Fastfood
Sinnbild einer fehlgeleiteten Kultur?
Fastfood ist weitaus mehr als nur ein Schnellgericht oder eine moderne Form, sich zeitsparend zu ernähren. Es ist eine öffentlich auffällige Erscheinungsform eines kulturellen Zeitgeistes, der sich in der verbreiteten Grundhaltung zur Geltung bringt, möglichst viele Dinge gleichzeitig und jedes einzelne so rasch wie möglich zu erlangen.
Dieser Zeitgeist ist das Gegenteil von dem, was man seit dem griechischen Philosophen Epikur (um 341 270 v. Chr.) unter 'Freude am sinnlichen Genuss' verstand übrigens nicht unbedingt nur beim lukullischen Speisen (das lag Epikur offenbar fern), sondern vor allem in geistigen Genüssen und in den Künsten -. "Tritt ein, Fremder! Ein freundlicher Gastgeber wartet dir auf mit Brot und mit Wasser im Überfluss, denn hier werden deine Begierden nicht gereizt, sondern gestillt". So empfing Epikur seine Gäste am Eingang seines Gartens in Athen.
Die Weisheit dieses Spruchs liegt in der unausgesprochenen Warnung, dem Menschen nicht die Freude an sinnlichen Genüssen dadurch zu verderben, dass seine Begierden künstlich angestachelt werden. In unserer heutigen, vom Werbegetöse überschwemmten Zeit ist solche Weisheit ein ausgesprochener Anachronismus. Fastfood meint nicht nur ein Gericht, das schnell gegessen werden soll (damit der nächste Gast Platz nehmen kann), sondern das man in hochgradig durchrationalisierter Weise mit standardisierten Zutaten (die als solche nicht unbedingt qualitativ schlecht sein müssen) Gerichte zubereitet, die man überall auf dem Globus zu jeder Zeit in der gleichen Art bekommen kann. Das ist kosten- und zeitsparend und damit profitabel.
Die freundliche Art, mit der Fastfood unser physiologisches Leben erleichtern will, drückt sich in ganz realen, handfesten, oft aufdringlichen Erscheinungen und Objekten von bemerkenswert infantiler Ästhetik aus: Schnellimbissbuden an markanten Straßenecken, komikartig eingerichtete Fastfood-Ketten-Restaurants, vorgekochte und tiefgefrorene Fertiggerichte, von Supermärkten aufgedrängte Zutatenpaletten für die heimische Küche und nicht zuletzt die arbeitserleichternden Haushaltstechnologien selbst sind zweifellos Annehmlichkeiten. Aber für welchen physiologischen und psychologischen Preis und mit welchen langfristigen kulturellen Folgen?
Die Antwort auf diese schwerwiegende Frage muss zunächst den historischen Ursachen und strukturellen Zusammenhängen nachgehen, die als Leitplanken eines weit zurückreichenden Kulturwandels verstanden werden können. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Fastfood-Mentalität eine Grundhaltung zur Geltung bringt, die ihren geistigen Boden im Streben nach kommerziellem Erfolg und einer dahinter stehenden, weltweit für selbstverständlich hingenommenen und praktizierten Politik des (grenzenlosen) Wirtschaftswachstums hat.
Ohne nach den langfristigen Folgen zu fragen, welche sich unter vielen anderen Erscheinungen zugleich geradezu dramatisch im drohenden oder schon eingetretenen Klimawandel zu erkennen geben, wird im Wirtschaftswachstum das alleinige Heilmittel gesehen für die Lösung von Krisen innerhalb der Industrieländer (typisch dafür die Idee, nur eine wachsende Wirtschaft könne Arbeitsplätze schaffen) und für die Überbrückung der Kluft zu den Entwicklungsländern in der Dritten Welt. Quantitatives Wachstum allein, die bloße Steigerung des Bruttosozialprodukts, hat bekanntlich die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen können; die Kluft zu den Entwicklungsländern ist eher noch gewachsen.
Das ökonomische Denken der Gegenwart wurzelt in einer weit zurückreichenden, anhaltenden Veränderung des abendländischen Kulturbewusstseins. Das seit dem späten Mittelalter einsetzende kalkulatorische Denken von Kaufleuten, Händlern, städtischen Magistraten und Fürstenhöfen hat eine handfeste Denkfigur vor Augen, die in sich völlig logisch ist: Wer sein Geld in einen Wirtschaftsbetrieb investiert, um damit Gewinne zu erzielen, durchläuft wenn man das so beschreiben will einen permanenten Angstkreislauf, nämlich dass das investierte Kapital in der Phase der Produktion und des Handelns bis zum Verkauf in Not geraten könnte. In dem permanenten Kreislauf von liquidem Geld, das in Sachwerte einfließt und schließlich wieder in Liquidität rückverwandelt wird, stecken die meisten Geschäftsrisiken der oft sehr lange dauernden Sachwertephase und erzeugen einen psychologischen Druck, sie möglichst rasch und glatt zu überwinden, um der Wiedererlangung des Geldes und eines Gewinnes sicher zu sein.
Nun ist dieser Kreislauf im Wirtschaftsbetrieb ja kein einmaliger Vorgang, sondern er wird ständig wiederholt, sobald die erzeugten Sachgüter verflüssigt werden konnten und das darin steckende Geld wieder frei geworden war. Eine einfache Kalkulation zeigt nun, dass die gleiche Geldmenge, die innerhalb einer Periode z. B. zweimal durch die Sachwertephase hindurchgeschleust werden kann, die doppelte Rendite einbringt. In dieser Aussicht auf vermehrten Gewinn durch Beschleunigung von Produktion und Vertrieb entsteht einerseits ein mächtiger interner Rationalisierungsdruck und andererseits ein ebenso starker Druck auf die Gestaltung von Marktverhältnissen, in denen der Konsum sich nicht allzu lange an einem Erzeugnis aufhält, sondern so bald wie möglich zu erneuten Nachfrage gelangt.
Rationalisierungstechniken in der Industrie, und dazu gehören die meisten modernen Technologien, sind dem Fastfood-Gedanken nicht nur verwandt, sondern entspringen dem gleichen Geist. Wir können auch umgekehrt von einer Industrialisierung unserer Essgewohnheiten sprechen, indem wir die Kultur des kommunikativen Beisammenseins beim Essen auf die Maßeinheit eines individuell und isoliert eingenommenen Schnellgerichts reduzieren. Industrielle Speisen, etwa Tiefkühl-Fertigspeisen, sind mundgerecht aufbereitet und passen bestens in Lebensumstände, in denen es darauf ankommt, keine Zeit zu verlieren.
Das kalkulierende Denken in Verbindung mit der ökonomischen Rationalitätsidee, die eine der stärksten historischen Triebfedern zur Technisierung der Produktion geworden ist, ist die Grundlage für die betriebswirtschaftliche Managementlehre. Deren instrumentelles Reservoir wird heute, wie wir aus der Entwicklung des Fachs Kulturmanagement wissen, oft allzu vordergründig einfach auf andere gesellschaftliche Sachgebiete übertragen, ohne sich mit der Frage nach den in diesem Denken verborgenen strukturellen Veränderungsenergien und realen kulturellen Folgen zu befassen.
Die Risiken eines kalkulierenden, auf Fastfood-Maßeinheiten reduzierten Lebensvollzuges liegen nicht nur auf der gesundheitlich-medizinischen Seite, sondern auch und ganz besonders auf der kulturellen Seite. Individuell und damit auch gesellschaftlich drohen die mentalen und emotionalen Potenziale einer historisch gewachsenen Kultur zu verarmen, wenn der sinnliche Reichtum, der sich nur durch geistiges Eindringen und Verweilen in den filigranen Formen und Inhalten der Kultur erschließen lässt, aus Zeitmangel nicht mehr wahrgenommen wird und das individuelle Leben sich wie ein Surfen auf den Oberflächen äußerer Reize vollzieht, wie sie beispielsweise die virtuellen Welten der Computerbildschirme und kommerziellen Rauminszenierungen in Straßen und öffentlichen Gebäuden erzeugen. Ein moderner Bahnhof oder eine Flughafenhalle ist heute kaum noch von einem Einkaufszentrum zu unterscheiden. Die Architektur verliert ihre Eigenbedeutung an die Egalität kommerzieller Ästhetik.
Könnte es sein, dass auch unser Kunsterleben einen langsamen Wandel in Richtung Fastfood erfährt? Es gibt eine Reihe von Indizien, die bedenklich stimmen. Wer sich beispielsweise die Mühe macht, einen Filmklassiker von sagen wir vor dreißig oder vierzig Jahren mit einem Filmklassiker in spe von heute zu vergleichen, dem wird auffallen, dass die einst ruhige Kameraführung und die sich allen sinnlichen Erlebnismöglichkeiten öffnenden Szenenschnitte verwandelt haben in extrem fragmentierte Kurzschnitte bei gleichzeitig aufgebauschter Sinnenerregung (z. B. durch Gewaltszenen). Manche thematisch vollgepackte Kunstausstellungen sind eigentlich nur zu bewältigen, indem man die Verweilzeiten vor den einzelnen Objekten bis auf ein flüchtiges Registrieren reduziert. Das hat mit Kunsterleben nicht viel zu tun, sondern macht sich die Neigung des Publikums zu aufregenden gesellschaftlichen Ereignissen, Event genannt, zu Eigen.
Sehr viel schwieriger zu beurteilen ist die Entwicklung in den darstellenden Künsten, weil hier eine Reihe anderer Komponenten "ins Spiel" kommt, die mit der komplizierten Ästhetik von Theater, Oper oder konzertanter Musik zu tun hat. Der Hinweis mag hier vielleicht genügen, dass die ästhetischen, künstlerischen Elemente eines modernen Musicals ganz im Sinne der Fastfood-Mentalität - in jeder nur erdenklichen Hinsicht standardisiert und als solche einem überaus strikten Copyright unterworfen sind, während man in einem Regietheater einen Klassiker geradezu nach Belieben zerrupften und nach eigenem Gusto wieder neu zusammensetzen darf. Der Musikkritiker Marcel Prawy dazu:"Sie können nicht das Musical 'Cats' (Katzen) von Andrew Lloyd Webber einfach in 'Dogs' (Hunde) verwandeln. Aber wenn es von Richard Wagner wäre, könnten Sie ruhig auch Krokodile oder Ameisen draus machen."
Nicht auszuschließen ist, wenngleich hier nicht weiter in die Tiefe gefragt*, dass die anhaltend sich steigernde Bevorzugung visueller Ästhetik, die längst das Theater, die Oper und sogar die Konzertkultur erfasst hat, ihre tieferen Ursachen in der gigantischen kommerziellen Inszenierung von Verführungstheatralik in der Öffentlichkeit und über die Medien bis in die private Intimsphäre hinein hat. Natürlich sind vorgefertigte Bilder und Bildfolgen leichter geistig und emotional zu verdauen, zumindest brauchen sie weniger Zeit und verlangen deutlich weniger Anstrengung.
Geistige Aktivität und in Verbindung damit sinnliche Inanspruchnahme unserer emotionalen Möglichkeiten indessen sind nun mal nicht ohne Anstrengung zu haben. Sinnbildlich formuliert: Wer seinen Körper sportlich trainieren will, erreicht sein Ziel nicht durch passives Miterleben von Sportereignissen vor dem Bildschirm. Wem der Sinn nach gastronomischen Genüssen steht, wird sich selbst bewegen müssen, und wem an den Köstlichkeiten eines guten Weines gelegen ist, wird eine Weinprobe wohl nicht im Eilverfahren über sich ergehen lassen.
Die Weisheit dieses Spruchs liegt in der unausgesprochenen Warnung, dem Menschen nicht die Freude an sinnlichen Genüssen dadurch zu verderben, dass seine Begierden künstlich angestachelt werden. In unserer heutigen, vom Werbegetöse überschwemmten Zeit ist solche Weisheit ein ausgesprochener Anachronismus. Fastfood meint nicht nur ein Gericht, das schnell gegessen werden soll (damit der nächste Gast Platz nehmen kann), sondern das man in hochgradig durchrationalisierter Weise mit standardisierten Zutaten (die als solche nicht unbedingt qualitativ schlecht sein müssen) Gerichte zubereitet, die man überall auf dem Globus zu jeder Zeit in der gleichen Art bekommen kann. Das ist kosten- und zeitsparend und damit profitabel.
Die freundliche Art, mit der Fastfood unser physiologisches Leben erleichtern will, drückt sich in ganz realen, handfesten, oft aufdringlichen Erscheinungen und Objekten von bemerkenswert infantiler Ästhetik aus: Schnellimbissbuden an markanten Straßenecken, komikartig eingerichtete Fastfood-Ketten-Restaurants, vorgekochte und tiefgefrorene Fertiggerichte, von Supermärkten aufgedrängte Zutatenpaletten für die heimische Küche und nicht zuletzt die arbeitserleichternden Haushaltstechnologien selbst sind zweifellos Annehmlichkeiten. Aber für welchen physiologischen und psychologischen Preis und mit welchen langfristigen kulturellen Folgen?
Die Antwort auf diese schwerwiegende Frage muss zunächst den historischen Ursachen und strukturellen Zusammenhängen nachgehen, die als Leitplanken eines weit zurückreichenden Kulturwandels verstanden werden können. Ausgehend von der Beobachtung, dass die Fastfood-Mentalität eine Grundhaltung zur Geltung bringt, die ihren geistigen Boden im Streben nach kommerziellem Erfolg und einer dahinter stehenden, weltweit für selbstverständlich hingenommenen und praktizierten Politik des (grenzenlosen) Wirtschaftswachstums hat.
Ohne nach den langfristigen Folgen zu fragen, welche sich unter vielen anderen Erscheinungen zugleich geradezu dramatisch im drohenden oder schon eingetretenen Klimawandel zu erkennen geben, wird im Wirtschaftswachstum das alleinige Heilmittel gesehen für die Lösung von Krisen innerhalb der Industrieländer (typisch dafür die Idee, nur eine wachsende Wirtschaft könne Arbeitsplätze schaffen) und für die Überbrückung der Kluft zu den Entwicklungsländern in der Dritten Welt. Quantitatives Wachstum allein, die bloße Steigerung des Bruttosozialprodukts, hat bekanntlich die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen können; die Kluft zu den Entwicklungsländern ist eher noch gewachsen.
Das ökonomische Denken der Gegenwart wurzelt in einer weit zurückreichenden, anhaltenden Veränderung des abendländischen Kulturbewusstseins. Das seit dem späten Mittelalter einsetzende kalkulatorische Denken von Kaufleuten, Händlern, städtischen Magistraten und Fürstenhöfen hat eine handfeste Denkfigur vor Augen, die in sich völlig logisch ist: Wer sein Geld in einen Wirtschaftsbetrieb investiert, um damit Gewinne zu erzielen, durchläuft wenn man das so beschreiben will einen permanenten Angstkreislauf, nämlich dass das investierte Kapital in der Phase der Produktion und des Handelns bis zum Verkauf in Not geraten könnte. In dem permanenten Kreislauf von liquidem Geld, das in Sachwerte einfließt und schließlich wieder in Liquidität rückverwandelt wird, stecken die meisten Geschäftsrisiken der oft sehr lange dauernden Sachwertephase und erzeugen einen psychologischen Druck, sie möglichst rasch und glatt zu überwinden, um der Wiedererlangung des Geldes und eines Gewinnes sicher zu sein.
Nun ist dieser Kreislauf im Wirtschaftsbetrieb ja kein einmaliger Vorgang, sondern er wird ständig wiederholt, sobald die erzeugten Sachgüter verflüssigt werden konnten und das darin steckende Geld wieder frei geworden war. Eine einfache Kalkulation zeigt nun, dass die gleiche Geldmenge, die innerhalb einer Periode z. B. zweimal durch die Sachwertephase hindurchgeschleust werden kann, die doppelte Rendite einbringt. In dieser Aussicht auf vermehrten Gewinn durch Beschleunigung von Produktion und Vertrieb entsteht einerseits ein mächtiger interner Rationalisierungsdruck und andererseits ein ebenso starker Druck auf die Gestaltung von Marktverhältnissen, in denen der Konsum sich nicht allzu lange an einem Erzeugnis aufhält, sondern so bald wie möglich zu erneuten Nachfrage gelangt.
Rationalisierungstechniken in der Industrie, und dazu gehören die meisten modernen Technologien, sind dem Fastfood-Gedanken nicht nur verwandt, sondern entspringen dem gleichen Geist. Wir können auch umgekehrt von einer Industrialisierung unserer Essgewohnheiten sprechen, indem wir die Kultur des kommunikativen Beisammenseins beim Essen auf die Maßeinheit eines individuell und isoliert eingenommenen Schnellgerichts reduzieren. Industrielle Speisen, etwa Tiefkühl-Fertigspeisen, sind mundgerecht aufbereitet und passen bestens in Lebensumstände, in denen es darauf ankommt, keine Zeit zu verlieren.
Das kalkulierende Denken in Verbindung mit der ökonomischen Rationalitätsidee, die eine der stärksten historischen Triebfedern zur Technisierung der Produktion geworden ist, ist die Grundlage für die betriebswirtschaftliche Managementlehre. Deren instrumentelles Reservoir wird heute, wie wir aus der Entwicklung des Fachs Kulturmanagement wissen, oft allzu vordergründig einfach auf andere gesellschaftliche Sachgebiete übertragen, ohne sich mit der Frage nach den in diesem Denken verborgenen strukturellen Veränderungsenergien und realen kulturellen Folgen zu befassen.
Die Risiken eines kalkulierenden, auf Fastfood-Maßeinheiten reduzierten Lebensvollzuges liegen nicht nur auf der gesundheitlich-medizinischen Seite, sondern auch und ganz besonders auf der kulturellen Seite. Individuell und damit auch gesellschaftlich drohen die mentalen und emotionalen Potenziale einer historisch gewachsenen Kultur zu verarmen, wenn der sinnliche Reichtum, der sich nur durch geistiges Eindringen und Verweilen in den filigranen Formen und Inhalten der Kultur erschließen lässt, aus Zeitmangel nicht mehr wahrgenommen wird und das individuelle Leben sich wie ein Surfen auf den Oberflächen äußerer Reize vollzieht, wie sie beispielsweise die virtuellen Welten der Computerbildschirme und kommerziellen Rauminszenierungen in Straßen und öffentlichen Gebäuden erzeugen. Ein moderner Bahnhof oder eine Flughafenhalle ist heute kaum noch von einem Einkaufszentrum zu unterscheiden. Die Architektur verliert ihre Eigenbedeutung an die Egalität kommerzieller Ästhetik.
Könnte es sein, dass auch unser Kunsterleben einen langsamen Wandel in Richtung Fastfood erfährt? Es gibt eine Reihe von Indizien, die bedenklich stimmen. Wer sich beispielsweise die Mühe macht, einen Filmklassiker von sagen wir vor dreißig oder vierzig Jahren mit einem Filmklassiker in spe von heute zu vergleichen, dem wird auffallen, dass die einst ruhige Kameraführung und die sich allen sinnlichen Erlebnismöglichkeiten öffnenden Szenenschnitte verwandelt haben in extrem fragmentierte Kurzschnitte bei gleichzeitig aufgebauschter Sinnenerregung (z. B. durch Gewaltszenen). Manche thematisch vollgepackte Kunstausstellungen sind eigentlich nur zu bewältigen, indem man die Verweilzeiten vor den einzelnen Objekten bis auf ein flüchtiges Registrieren reduziert. Das hat mit Kunsterleben nicht viel zu tun, sondern macht sich die Neigung des Publikums zu aufregenden gesellschaftlichen Ereignissen, Event genannt, zu Eigen.
Sehr viel schwieriger zu beurteilen ist die Entwicklung in den darstellenden Künsten, weil hier eine Reihe anderer Komponenten "ins Spiel" kommt, die mit der komplizierten Ästhetik von Theater, Oper oder konzertanter Musik zu tun hat. Der Hinweis mag hier vielleicht genügen, dass die ästhetischen, künstlerischen Elemente eines modernen Musicals ganz im Sinne der Fastfood-Mentalität - in jeder nur erdenklichen Hinsicht standardisiert und als solche einem überaus strikten Copyright unterworfen sind, während man in einem Regietheater einen Klassiker geradezu nach Belieben zerrupften und nach eigenem Gusto wieder neu zusammensetzen darf. Der Musikkritiker Marcel Prawy dazu:"Sie können nicht das Musical 'Cats' (Katzen) von Andrew Lloyd Webber einfach in 'Dogs' (Hunde) verwandeln. Aber wenn es von Richard Wagner wäre, könnten Sie ruhig auch Krokodile oder Ameisen draus machen."
Nicht auszuschließen ist, wenngleich hier nicht weiter in die Tiefe gefragt*, dass die anhaltend sich steigernde Bevorzugung visueller Ästhetik, die längst das Theater, die Oper und sogar die Konzertkultur erfasst hat, ihre tieferen Ursachen in der gigantischen kommerziellen Inszenierung von Verführungstheatralik in der Öffentlichkeit und über die Medien bis in die private Intimsphäre hinein hat. Natürlich sind vorgefertigte Bilder und Bildfolgen leichter geistig und emotional zu verdauen, zumindest brauchen sie weniger Zeit und verlangen deutlich weniger Anstrengung.
Geistige Aktivität und in Verbindung damit sinnliche Inanspruchnahme unserer emotionalen Möglichkeiten indessen sind nun mal nicht ohne Anstrengung zu haben. Sinnbildlich formuliert: Wer seinen Körper sportlich trainieren will, erreicht sein Ziel nicht durch passives Miterleben von Sportereignissen vor dem Bildschirm. Wem der Sinn nach gastronomischen Genüssen steht, wird sich selbst bewegen müssen, und wem an den Köstlichkeiten eines guten Weines gelegen ist, wird eine Weinprobe wohl nicht im Eilverfahren über sich ergehen lassen.
PETER BENDIXEN Wirtschaftswissenschaftler, Kulturwissenschaftler und Wirtschaftsgeograph. Zahlreiche Studien und Publikationen zu Kultur und Wirtschaft und zu Grundfragen der Ökonomie und BWL. Besondere Themenbereiche: Wirtschaftsethik, Kulturpolitik und -ökonomie sowie Kulturmanagement. Univ.-Prof. an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik bis 1999. Seit 2003 Gründungsmitglied und wissenschaftlicher Leiter des Studienzentrums Hohe Warte in Wien. Ab Februar 2008 Professor für Kulturmanagement an der Yeditepe University Istanbul.
*In Kürze erscheint im ProBusiness Verlag Berlin das Buch "Fastfood-Ökonomie - Die unaufhaltsame Kommerzialisierung der Zeit" von Peter Bendixen
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