03.04.2023
Buchdetails
Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt: 50 verhaltensökonomische Erkenntnisse
von Matthias Sutter
Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co
Seiten: 288
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Autor*in
Kristin Oswald
leitet die Online-Redaktion von Kultur Management Network. Sie studierte Geschichte und Archäologie in Jena und Rom sowie Social Media-Marketing in Berlin. Sie ist freiberuflich in der Wissenschaftskommunikation und im Museumsmarketing mit Schwerpunkt online tätig.
Buchrezension
Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt
Der Arbeitsmarkt und die Arbeitsweisen im Kulturbereich verändern sich. Institutionen müssen deshalb schon jetzt auf die gestiegenen Ansprüche bei Mitarbeiter*innen und den Fachkräftemangel reagieren. Warum dies nicht auf eine wissenschaftliche Basis stellen, etwa mit dem Buch "Der menschliche Faktor"?
Der Arbeitsmarkt im Kulturmanagement hat sich lange von dem anderer Branchen unterschieden. Dazu gehören beispielsweise der mangelnde Fokus auf Führungskompetenzen bei Leitungsstellen, die Geringschätzung nicht-künstlerischer Tätigkeiten, die schlechte Bezahlung und häufig Behandlung sowie der erschreckend hohe Anteil an Befristungen. Einige Charakteristika erklären sich aus der Besonderheit der Ziele und Strukturen des Sektors, andere aus den Vorgaben der öffentlichen Verwaltung oder aus der hohen Zahl an Menschen, die bereit waren, zu fast jedem Preis in der Kultur zu arbeiten. Doch die meisten dieser Aspekte ändern sich zwangsläufig, denn immer weniger Menschen wollen in Kultureinrichtungen arbeiten. Zugleich hat das Publikum neue Ansprüche und die Mitarbeiter*innen fordern bessere Arbeitsbedingungen, Aufstiegschancen und Mitbestimmungsmöglichkeiten.
Kultureinrichtungen müssen sich also anpassen, um auf dem Kulturarbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben, Personal anzuziehen und zu halten. Das können die Organisationen nutzen, um Abläufen, die auf Tradition und Bauchgefühl basieren, auf fundierte Strukturen umzustellen. Eine hilfreiche Basis dafür ist die verhaltensökonomische Forschung, die sich mit Verhaltensweisen im Arbeitskontext befasst und dabei schmerzhafte Wahrheiten ans Licht bringt. Genau dies will Martin Sutter mit seinem Buch "Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt", erschienen 2022 im Carl Hanser Verlag: die Ursachen der Beziehungen zwischen Arbeitgeber*innen und Arbeitnehmer*innen beleuchten.
Aufbau des Buches
Sutter ist Professor für Volkswirtschaft und damit bestens geeignet für dieses Ziel. Er trägt im Buch auf ca. 270 Seiten fünfzig verhaltensökonomische, wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zum Berufsleben zusammen. Die Themen der 13 großen Abschnitte behandeln dabei unter anderem Berufseinstieg und -wechsel, Personalauswahl, Teamwork, Gehalt, Moral und Leadership. Der Großteil des Buches ist also für Personalverantwortliche und Entscheider*innen gedacht und wichtig, um die eigenen Vorgehensweisen zu reflektieren. Doch die Publikation enthält auch Erkenntnisse für Arbeitnehmer*innen zu Karriere, Arbeitsverhalten, Bewerbungen und Kompetenzanforderungen. Zudem werden Querschnittsthemen wie Vorurteile, Motivation, Transparenz und Unternehmenskultur immer wieder behandelt.
Jede Studie wird auf ca. vier Seiten vorgestellt, jeweils inklusive einer Kurzfassung der Kernerkenntnis. Manche wurden in realen Unternehmen und Institutionen durchgeführt, andere sind Laborexperimente. Zu jeder Studie gibt es im Anhang den Literaturverweis zum originalen Forschungspaper. Am Ende des Buches sind zudem alle Kurzfassungen noch einmal gesammelt, sodass Leser*innen mit wenig Zeit sich hier auf wenigen Seiten die zentralen Aussagen aneignen können.
Das Buch ist nicht auf den Kulturbereich ausgelegt und das ist gut so, denn so behandelt es auch Phänomene, die dort (noch) nicht auftreten, aber wichtig sind. Entsprechend sind viele Erkenntnisse übertragbar, während sich andere spezifisch mit marktwirtschaftlichen Unternehmen oder Aspekten wie Gehaltsverhandlungen oder Produktionsproduktivität beschäftigen. Hier mag die Übertragbarkeit etwas schwieriger sein, erhellend und informativ ist es dennoch.
Eine Potpourri an Wissen
Wer sich mit Themen des Berufslebens beschäftigt, ist sicherlich auf manche der im Buch erwähnten Studien schon einmal aufmerksam geworden. So überrascht es wenig, von Hutter zu erfahren:
- dass Fotos und die Nennung von Namen in Bewerbungen Diskriminierung fördern können,
- dass sich die Reihenfolge der Vorstellungsgespräche auf die Erfolgschancen der Kandidat*innen auswirkt
- oder dass blinde Vorspiele dafür sorgen, dass Musiker*innen in Bewerbungsverfahren gleichberechtigter auf Basis ihrer tatsächlichen Qualifikationen bewertet werden.
Doch war Ihnen auch bewusst, dass der Grund für Ungleichbehandlung in Organisationen nicht zwingend (unbewusste) Vorurteile sind, sondern häufig die Überschätzung des Faktors Ähnlichkeit? Entscheider*innen gehen meist davon aus, sie ihren Job gut machen. Sie stellen ihnen ähnliche Menschen ein oder bevorzugen diese, weil sie davon ausgehen, dass diese den Job wohl ebenfalls gut machen werden. Das verhindert Diversität und Innovation und begünstigt eine Buddykultur, also die Bevorzugung von "Kumpels", was bspw. Frauen oder Menschen anderer Backgrounds häufig ausschließt. Dass dabei Selbstdarstellung im Vergleich zu tatsächlichen Qualifikationen eine große Rolle spielt, zeigt Sutter ebenfalls: So steigen Frauen unter anderem deshalb seltener in Führungspositionen auf, weil sie eher weniger wettbewerbsbereit sind als Männer und seltener Teil der Buddykultur. Weil sie sich zugleich aber weniger überschätzen, sei es umso wichtiger, Frauen einzustellen und in den Einstellungsverfahren mehr auf Kompetenzen als auf die Selbstdarstellung der Bewerber*innen zu fokussieren.
Nun mögen Sie denken, dass Sie das natürlich schon tun - doch sind Sie sich sicher, dass Sie auch die richtigen Kompetenzen suchen und diese gut einordnen können? Sutter verdeutlicht, dass auch erfahrene Führungspersonen und Personalverantwortliche deutlich seltener fundiert entscheiden als gedacht. Solche Einsichten des Buches fördern die Selbstreflektion und provozieren Fragen wie: Haben Entscheider*innen einer (Kultur-)Organisation ihre Stelle vielleicht durch Buddykultur und gute Selbstdarstellung bekommen und (doch) nicht, weil sie so gut sind, wie sie denken? Und wenn ja, was bedeutet das für die Organisation und ihre Prozesse?
Einige der Antworten liefert die Publikation ebenfalls gleich mit: So zeigt sie auf, dass auf künstlicher Intelligenz basierende Auswahlsysteme eine hilfreiche Unterstützung bei Bewerbungsprozessen sein können. Die Personalauswahl nur auf Basis der Erfahrung von Entscheider*innen schneidet im Vergleich deutlich schlechter ab. Auf die mitunter diskriminierenden Entscheidungskriterien von KI geht die von Sutter vorgestellte Studie nicht ein (oder zumindest erwähnt er dies nicht). Er erklärt aber, dass der Algorithmus in der nicht nur auf Basis der Lebensläufe entschied, sondern anhand umfangreicher Fragen zum Werdegang sowie Kompetenztests, wodurch ggf. bestehende Vorurteile ausgeglichen werden können. In Hinblick auf die Buddykultur ist auch die Erkenntnis beachtenswert, dass Stellenbesetzungen aufgrund von Empfehlungen bestehender Mitarbeiter*innen (nicht der Entscheider*innen) zu einer besseren Passung des empfohlenen Personals sowie zu längeren Verbleibzeiten sowohl der bestehenden als auch der empfohlenen Mitarbeiter*innen führen können - natürlich sofern Kompetenzanforderungen erfüllt werden.
Wie wichtig die Übereinstimmung der Ziele der Mitarbeiter*innen mit der Mission und der tatsächlichen Arbeitskultur einer Organisation ist, macht Sutter ebenfalls deutlich: Passt alles zusammen, steigert dies die Produktivität und Zufriedenheit. Doch wie häufig ist das in Kultureinrichtungen tatsächlich der Fall? Wie viele Kultureinrichtungen sehen ihre Mission in Demokratisierung und einer Förderung von Reflexion und Gleichberechtigung in der Gesellschaft, sind aber zugleich selbstbezogen, hierarchisch und idealisieren schlechte Arbeitsbedingungen? Dabei, so erklärt Sutter, erhöhen Mitbestimmungsmöglichkeiten die Kooperationsbereitschaft und verringern Trittbrettfahrerverhalten.
Das gilt gerade für Führungspersonen. Sie sind dann am erfolgreichsten und leiten die am besten funktionierenden Organisationen, wenn:
- sie selbst als gutes Beispiel vorangehen und sich fair verhalten,
- Erwartungen klar kommunizieren,
- ihre Mitarbeiter*innen coachen und fördern und
- ein positives Arbeitsklima herstellen.
Diese Qualitäten haben entscheidenden Einfluss auf Zufriedenheit und Engagement der Mitarbeiter*innen. Und wir erinnern uns: Die Arbeitskultur ist ein zentraler Faktor in Zeiten des Fachkräftemangels, auch und gerade im Kulturbereich. Deshalb rät Sutter, nach Führungskräften des Typs "Leader" Ausschau zu halten, die eher langfristig und strategisch denken. Er verweist aber auch darauf, dass diese nur dann erfolgreich eine Organisation leiten können, wenn die Organisationskultur schon dazu passt oder Bereitschaft zur Veränderung besteht.
Besonders erkenntnisreich sind noch zwei weitere im Buch vorgestellte Studien. Die erste zeigt, dass wettbewerbsbereite Menschen eher in naturwissenschaftlichen Berufen arbeiten. Bedeutet das im Umkehrschluss, dass der Kulturbereich eher die berufliche Heimat von wettbewerbsscheuen Menschen ist? Und erklärt dies zusammen mit der beschriebenen Wettbewerbsscheue den hohen Anteil an Frauen zumindest in gewissen Teil des Kulturbereichs?
Die zweite Studie fragt, wie man Organisationen so verändern kann, dass sie sich in Richtung bestimmter Ziele transformieren. Passenderweise ist das gewählte Beispiel Nachhaltigkeit, eines der vielen großen Themen, denen sich Kultureinrichtungen aktuell widmen müssen. Sutter zeigt, dass sich solche Vorhaben leichter umsetzen lassen, wenn man den einzelnen Mitarbeiter*innen konkrete, kleine, messbare Ziele vorgibt, bspw. das Einsparen von Müll oder Papier. Für die Umsetzungen in den Häusern selbst ist das sicherlich ein hilfreicher Tipp, doch was, wenn die Institutionen selbst eine Transformation brauchen? Ob das auch durch Vorgaben durch die Kulturpolitik funktioniert?
Fazit
"Der menschliche Faktor oder worauf es im Berufsleben ankommt" ist ein bunter Strauß an Wissen. Dank der übersichtlichen Länge und der Kurzzusammenfassungen am Ende kann man die Kapitel entweder einzeln bei Bedarf oder am Stück lesen. Trotz der wissenschaftlichen Basis schreibt Sutter verständlich und anschaulich. Die Vielfalt der abgedeckten Themen führt jedoch zwangsläufig zu einer gewissen Oberflächlichkeit. Dennoch oder gerade deshalb ist das Buch eine wunderbare Einstiegslektüre für Kulturmanager*innen, die sich der verhaltensökonomischen Forschung erstmals annähern wollen oder Impulse für ihre Organisation suchen. Und vielleicht ist es auch Inspiration für Forschende und Studierende, um zu überprüfen, inwieweit eine der vielen Erkenntnisse zu den Facetten des Berufslebens auch auf den Kulturbereich zutrifft. Wünschenswert wäre eine solche Forschung für den kulturellen Sektor in jedem Fall.
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