10.10.2019

Themenreihe Preise & Ticketing

Autor*in

Tibor Kliment
ist Professor für Empirisches Medien- und Kulturmanagement an der Rheinischen Fachhochschule Köln. Er studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an Universität Bochum und promovierte an der FU Berlin. Er hatte Lehraufträge an zahlreichen Universitäten und Fachhochschulen, u.a. an der Universidad Nuevo Mundo/ Mexico City. Seine fachlichen Schwerpunkte sind Marketingforschung, Evaluationsstudien und Kommunikationsplanung.
Freier Eintritt und Kulturpolitik

Der freie Eintritt gewinnt?

Freier Eintritt ins Museum ist in Deutschland nicht neu. Seit einiger Zeit ist das Thema aber wieder verstärkt auf der kulturpolitischen Agenda, wie die Debatten in zahlreichen Ländern, Kommunen und im Deutschen Bundestag zeigen. Zu einer sinnvollen Lösungsfindung zwischen den verschiedenen, mitunter idealistischen Meinungen kann die Wissenschaft Klärendes beitragen. Dies tut dieser Beitrag in Form einer Meta-Studie von ca. 40 internationalen Untersuchungen.

Themenreihe Preise & Ticketing

Seit den 1980er Jahren gibt es hierzulande in zahlreichen Häusern kostenlosen Zugang. Von den vom Institut für Museumsforschung Berlin aktuell erfassten Museen bieten 35 Prozent - zumeist sind es kleine Häuser - einen zeitlich unbegrenzt freien Eintritt. Dessen Einführung wird von Seiten der Kulturpolitik meist begrüßt: Man möchte die Besucherzahlen dauerhaft steigern, neue Besucher gewinnen und das Publikum sozialstrukturell öffnen. Einen besonderen Schub erfuhr das Thema speziell durch den Beschluss der Bundesregierung, das Humboldt Forum in der Hauptstadt frei zu stellen. Die Museen scheinen in der Mehrzahl den freien Eintritt jedoch eher abzulehnen. Man will nicht auf Eigeneinnahmen verzichten, sieht die Handlungsfähigkeit des Museums für Aufkäufe, Vermittlung und Service in Gefahr, befürchtet Kapazitätsprobleme und steigende Kosten. Zudem wird auf vorhandene Ermäßigungen verwiesen. 
 
Systematische Untersuchungen zu den Auswirkungen des freien Eintritt s in den deutschen Museen gibt es bis auf wenige, neuere Studien kaum.1 Insbesondere sind dessen mittel- und langfristigen Effekte unbekannt. Anders ist es im Ausland: Hier liegen jahrzehntelange und gut evaluierte Erfahrungen mit dem freien Eintritt vor, die für die deutsche Debatte sehr nützlich sind. Berücksichtigt wurden für diesen Beitrag Studien u.a. aus Großbritannien, Frankreich, Schweden, Italien, den Vereinigten Staaten sowie aus Deutschland und EU-weit. In der Summe basieren die Ergebnisse auf den Erfahrungen von ca. 450 Museen und mehr als 400.000 Interviews mit Museumsbesuchern und Nicht-Besuchern in diesen Ländern.2
 
Gewinne in der Besucherstatistik 
 
Dort wo ein freier Eintritt eingeführt wird, führt er fast immer zu einer erheblichen Zunahme der Besuche. Die Spannweite des Möglichen ist dabei gewaltig: Während in einigen beobachteten Museen die Besuchszahlen nur um wenige Prozente stiegen, konnten sie in anderen Häusern um mehr als 400 Prozent zulegen. Wesentlich für die Größe des Effekts sind verschiedene Faktoren: 
 
  • Der Museumstyp: Während etwa bei Heimatkunde-/Stadtmuseen, naturkundlichen, technisch-wissenschaftlichen oder historischen Museen das Besucherwachstum oft erheblich ist, fallen die Effekte bei Kunstmuseen oft geringer aus. Aber auch hier wurden Steigerungsraten um mehrere 100 Prozent beobachtet. 
  • Die Prominenz des Museums: Bei großen und bekannten Häusern mit einem attraktiven Ausstellungsangebot bewirkt der freie Eintritt in aller Regel einen zusätzlichen Besucherschub, dagegen bleibt bei notorisch besucherschwachen Museen auch diese Maßnahme häufig wirkungslos. 
  • Die Lage: Eine urbane Lage und hochkulturell orientiertes Besucherpotential im Einzugsgebiet des Museums fördern die Effekte freien Eintritts. Zusätzlich werden sie gestützt von einer zentrumsnahen Situierung, die ein flanierendes Publikum erschließt. 
  • Die Sonderausstellungen: Attraktive (kostenpflichtige) Sonderausstellungen können den Effekt des freien Eintritts auf die Sammlung stark relativieren.
  • Das Marketing: Die intensive Kommunikation des freien Eintritts und die Aufmerksamkeit der Medien sind eine Grundvoraussetzung für Erfolg. Zwar gelingt es meist, nur max. 2/3 des Publikums zu informieren, Ferntouristen sind kaum erreichbar. Allerdings spielt unter ihnen ein freier Eintritt auch nur eine untergeordnete Rolle. 
Effekte auf die Besucherzahlen 
 
Die oft beeindruckenden Effekte in der Besucherstatistik sind allerdings nicht immer nachhaltig: Der große Besucheransturm stellt sich normalerweise innerhalb des ersten Jahres nach der Einführung des freien Eintritts ein, danach stagniert das Wachstum. Später nehmen die Besucherzahlen um 30 Prozent oder mehr von der Spitze wieder ab, verbleiben aber meist dauerhaft oberhalb des Niveaus vor der Einführung. Es wurden aber auch Fälle beobachtet, bei denen die Besucherzahlen zeitweilig sogar darunter fielen, etwa bei einigen großen Washingtoner oder Londoner Museen. 
 
Der freie Eintritt besitzt daneben auch einen "Halte-Effekt", indem er die Abwanderung von Teilen des Publikums vermindert, etwa weil diese das Museum bereits zu kennen glauben. Dies gilt speziell dann, wenn attraktive Sonderausstellungen als Publikumsmagnet zeitweilig fehlen. 
 
In der internationalen Analyse fanden sich auch zahlreiche Museen, die vom freien Eintritt wieder zu einem entgeltpflichtigen Modell zurückgekehrt sind, speziell in Schweden, den USA und Großbritannien. Verantwortlich waren die stärker als angenommenen Einnahmeausfälle oder neue politische Mehrheiten bei den öffentlichen Trägern. In der Konsequenz waren fast immer gravierende Besucherverluste von 30 bis 60 Prozent die Folge. Wie hoch die Verluste ausfielen, hing dabei weniger von der Höhe der neuen Ticketpreise ab als davon, wie nachvollziehbar die Maßnahme gegenüber dem Besucher kommuniziert wurde. Nach ca. 2-3 Jahren stiegen die Besucherzahlen dann meist wieder auf das Niveau von vor der Einführung des freien Eintritts an. 
 
Kaum Diversität durch den freien Eintritt 
 
Die mit dem freien Eintritt assoziierte Vorstellung einer "Kultur für alle" geht davon aus, dass durch ihn neue, museumsferne Schichten für den Museumsbesuch gewonnen werden können. Gern wird dabei auf das damit einhergehende Besucherwachstum verwiesen bzw. dieses damit erklärt. Die Realität ist jedoch eine andere: In allen internationalen und nationalen Studien resultiert der Anstieg in der Besucherstatistik weitgehend aus einer Zunahme der Besuche derselben Personen. Es kommt ein identischer Personenkreis ins Haus, die Stamm- und Gelegenheitsbesucher - meist aus Stadt oder der Region des Museums - weiten ihre Besuchstätigkeit aus. Dieser Mitnahme-Effekt macht in der Regel ca. mehr als 80 Prozent aller zusätzlichen Besuche aus. 
 
Die Hoffnung, dass wenigsten die übrigen Besucher "museumsfern" oder "divers" sind, wird meist ebenfalls enttäuscht. Denn freier Eintritt zieht in erster Linie solche Besucher neu an, bei denen die klassischen Hürden des Museumsbesuchs (Zeitmangel, fehlendes Interesse, mangelnde Informationen etc.) nur eine geringe Rolle spielen, sodass als letzte Barriere der Ticketpreis bleibt. Bei diesen handelt es sich vornehmlich um junge, kulturaffine Schüler und Studierende mit geringem Einkommen. Allerdings kommen diese seltener wieder und sind generell schwerer zu binden. 
 
Sozial benachteiligte oder bildungsferne Gruppen zu gewinnen, gelingt dagegen kaum. In den britischen, us-amerikanischen und deutschen Studien nahm der Anteil bildungs- bzw. einkommensschwacher Schichten oder ethnischer Minoritäten nur um eine Handvoll Prozentpunkte zu. In einigen schwedischen und französischen Besuchererhebungen waren diese Anteile etwas größer, blieben aber immer noch weit unter den Erwartungen. Die umfangreichen amerikanischen Bevölkerungsbefragungen zeigten zudem, dass sich das Einkommen der Besucher von Gratismuseen nicht von jenen der übrigen Museen unterschied. 
 
Effekte auf die Eigeneinnahmen 
 
Mit dem freien Eintritt wird nicht selten die Hoffnung verbunden, dass Ausfälle bei den Ticketeinnahmen durch den Besucheranstieg kompensiert werden könnten. Gedacht wird dabei etwa an den vermehrten Besuch von kostenpflichtigen Sonderausstellungen oder zusätzliche Ausgaben in den Bereichen Shop, Restaurant/Café oder kostenpflichtige Vermittlung. Dies gelingt jedoch kaum. 
 
Verantwortlich dafür ist, dass die Wiederholungs-Besucher, die insbesondere aus derselben Stadt oder Region des Museums stammen, sich kürzer im entgeltfreien Museum aufhalten und weniger Zeit für Vermittlungs- oder Kaufangebote aufbringen. Hinzu kommt die aufgrund der gestiegenen Besucherzahlen stärker belastete Infrastruktur, was längere Wartezeiten und eine geringere Aufenthaltsqualität verursacht. 
 
Die Umsätze pro Kopf sanken demzufolge in allen untersuchten Museen mit freiem Eintritt und waren geringer als bei vergleichbaren entgeltpflichtigen Museen. Häufig wurden sogar sinkende Gesamtumsätze beobachtet, bei gleichzeitig steigenden Kosten für Service und Sicherheit. In einigen deutschen Studien gab zwar mehr als jeder zweite Befragte an, durch den freien Eintritt häufiger in die kostenpflichtigen Sonderausstellungen zu gehen. Unter den preissensiblen Besuchern, für die der freie Eintritt in die Sammlung entscheidend war, tat dies jedoch niemand. Hier wirkte der Preis weiterhin als starke Zugangsbarriere. 
 
Außenwirkung des freien Eintritts 
 
Die Einführung eines freien Eintritts wird häufig von der Sorge begleitet, dass durch das kostenfreie Angebot Besucher von anderen, kostenpflichtigen Museen abgezogen werden könnten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei möglichen Abwanderungseffekten um komplexe Wirkungsprozesse handelt: Neben der Ähnlichkeit der Angebote spielen u.a. die Prominenz der jeweiligen Museen, die geografische Lage, die Preisrelationen oder der Anteil touristischer, meist preisunempfindlicherer Besucher eine Rolle. Bislang gibt es die Studien, welche diese Faktoren in ihrer Gesamtheit untersucht hätten. 
 
Allerdings lässt sich feststellen, dass eine Abwanderung von Besuchern in Richtung der freien Museen wissenschaftlich nicht belegt ist. Im Gegenteil. In Großbritannien stiegen seit Einführung des freien Eintritts in den staatlichen Museen die Besuchszahlen der kostenpflichtigen Museen ebenfalls, wenngleich weniger stark. Ähnliches wurde bei Museen in Frankreich, Schweden und teilweise auch in Italien beobachtet. In den deutschen Studien waren die Anteile derjenigen Besucher größer, die aufgrund der Eintrittsersparnis auch andere Museen sehen wollten, als derjenigen, die andere Museen deswegen nicht mehr besuchen würden. 
 
Was bleibt? 
 
Die internationalen und nationalen Studien zeigen mit einer bemerkenswerten Übereinstimmung, dass freier Eintritt zwar das Besuchsaufkommen zeitweilig deutlich erhöhen kann, jedoch nur für eine kleine Minderheit wirklich besuchsentscheidend ist. Zudem werden die Hoffnungen in Bezug auf die soziale Öffnung des Publikums - mit Ausnahme einer leichten Verjüngung - in der Regel verfehlt. 
 
Hervorzuheben sind demgegenüber die positiven psychologischen Effekte: Der Museumsbesuch habitualisiert sich, die emotionale Bindung an das Museum wird gestärkt. Auch wenn sich dieses in der Besucherstatistik nicht niederschlägt, ist dies ein wichtiger Teil der Zukunftssicherung des Museums. 
 
Dieser Beitrag erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin "Populäre Kulturen" und basiert auf einem Gutachten für die Beauftragte für Kultur und Medien Monika Grütters.
 
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Vgl. Wegner, Nora (2019): Evaluation des freien Eintritts in Dauerausstellungen für die baden-württembergischen Landesmuseen und das ZKM, Ergebnisbericht.  Kliment, Tibor (2018): Der Ertrag des freien Eintritts. Empirische Untersuchung der Wirkungen des Gratiseintritts auf den Museumsbesuch am Beispiel des Museums Folkwang. Unveröffentlichtes Manuskript. Köln. 
 
Aus Platzgründen wird auf umfangreiche Literaturangaben verzichtet. Siehe dazu Kliment, Tibor (2019): Der freie Eintritt im Humboldt Forum Berlin. Prognose der Auswirkungen auf die Publikumsgewinnung, Einnahmen und die Berliner Museen. Mitteilungen und Berichte aus dem Institut für Museumsforschung. Nr. 55.

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