17.06.2024
Autor*in
Lara Leuschen
ist als stellvertretende Leitung am Zentrum für Kulturmanagement der ZHAW tätig und forscht zu Themen wie kulturelle Teilhabe & Audience Development oder Digitalisierung in der Kultur. Darüber hinaus leitet sie die Weiterbildungslehrgänge CAS Kulturmarketing und Kulturvermittlung sowie CAS Kulturbetriebsführung.
Tania Kaya
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Marketing Management der ZHAW School of Management & Law. In dieser Funktion leitet sie verschiedene Forschungs- und Beratungsprojekte mit dem Schwerpunkt Kundenbeziehungsmanagement und unterrichtet Methodenkompetenzen.
Markus Emden
ist Professor für Naturwissenschaftsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf der Lehrpersonenweiterbildung und dem Experimentieren im Unterricht. Im Rahmen von Weiterbildungen beschäftigt er sich auch mit Möglichkeiten der Förderung des außerschulischen Lernens.
Frank Hannich
ist Professor für Marketing an der ZHAW School of Management & Law. Seine Schwerpunkte in Forschung und Weiterbildung im Kulturmarketing liegen in der Besucherforschung und welche Möglichkeiten neue Technologien Kulturinstitutionen bieten.
Entwicklung einer Lehrpersonenfortbildung im Design-Thinking-Verfahren
Kulturräume als außerschulische Lernorte
Lehrpersonen sind entscheidend für den erfolgreichen Klassenbesuch in Kulturräumen. Sie als Zielgruppe gezielt anzusprechen und mehr als die üblichen Arbeitsblätter zu bieten, ist wichtig für die strategische Positionierung als außerschulischer Lernort.
Kulturräume wie Museen, Theater oder Bibliotheken nehmen als Orte, an denen kulturelle Inhalte präsentiert und bewahrt werden auch einen Bildungsauftrag wahr. Folglich werden viele Kulturinstitutionen auch als außerschulische Lernorte besucht. Denn der informellere Rahmen außerhalb des Schulgeländes verspricht ein immersives Erleben und Lernen, was eine willkommene Abwechslung zum Schulalltag ist. Obwohl Klassenbesuche für viele Kulturinstitutionen eine wichtige Säule der Finanzierung sind und ein ausschlaggebendes Kriterium für die öffentliche Kulturförderung darstellen, werden sie häufig als gegeben hingenommen und als "Selbstläufer" behandelt. Und das, obwohl es mit dem aktuellen kulturpolitischen Diskurs um Fragen wie kulturelle Teilhabe sowie insbesondere auch die Gewinnung und Bindung von jüngeren Publika für den Kulturbetrieb durchaus einen großen Anreiz gibt, sich im Audience Development dieser Zielgruppe verstärkt zuzuwenden.
Aus der Perspektive des Kulturmanagements wirft die Positionierung als außerschulischer Lernort vielfältige Fragen auf. Diese betreffen die Kulturvermittlung und Programmgestaltung, das Kulturmarketing und die Ansprache spezifischer Zielgruppen sowie die Netzwerkpflege mit Schulen und Akteur*innen aus dem Bildungssektor. Zwar bieten einige Kulturinstitutionen Führungen und Workshops für Schulklassen sowie Arbeitsblätter und spezifische Informationen für Lehrpersonen an, doch wird das Potenzial des Lehrpersonenmarketing in vielen Kulturbetrieben noch nicht ausgeschöpft. Insbesondere bei kleineren Kulturinstitutionen können begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen ein Problem darstellen. Zudem sind Vermittlungsangebote oft nur bedingt kostendeckend und tragen kaum zu den kulturbetrieblichen Einnahmen bei.
Mit dem Ziel, eine bessere Verknüpfung des Klassenbesuchs mit dem Regelunterricht zu ermöglichen, hat das Swiss Science Center Technorama in Kooperation mit der Pädagogischen Hochschule Zürich (PH Zürich) im Rahmen eines MINT-Förderprogramms eine Lehrpersonenweiterbildung entwickelt. Um ein tiefgehendes Verständnis für die Bedürfnisse und Erwartungen der Teilnehmenden an außerschulisches Lernen und die Lehrpersonenweiterbildung zu erlangen, wurde der Entwicklungsprozess vom Institut für Marketing Management und dem Zentrum für Kulturmanagement der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) eng begleitet, wobei ein Design-Thinking-Ansatz verfolgt wurde.
Lehrpersonen als Schlüsselzielgruppe im Audience Development
Besuchsmotive sind vielfältig, wie Kulturbesucherstudien und daraus hervorgegangene Besuchertypologien wie etwa im Museumskontext die Phänotypen Explorer, Facilitator, Professional/Hobbyist, Experience Seeker und Recharger nach Falk (2009) belegen. Als "Facilitator" suchen Lehrpersonen außerschulische Lernorte typischerweise nicht nur aus persönlichem Interesse auf, sondern insbesondere, um ihren Schülerinnen und Schülern Zugang zu Wissen und Fähigkeiten, sozialen Erfahrungen sowie Spaß zu ermöglichen. Die fachdidaktische Herausforderung beim Besuch außerschulischer Lernorte liegt für Lehrpersonen in der Wahl und Balance zwischen fachinhaltlichen, methodischen und affektiven Zugängen, die die Motivation der Schüler*innen fördern (siehe auch Emden et al. 2024, Deci & Ryan 1993). Inhaltliche Bezüge zum Lehrplan erleichtern dabei die Verknüpfung mit dem Regelunterricht. Dies kann etwa der Besuch eines Theaterstücks sein, das im Unterricht behandelt wird, oder die Exkursion in ein Science Center im Rahmen des Physikunterrichts, um die etwa im Schweizer Lehrplan 21 vorgesehenen Themen Energie und Magnetismus zu vertiefen. Für Kulturinstitutionen ist es daher wichtig, die Bedürfnisse und Ziele von Lehrpersonen sowie Schulklassen zu verstehen und sich ihres möglichen Beitrags bewusst zu sein, um das Besuchserlebnis zu optimieren. Abbildung 1 veranschaulicht beispielhaft einige Potenziale von Kulturräumen für das außerschulische Lernen aus didaktischer Perspektive. Versteht man Lernen als Erreichen von drei verknüpften Zielsetzungen - etwas lernen (Inhalt), etwas tun lernen (Methode), etwas schätzen lernen (Affekt) -, so bieten außerschulische Lernorte als Kulturräume eine Vielzahl von Impulspotenzialen. Sie können Lernen fördern, in dem Wissen kontextualisiert wird (Inhalt) oder durch Interessenförderung (Affekt) bzw. durch Immersion in authentisches Handeln (Methode). Dabei differenziert der Kulturraum nicht ‚sauber‘ die drei Zielbereiche, sodass bspw. immersives Lernen auch bedeuten kann, dass man besonders eindrückliche Erlebnisse hat, die eine weitere Auseinandersetzung motivieren.
Methode
Die Lehrpersonenfortbildung wurde in einem iterativen Prozess mit drei Testzyklen entwickelt und angepasst. Dabei lag der Fokus nicht nur auf der fachdidaktischen Konzeption, sondern auch auf der Bedarfserhebung der Zielgruppe mithilfe von Service-Design-Methoden. Für die quantitative Befragung zur Erfassung der Ausgangslage wurde das Lehrpersonen-Netzwerk des Technorama genutzt. Während der Testzyklen wurden teilnehmende Beobachtungen und qualitative Kurzinterviews durchgeführt und videografisch festgehalten. Nach Abschluss der Fortbildung erfolgten zudem begleitete Klassenbesuche inklusive einer Nachbesprechung mit der Lehrperson. Die begleitenden Videointerviews sowie Nachbesprechungen zum Klassenbesuch wurden transkribiert und mithilfe einer Software zur qualitativen Datenauswertung kodiert.
Einblicke in die Ergebnisse
In Anlehnung an das User Profile Canvas nach Lewrick et al. (2018) konnten drei Persona-Typen skizziert werden:
In der Abbildung werden prägende Aussagen zur Motivation und der Fokus beim Besuch im Technorama zugeordnet, um die Personas plastisch zu machen. Der Persona mit Fokus Klassenzusammenhang wurden auf Grund ihrer Interviewaussagen 44 Prozent der Lehrpersonen zugeordnet, der Persona mit Fokus auf die nachhaltige Motivation der Lernenden 42 Prozent und der dritten mit Fokus auf die Methodik 14 Prozent (n=37).
Gefragt nach den "takeaways" aus der Fortbildung zeichnete sich in den begleitenden Videointerviews zur Lehrpersonenfortbildung des ersten Zyklus‘ ab, dass sich die Lehrpersonen von der Fortbildung insbesondere eine konkretere Entlastung bei der Vorbereitung des Besuchs und Verknüpfung mit dem Unterricht erhofften:
"Ich hätte lieber pfannenfertige Versuche, welche ich dann auch ein wenig anpassen würde. Dann würde ich sie auch umsetzen und dann war es für mich auch ein Erfolg, weil ich dann konkrete Dinge habe, welche ich auch wirklich brauchen kann." Lehrperson anonym
In den späteren Testzyklen wird als Nutzen der Fortbildung hingegen ein Wandel im "Mindset" festgestellt. Die Lehrpersonen gaben an, durch die Lehrpersonenfortbildung und das Kennenlernen und Durchspielen einer konkreten Methode mehr Sicherheit und Mut gewonnen zu haben. Sie äußerten unter anderem, dass nicht alle Fragen von der Lehrperson selbst beantwortet werden müssen:
"Das Mindset, das man mitbekommt, hilft einem sich beim Klassenbesuch in Technorama zu bewegen. Manchmal ist es einfach besser, nichts zu sagen und den Schüler*innen Zeit zu geben, selbst Lösungen zu finden." Lehrperson anonym
Bei den begleiteten Klassenbesuchen zeigte sich, dass bei Lehrpersonen, die weniger Wert auf die Verknüpfung mit dem Regelunterricht und die aktive Begleitung des Klassenbesuchs legten, die Schüler*innen das Besuchserlebnis schlechter einschätzten. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit von Struktur und einer besseren Anbindung an den Unterricht im Gegensatz zu einem ‚Laissez-faire‘-Ansatz:
"Als wir frei herumgelaufen sind, habe ich weniger gemacht als am Workshop. Alleine war es langweilig." Schüler*in anonym
Diskussion
Die Erfahrung aus der Entwicklung der Lehrpersonenfortbildung im Swiss Science Center Technorama zeigt, dass begleitende Evaluationen und Feedbackmechanismen zielführend sind, um sich auf Nutzerbedürfnisse einzustellen und die Zufriedenheit mit Lehrpersonenfortbildungen zu erhöhen. Der Design-Thinking-Ansatz hat sich damit als grundsätzlich geeignet erwiesen, um die Lehrpersonenfortbildung konzeptionell sowie in Hinblick auf das Service Design zu optimieren und somit möglicherweise langfristig auch das Erlebnis von Schulklassenbesuchen zu verbessern.
"Die externe Evaluation und Analyse der Interviews hat es uns erlaubt, den Design-Thinking-Ansatz effizient umzusetzen und so eine Fortbildung zu entwickeln, welche den Bedürfnissen der Lehrpersonen entspricht, ohne unsere eigenen didaktischen Prinzipien zu verlassen." Armin Duff, Leiter Ausstellung und Didaktik Swiss Science Center Technorama
Die Ermittlung der Personas hat wenige, klar unterscheidbare Gruppen ergeben, die die Angebote des Technorama zielführend in den Unterricht einzubinden versuchen. Zudem geben die Personas wertvolle Hinweise für die Formulierung und Kommunikation von konkreten Angeboten für Lehrpersonen.
"Die Personas ermöglichen es uns, künftige Angebote zielgerichtet auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Lehrpersonen auszurichten." David Nef, Mitarbeiter Didaktik Swiss Science Center Technorama
Das ermöglicht auch Kulturinstitutionen einen Gewinn aus dieser Forschung, die selbst keine Fortbildungen für Lehrpersonen anbieten, sich aber als außerschulischer Lernort positionieren möchten. Ferner zeichnen sie ein klareres Bild der Bedürfnisse der Lehrpersonen und bieten damit die Grundlage für zielgenauere Unterstützungsangebote und zielgenauere Kommunikation der Angebote (siehe auch Hannich et al. 2024).
In den Weiterbildungskatalog des Technorama wird das Format fest übernommen. In einem weiteren Schritt soll überprüft werden, ob die Juicy Questions und eine vergleichbare Weiterbildung auch an anderen außerschulischen Lernorten gewinnbringend eingesetzt werden können ("Juicy Questions" fördern durch offene und herausfordernde Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt, das tiefgehende Denken und die kritische Analyse bei Schüler*innen). Eine Erkenntnis für die beteiligten Autor*innen über dieses Projekt hinaus ist, dass die Kombination von Methoden aus der Didaktik und dem Marketing sich als sehr fruchtbar erwiesen hat und den Herausforderungen im Arbeitsalltag vieler Kulturinstitutionen entsprechen könnte.
Literatur
- Deci, E. L. & Ryan, R. M. (1993): Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik, 39(2), 223-238.
- Emden, M.; Hannich, F.; Duff, A.; Kaya, T.; Leuschen, L. & Nef, D. (2024): Ausserschulisches Lernen mit dem Regelunterricht verknüpfen? Zur Entwicklung einer Lehrpersonenweiterbildung zwischen Fachdidaktik, Customer Management und Science Center. Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung (BzL). Im Druck.
- Falk, J. H. (2009): Identity and the Museum Visitor Experience. Left Coast Press.
- Hannich, F.; Labaronne, L.; Schedler, R.; Leuschen, L.; Heierli, R. (2024): Comparing Visitors’ and Non-Visitors’ Motivations and Sociodemographics - The Case of the Swiss Science Center Technorama. Journal of Cultural Management and Cultural Policy. Im Druck.
- Lewrick, M., Link, P. & Leifer, L. (2018): The design thinking playbook. Hoboken, NJ: John Wiley & Sons.
Über das Swiss Science Center Technorama
Das Swiss Science Center Technorama wurde 1982 als Technikmuseum gegründet und bietet heute Experimentierstationen zur Erkundung von Naturphänomenen. Im Jahr 2023 verzeichnete das Technorama mit insgesamt 364’286 Eintritten einen Gästerekord. Dabei entfielen 64.600 Eintritte auf Schulklassen, was das Technorama zu einem der führenden außerschulischen Lernorte in der Schweiz macht. Das Lehrpersonenmarketing umfasst neben einem umfassenden Angebot an Lehrpersonenfortbildungen als Vorbereitung auf den Klassenbesuch auch Begleitmaterial sowie einen zielgruppenspezifischen Newsletter.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Juni 2024 in der 180. Ausgabe des KMN Magazins: "Kulturräume".
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