03.07.2020

Autor*in

Christoph Meinel
ist CEO und Wissenschaftlicher Direktor am HassoPlattner-Institut für Softwaresystemtechnik GmbH (HPI), einem An-Institut der Universität Potsdam. Außerdem hat er dort einen Lehrstuhl für "InternetTechnologien und -Systeme" inne und lehrt an der "HPI School of Design Thinking".
Design Thinking

Ein Innovationsansatz für eine neue Lern- und Arbeitswelt

Für Innovationen braucht es grenzüberschreitendes Denken, Perspektivwechsel und ausgefallene Problemlösungen - gerade in schwierigen Zeiten. Aus diesem Grund finden kreative Leistungen vor allem an Disziplingrenzen statt und dort, wo heterogene Gruppen mit unterschiedlichen Herangehensweisen zusammenarbeiten. Design Thinking verpackt das in eine vielfältig anwendbare Arbeitsmethode.
Vernetztes Denken und komplexer werdende Prozesse verändern die Lern- und Arbeitswelt nachhaltig - und damit auch die kulturellen Prozesse, die damit einhergehen. Das Studienangebot des Hasso Plattner Instituts für Softwaresystemtechnik auf dem Campus der Universität Potsdam reagiert auf diese Anforderungen und gilt als eines der besten im deutschsprachigen Raum. Einer der zehn Fachbereiche am HPI hat ist die HPI School of Design Thinking (kurz: D-School). 
 
Design Thinking ist eine systematische Herangehensweise an komplexe Problemstellungen aus allen Lebensbereichen. Im Gegensatz zu vielen Herangehensweisen, Aufgaben von der technischen Lösbarkeit her anzugehen, stehen Nutzer*innenwünsche und -bedürfnisse sowie nutzer*innenorientiertes Erfinden im Zentrum des Prozesses. Design Thinking versteht sich aber vor allem als Mindset für das Suchen und Gestalten von Innovationen. In einem iterativen Vorgehen wird versucht, die versteckten Bedürfnisse von Nutzer*innen in ihren lebensweltlichen Bezügen herauszufinden und sie mit technischer Machbarkeit und wirtschaftlicher Rentabilität abzustimmen. Design Thinker*innen betrachten die Aufgabe oder Herausforderung durch die Brille der Nutzer*innen und begeben sich empathisch in ihre Rolle. 
 
An der D-School wird der Innovationsansatz Design Thinking gelehrt, der von David Kelley, Mitgründer der Design-Agentur IDEO und Professor an der Stanford University, entwickelt wurde. Das Erfolgskonzept sollte auch Lehrgegenstand am Hasso-Plattner-Institut in Deutschland werden: Unter der Leitung von Ulrich Weinberg wurde die HPI School of Design Thinking 2007 in Potsdam gegründet.
 
Die Räume der D-School sehen aus wie in einem Start-Up: post-its, bemalte Whiteboards, Materialkisten und Werkzeuge. Bewegliche rote Couches prägen das Bild, Musik und Gelächter durchdringen die Räume. Traditionelle Hörsäle sucht man vergebens. In kleinen Teams stehen die Studenten um eigens dafür entworfene Stehtische zusammen. Doch was von außen aussieht wie ein chaotisches Durcheinander, hat System. Ein Anhaltspunkt dafür sind die besonderen Uhren, sogenannte "Time Timer": Sie können individuell eingestellt werden und zeigen die Zeit an, die zur Bearbeitung eines Teilschrittes verbleibt. Die Timer laufen also rückwärts und bieten die (fast) einzige Begrenzung im Design Thinking Prozess.
 
Wie funktioniert Design Thinking?
 
Im Design Thinking entwickeln interdisziplinäre Teams Ideen, setzen diese prototypisch um und testen sie mit realen Nutzer*innen - deren Bedürfnisse, Werte und Eigenschaften rücken in das Zentrum aller Prozesse, vor die technologische Machbarkeit und die wirtschaftliche Tragfähigkeit. Für die Teamarbeit und das Problemlösungsmanagement bedeutet das, dass die Nutzer*innen bei der Entwicklung von z.B. neuen Produkten oder Dienstleistungen von Anfang an eng eingebunden werden. Das ist etwas, mit dem sich viele Unternehmen und Kultureinrichtungen schwer tun. Im Design Thinking werden Lösungen und Ideen in Form von Prototypen möglichst früh sicht- und kommunizierbar gemacht, damit potenzielle Anwender*innen sie - lange vor Fertigstellung oder Markteinführung - testen und Feedback geben können. Auf diese Weise erzeugt Design Thinking praxisnahe Ergebnisse.
 
Design Thinking funktioniert so vor allem durch das Zusammenführen der drei Kernelemente - "The Place, The Process, The People":
 
  • Place: Eine neue Art von praxisorientierter Teamarbeit braucht offene Räume - mobiles, variables Mobiliar, dynamische Raumkonzepte, Spielzeug und Material zum prototypen.
  • Process: Komplexe Probleme löst man besser mit dem Einsatz beider Gehirnhälften - im Design Thinking werden die analytischen UND die kreativ-intuitiven Fähigkeiten im iterativen Ideenfindungsprozess genutzt 
  • People: In einer vernetzten Welt ist es besser, miteinander als gegeneinander zu arbeiten - daher werden an der D-School Diversität und Kollaboration in Teams favorisiert.
Das Zusammenspiel dieser drei Kernelemente in einer freien Atmosphäre erzeugt ungeahnte intrinsische Motivation. Der Einsatz von Design Thinking ist in fast allen Unternehmensbereichen möglich, da nicht auf die individuelle Kreativität gebaut wird, sondern auf eine kollaborative Innovationskultur, in der die fächer- oder arbeitsspezifischen Kontexte der Teammitglieder verschiedene Perspektiven in die Problemlösungsprozess einbringen und unvoreingenommen nach neuen Lösungsansätzen suchen können.
 
Die Innovationskultur wird dabei von Regeln geprägt, die wesentlich zum Erfolg des Konzepts beitragen. Diese verlangen nach Experimentierfreude und Risikobereitschaft und ermutigen, durch Fehler, Irrtümer und Wiederholungen zu lernen. 
 
  • Stay Focused on Topic - Beim Thema bleiben
  • One Conversation at a Time - Nur eine*r spricht
  • Encourage Wild Ideas - Wilde Ideen ermutigen
  • Defer Judgement - Kritik (zunächst) zurückstellen
  • Be Visual - Bildlich darstellen und erklären
  • Go for Quantity - Quantität zählt
  • Build on the Ideas of Others - Auf den Ideen anderer aufbauen
  • Fail early and often - Scheitere früh und oft
  • Think User Centric - Denke nutzer*innenzentriert
  • Work Multi Disciplinary - Arbeite multidisziplinär
  • Teach Teams with Teams - Begleite Teams mit Teams
 
Wie läuft ein Design Thinking-Projekt an der HPI D-School ab? 
 
Design Thinking an der HPI D-School basiert auf einem Prozess aus sechs Schritten, der iterativ durchlaufen wird. In dem nutzerorientierten Ansatz, der Methoden aus den Bereichen Ingenieurswesen, Design, sozialwissenschaftliche Instrumente und Erkenntnisse aus der Wirtschaft kombiniert, werden 5 bis 6 Teammitglieder aus unterschiedlichen Disziplinen vereint. Am Anfang steht die Formulierung einer sogenannten Design Challenge, die die Problemstellung und den möglichen Suchraum für Lösungen aus der Perspektive der Nutzer umschreibt. Diese wird meist zusammen mit Projektpartnern aus der Wirtschaft entwickelt und formuliert. Daraufhin werden von den Teams mit Unterstützung durch erfahrene Design Thinking-Coaches der D-School innovative Lösungsvorschläge in Form von Prototypen entwickelt und getestet. 
 
Seit Gründung der D-School wurden so über 100 Projekte in Zusammenarbeit mit Kooperationspartnern durchgeführt. Das Portfolio der Projektpartner ist vielfältig: dabei sind  Unternehmen jeder Größe, Startups sowie Non-Profit-Organisationen und öffentliche Einrichtungen wie die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, das Innenministerium des Landes Brandenburg oder der DAAD. Die HPI D-School versteht sich als Katalysator für Design Thinking und zugleich als eine Plattform, auf der sich innovative Firmen und Personen treffen und untereinander vernetzen. 
 
Die Führungsebenen und HR-Abteilungen vieler Unternehmen sind auf der Suche nach neuen Lösungen und haben erkannt, das Design Thinking ein guter Ansatz ist, vorhandene Potentiale der Mitarbeiter*innen besser nutzen und schneller abrufen zu können. 2009 wurde daher neben dem studentischen Lehrbetrieb die HPI Academy ins Leben gerufen, eine Institution für die berufliche Weiterbildung. 
 
Mehr als 20 Spin-Offs und Start-Ups sind von Absolventen der HPI D-School gegründet worden. Auch die Internationalisierung spielt eine immer größere Rolle. So unterstützte die HPI D-School aktiv den Aufbau von Design Thinking Programmen in anderen Ländern weltweit. Gemeinsam mit den Kolleg*innen der Universität Stanford wird auch ein Forschungsprogramm zum Design Thinking (https://hpi.de/dtrp/projekte/uebersicht.html) betrieben, in dem sich Forscher*innen mit Fragestellungen rund um team-basierte Innovationsansätze beschäftigen. In multidisziplinären Teams mit verschiedenen Hintergründen in den Natur-, Technik- und Geisteswissenschaften sowie Design wird das Phänomen der Innovation ganzheitlich in all seinen Dimensionen erforscht. Eine wichtige Besonderheit ist die kreative Zusammenarbeit über räumliche, zeitliche und kulturelle Grenzen hinweg. 
 
Im Kontext fachlicher Diversität wird untersucht, wie Design Thinking mit traditionellen Ingenieurs- und Management-Ansätzen ineinandergreift, insbesondere, warum sich die Struktur erfolgreicher Design Teams grundlegend von traditionellen Team-Strukturen in Unternehmen unterscheidet. Leitfragen sind zum Beispiel: Wie können neue Strukturen, Werkzeuge, Systeme und Methoden erfolgreiche Praktiken ergänzen, erfassen und aufarbeiten? Was sind die Auswirkungen des Design Thinking auf die Leistungsfähigkeit von Menschen, Wirtschaft und Technik? Wie funktionieren die Werkzeuge, Systeme und Methoden, um die richtige Innovation zur richtigen Zeit zu schaffen? 
 
Dieser Beitrag erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin "Wissenschaft"

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