28.09.2020
Buchdetails
Handbuch Kulturtourismus im ländlichen Raum: Chancen - Akteure - Strategien
von Andrea Hausmann
Verlag: Transcript Verlag
Seiten: 164
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Autor*in
Sven Christian Finke-Ennen
studierte Betriebswirtschaft und ist systemischer Business- und Personal Coach. Er berät Kultureinrichtungen und Veranstalter und war Leiter des überregionalen Kulturmarketings der Osnabrück - Marketing und Tourismus GmbH. Seit 2020 ist er bei der Tourismusgesellschaft Osnabrücker Land mbH für die Bereiche Unternehmens- und Destinationsentwicklung sowie Kulturtourismus zuständig.
Buchrezension
Handbuch Kulturtourismus im ländlichen Raum. Chancen – Akteure – Strategien
Kulturtourismus ist ein wichtiges Thema für die Standortattraktivität einer Region und kann die Identität derselben stärken. Dennoch werden Kultureinrichtungen, besonders jene im ländlichen Raum, in der touristischen Kommunikation häufig wenig berücksichtigt. Woran das liegt und wie sich das ändern kann, verdeutlicht der Sammelband "Handbuch Kulturtourismus im ländlichen Raum".
"Eigentlich braucht man einen solchen Band nicht, weil der Tourismus boomt", schreibt Dr. Heike Dölling, Geschäftsführerin Tourismus NRW e.V., in ihrem Grußwort zum Handbuch, das 2020 bei transcript erschien. Sollte das auch nach der Corona-Pandemie wieder gelten, wird die besondere Betrachtung des Bereiches Kulturtourismus aktuell bleiben. Denn solange Kultureinrichtungen als "Geheimtipps" statt als Highlights gehandelt werden, dürften vor allem die Besucher_innenzahlen vieler dieser Kulturbetriebe weiterhin unter den Erwartungen bleiben. Da insbesondere die ländlichen Räume zwar großes Potenzial für den Kulturtourismus bieten, aber auch ihre Besonderheiten berücksichtigt werden müssen, hat Prof. Dr. Andrea Hausmann in ihrem Handbuch nun Beiträge von ausgewiesenen Expert_innen versammelt. Diese beleuchten den Bereich aus verschiedenen Perspektiven und stellen den aktuellen Sachstand dar.
Theoretische Grundlagen und Besonderheiten ländlicher Räume
In ihrer Einführung nimmt Hausmann eine Einordnung der Bedeutung des Tourismus und eine Abgrenzung des Begriffs des Kulturtourismus vor. Mittlerweile beschränkt sich dieser nicht mehr auf den Bereich der Städte oder Metropolen; es entwickelt sich der "ländliche Raum" als neuer Destinationstyp. Hervorzuheben ist dabei, dass, so unterschiedlich die einzelnen ländlichen Regionen in Bezug auf ihre geografische Lage, ihre Verwaltungsstrukturen und ihre Nähe zu urbanen Zentren sind, sich für die theoretische Betrachtung die Raumordnung als Abgrenzungsmerkmal anbietet: Der Ländliche Raum als ein Gebiet, das keinen Verdichtungsraum darstellt und nicht an einen solchen angrenzt. So lautet auch Hausmanns Definition dazu.
Weiterhin beschreibt sie einige Projekte zur Professionalisierung des Kulturtourismus in ländlichen Räumen. Sie benennt unter Bezugnahme auf die Kulturtourismusstudie 2018, ein Kooperationsprojekt des Instituts für Kulturmanagement der FH Ludwigsburg und der Agentur projekt2508, wesentliche Herausforderungen. Dazu zählen etwa eine unzureichende Infrastruktur und Erreichbarkeit, fehlende Ansprechpartner_innen als Kümmerer sowie wenig Vernetzung und fehlende Ressourcen.
Auf diese Studie geht auch Dr. Yvonne Pröbstle in ihrem Beitrag "Kulturtourismus auf dem Land oder die Dialektik des Tourismus" näher ein. Der Reiseboom im Rekordjahr 2018 brachte auch Herausforderungen wie das Phänomen Overtourism mit sich. Übermäßig erschlossene, meist städtische Destinationen werden dabei für Entdecker unattraktiv. Hier könnten ländliche Destinationen künftig Alternativen sein, allerdings greift dabei die Dialektik im Tourismus: Je mehr Gäste kommen, desto höher wird der Professionalisierungsdruck auf alle Beteiligten wie auch die Notwendigkeit der Profilierung. Das Fazit Pröbstles lautet daher: Dort, wo Kulturtourismus im ländlichen Raum sinnvoll möglich ist und erfolgreich praktiziert wird, sollten Themen wie Nachhaltigkeit mitgedacht werden - dann können die Regionen vom Geheimtipp zu neuen touristischen Hotspots avancieren. Wie aber genau die wünschenswerten frühzeitigen Maßnahmen aussehen sollen, mit denen dort, wo sich der Kulturtourismus erfolgreich entwickelt, den negativen Folgen eines dadurch möglichen Overtourism begegnet werden könnte, lässt Pröbstle in diesem Beitrag offen.
Potenziale des Zusammenspiels von Kulturtourismus und ländlichen Räumen
Potenziale des Zusammenspiels von Kulturtourismus und ländlichen Räumen
Ob man mit Kultur die touristische Entwicklung der ländlichen Regionen stärken kann, fragen Heike Bojunga und Thomas Feil zum Einstieg in ihrem Beitrag. Wie sich ländliche Regionen vermarkten können, die nicht mit touristischen Highlights oder Metropolen-Image aufwarten können, zeigen beide am Beispiel eines Förderprojekts "Die Destination als Bühne: Wie macht Kulturtourismus ländliche Regionen erfolgreich?" des BMWi auf. Aus den Erfahrungen der im Projekt untersuchten Modellregionen kondensieren Bojunga und Feil wesentliche Ansatzpunkte für DMOs und beschreiben deren Rolle sowie die der Kulturbetriebe. Bojunga und Feil stellen nachfolgend Fallstudien und Ergebnisse aus den Modellregionen des Projekts vor. Sie kommen zu dem Schluss, dass die wichtigste Aufgabe der DMOs die Moderation eines Prozesses ist, dessen Ziel sein muss, die Leistungsanbieter aktiv zu Kooperationen zu bewegen, um so strukturelle Grundlagen für einen erfolgreichen Kulturtourismus zu schaffen. All das bedarf nicht zu unterschätzender Rahmenbedingungen, die Bojunga und Feil auch klar benennen.
Zudem kann der Kulturtourismus in Regionen, in denen er bisher kaum Rolle spielt, zumindest "als Vehikel für einen Wertekonsens" fungieren. Dies zeigt Prof. Verena Teissl in ihrem Beitrag am Beispiel der alpinen Sportdestination Tirol. Dieser beruht auf einer Studie zum Kulturtourismus in Tirol, die sie mit Koautor Klaus Seltenheim 2017 durchführte. Dabei wurde deutlich, dass es kein gemeinsames Interesse von Tourismus- und Kultureinrichtungen zu geben scheint. Der Kulturtourismus könnte sich aber, so Teissl, als Mittler auf dem Weg zu einem Wertekonsens zwischen Kultur und Tourismus für die Entwicklung gemeinsame Strategien zu neuen Themengebieten eignen.
Einen Perspektivwechsel auf die Nachfrageseite nimmt Dr. Katja Drews vor. Auch wenn es zahlreiche Marktanalysen im Tourismus gibt, liegen im Bereich Kulturtourismus nur wenige belastbare Marktforschungsdaten vor. Effektive Kulturtourismus -Angebote kommen laut Drews nur dann zustande, wenn Intentionen und Interessen der Gäste einigermaßen bekannt sind und Anbieter diese entsprechend mit Angeboten und Ansprache erreichen können. Durch genaue Forschung der Attraktivität von Kulturangeboten für Touristen und Einheimische kann das Themenfeld Kulturtourismus unter bestimmten Rahmenbedingungen die Diskussion zwischen Tourismusorganisationen und Kulturanbietern effektiv befördern. Drews Fazit: Aus der Begegnung von Gästen und Einheimischen entsteht bei letzteren eine neue, positive Wahrnehmung ihrer Heimat. Gäste nehmen spezifische Lebenswirklichkeiten im ländlichen Raum (z.B. Zusammenhalt) positiv wahr. Die Wechselwirkung der Wahrnehmung führt zu einer Belebung und Verdichtung ländlicher Räume. Im Ergebnis sind Kulturtourismus -Produkte also erfolgreich in der Kombination der Anziehungskraft der Stätten des historischen Erbes mit ereignishaften, performativen Kulturangeboten. Drews verweist auf die Notwendigkeit der Beschäftigung mit beteiligungsorientiertem Tourismus, der Begegnungen von Einheimischen und Touristen an geeigneten, typischen Orten ermöglicht. Das bedeutet die Einbeziehung der Bewohner_innen in die touristische Strategie.
Alles in allem könnten diese Beiträge mit den vier Thesen aus Prof. Stefan Forsters Essay "Kulturtourismus in ländlichen Räumen in der Schweiz" zusammengefasst werden:
1. Kultur und Kreativwirtschaft können Treiber für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in ländlichen Räumen sein, wie es sich bereits bei den Städten gezeigt hat.
2. Inhalte des Kulturtourismus liefern Geschichten, die auch die Wahrnehmung einer Destination stärken können - Kultur als Unterscheidungsmerkmal oder Image-Faktor.
3. Kulturtourismus bringt Menschen, Einheimische und Gäste, zusammen und fördert das gegenseitige Verständnis. Inmitten der Globalisierung kann die Wiederentdeckung des Regionalen sinnstiftend verbinden.
4. Tourismusverantwortliche müssen mehr über die Kultur wissen, Kulturschaffende müssen dafür Berührungsängste abbauen, um sinnvolle Kooperationen eingehen zu können.
Praxisbeispiele
Wie nun ganz konkret und praktisch eine Kooperation von Tourismus-Organisation und Kulturanbietern aussehen kann, beschreibt Elke Witt anhand des Beispiels der WelterbeCard. Diese wurde als zentrales Marketinginstrument des Regionalverbandes in der Welterberegion Anhalt-Dessau-Wittenberg zum Luther-Jubiläumsjahr 2017 eingeführt. Gäste erhalten nach einmaliger Zahlung mit der Card Zugang zu 97 Attraktionen in der Region. Inzwischen hat die Card eine gute Akzeptanz gefunden und das Miteinander der Tourismus- und Kulturakteure gestärkt.
Ein weiteres Praxisbeispiel präsentiert Philipp Holz aus der Zugspitz-Region unter der Frage: Wie kann man analoge Attraktionen im Tourismus durch digitale Möglichkeiten in Wert setzen? Das BMWi geförderte Projekt "Die Legende der Ruf der Berge" vernetzt mit einem transmedialen Storytelling verschieden Attraktionen der Region und bezieht dabei die Gäste in die Steuerung der Geschichte aktiv ein. Holz geht auf die Herausforderungen ein, die sich im Laufe der Projektumsetzung ergaben sowie auf die Optionen für die weitere Entwicklung.
Als Herausforderungen benennt er die nicht immer passgenauen Strukturen der Projektförderung sowie Probleme bei der technischen Realisation. Auch die unerwartet niedrigen Anmeldezahlen zeugten davon, dass das Projekt offensichtlich den potentiellen Nutzer_innen zu komplex erscheint. Zudem deckte sich die anvisierte Zielgruppe nicht genau mit der Zielgruppe, die tatsächlich erreicht werden konnte. All das macht eine Weiterentwicklung des Projekts mit Blick auf technischen Voraussetzung, aber auch auf die Zielgruppen und deren Nutzungsverhalten notwendig, soll das Projekt die weitere Laufzeit erfolgreich bestehen. Klar ist auch hier: Das Projekt hat schon jetzt positiv zur Vernetzung der Kulturakteure in der Region beigetragen.
Zum Abschluss stellt Matthias Burzinski das Innovationsprogramm "KulturReiseland NRW" vor, mit dem seit 2019 der Kulturtourismus im ländlichen Raum intensiviert werden soll. Im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen einigte man sich für das Projekt auf die Definition als "Regionen abseits der urbanen Zentren". Das modulare Programm sollte den einzelnen Kulturbetrieben im Rahmen einer angepassten kulturtouristischen Strategie eine Neupositionierung im Kulturtourismus -Markt ermöglichen, gemeinsame Marketingmaßnahmen zwischen den Beteiligten anregen und eine stabile Vernetzung untereinander sowie mit weiteren touristischen Leistungsträgern schaffen. Daraus entstand ein Leitfaden, der alle Erkenntnisse in eine praxisorientierte Handreichung umsetzt. In diesem Leitfaden werden acht strategische Ansätze für die Weiterentwicklung des Kulturtourismus angesprochen, die Burzinski abschließend erläutert.
Fazit
Vorab: Bislang gibt es in der Tat nur eine recht überschaubare Zahl von Publikationen, die das Thema Kulturtourismus im ländliche Raum einigermaßen umfassend beleuchten. Umso wichtiger, dass Andrea Hausmann sich nun dieses Themas annimmt und in ihrem Band verschiedene Expert_innen zu Wort kommen lässt. Dabei wird allemal deutlich: Man weiß, dass man nicht viel weiß - wenigstens nicht in der Tiefe. Die Übersichtlichkeit der Anzahl an zitierten oder vorgestellten Studien zeigt, dass auf diesem Feld noch viel Raum bleibt für weitere, besonders empirische Forschung über Voraussetzungen, Zusammenhänge und Entwicklungsmöglichkeiten im Zusammenspiel von Kultur und Tourismus im ländlichen Raum. Immerhin: Andrea Hausmann gelingt es, mittels der Beiträge ein vielschichtiges Bild der Gemengelage und dem ambivalenten Verhältnis von Kulturanbietern und touristischen Leistungsträgern, Politik und Verwaltung dazustellen. Dazu werden auch Rolle und Zielsetzungen der Regionen betrachtet. Eines wird aus allen Beiträgen schnell deutlich: Ein Patentrezept für die Entwicklung eines funktionierenden Kulturtourismus-Konzepts scheint es nicht zu geben. Vielmehr können solche nur kooperativ und partizipativ in den jeweiligen Regionen entwickelt und verhandelt werden. Auch werden die beschriebenen Praxisbeispiele aus den Projekten kaum zur direkten Nachahmung anregen können; zu individuell sind die Voraussetzungen und Verhältnisse in den Regionen. Immerhin können sie Impulse geben, Chancen aufzeigen, ähnlich Prozesse anzustoßen und durchaus Mut machen in ihren übereinstimmenden positiven Beschreibungen der Effekte.
Auf dem Weg dahin mag das vorliegende Buch mit der Beschreibung theoretischer Ansätze, Ergebnissen aus der Forschung und Best-Practice-Beispielen sicher gute erste Impulse liefern. Eine wahre Fundgrube für einen vertieften Einstieg in das Thema bieten die umfangreichen Literaturangaben und -empfehlungen der Autor_innen. Auch für Studierende im Bereich Kulturtourismus sei dieser Band empfohlen - sicher wird Andrea Hausmann als Professorin diese Zielgruppe mit im Blick gehabt haben. Nahezu unabwendbar bei der Zusammenstellung der Beiträge zu einem solchen Thema sind die Redundanzen, die sich in den Einführungen der einzelnen Expert_innen zur Einordnung der Bedeutung des Kulturtourismus ergeben; da hat man den einen oder anderen Aspekte gleich mehrfach zu lesen.
Ein Handbuch? Da könnten wissbegierige Leser_innen in der Tiefe des Themas sicher mehr erwarten. Aber wie schon gesagt: Die Faktenlage gibt wohl in diesem Moment nicht sehr viel mehr her. Wer sich bereits intensiver mit dem Thema Kulturtourismus und insbesondere der Situation im ländlichen Raum auseinandergesetzt hat, wird in Hausmanns Band eine Zusammenstellung der aktuellen Positionen, aber keine wirklich neuen Erkenntnisse finden. Das scheint auch nicht Hausmanns Anspruch gewesen zu sein. Eine profunde Draufsicht auf ein wichtiges Thema bietet die Publikation aber allemal - das allein spricht schon für die Lektüre. Um also auf die Frage von Frau Dr. Dölling zurückzukommen, ob man einen solchen Band brauche: Ja, man braucht ihn!
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