Rückblick KulturInvest!-Kongress 2020 Teil I

Von Digitalisierung, Partizipation, Diversität und anderen Innovationen

2020 war vieles anders, was uns dazu veranlasst hat, für unsere Medienpartnerschaften neue Formate auszuprobieren. Am digitalen KulturInvest!-Kongress der Causales Gesellschaft für Kulturmarketing und Kultursponsoring mbH konnten dabei - dank vieler Freitickets - einige unserer Nutzer*innen für uns als Korrespondent*innen für verschiedene Schwerpunkte teilnehmen. Ihre Eindrücke zur 11. Kongressauflage am 26. und 27. November 2020 haben wir dabei in diesem Nachbericht gesammelt und vereint.
Track B "Digital Transformation” und Track M "Digital Solutions” - von Wigbert Boell, Markus Wiesenhofer und Romina Weber

Die erstmalige Teilnahme am KulturInvest!-Kongress hat spannende Impulse geliefert und gezeigt, dass eine Konferenz auch im Digitalen funktioniert, auch wenn Kultur- und Tagungsformate dieser Art vom persönlichen Austausch leben. Und obwohl - oder gerade weil - der KulturInvest!-Kongress nur online stattfand, wurde bei den meisten Panels und Diskussionen über den frustrierenden (und für viele Kulturschaffenden existenzgefährdenden) Stillstand hinausgeschaut. Denn das ist die Essenz von "Innovation": Probleme benennen, Chancen erkennen und Lösungen entwickeln. So fiel immer wieder der Satzbeginn "Dank Corona konnten wir ... ". Und in vielen Fällen bezog sich dieser auf die Digitalisierung und damit verbundene Innovations-Prozesse innerhalb der Kulturbetriebe. Spannend war dabei, übersichtlich zu erfahren, was in welcher Form bereits realisiert wurde, von wem was genutzt wird und wie auf den Weg gebracht wurde. Das gilt nicht nur für die Kulturvermittlung, neue Online-Formate und die Ansprache verschiedener Zielgruppen im digitalen Raum, sondern auch für die Digitalisierung des Arbeitsumfeldes im Kulturbereich.

Auffällig häufig fiel in den Panels rund um Digitalisierung der Begriff des Mindsets, der deutlich machte, dass das Bewusstsein für veränderte Bedürfnisse und die Bereitschaft für Veränderung unabdingbar sind, um Kultur zukunftsfähig zu gestalten.

Vor allem der Blickwinkel aus einer Kulturverwaltung heraus hat aufgezeigt, wie wichtig Innovation ist. Christian Knebel von der Beratungsagentur Public Plan sprach in seinem Vortrag "Digitale Nachhaltigkeit: Wie Verwaltungen und Kultureinrichtungen von Open-Source-Anwendungen profitieren" darüber, dass Verwaltungsdigitalisierung sich in Deutschland in den letzten Jahren eher zurück als vorwärts bewegt hat. Geld sei nicht das Problem, sondern vor allem Hürden wie Fachkräftemangel und Kompetenz-Engpässe in den Häusern sowie fehlende digitalkompatible Strukturen und Gesetze. Für Knebel ist Open Source der Lösungsansatz, denn damit könnten Kulturverwaltung und -einrichtungen digitale Souveränität erreichen, Probleme schneller lösen und Innovationszyklen beschleunigen. Dies wurde von Andreas Meyer-Falcke, Beauftragter der Landesregierung NRW für Informationstechnik, in seinem Vortrag "Die Umsetzungsstrategie von Bund, Ländern und Kommunen zur Verbesserung der digitalen Performances der Verwaltung" bestätigt.

Besonders spannend waren auch Erfahrungswerte und Berichte über erfolgreiche Online-Formate im Bereich von Festivals, die in diesem Jahr kurzerhand umgeplant werden mussten. So sprach Timo Deiner von SAP Deutschland über "Technologie als Grundpfeiler für eine nachhaltige digitale Transformation im Kulturbereich" und präsentierte am Beispiel des "Wacken”-Festivals, wie beeindruckend digitale Festivals im Sommer 2020 umgesetzt wurden. Auch er betonte, dass das Mindset für die digitale Transformation essentiell ist.
 
Auch die beschleunigte Entwicklung in Kultureinrichtungen und Museen lieferte viele Ideen, die auch im kleineren Rahmen umgesetzt werden können. So berichtete Matthias Schloderer von der Bayerische Staatsoper in seinem Vortrag "Das Publikum von morgen mit digitalen Kampagnen erreichen" darüber, wie die Staatsoper ihre Ziele - Auslastung, Sichtbarkeit, neues Publikum - erreicht hat, indem sie eine "digitale Spielwiese" erschuf. Darin sammeln sich Digitaltheater, neue Arten der digitalen Vermittlung und digitale Organisation. Ein Beispiel hierfür ist V-Aria, ein virtuelles Opernerlebnis an externen Orten. Damit wurden über 20.000 Personen erreicht, die Reichweite der Social-Media-Kanäle gesteigert und mehr als 5.000 neue Kartenbestellungen v.a. im Segment 20- bis 30-Jährigen verzeichnet.

Um Innovationszyklen und entsprechende Methoden ging es im Vortrag "Digital Visitor Guides in der Kultur: Partizipation für (wirklich) alle" von Antonia Simon und Jasdan Joerges von der App-Entwicklungsfirma MicroMovie Media. Die beiden Unternehmer*innen berichteten, wie das Museum Barberini vor einigen Jahren "von 0 auf 100" mit einer eigenen App wollte - und wie MicroMovie Media und das Museum daraufhin mit einem userzentrierten Design-Thinking-Prozess und im Vergleich von ca. 100 Museumsprojekten eine Lösung erarbeitet haben. Die Barberini-App bietet heute Audiotouren, Serviceinformationen, Veranstaltungstipps, e-Tickets sowie eigene digitale multimediale Inhalte.

Design Thinking als Rahmenwerk für eine kreative und iterative Haltung bei der Produkt-/ Service-Gestaltung war auch das Thema von Sabrina Meyfeld. Mit dieser Methode kann ein iterativer Prozess gestaltet werden, in dem Prototypen für Produkte und Formate erstellt, mittels Feedbackschleifen getestet und hinterfragt, Learnings gesammelt und die Angebote verbessert werden. Im Zentrum stehen hierbei stets die Wünsche und Bedürfnisse der User*innen bzw. Besucher*innen.

Es braucht also Mut zum Ausprobieren - und vielleicht wird auch nicht alles auf Anhieb funktionieren. Und mit Sicherheit braucht es einen Dialog über die Zukunftsfähigkeit kultureller Infrastrukturen. Innovation muss Routine werden, "Das haben wir schon immer so gemacht" wird nicht mehr wie bisher funktionieren. Zudem zeigten die Panels, dass vor allem Entscheidungen der Führungspersönlichkeiten notwendig sind, um die digitalen Möglichkeiten zu nutzen. Gefragt ist "Cultural Leadership", eine Führungsmentalität, sich schnell auf die Umstände einstellt und mutig vorangeht.

Hannes Tronsberg von Future Demand zog in seinem Vortrag "Mit KI mehr Tickets verkaufen und neue Zielgruppen erreichen" den Kreis noch größer. Er verwies auf Technologien, die im öffentlichen Kulturbereich noch weitgehend Zukunftsmusik sind, aber darüber hinaus bereits breit genutzt werden, um Verkäufe anzukurbeln, die Nachfrage vorherzusagen, Content zu verbessern, Zielgruppen und Sponsor*innen punktgenau anzusprechen.
 
Foren "DEMOCRACY & CULTURE und "PARTICIPATION & CULTURE" - von Jasmin Meinold und Nadine Näther

Im Forum DEMOCRACY & CULTURE standen Fragen nach demokratischen Strukturen in Kulturinstitutionen, Diversität auf Personalebene als auch in den Besucher*innengruppen und gesellschaftlicher Partizipation im Mittelpunkt. So diskutierte das Panel "Mehr Demokratie wagen", das Willy Brandts 1969 geäußerte Forderung aufgriff, diese Begriffe aus einer machtkritischen Perspektive. Im Zentrum stand die Legitimation von Institutionen durch demokratische Prozesse wie der Teilhabe von Stadtgesellschaft bzw. Europäischen Bürger*innen und die Umgestaltung von (gesellschaftlichen) Räumen. Die Referent*innen berichteten aus den Erfahrungen der eigenen institutionskritischen Praxis. Ausgesprochen aktuell, konsequent und inspirierend erscheint das Konzept der neuen Intendantin des Schauspiels Dortmund, Julia Wissert, die das Haus radikal zur Stadt öffnen will. Dabei ist die Frage nach einer ästhetischen Praxis zentral, die mit Blick auf das Publikum dialogisch und nicht konsumorientiert ist. Dabei ermitteln u.a. Stadt-Dramaturginnen gemeinsam mit Bürger*innen neue Formate, die auch eine inhaltliche Beteiligung am Programm des Hauses ermöglichen und so unterschiedlichen Lebensrealitäten und deren Repräsentanz sowie gesellschaftliche Themen Raum geben soll.

Im Gespräch "Diversity Matters" ging es um die mangelnde Diversität, also die Abbildung gesellschaftlicher Pluralität innerhalb der Institutionsstrukturen und vor allem auf Führungsebene. Diesen Mangel zu beheben ist insofern wichtig, da die Leitung und deren Führungsstil sich darauf auswirken, wie Partizipation und Diversität in der jeweiligen Institution gelebt werden. Hilfreich kann dabei sein, dass Mitarbeitende zunehmend agil arbeiten, in Prozessen mitwirken und mit ihren Ideen Gehör finden möchten. Eine Entwicklung die Kulturinstitutionen und Hochschulen betrifft. Wenn mehrere Personen die Leitung bilden, sollte allerdings die Wertehaltung der Mitglieder ähnlich sein. So sind eine gute Zusammenarbeit und auch die Umsetzung von Maßnahmen besser gewährleistet. Der persönliche Background und die Kompetenzen der Mitglieder können aber durchaus komplementär/divers sein und sich dadurch ergänzen. Weiterhin bestimmt eine sehr homogene Gruppe das Kultur Angebot für ein extrem diverses Publikum - landesweit und spartenübergreifend. Sandrine Micossé-Aikins, (Diversity Art Culture), Shermin Langhoff (Künstlerische Leitung Maxim Gorki Theater), und Prof. Dr. Stefan Weber (Direktor Museum für Islamische Kunst) sprachen über Hürden für strukturelle Veränderung. Dabei identifizierten sie vor allem mangelnde Sensibilität, Ressentiments auf Führungsebene, starre Hierarchien, als auch finanzielle Entscheidungen als Blockaden. Beispielhaft erscheint die Initiative der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa, die 2019 mit "Diversity Art Culture" erstmals eine Konzeptions- und Beratungsstelle für Diversitätsentwicklung eingerichtet hat, mit dem Ziel, dass sich die Vielfalt der Berliner Stadtgesellschaft stärker im Kulturbetrieb widerspiegelt. Solche Angebote braucht es erst recht außerhalb der Hauptstadt! Die Höhe der finanziellen Förderung einer Institution könnte auch an die Bedingung gekoppelt werden, dass Diversitätsstrategien in Themen- und Personalauswahl umgesetzt sind

Das Forum PARTICIPATION & CULTURE griff mit dem Panel "Kultur für alle. Oder: Kultur von allen?" darüber hinaus Hilmar Hoffmans Forderung auf und erweiterte diese entsprechend. Damit verändert sich diese Forderung von einer reinen Teilhabe an Kultur(-erlebnissen) zur aktiven Teilhabe. Kulturinstitutionen müssen sich dabei die Frage stellen, für wen und durch wen sie Kultur machen. Erreichen sie mit ihren Themen die (zukünftige) Gesellschaft? Darüber hinaus wurde in diesem Forum noch einmal betont, dass Nachhaltigkeit im Kultursektor nicht ohne Partizipation und Diversität erreicht werden kann. Beides sei unabdingbar, damit Kulturinstitutionen weiterhin relevant bleiben und ihrem öffentlichen Auftrag gerecht werden können. Dabei sprachen in diesem Forum u.a. der Oberbürgermeister Potsdams Mike Schubert und der Bürgermeister der Stadt Palermo Leoluca Orlando miteinander über Kultur, Toleranz, Teilhabe sowie den Umgang mit geflüchteten Menschen und neuen Mitbürger*innen. Schubert bezeichnete die Partizipation von Bürger*innen im städtischen Raum als essentiell für eine erfolgreiche Inklusion. Orlando, der als Preisträger des Europäischen Kulturmarken Awards 2020 für sein Lebenswerk im Kampf gegen die Mafia und den Rassismus sowie für seinen Umgang mit den in Palermo angekommenen Geflüchteten geehrt wurde, betonte das identitätsstiftende Moment von Kultur und deren Wandelbarkeit. Gemeinsam unterzeichneten sie nach dem Panel in einer symbolischen Geste eine Erklärung, in der sie "die Abkehr von der europäischen Abschottungspolitik hin zu einer menschenwürdigen Migrations- und Asylpolitik" fordern.
 
Insgesamt funktionierte die digitale Version des Kongresses sehr gut: Die Moderator*innen der live Panelrunden saßen mit einem Teil ihrer Gäste im Nikolaisaal, ein Teil der Speaker nahm digital teil und war über eine Leinwand auf der Bühne zu sehen. Ebenso klappte die Übertragung überwiegend gut, die Nutzer*innenoberfläche der Tagungsplattform war trotz zahlreicher Funktionsbuttons und optisch überladener Gestaltung gut zu nutzen. Besonders praktisch war die Funktion des Gruppenchats, in dem sich während der Vorträge über Inhalt und technische Fragen ausgetauscht werden sowie Fragen an das jeweilige Panel formuliert werden konnten. Zudem bestand die Möglichkeit, mit Teilnehmer*innen in einen privaten Chat zu wechseln oder sich mit Personen auszutauschen, die auf Grund ähnlicher Interessen als Networking Partner*innen vorgeschlagen wurden.
 
Die Aufzeichnungen des kompletten Programms finden Sie hier.

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