01.10.2009
Autor*in
Birgitta Borghoff
ist forschend, lehrend, beratend und selbst unternehmerisch unterwegs. Sie liebt es, Brücken zu bauen zwischen Menschen, Unternehmen und Kulturen. Als Forscherin und Bildnerin an der ZHAW engagiert sie sich v.a. in den Bereichen Kommunikation, Kreative Agilität, Innovation Design und Entrepreneurial Storytelling. Als Creagile Entrepreneur von brückenwege und INNOVANTIQUA begleitet sie Menschen und Organisationen bei der Kultivierung von resilienzstärkenden Werten wie Spiritualität, Organisationsweisheit und Kreativität. Birgitta engagiert sich zudem ehrenamtlich als Stiftungsrätin der Sulzberg Stiftung.
Kulturförderung zu Zeiten der Finanzkrise
Das ideale Kulturamt gibt es nicht!
Ein Interview mit Nicole Kurmann, der Bereichsleiterin für Kultur in der Stadt Winterthur.
KM Magazin: In Anbetracht der gegenwärtigen Finanzkrise wie beschreiben Sie die aktuelle Situation in der Schweiz, was die Kulturförderung betrifft?
Nicole Kurmann: Die Auswirkungen der globalen Krise auf die öffentliche Kulturförderung in der Schweiz können zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht konkret benannt werden. Dies liegt bei z.B. für die Stadt Winterthur v.a. darin begründet, dass Beiträge für das aktuelle Kalenderjahr vertraglich abgesichert oder schon im Vorjahr bewilligt worden sind und deshalb tendenziell keine grösseren Kürzungen oder Umwälzungen für 2009 zu befürchten sind. Auch der Teuerungsausgleich auf den Subventionsbeiträgen konnte glücklicherweise weiterhin ausbezahlt werden. Es ist noch zu früh, um vorauszusagen, ob und um wie viel mit Kürzungen für das nächste Jahr zu rechnen ist. Die Budgetrunde wird erst im Herbst abgeschlossen sein. Aber auch die Steuereinnahmen des Kantons haben einen Einfluss auf den städtischen Kulturhaushalt. Allfällige Rückgänge würden sich auch auf die Ausgleichszahlungen an die Gemeinden und Städten auswirken. Ob die Stadt für das Jahr 2010 also wieder eine Sparrunde ankündigen muss, ist offen. 2003 gab es zuletzt drastische Sparmaßnahmen in Winterthur. In diesem Zusammenhang erhielt das Kulturamt von der Stadt einen klaren Auftrag, 400.000 Schweizer Franken bei den Kultursubventionen einzusparen !zu Ungunsten namhafter Kulturinstitutionen von überregionaler Bedeutung wie z.B. das Musikkollegium Winterthur und das Kunstmuseum, aber
auch zu Ungunsten der projektbezogenen Förderung. Wenn allerdings die Steuern im Kanton zurückgehen sollten, werden automatisch auch die Finanzausgleichsleistungen an die Stadt Winterthur ausfallen, denn Winterthur gilt als "arme Gemeinde". Es ist jedoch davon auszugehen, dass die vertraglichen Regelungen mit den Kulturinstitutionen hier in der Stadt weiterhin bestehen bleiben, auch wenn eine Klausel existiert, dass die Beiträge bei schlechter Finanzlage unter Einhaltung gewisser Bedingungen um einen gewissen Prozentsatz und was die grossen Institutionen betrifft - bis zu einem garantierten Mindestbeitrag wieder herunter gefahren werden können. Diese Regelung soll aber nach Möglichkeit nicht ausgeschöpft werden.
KM: Wie sieht es dann bei der privaten Kulturförderung aus? Und wie gehen Sie generell mit absehbar sinkenden Fördermitteln für ihren Kulturetat um?
NK: In diesem Bereich ist leider schon jetzt ein spürbarer Rückgang von Sponsoringbeträgen zu verzeichnen. Ebenso spüren die großen, für die Förderung der kulturellen Vielfalt wichtigen privatrechtlichen Stiftungen, dass die Erträge aus ihren Fondsvermögen geringer ausfallen. Weniger Geld impliziert für mich als Leiterin Kultur die Förderung weniger Angebote. Jede Kulturinstitution, jeder Veranstalter oder Initiator von kulturellen Projekten muss für sich selbst beantworten, welche Themen zentral sind und im Vordergrund der eigenen kulturellen Arbeit stehen. Wo liegen die individuellen Potenziale von Kulturprojekten und institutionen, wo sind die Grenzen, wo möchte man Prioritäten und Schwerpunkte setzen? Dass Kultur einen Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs liefert und Themen setzt, die als dringlich erlebt werden, wie dies in den 80er Jahren der Fall war, diese Position muss sie sich meiner Meinung nach wieder erobern. Vielmehr wird sie wahrgenommen als ein Angebot, das gleichrangig neben allen weiteren Freizeitaktivitäten steht. Unter dieser Voraussetzung wird es zunehmend schwieriger, Menschen für Kultur zu interessieren oder gar zu begeistern. Und gerade Projekte der freien Szene haben nicht die Mittel, sich in diesem Kontext mit den gängigen Werbemassnahmen zu behaupten. Nicht umsonst spricht man heutzutage allerorts von Audience Development (dt. Besucherforschung und Kulturmarktentwicklung) sowie über neuartige Modelle der Kulturvermittlung.
Ich möchte aber auch betonen, dass wir uns ständig im Gespräch mit den grossen Kulturinstitutionen und dem Kanton befinden. Der Informationsfluss ist zentral. Auch sind wir beteiligt, wenn es darum geht, mit den Institutionen "Worst-Case-Szenarios" zu erarbeiten. In dieser Hinsicht gibt es keine einfachen Rezepte. Mir persönlich ist es ein wichtiges Anliegen, präventive Konzepte und tragfähige Lösungen zu erarbeiten, welche zum Beispiel einem möglichen Stellenabbau beim Personal vorbeugen. Insofern gewinnt auch der Beratungsaspekt unserer Arbeit zunehmend an Bedeutung. Ein zentraler Punkt ist auch die Beziehungspflege mit den Wirtschaftsspitzen aus der Region diesbezüglich ist vor allem die politische Ebene engagiert.
Ein zentraler Aspekt meiner Arbeit wird es letztlich bleiben, Förderstrukturen zu schaffen, die unabhängig von globalen Wirtschafts- und Finanzkrisen funktionieren. Im Idealfall sind ja Strukturen so ausgelegt, dass sie gerade im Krisenfall tragen. Spricht man von eigenen Programmen im Rahmen der öffentlichen Kulturförderung, ist es wichtig, nicht direktiv zu werden. Ich habe diesbezüglich ein eher zwiespältiges Verhältnis zu verordneten Programmen.
KM: Welche Kulturbereiche haben es aus Ihrer Sicht derzeit schwer? Wie sieht es beispielsweise mit Theatern oder kleinen Projektträgern aus?
NK: Was die freie Szene anbetrifft, so ist die Situation bedenklich, gerade wenn es um aufwändige Projekte mit hohen Produktionskosten geht. Denn bereits vor der Finanzkrise war es in der Regel nicht möglich, mit einem städtischen Beitrag die Realisation einer grossen Produktion zu sichern. Gerade ist der erste von drei Eingabeterminen pro Jahr für projektbezogene Förderungsanträge verstrichen.. Dabei ist kein einziges Theatergesuch bei der Stadt Winterthur eingegangen. Erste konkrete Ausläufer der aktuellen Krise also?!
Des Weiteren zu beobachten ist das Fehlen "grosser Namen" auf einzelnen Festivalprogrammen. Namhafte Festivals, wie beispielsweise das LUCERNE FESTIVAL, etablierte Konzerthäuser (z.B. Tonhalle Zürich) sowie renommierte KuIturinstitutionen wie das Theater Winterthur zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Programm mit Qualität verbunden wird, dass also ihr Ruf bereits als Garant für einen qualitativ guten Inhalt dient. Diese sehe ich auch eine Möglichkeit für kleine Veranstalter: Auch sie können sich ein solches Label und Gütesiegel erarbeiten. Wenn ich mir zum Beispiel eine Theaterproduktion des Winterthurer Kinder- und Jugendtheaters Katerland anschaue, weiss ich, dass mich eine gute Aufführung erwartet, dabei muss ich zuvor weder das Stück noch die Schauspieler/innen kennen.
KM: Wo eröffnen sich Chancen und neue Perspektiven, die Krise als Motivator für die individuelle Entwicklung zu nutzen, festgefahrene Strukturen zu lockern und innovative Kulturförderungsmodelle zu initiieren?
NK: Ich sehe das Kulturamt eher als Ermöglicher und Bereitsteller von Ressourcen mit der Aufgabe, nicht nur in schwierigen Situationen beratend zur Seite zu stehen, Netzwerke zu schaffen, Verbindungen zu knüpfen und finanzielle Mittel zu mobilisieren. Auch sehe ich mich als Beobachterin der aktuellen Geschehnisse in der Kulturlandschaft, dessen Verantwortung es ist, zum einen die Stimmigkeit der Gewichtungen in den einzelnen Kultursparten zu analysieren, aber auch zu schauen, wo etwas neues entsteht und ob das entsprechende Terrain fruchtbar genug ist. Gerade die Kulturvermittlung ist eine wesentliche Aufgabe und gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die Stadt Winterthur konzentriert sich hier seit langem schon auf den Bereich der Museumspädagogik und hat neu eine Koordinationsstelle für Theaterpädagogik initiiert. Ein möglichst grosser Teil der Bevölkerung, allen voran die Kinder und Jugendlichen, soll der Zugang zur Kultur ermöglicht werden. In dieser Hinsicht verpflichten wir die von uns subventionierten Kulturinstitutionen zu einer Zusammenarbeit. Zudem organisieren und koordinieren wir die MuseumsTagNacht.
KM: Können Sie Synergien schaffen, beispielsweise im Dialog mit der Kantons- und Bundesebene oder mit anderen städtischen Ressorts wie z.B. der Standortförderung?
NK: Als wesentlicher Faktor der Standortqualität einer Stadt hat auch die Stadt Winterthur ein Interesse daran, das überregional bedeutende Kulturangebot durch gezielte Kommunikationsmaßnahmen besser bekannt zu machen. Informationen über die Kultur und Kulturförderung werden im Rahmen des städtischen Internetauftritts in den Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch kontinuierlich weiter ausgebaut. Winterthur Tourismus übernimmt diese Daten für sein eigenes Portal, wovon beide profitieren. Auch die langjährige Zusammenarbeit mit der Standortförderung Winterthur erweist sich als fruchtbar. Das Konzept des monatlichen Veranstaltungskalenders hat sich bewährt und dient Publikum und Medien als wertvolle Quelle, sich einen möglichst vollständigen Überblick über das Winterthurer Kulturschaffen zu verschaffen. Alle relevanten Informationen sind auf dem Portal www.kultur.winterthur.ch abrufbar Auch die Rahmenbedingungen unserer städtischen Kulturförderung werden auf diesem Weg transparent gemacht..
Die Zusammenarbeit unter den Winterthurer Kulturinstitutionen ist unter Wahrung der Eigenheiten und künstlerischen Freiheit der einzelnen Institutionen gerade auch in Anbetracht der Krise weiterhin auszubauen und auf mögliche Synergien zu überprüfen, z.B. durch die Bildung von ad-hoc-Arbeitsgruppen. Gerade auch bei der Ausarbeitung neuer Subventionsverträge prüfen wir grundsätzlich bei allen Subventionsnehmern, wo sich sinnvolle Formen der Aufgabenteilung ergeben, wobei nicht vergessen werden darf, dass aufgrund der verschiedenen Trägerschaften, Entscheidungsgremien, Rahmenbedingungen und Aufgaben der einzelnen Institutionen eine solche Zusammenarbeit nicht in jedem Fall zweckmässig und möglich ist. Nicht nur die knapper werdenden Finanzen, sondern auch die geografische Nähe zu unserem großen Nachbarn Zürich erfordern mehr und mehr eine Zusammenarbeit und Koordination zwischen den verschiedenen öffentlichen Anlaufstellen der Kulturförderung im Kanton. Der Bereich Kultur der Stadt Winterthur sucht insofern auch bewusst diese Kooperation.
KM: Was glauben Sie, wie sich Formen und Kriterien der Kulturförderung der Stadt Winterthur im Hinblick auf die Finanzkrise entwickeln werden? Worin werden zukünftig die Chancen liegen für die positive Beurteilung von Gesuchen bzw. die Sprechung von Geldern für Kulturprojekte und institutionen insbesondere auch im Hinblick auf aktuelle Themen wie Corporate Culltural/Social Responsibility und gesamtgesellschaftliche Verantwortung?
NK: Gemäss unserem Kulturleitbild umfasst die städtische Förderung die Pflege des Kulturerbes durch städtische Institutionen oder in Zusammenarbeit mit privaten Organisationen, die Vergabe jährlich wiederkehrender Subventionen an privatrechtliche organisierte Kulturinstitutionen, welche an die Erfüllung der jeweils individuell ausgestalteten Leistungsaufträge gekoppelt sind, sowie die Sprechung von einmaligen projektbezogenen Beiträgen an Institutionen, Gruppen oder Einzelpersonen für bestimmte kulturelle Projekte. Darüber hinaus gibt es weitere Massnahmen wie die Vermietung und Vermittlung von Ateliers, Arbeits- und Aufführungsräumen, Werk- oder Druckkostenbeiträge, Verleihung von Förderpreisen, Ankäufe von Kunstwerken und andere unterstützende Massnahmen, welche den Zugang zum Kulturschaffen sowie das Verständnis dafür ermöglichen und erleichtern.
Kriterien sämtlicher Unterstützungsmassnahmen sind die folgenden:
· Unterstützung von Projekten Winterthurer Kulturschaffender oder Projekten mit einem Bezug zur Stadt Winterthur
· Die Städtische Förderung basiert auf dem Subsidiaritätsprinzip, welches eine angemessene Eigenleistung der Kulturschaffenden bzw. Veranstalter voraussetzt.
· Für Beiträge an in der Region wohnhaften Personen muss versucht werden, die Mitbeteiligung der Wohnsitzgemeinde zu erwirken. Bei grösseren Projekten müssen ebenfalls Gesuche an die entsprechenden Förderstellen auf kantonaler und Bundesebene eingereicht werden.
· Unterstützungswürdig sind kulturelle Leistungen, die einem Bedürfnis entsprechen, ein adäquates Niveau aufweisen und von Nutzniessern namhaft mitfinanziert werden. Darüber hinaus werden insbesondere auch kulturelle Experimente und Pilotveranstaltungen angemessen gefördert.
Schwergewicht der städtischen Förderung ist in jedem Fall die Förderung des professionellen Kulturschaffens, wobei die grossen Verdienste der Laienkultur keinesfalls missachtet werden dürfen. Mir ist es im Hinblick auf die Zukunft ein wichtiges Anliegen, dass unsere städtische Kulturförderung auch weiterhin als ein möglichst offenes Gefäss mit relativ losen Strukturen fungiert, um die Lebendigkeit, Aktualität und Aufgeschlossenheit von Kultur zu erhalten, vielmehr noch zu pflegen und zu entwickeln. Es sind die Kulturschaffenden selber, welche die Themen setzen. Unsere Aufgabe ist es, auf der einen Seite mit unseren Förderinstrumenten genug zu sein, um auf sich wandelnde künstlerische Ausdrucksformen reagieren zu können, auf der anderen Seite müssen wir aber auch Verbindlichkeiten schaffen, damit unsere Vergabepraxis nicht auf Willkür beruht.
KM: Wie müsste Ihrer Meinung nach das ideale "Kulturamt der Zukunft" aussehen? Bitte beschreiben Sie Ihre Vorstellungen basierend auf Ihren Erfahrungen als Leiterin Kultur der Stadt Winterthur, aber auch als Musikwissenschaftlerin, Psychologin, Philosophin und Mensch.
NK: Es liegt in der Natur des Idealen, dass es sich, sei es auch in einer noch so fernen Zukunft, nicht erreichen lässt. Deshalb: Das ideale Kulturamt der Zukunft gibt es nicht. Aber selbst, wenn wir nach Idealen streben, fragt bei unserer heterogenen Aufgabe ständig "ideal für wen?". Der gemeinsame Nenner all unserer Ansprechpartner/innen ist natürlich das Geld. Jede Idee, die verwirklicht werden will, mündet schliesslich in die Frage nach den Kosten. Da bietet eine Zeit der Finanzkrise wohl keine ideale Voraussetzung. Aber Geld ist nicht alles, heisst es immer dann, wenn es fehlt. So strebt denn unser Amt über das Geld hinaus danach, mit seinem Fachwissen und Netzwerk, aber auch mit seiner Offenheit und Neugier den Kulturschaffenden ein paar ideale Voraussetzungen bieten zu können.
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