27.05.2021
Buchdetails
Narrative internationaler Theaterfestivals: Kuratieren als kulturpolitische Strategie
von Nicola Scherer
Verlag: Transcript Verlag
Seiten: 178
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Autor*in
Carola von Gradulewski
ist Literaturwissenschaftlerin und Dramaturgin. Sie hat Hispanistik, Komparatistik und Theaterwissenschaft in München studiert, später noch ergänzt durch eine Weiterbildung in Theater- und Musikmanagement. Im Laufe ihrer Engagements an verschiedenen Theatern hat sie sowohl Schauspiel- als auch Musiktheaterproduktionen dramaturgisch begleitet, war an Theatern in Hannover, Celle und zuletzt am Landestheater Coburg in leitender Funktion engagiert. Außerdem zeichnete sie als Leiterin der Presse- und Öffentlichkeitarbeit für die Kommunikation und Außendarstellung, u.a. vom Theater Baden-Baden, verantwortlich.
Buchrezension
Narrative internationaler Theaterfestivals
Theaterfestivals hatten bis zur Coronakrise Konjunktur. Entsprechend weitgefasst ist dabei ihre Bandbreite, wodurch sie in ihrer Gesamtheit bisher nur schwer zu beschreiben waren. Nicola Scherer versucht das mit "Narrative internationaler Theaterfestivals" zu ändern.
Das Spektrum von Theaterfestivals reicht von publikumswirksamen Festspielen bis hin zu internationalen Festivals mit Fokus auf experimentellem Theater. Angesichts einer als krisenhaft wahrgenommenen Dekade beobachtet Nicola Scherer eine (Re-)Politisierung und Neupositionierung internationaler Theaterfestivals. In ihrer Dissertation, 2020 im transcript Verlag erschienen, befragt sie Festivalmacher*innen nach ihren kulturpolitischen Strategien, um deren Funktionsweisen zu ergründen und daraus ein theoriebasiertes Modell zu entwickeln, das internationale Festivals als Akteursnetzwerke abbildbar macht. Welche Ziele verfolgen die Festivalleiter*innen, welche Zielgruppen möchten sie erreichen, welche inhaltlichen und ästhetischen Setzungen nehmen sie vor, welche kulturpolitischen Haltungen prägen ihre kuratorischen Entscheidungen - diese und andere Fragen behandelt sie in ihrer Arbeit. Überschaubarer als die expandierende Festivallandschaft ist die Forschungsliteratur zum Thema - was Scherers Arbeit umso verdienstvoller macht.
Dabei grenzt sie den Forschungsgegenstand auf internationale Festivals im deutschsprachigen Raum ein und analysiert anhand von fünf Beispielen, welche kulturpolitischen Strategien Festivalmacher*innen verfolgen. Dass sie kulturpolitische Strategien verfolgen, ist Teil ihrer Ausgangsthese: Sie versteht internationale Festivals als diskursives Moment in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Denn mit thematischen und programmatischen Setzungen liefern diese Impulse für Praxis und Politik und stärken das Internationale in der Kunst.
Nach einer ausführlichen Vorstellung ihres Forschungsdesigns und einer ersten begrifflichen Eingrenzung wendet sie sich dem Gegenstand ihrer Forschung mit einem inter- und transdisziplinären Ansatz zu. Mittels soziologischer und philosophischer Konzepte sowie Methoden der Kulturpolitikforschung, des Kulturmanagements und der Theaterwissenschaft verfolgt sie dabei ihr Vorhaben. Ausgangspunkt für ihre Entwicklung eines Analysetools für Festivals sind zum einen die Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung ausgewählter Festivals sowie die Auswertung der Interviews mit den jeweiligen Festivalleiter*innen, die sie mit den Positionen externer Expert*innen kontrastiert. Aufgrund verschiedener Kriterien (u.a. Relevanz der Festivals, Internationalität, mindestens 10-jährige Präsenz, expliziter Bezug auf gesellschaftspolitische Diskurse) wählt sie als repräsentativ für ihre Untersuchung diese fünf Festivals aus:
Dabei grenzt sie den Forschungsgegenstand auf internationale Festivals im deutschsprachigen Raum ein und analysiert anhand von fünf Beispielen, welche kulturpolitischen Strategien Festivalmacher*innen verfolgen. Dass sie kulturpolitische Strategien verfolgen, ist Teil ihrer Ausgangsthese: Sie versteht internationale Festivals als diskursives Moment in der deutschsprachigen Theaterlandschaft. Denn mit thematischen und programmatischen Setzungen liefern diese Impulse für Praxis und Politik und stärken das Internationale in der Kunst.
Nach einer ausführlichen Vorstellung ihres Forschungsdesigns und einer ersten begrifflichen Eingrenzung wendet sie sich dem Gegenstand ihrer Forschung mit einem inter- und transdisziplinären Ansatz zu. Mittels soziologischer und philosophischer Konzepte sowie Methoden der Kulturpolitikforschung, des Kulturmanagements und der Theaterwissenschaft verfolgt sie dabei ihr Vorhaben. Ausgangspunkt für ihre Entwicklung eines Analysetools für Festivals sind zum einen die Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung ausgewählter Festivals sowie die Auswertung der Interviews mit den jeweiligen Festivalleiter*innen, die sie mit den Positionen externer Expert*innen kontrastiert. Aufgrund verschiedener Kriterien (u.a. Relevanz der Festivals, Internationalität, mindestens 10-jährige Präsenz, expliziter Bezug auf gesellschaftspolitische Diskurse) wählt sie als repräsentativ für ihre Untersuchung diese fünf Festivals aus:
- das Festival Theaterformen, das alternierend in Braunschweig und Hannover stattfindet,
- das jährlich auf Kampnagel stattfindende Internationale Sommerfestival,
- das Schweizer Festival Zürcher Theater Spektakel,
- das Festival steirischer herbst in Graz sowie
- das an das Berliner Theatertreffen angegliederte Internationale Forum, das 2015 eine Neuausrichtung erfuhr.
Selbstverständnis der Festivals
Nicola Scherer beschreibt den Anspruch der Festivalmacher*innen, sich kuratorisch als auch künstlerisch in politische Themen der Gegenwart einmischen zu wollen bzw. zu müssen als eine neue Herausforderung für Festivals der Gegenwart. Bei allen Unterschieden in der Herangehensweise, die sich in den offenen, leitfadenorientierten Interviews mit den Festivalleiter*innen herauskristallisieren, benennt Nicola Scherer als zentrale Ergebnisse ihres Forschungsvorhabens entscheidende Gemeinsamkeiten in der Wahrnehmung der Festivalleiter*innen: ein dezidiert politischer Anspruch, der insbesondere Themen wie postkoloniale Strukturen, Rassismus, Diversity, Migration, Renationalisierungsprozesse und andere globale Krisen ins Blickfeld nimmt. Die jeweiligen kulturpolitischen Setzungen werden von den Kurator*innen in der Kommunikation sowohl nach außen klar formuliert als auch innerhalb der Festivalteams diskutiert. Des Weiteren wird die Umbruchsituation, in der sich die Theaterlandschaft befindet, von den Kurator*innen wahrgenommen und mitgestaltet. Der Blick der Expert*innen auf die Theaterlandschaft bestätigt diesen Befund: Sie beschreiben einen "Prozess der Neufindung im Hinblick auf gesellschaftspolitische Relevanz und Legitimität des Theaters" (S. 156).
Neue Narrative: Postkolonial, partizipative Formate, ästhetische Neuerungen
Eine wesentliche Besonderheit von Festivals sieht Nicola Scherer in der Spannweite zwischen lokaler Verortung auf der einen Seite und den globalen Themen, die sie verhandeln, auf der anderen Seite. Die kulturpolitischen Strategien der Festivalleiter*innen sind dabei vielfältig, wobei ihre Operations- und Handlungsmöglichkeiten auf mehreren Ebenen greifen. Indem sie Fragen nach (Re-)Präsentation, neuen Narrativen und neuen Ästhetiken stellen, aber auch die eigene kuratorische Praxis hinterfragen, schaffen sie "immer wieder neue Öffentlichkeiten, die eine Diskursplattform zur Verfügung stellen" (S. 158). Neben einer gesteigerten Sensibilität in Fragen von Diversity und Rassismus, werden auch Fragen an das Nichtanwesende verhandelt: Wer ist nicht vertreten? Wessen Geschichten werden nicht erzählt? Diesem Vakuum kann auf regionaler, lokaler Ebene begegnet werden, wie es z.B. das Projekt "Untold Stories Disappear" in der 2019er Edition des Festivals theaterformen, das Geschichten von über 200 Bürger*innen aus Hannover künstlerisch aufgriff, umsetzte, oder auf globaler Ebene, indem die internationalen Festivals in Deutschland ihr Publikum mit den Geschichten und der Lebensrealität von Menschen anderer Kontinente und Kulturkreise konfrontieren.
Insbesondere im Hinblick auf die eigene Rolle als Kurator*innen im globalen Kontext rücken zudem Fragen nach potentiell kolonialen Strukturen und Machtverhältnissen im kuratorischen Prozess in den Mittelpunkt. Übereinstimmend konstatieren sowohl Festivalmacher*innen als auch Expert*innen, dass Europa seine diskursive Deutungshoheit allmählich einbüßt. Dem Ungleichgewicht zwischen europäischen und außereuropäischen Produktionen im Festivalgeschehen begegnen die Festivalmacher*innen mit thematischen Schwerpunkten, die z.B. Themen wie Kolonialgeschichte, Migration oder die Kontinente des globalen Südens in den Fokus rücken, oder vermehrt internationalen Co-Produktionen. Esther Boldt, freie Autorin und Tanz- und Theaterkritikerin beschreibt eine Gefahr der Exotisierung von Kunstwerken, wenn das Herkunftsland zur entscheidenden Kategorie wird. Die Kurator*innen benennen in ihrem Bemühen um einen fairen Austausch einen Fokus auf ästhetisch-inhaltlichen Kategorien und ein dezidiertes Interesse an Künstler*innen.
Weitere Diskurse sind Fragen nach Restitution, Partizipation, Niedrigschwelligkeit und Nachhaltigkeit. Hierbei geht die inhaltlich-programmatische Seite Hand in Hand mit dem zunehmend an Bedeutung gewinnenden Bereich des Audience Development, das laut Kathrin Deventer, der Generalsekretärin der European Festivals Association, in den letzten zehn Jahren von der Förderpolitik priorisiert wurde. Die Relevanz der Kulturellen Bildung für Festivals findet ihren Niederschlag in vermehrten Bildungs- und partizipativen Formaten. "Untold Stories Disappear" ist ein Beispiel für diesen Weg. Die "Arrival Zone" beim steirischen herbst 2016, die bewusst in einem Brennpunktstadtteil von Graz angesiedelt wurde, oder "Die rote Treppe" bei theaterformen 2014 als bewusste Geste in die Stadt gemeint - der damaligen Festivalleiterin Veronica Kaup-Hasler war in beiden Fällen die Einladung an die ganze Stadtgesellschaft wichtig. Programmhefte in leichter Sprache, Mehrsprachigkeit und Übertitelung sind weitere Mittel, um Zugänge für ein möglichst breites Publikum zu schaffen. Eine interdisziplinäre Öffnung der Festivals im Zuge gesellschaftspolitischer Entwicklungsprozesse für Expertise von außen, beschreibt Nicola Scherer außerdem als wesentliche kulturpolitische Strategie.
Kunstfreiheit versus Sensorship
Nicola Scherer spart einen neuralgischen Punkt in den Interviews mit den Festivalleiter*innen nicht aus: die Gefahr einer Überfrachtung bzw. Indienstnahme der Künste für kulturpolitische Ziele. Die dabei mitschwingende Sorge um die Autonomie der Künste wird von den Festivalmacher*innen größtenteils nicht bestätigt. Den Prozess des Kuratierens beschreiben sie als künstlerischen, in dem sie im engen Austausch und vermehrt auch in internationalen Koproduktionen Themen, Ästhetiken und Formate im Team entwickeln. Kritisch gesehen werden allerdings Anforderungen der Kulturpolitik im Hinblick auf die ökonomische Seite der Festivals. Denn Vorgaben zu Auslastungszahlen und thematischen Setzungen schränken die künstlerische Freiheit der Kurator*innen ein.
Fazit
Nicola Scherer schließt mit ihrer Dissertation eine Lücke. Sie konstatiert, dass Theaterfestivals noch nicht hinreichend untersucht sind, insbesondere, was die programmatische Seite der Festivals angeht. Die Interviews mit den Festivalmacher*innen und die kontrastierend dazu abgebildeten Expert*innenpositionen liefern dabei aufschlussreiche Einblicke in kuratorische Entscheidungsprozesse. Kritisch sei jedoch angemerkt, dass das Forschungsdesign und die Methodik mit einer gewissen Redundanz dargestellt werden, während die Arbeit an anderen Punkten, zum Beispiel beim Vergleich von Stadt- bzw. Staatstheatern und der Festivalszene, doch sehr an der Oberfläche bleibt. Eine differenzierte Betrachtungsweise der unterschiedlichen kulturpolitischen Rahmenbedingungen und Strukturen wäre hier wünschenswert gewesen, wie auch ein gründlicheres Lektorat, das sprachliche Unebenheiten noch korrigiert hätte. Das schmälert die eigentliche Leistung der Publikation aber nicht: Nicola Scherer entwickelt ein Analysetool, um internationale Festivals in ihrer Gesamtheit als Akteursnetzwerk beschreibbar zu machen. Sowohl in der Evaluierung von Festivals, als auch in der weiteren wissenschaftlichen Beschäftigung mit Festivals kann sich dieses Instrumentarium weiter bewähren. Außerdem liefert Scherers Plädoyer für offene Strukturen, Diversität und Freiräume bei Festivals Kulturmanager*innen und Kurator*innen wichtige Argumente gegenüber der Kulturpolitik.
Nicola Scherer beschreibt den Anspruch der Festivalmacher*innen, sich kuratorisch als auch künstlerisch in politische Themen der Gegenwart einmischen zu wollen bzw. zu müssen als eine neue Herausforderung für Festivals der Gegenwart. Bei allen Unterschieden in der Herangehensweise, die sich in den offenen, leitfadenorientierten Interviews mit den Festivalleiter*innen herauskristallisieren, benennt Nicola Scherer als zentrale Ergebnisse ihres Forschungsvorhabens entscheidende Gemeinsamkeiten in der Wahrnehmung der Festivalleiter*innen: ein dezidiert politischer Anspruch, der insbesondere Themen wie postkoloniale Strukturen, Rassismus, Diversity, Migration, Renationalisierungsprozesse und andere globale Krisen ins Blickfeld nimmt. Die jeweiligen kulturpolitischen Setzungen werden von den Kurator*innen in der Kommunikation sowohl nach außen klar formuliert als auch innerhalb der Festivalteams diskutiert. Des Weiteren wird die Umbruchsituation, in der sich die Theaterlandschaft befindet, von den Kurator*innen wahrgenommen und mitgestaltet. Der Blick der Expert*innen auf die Theaterlandschaft bestätigt diesen Befund: Sie beschreiben einen "Prozess der Neufindung im Hinblick auf gesellschaftspolitische Relevanz und Legitimität des Theaters" (S. 156).
Neue Narrative: Postkolonial, partizipative Formate, ästhetische Neuerungen
Eine wesentliche Besonderheit von Festivals sieht Nicola Scherer in der Spannweite zwischen lokaler Verortung auf der einen Seite und den globalen Themen, die sie verhandeln, auf der anderen Seite. Die kulturpolitischen Strategien der Festivalleiter*innen sind dabei vielfältig, wobei ihre Operations- und Handlungsmöglichkeiten auf mehreren Ebenen greifen. Indem sie Fragen nach (Re-)Präsentation, neuen Narrativen und neuen Ästhetiken stellen, aber auch die eigene kuratorische Praxis hinterfragen, schaffen sie "immer wieder neue Öffentlichkeiten, die eine Diskursplattform zur Verfügung stellen" (S. 158). Neben einer gesteigerten Sensibilität in Fragen von Diversity und Rassismus, werden auch Fragen an das Nichtanwesende verhandelt: Wer ist nicht vertreten? Wessen Geschichten werden nicht erzählt? Diesem Vakuum kann auf regionaler, lokaler Ebene begegnet werden, wie es z.B. das Projekt "Untold Stories Disappear" in der 2019er Edition des Festivals theaterformen, das Geschichten von über 200 Bürger*innen aus Hannover künstlerisch aufgriff, umsetzte, oder auf globaler Ebene, indem die internationalen Festivals in Deutschland ihr Publikum mit den Geschichten und der Lebensrealität von Menschen anderer Kontinente und Kulturkreise konfrontieren.
Insbesondere im Hinblick auf die eigene Rolle als Kurator*innen im globalen Kontext rücken zudem Fragen nach potentiell kolonialen Strukturen und Machtverhältnissen im kuratorischen Prozess in den Mittelpunkt. Übereinstimmend konstatieren sowohl Festivalmacher*innen als auch Expert*innen, dass Europa seine diskursive Deutungshoheit allmählich einbüßt. Dem Ungleichgewicht zwischen europäischen und außereuropäischen Produktionen im Festivalgeschehen begegnen die Festivalmacher*innen mit thematischen Schwerpunkten, die z.B. Themen wie Kolonialgeschichte, Migration oder die Kontinente des globalen Südens in den Fokus rücken, oder vermehrt internationalen Co-Produktionen. Esther Boldt, freie Autorin und Tanz- und Theaterkritikerin beschreibt eine Gefahr der Exotisierung von Kunstwerken, wenn das Herkunftsland zur entscheidenden Kategorie wird. Die Kurator*innen benennen in ihrem Bemühen um einen fairen Austausch einen Fokus auf ästhetisch-inhaltlichen Kategorien und ein dezidiertes Interesse an Künstler*innen.
Weitere Diskurse sind Fragen nach Restitution, Partizipation, Niedrigschwelligkeit und Nachhaltigkeit. Hierbei geht die inhaltlich-programmatische Seite Hand in Hand mit dem zunehmend an Bedeutung gewinnenden Bereich des Audience Development, das laut Kathrin Deventer, der Generalsekretärin der European Festivals Association, in den letzten zehn Jahren von der Förderpolitik priorisiert wurde. Die Relevanz der Kulturellen Bildung für Festivals findet ihren Niederschlag in vermehrten Bildungs- und partizipativen Formaten. "Untold Stories Disappear" ist ein Beispiel für diesen Weg. Die "Arrival Zone" beim steirischen herbst 2016, die bewusst in einem Brennpunktstadtteil von Graz angesiedelt wurde, oder "Die rote Treppe" bei theaterformen 2014 als bewusste Geste in die Stadt gemeint - der damaligen Festivalleiterin Veronica Kaup-Hasler war in beiden Fällen die Einladung an die ganze Stadtgesellschaft wichtig. Programmhefte in leichter Sprache, Mehrsprachigkeit und Übertitelung sind weitere Mittel, um Zugänge für ein möglichst breites Publikum zu schaffen. Eine interdisziplinäre Öffnung der Festivals im Zuge gesellschaftspolitischer Entwicklungsprozesse für Expertise von außen, beschreibt Nicola Scherer außerdem als wesentliche kulturpolitische Strategie.
Kunstfreiheit versus Sensorship
Nicola Scherer spart einen neuralgischen Punkt in den Interviews mit den Festivalleiter*innen nicht aus: die Gefahr einer Überfrachtung bzw. Indienstnahme der Künste für kulturpolitische Ziele. Die dabei mitschwingende Sorge um die Autonomie der Künste wird von den Festivalmacher*innen größtenteils nicht bestätigt. Den Prozess des Kuratierens beschreiben sie als künstlerischen, in dem sie im engen Austausch und vermehrt auch in internationalen Koproduktionen Themen, Ästhetiken und Formate im Team entwickeln. Kritisch gesehen werden allerdings Anforderungen der Kulturpolitik im Hinblick auf die ökonomische Seite der Festivals. Denn Vorgaben zu Auslastungszahlen und thematischen Setzungen schränken die künstlerische Freiheit der Kurator*innen ein.
Fazit
Nicola Scherer schließt mit ihrer Dissertation eine Lücke. Sie konstatiert, dass Theaterfestivals noch nicht hinreichend untersucht sind, insbesondere, was die programmatische Seite der Festivals angeht. Die Interviews mit den Festivalmacher*innen und die kontrastierend dazu abgebildeten Expert*innenpositionen liefern dabei aufschlussreiche Einblicke in kuratorische Entscheidungsprozesse. Kritisch sei jedoch angemerkt, dass das Forschungsdesign und die Methodik mit einer gewissen Redundanz dargestellt werden, während die Arbeit an anderen Punkten, zum Beispiel beim Vergleich von Stadt- bzw. Staatstheatern und der Festivalszene, doch sehr an der Oberfläche bleibt. Eine differenzierte Betrachtungsweise der unterschiedlichen kulturpolitischen Rahmenbedingungen und Strukturen wäre hier wünschenswert gewesen, wie auch ein gründlicheres Lektorat, das sprachliche Unebenheiten noch korrigiert hätte. Das schmälert die eigentliche Leistung der Publikation aber nicht: Nicola Scherer entwickelt ein Analysetool, um internationale Festivals in ihrer Gesamtheit als Akteursnetzwerk beschreibbar zu machen. Sowohl in der Evaluierung von Festivals, als auch in der weiteren wissenschaftlichen Beschäftigung mit Festivals kann sich dieses Instrumentarium weiter bewähren. Außerdem liefert Scherers Plädoyer für offene Strukturen, Diversität und Freiräume bei Festivals Kulturmanager*innen und Kurator*innen wichtige Argumente gegenüber der Kulturpolitik.
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