07.02.2008
Autor*in
Eva M. Reussner
arbeitet beim Institut für Wissensmedien Tübingen und promoviert beim Institut für Museumskunde der Staatlichen Museen Berlin zum Thema "Anwendung und Wirksamkeit von Publikumsforschung für Museen und Ausstellungsinstitutionen im Kontext des Museumsmanagements".
Best Practice
Ein Museum erfindet sich neu
Zum 1. Januar 2008 wurde das Linden-Museum in einen Landesbetrieb umgewandelt. Ein Prozess der Neuorientierung ist im Gang.
Ein Staatliches Museum für Völkerkunde, abseits der Stuttgarter "Museumsmeile" gelegen, den Sparzwängen des Landes unterworfen, mit dem Neuen Mercedes Benz Museum und großen Landesausstellungen als Konkurrenten um die Freizeit und Aufmerksamkeit des Publikums hat es wahrlich nicht leicht. Doch das Linden-Museum ist fest entschlossen, sich diesen Herausforderungen zu stellen, und wir sind Zeuge eines Museums im Wandel. Einen Blick hinter die Kulissen gewährte Martin Otto-Hörbrand, Absolvent des Studiengangs Kulturmanagement an der PH Ludwigsburg, der seit dem Jahr 2000 am Linden-Museum zuständig ist für Marketing und PR.
Wer das Linden-Museum besucht, macht einen Spaziergang rund um die Welt: durch einen Markt im nigerianischen Sahil, an der Fassade des Palastes des Königs von Oku im Kameruner Grasland vorbei, eine afghanische Bazarstraße entlang hin zu einem ostasiatischen Teehaus und Wohnraum. Aus Masken, Figuren, Mobiliar, Keramik, Kalligraphie, Architekturfragmenten und vielem mehr setzt sich ein Bild verschiedenster Kulturen in Afrika, Nord- und Südamerika, dem Orient, Ost- und Südasien und Ozeanien zusammen. Ein tibetisches Sandmandala wurde 1992 im Linden-Museum gestreut und - entgegen dem Brauch - mit Erlaubnis des Dalai Lama konserviert. Das Linden-Museum besitzt die zweitgrößte Sammlung völkerkundlicher Objekte in Deutschland mit weltweit nachgefragten Spitzenobjekten, die in der Kolonialzeit, aber auch darüber hinaus bis ins späte 20. Jahrhundert gesammelt wurden. Von rund 160.000 Objekten können derzeit maximal 5 Prozent in den Ausstellungen gezeigt werden. Die Begegnung mit fremden Kulturen wird über die Ausstellung hinaus unterstützt durch vielfältige Begleitprogramme sowie Kulturreisen mit Zielen von Marokko bis nach China und Usbekistan.
Hervorgegangen ist das Linden-Museum aus dem 1882 gegründeten "Württembergischen Verein für Handelsgeographie und Förderung Deutscher Interessen im Ausland e.V.", der - nun als "Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart e.V." - das Museum weiterhin als Förderverein eng begleitet. Der deutsche Kolonialismus blüht und die Völkerkunde hält Einzug in Universitäten und Museen, als Karl Graf von Linden 1889 den Vereinsvorsitz übernimmt. Er betreibt äußerst rege den Aufbau einer völkerkundlichen Sammlung und setzt sich ein für die Etablierung eines Museums für Länder- und Völkerkunde mit einem eigenen Museumsgebäude in Stuttgart. Als das Gebäude 1911 eingeweiht wird, macht man den im Jahr zuvor verstorbenen Grafen von Linden zum Namensgeber für sein "Archiv der Menschheitskulturen". Nach umfangreicher Zerstörung von Gebäude und Sammlungsbeständen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und dem rasch begonnenen Wiederaufbau mit Hilfe der Stadt Stuttgart wird das Museum 1973 verstaatlicht und seitdem von der Stadt Stuttgart und dem Land Baden-Württemberg zu gleichen Teilen getragen. Zum 1. Januar 2008 wurde das Linden-Museum in einen Landesbetrieb umgewandelt, ebenso wie die Staatsgalerie Stuttgart, das Landesmuseum Württemberg und die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden. Die Erfahrungen am Badischen Landesmuseum, das seit Anfang 2003 Landesbetrieb ist, bestärkten diesen Beschluss, durch strukturelle Maßnahmen die Eigenverantwortung der staatlichen Museen zu stärken und den Imperativ der Wirtschaftlichkeit zu unterstreichen.
Angesichts der Finanzsituation bleibt den Landesmuseen schon seit geraumer Zeit nichts anderes übrig, als die vorhandenen Ressourcen sehr gezielt einzusetzen. Eine überkommene Personalstruktur aus den 1970er Jahren, deren Aufgabengliederung der inzwischen so stark gewachsenen Bedeutung der Ausstellungsaufgabe und der Besucherorientierung kaum Rechnung trägt, erleichtert die Situation des Linden-Museums dabei nicht. Die Eigenständigkeit als Landesbetrieb soll nun eine größere Flexibilität bringen, auch hinsichtlich des Stellenplans, damit sich das Museum tatkräftig den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen stellen kann. Dazu gehört die Frage, wie es gelingen kann, bei zunehmender kultureller Konkurrenz durch die lokalen Museen und große Landesausstellungen, die Besuchszahlen zu erhöhen und ein größeres Publikum für das Linden-Museum zu gewinnen. Und dies in einer Zeit, da ethnologische Museen insgesamt Schwierigkeiten mit schwindenden Besuchszahlen haben. Die Randlage, eine unbefriedigende Parkplatzsituation sowie die benachbarte Großbaustelle sind für das Linden-Museum dabei schwierige Ausgangspunkte.
Um die Zukunft erfolgreich zu gestalten, durchläuft das Museum derzeit einen Prozess der Strategieentwicklung, in den Mitarbeiter aus allen Reihen bis hin zu den Aufsichten einbezogen sind. Die Neuorientierung beinhaltet die Erstellung eines neuen Leitbilds ebenso wie die Neukonzeption der Dauerausstellung, die stärker auf Familien als zentrale Zielgruppe ausgerichtet sein und zugleich mit dem Aufgreifen von Themen wie Globalisierung und interkultureller Dialog auf aktuelle gesellschaftspolitische Zeitfragen eingehen wird. Außerdem soll es mehr Raum für Sonderausstellungen geben. Erfreulich ist dabei insbesondere die Tatsache, dass der Marketing-Verantwortliche als Anwalt des Publikums in strategische Fragen wie die Planung künftiger Ausstellungsthemen einbezogen wird. In diesem Veränderungsprozess gibt sich das Museum die Chance, Publikumsbelange stärker in die Museumsarbeit einfließen zu lassen und ein neues Denken aufzubauen, bei dem gewachsene Hierarchien und Aufgabenstrukturen durch Teamorientierung und eine gemeinsam verfolgte, übergreifende Zielrichtung abgelöst werden. Und vielleicht, vielleicht wird ja die Initiative "Stuttgart 21" das Museum stärker ins (Stadt-)Zentrum rücken.
Das Linden-Museum Stuttgart zeigt noch bis 27. April 2008 die Sonderausstellung
"Von Kapstadt bis Windhuk: "Hottentotten" oder Khoekhoen?".
Wer das Linden-Museum besucht, macht einen Spaziergang rund um die Welt: durch einen Markt im nigerianischen Sahil, an der Fassade des Palastes des Königs von Oku im Kameruner Grasland vorbei, eine afghanische Bazarstraße entlang hin zu einem ostasiatischen Teehaus und Wohnraum. Aus Masken, Figuren, Mobiliar, Keramik, Kalligraphie, Architekturfragmenten und vielem mehr setzt sich ein Bild verschiedenster Kulturen in Afrika, Nord- und Südamerika, dem Orient, Ost- und Südasien und Ozeanien zusammen. Ein tibetisches Sandmandala wurde 1992 im Linden-Museum gestreut und - entgegen dem Brauch - mit Erlaubnis des Dalai Lama konserviert. Das Linden-Museum besitzt die zweitgrößte Sammlung völkerkundlicher Objekte in Deutschland mit weltweit nachgefragten Spitzenobjekten, die in der Kolonialzeit, aber auch darüber hinaus bis ins späte 20. Jahrhundert gesammelt wurden. Von rund 160.000 Objekten können derzeit maximal 5 Prozent in den Ausstellungen gezeigt werden. Die Begegnung mit fremden Kulturen wird über die Ausstellung hinaus unterstützt durch vielfältige Begleitprogramme sowie Kulturreisen mit Zielen von Marokko bis nach China und Usbekistan.
Hervorgegangen ist das Linden-Museum aus dem 1882 gegründeten "Württembergischen Verein für Handelsgeographie und Förderung Deutscher Interessen im Ausland e.V.", der - nun als "Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart e.V." - das Museum weiterhin als Förderverein eng begleitet. Der deutsche Kolonialismus blüht und die Völkerkunde hält Einzug in Universitäten und Museen, als Karl Graf von Linden 1889 den Vereinsvorsitz übernimmt. Er betreibt äußerst rege den Aufbau einer völkerkundlichen Sammlung und setzt sich ein für die Etablierung eines Museums für Länder- und Völkerkunde mit einem eigenen Museumsgebäude in Stuttgart. Als das Gebäude 1911 eingeweiht wird, macht man den im Jahr zuvor verstorbenen Grafen von Linden zum Namensgeber für sein "Archiv der Menschheitskulturen". Nach umfangreicher Zerstörung von Gebäude und Sammlungsbeständen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und dem rasch begonnenen Wiederaufbau mit Hilfe der Stadt Stuttgart wird das Museum 1973 verstaatlicht und seitdem von der Stadt Stuttgart und dem Land Baden-Württemberg zu gleichen Teilen getragen. Zum 1. Januar 2008 wurde das Linden-Museum in einen Landesbetrieb umgewandelt, ebenso wie die Staatsgalerie Stuttgart, das Landesmuseum Württemberg und die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden. Die Erfahrungen am Badischen Landesmuseum, das seit Anfang 2003 Landesbetrieb ist, bestärkten diesen Beschluss, durch strukturelle Maßnahmen die Eigenverantwortung der staatlichen Museen zu stärken und den Imperativ der Wirtschaftlichkeit zu unterstreichen.
Angesichts der Finanzsituation bleibt den Landesmuseen schon seit geraumer Zeit nichts anderes übrig, als die vorhandenen Ressourcen sehr gezielt einzusetzen. Eine überkommene Personalstruktur aus den 1970er Jahren, deren Aufgabengliederung der inzwischen so stark gewachsenen Bedeutung der Ausstellungsaufgabe und der Besucherorientierung kaum Rechnung trägt, erleichtert die Situation des Linden-Museums dabei nicht. Die Eigenständigkeit als Landesbetrieb soll nun eine größere Flexibilität bringen, auch hinsichtlich des Stellenplans, damit sich das Museum tatkräftig den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen stellen kann. Dazu gehört die Frage, wie es gelingen kann, bei zunehmender kultureller Konkurrenz durch die lokalen Museen und große Landesausstellungen, die Besuchszahlen zu erhöhen und ein größeres Publikum für das Linden-Museum zu gewinnen. Und dies in einer Zeit, da ethnologische Museen insgesamt Schwierigkeiten mit schwindenden Besuchszahlen haben. Die Randlage, eine unbefriedigende Parkplatzsituation sowie die benachbarte Großbaustelle sind für das Linden-Museum dabei schwierige Ausgangspunkte.
Um die Zukunft erfolgreich zu gestalten, durchläuft das Museum derzeit einen Prozess der Strategieentwicklung, in den Mitarbeiter aus allen Reihen bis hin zu den Aufsichten einbezogen sind. Die Neuorientierung beinhaltet die Erstellung eines neuen Leitbilds ebenso wie die Neukonzeption der Dauerausstellung, die stärker auf Familien als zentrale Zielgruppe ausgerichtet sein und zugleich mit dem Aufgreifen von Themen wie Globalisierung und interkultureller Dialog auf aktuelle gesellschaftspolitische Zeitfragen eingehen wird. Außerdem soll es mehr Raum für Sonderausstellungen geben. Erfreulich ist dabei insbesondere die Tatsache, dass der Marketing-Verantwortliche als Anwalt des Publikums in strategische Fragen wie die Planung künftiger Ausstellungsthemen einbezogen wird. In diesem Veränderungsprozess gibt sich das Museum die Chance, Publikumsbelange stärker in die Museumsarbeit einfließen zu lassen und ein neues Denken aufzubauen, bei dem gewachsene Hierarchien und Aufgabenstrukturen durch Teamorientierung und eine gemeinsam verfolgte, übergreifende Zielrichtung abgelöst werden. Und vielleicht, vielleicht wird ja die Initiative "Stuttgart 21" das Museum stärker ins (Stadt-)Zentrum rücken.
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