben mehr als einen Beruf/eine Tätigkeit aus, rund die Hälfte sind in zwei oder mehr Teilmärkten aktiv, bei 78 Prozent setzt sich das Einkommen aus verschiedenen Einkommensarten zusammen. Auch mit Blick auf die Auftraggeber*innen und Kund*innen zeigt sich ein breites Spektrum: Jeweils rund zwei Drittel arbeiten für öffentliche Auftraggeber*innen und Unternehmen, 45 Prozent für den Non-Profit-Bereich. Darüber hinaus ist die Kunst- und Kulturförderung eine wichtige Einkommensquelle. Fast die Hälfte der Befragten hat in den letzten fünf Jahren Kunst- und Kulturförderung erhalten. Sie kommen häufig aus den klassischen Kulturbereichen; zudem ist der Anteil der Empfänger*innen bei Jüngeren und bei Frauen etwas höher.
 
Jede*r fünfte Befragte ist zudem hybrid erwerbstätig und übt neben der selbstständigen Tätigkeit auch eine abhängige Erwerbstätigkeit aus. Gründe für die angestellte Tätigkeit sind insbesondere die soziale Absicherung und die Sicherung des Lebensunterhalts. So erzielen hybrid Erwerbstätige deutlich höhere Einkommen als Soloselbstständige - vor allem aus ihrer abhängigen Beschäftigung. Insgesamt planen jedoch nur wenige einen Wechsel der Erwerbsform, jede*r vierte Soloselbstständige erwägt allerdings eine zusätzliche angestellte Tätigkeit.
 
Zur sozialen Sicherung
 
Angesichts der oft geringen Einkommen kommt der sozialen Absicherung über die Künstlersozialkasse (KSK) eine besondere Bedeutung zu. Von den Befragten waren rund zwei Drittel in der KSK versichert. Die Mitgliedschaft in der KSK ist jedoch an verschiedene Zugangsvoraussetzungen geknüpft. Gründe für eine Nichtversicherung waren dementsprechend insbesondere, dass die Befragten nicht zum versicherungspflichtigen Personenkreis gehörten oder die Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit zu gering waren. 
 
Die häufig niedrigen Einkommen wirken sich auf die Möglichkeiten für die Beitragszahlungen in die Rentenversicherung aus und schlagen sich in geringen Rentenerwartungen nieder. So liegt der eigene monatliche Beitrag zur Rentenversicherung bei den Befragten im Median bei rund 150 Euro. Gut 40 Prozent haben mit einer privaten Altersvorsorge vorgesorgt (darunter 93% zusätzlich zur gesetzlichen Rentenversicherung); hier liegen die Beiträge im Median bei 145 Euro. Für mehr als die Hälfte der Befragten ist eine zusätzliche Altersvorsorge aus finanziellen Gründen nicht möglich. Zudem war jede*r Zehnte zum Zeitpunkt der Befragung nicht rentenversichert - vor allem Jüngere in der Altersgruppe unter 35 Jahren (17%). Dementsprechend geht ein hoher Anteil von 80 Prozent der Befragten davon aus, dass die Rente im Alter nicht ausreichen wird, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Krankenversicherungsbeiträge der Befragten liegen im Median bei 180 Euro pro Monat. Hinzu kommt, dass eine große Mehrheit der Befragten nicht über eine Krankentagegeld-, Unfall- oder Berufsunfähigkeitsversicherung abgesichert ist. 
 
Die Auswirkungen niedriger Einkommen zeigen sich auch bei der Möglichkeit, finanzielle Rücklagen bilden zu können. Demnach verfügen 40 Prozent der Befragten über keinerlei Rücklagen für das Alter. Analog zu den Einkommensunterschieden nach Geschlecht zeigt sich, dass Männer (49%) häufiger über Ersparnisse verfügen als Frauen (39%). Auch sind die Rücklagen bei den Männern mit 70.000 Euro im Median höher als bei den Frauen (50.000 Euro). 
 
Selbstständige sind (im Gegensatz zu abhängig Beschäftigten) zudem nicht per se gegen Arbeitslosigkeit versichert. Eine freiwillige Versicherung bei der Bundesagentur für Arbeit wird nur von acht Prozent der Befragten genutzt. Dem steht ein hoher Anteil an Befragten gegenüber, die Phasen ohne Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit überbrücken müssen: Eine deutliche Mehrheit hatte in den letzten fünf Jahren (2019 bis 2023) mindestens eine Phase ohne Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit; besonders ausgeprägt war dies im ersten Pandemie-Jahr (2020) mit einem Anteil von 82 Prozent, der 2023 aber immer noch bei rund zwei Dritteln (67%) lag. 
 
Auswirkungen der Corona-Pandemie
 
Während der Pandemie war die KKW mit erheblichen Einschränkungen konfrontiert, die zu finanziellen Auswirkungen führten. Der Vergleich der Einkommen in den Jahren 2019 bis 2023 zeigt, dass die Medianeinkommen im ersten Corona-Jahr 2020 am niedrigsten sind, ab 2021 auf das Niveau von 2019 ansteigen und danach kontinuierlich leicht zunehmen. Die Auswirkungen der Pandemie auf die wirtschaftliche Situation werden von 46% der befragten Kunst- und Kulturschaffenden aus heutiger Sicht als Verschlechterung bewertet, während ein etwa gleich großer Teil der Befragten entweder keine Veränderung (34%) oder sogar eine Verbesserung der finanziellen Situation (15%) sieht. Rund ein Viertel der Befragten hat die Folgen der Pandemie durch zusätzliche Tätigkeiten abgefedert.
 
Zur wirtschaftlichen Stabilisierung haben die Corona-Wirtschaftshilfen beigetragen. 60 Prozent der Befragten geben in Bezug auf ihre selbstständige Tätigkeit an, in den Jahren 2020, 2021 und/oder 2022 eine Corona-Förderung erhalten zu haben. Unterschiede zeigen sich unter anderem nach Alter und Erwerbsform: Jüngere Menschen unter 35 Jahre haben etwas seltener eine Förderung in Anspruch genommen, ebenso wie hybrid Erwerbstätige. 
 
Bedarfe
 
Im Rahmen der Studie wurden auch Informations- und Weiterbildungsangebote für Soloselbstständige und hybrid Erwerbstätige recherchiert. Es gibt zwar vielfältige Angebote von Wirtschaftsförderungen, Branchenverbänden und Fördernetzwerken, die sich entweder an die gesamte Kreativbranche oder an einzelne Teilmärkte richten. Diese sind aber nach den Befragten nur schwer auffindbar. Zudem wird die Vorbereitung auf die Selbstständigkeit im Rahmen von Ausbildung/ Studium als nicht ausreichend bewertet. Besonders hoher Beratungsbedarf wird bei den Themen Steuern, KSK und Altersvorsorge gesehen.
 
Aus den Ergebnissen der Studie lassen sich als einige Kernbedarfe ableiten: die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation, z. B. durch Honorar-Mindeststandards als Förderbedingung auf allen Förderebenen und transparente, auskömmliche Kalkulationsstandards; Ausbau der sozialen Sicherung; Abbau geschlechtsspezifischer Ungleichheiten, z. B. durch Sichtbarkeit von Künstlerinnen und familiengerechte Konditionen in allen Formen der Kunst- und Kulturförderung; Weiterentwicklung der Wirtschaftsförderung und der Kunst- und Kulturförderung, z. B. durch technologiefeste Urheber- und Leistungsschutzrechte und einen bedarfsorientierten Ausbau von Förderprogrammen; Weiterentwicklung von Angeboten zum Berufseinstieg und zur Qualifizierung, z. B. durch die Integration von unternehmerischen Aspekten in die Lehrpläne von Ausbildung und Studium.
 
Eine detaillierte Darstellung aller Ergebnisse und der vorgeschlagenen Handlungsoptionen wird im Abschlussbericht nachzulesen sein. Die Veröffentlichung ist für Anfang 2025 vorgesehen.

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