20.11.2008

Themenreihe Aus- und Weiterbildung

Autor*in

Johannes Weiß
Herbert Hellhund
Studiengang Popularmusik

Kontextwissen und Praxisnähe

Interview mit Prof. Herbert Hellhund und Johann Weiß über die Arbeit des Popinstituts und den Studiengang Popularmusik

Themenreihe Aus- und Weiterbildung

Das Gespräch führte Dirk Heinze.
 
KM Magazin: Herr Prof. Hellhund, wie kam der Studiengang Popular Music an der Musikhochschule Hannover zustande?
 
Prof. Herbert Hellhund: Begonnen hat das Projekt bereits vor 22 Jahren, als der Studiengang Jazz, Rock & Pop aus der Taufe gehoben wurde. Viele ähnlich gelagerte Studiengänge in Deutschland sind Jazz-Studiengänge. Jazz, Rock & Pop zu institutionalisieren war eigentlich ein Anliegen der Abteilung Schulmusik also die treibende Kraft hinter den Entwicklungen. Progressive Kollegen hatten das Ziel, dass nicht nur Sonaten, Fugen und dergleichen angehenden Gymnasiallehrern vermittelt werden, sondern auch Jazz und Popularmusik. Hier in Hannover hatten wir von Beginn an das Doppelstudienfach in inhaltlicher, konzeptioneller Art wie auch im Bezug auf die Klientel die Fach- und Instrumentallehrer, die Dozenten. Es wurde versucht, beide Schwerpunkte, Jazz wie Rock und Pop, gleichwertig zu bedienen. Da die höhere Nachfrage bei dem Jazzstudium lag, wurde es eher zu einem Jazzstudiengang als zu einem für Rock- & Popmusik.
Dann gab es die Zeit um 2000, die Expo, als im Land Niedersachsen und in Hannover plötzlich mehr Geld in die Hand genommen wurde. Es gab Bestrebungen, eine Art Popakademie zu installieren, nach dem Vorbild von Mannheim, die sich gerade entwickelte und eine riesige Resonanz erfuhr. Die Politik war natürlich auch deshalb daran interessiert, um auf diese Weise zu einer jungen Wählerschicht vorzustoßen. Allerdings scheiterte das Vorhaben am lieben Geld und blieb eine ganze Zeit lang in der Schublade, war fast schon beerdigt. Wir haben dann noch einmal einen Vorstoß unternommen, der dazu führte, dass das Popinstitut aus der Taufe gehoben werden konnte. Das Popinstitut ist dabei eine Ausbildungseinrichtung, die sich sowohl an die Studierenden der Hochschule als auch an die Leute aus der Szene in Form von Fortbildungsangeboten wie Workshops, Coaching etc. richtet
 
KM: Wie weit erstreckt sich diese Szene regional?
 
Johann Weiß: Die Szene in Hannover bedient ein sehr großes Einzugsgebiet. Wenn man sich Niedersachsen geographisch näher betrachtet, kommt sehr lange keine vergleichsweise große Stadt. Erst im Süden in Göttingen gibt es wieder eine Szene. Das führt natürlich dazu, dass alle Leute nach Hannover streben, d.h. wir reden hier über den ganzen Bereich Süd-Niedersachsen bis in die Lüneburger Heide im Norden, bis dahin, wo es dann näher ist, nach Hamburg zu fahren.
 
HH: Die Erfolge des Popinstituts waren Wasser auf den Mühlen derjenigen, die versucht haben, den Bereich Rock und Pop innerhalb der Hochschule nachhaltiger und eigenständiger zu verankern. Und auch aufgrund der Infrastruktur des Popinstituts mit Rock & Pop, Musik- und Medienwissenschaft, in dem auch ein Joint Venture mit den Firma Sennheiser eine Rolle spielt, war es möglich, ein Konzept zu verwirklichen und in einen konkreten Studienplan zu überführen. Dieses Konzept sieht es vor, dass es eine Reihe von inhaltlichen Schwerpunkten gibt, die das Ziel haben, einen multipel qualifizierten Absolventen hervor zu bringen, der mit diesen verschiedenen Qualifikationen berufsfähig ist, der aber in den einzelnen Fachsektoren noch sehr viel mehr Kompetenzen hinzugewinnen kann. Deshalb haben wir von Beginn an daran gedacht, diesen Abschluss in mehreren Richtungen Mastertauglich zu machen, d.h. der Bachelor ist bei uns erstens ein berufsqualifizierender Abschluss und zweitens ein für den Masterstudiengang vorbereitender Studiengang. Die Module liegen zum einen im künstlerischen Bereich vom Instrumentalunterricht bis hin zum Producing oder Songwriting zum anderen in der Musikwissenschaft, Medien und dem Bereich Recht und Marketing.
 
KM: Sie haben gerade einige Studieninhalte genannt. Wie können sich unsere Leser eine Lehre in einem doch recht praxisorientierten Feld wie Jazz oder Popularmusik vorstellen? Welcher theoretische Unterbau ist notwendig?
 
HH: Der theoretische Unterbau ist erheblich. Wenn sie Songwriting beherrschen wollen; wenn sie wirklich unabhängig von einem Bandkontext mit privaten biographischen Kompetenzen werden und über ihren Tellerrand hinausschauen wollen, dann müssen sie vorbereitet sein in puncto Harmonieund Formenlehre, rückblickende Stilkunde etc., und das anhand von praxistauglichen Inhalten. Hier greifen mehrere Faktoren ineinander. Theorie und Praxis durchdringen und stärken sich gegenseitig.
 
JW: Sie haben da einen sehr heißen Punkt angesprochen: Wie kann man so etwas, das funktioniert wie Popmusik, intuitiv gesteuert wird, theoretisieren und im Lehrgeschäft methodisch aufbereiten, ohne damit Schaden anzurichten? Was wir versuchen, und das durchdringt eigentlich alle Abteilungen, ist, dass wir dafür sorgen, dass die entsprechende theoretische Bildung vermittelt wird. Ziel ist es, eine intuitive Verknüpfung damit zu schaffen. Es geht nicht nur darum, etwas benennen zu können, sondern auch darum, ein Gefühl dafür zu entwickeln, was es musikalisch bedeutet. Das kann den Instrumentalunterricht durchdringen, das kann ein Produktionsseminar bei der Schulmusik oder wissenschaftliche Inhalte durchdringen.
 
HH: Das kann ich nur bestätigen. Es gibt ja an der musikpädagogischen Hochschule zwei Lehrmethoden: Zum einen ist es das auszuführen, was der Dozent sagt und auch zu wiederholen und das ist dann das Rüstzeug für das Leben. Das ist eine Art Drill und eine Ausbildungsform, die nicht einmal erfolglos sein muss. Bei uns im Bereich Jazz und Rock/Pop existiert das nicht. Was wir mit der Theorie oder auch mit der Einführung in die Rock- und Jazzgeschichte beabsichtigen, ist den Leuten Kontextwissen, Zusammenhänge zu vermitteln, ihnen Materialien an die Hand zu geben, die später verwendbar sind. Wie diese aber letztlich verwendet werden, bestimmt in der zweiten Hälfte des Studiums in einem Prozess der zunehmenden Verselbständigung der Studierende selbst. Und hier spielt der intuitive Faktor eine entscheidende Rolle. Aber dann ist es keine naive Intuition, sondern eine geschulte.
 
KM: Im Popularmusik-Bereich wird häufig beklagt, dass die Szene zu schlecht vernetzt sei. Können Sie hier Hilfe leisten? Fühlen Sie sich als Teil dieser Szene, die versucht Leute aus den Ebenen der Lehre, der unmittelbaren Praxis, der Tonträgerindustrie zusammen zu bringen. Wie verstehen Sie hier Ihre Rolle?
 
JW: Zunächst ist eine der Grundideen des Popinstituts gewesen, sich nach außen zu öffnen. Das bedeutet in der Praxis, dass sie nicht immatrikuliert sein müssen, um einen Kurs aus dem Angebot des Instituts zu belegen. Sie senden je nach Kurs, den sie belegen möchten, einen Lebenslauf ein, werden dann ausgewählt und können teilnehmen. Sie sitzen im Kurs mit Leuten, die ein regelmäßiges Studium an der Hochschule absolvieren und dort findet Austausch und Kontakt statt. Auf der anderen Seite im Großen sind wir am Popinstitut als Hochschule sehr gut vernetzt mit anderen etablierten Bildungseinrichtungen in Deutschland, die sich mit diesem Themenbereich beschäftigen. Wir haben sehr guten Kontakt zu den Kollegen in Mannheim, wir haben äußerst guten Kontakt zu den Kollegen des Kontaktstudiums für Popularmusik an der Musikhochschule in Hamburg. Die Kooperation mit der Firma Sennheiser ist eine weitere Möglichkeit, Austausch zu generieren.
 
KM: Was verspricht sich Sennheiser von dieser Kooperation? Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit überhaupt gekommen?
 
JW: Es hat eine große Rolle gespielt, dass Prof. Sennheiser, der Firmeninhaber und Sohn des Gründers, ein Lokalpatriot ist. Sennheiser hat seinen Firmensitz in der Wedemark, ca. 15 Minuten von Hannover-Stadtzentrum entfernt. Es lag für das Unternehmen auf der Hand, eine Einrichtung, die sich mit diesem Thema beschäftigt, zu unterstützen. Zum anderen ist die Hochschule eine sehr interessante Referenzumgebung. Eine Technologiefirma wie Sennheiser kann ihre Produkte unter realen Bedingungen testen. Das Equipment ist an einer Musikhochschule einem absoluten Härtetest ausgesetzt. Manche Geräte bleiben 20 Jahre an der Hochschule, andere müssen bereits nach einem halben Jahr ausgewechselt werden. Das ist ein großer Mehrwert. Darüber hinaus geht es einfach um das Feedback der Studierenden: Was sagen sie zu neuen Prototypen, wie klingt das Mikrofon, wie klingt der Kopfhörer? Nicht zuletzt sorgt eine solche Kooperation für eine wichtige Öffentlichkeitswirksamkeit.
 
HH: Unser Nutzen besteht natürlich auch darin, dass die Firma Sennheiser uns in nicht unerheblicher Weise materiell unterstützt in Form von Geld und von Technik.
 
KM: Vom Unternehmen Sennheiser ist es nicht weit zur allgemeinen Situation der Musikwirtschaft. Es besteht ja eine rasante Entwicklung im Bereich der Technologien und der Vertriebswege. Wie können sie sich selbst bei einer solch schnellen Entwicklung auf dem Laufenden halten, um Ihren Studierenden aufzeigen zu können, worauf sie sich einstellen müssen, was für sie wichtig ist, um im späteren Beruf erfolgreich zu sein?
 
HH: Wir machen gewissermaßen aus der Not eine Tugend, denn die Majorität unserer Lehrer sind Lehrbeauftragte, mit einem vergleichsweise geringen Honorar, das sie zwingt, sich in ihrer professionellen Umgebung wie bisher weiterhin zu bewegen und zu bewähren. Das heißt, auch von dieser Seite her halten wir den stetigen Kontakt zu den aktuellen Trends und Entwicklungen aus der Szene, auf dem Markt usw.
 
JW: Die Studienordnung des neuen Studiengangs Popular Music ist in ihrer Konstruktion derart flexibel, dass sie, ohne große Änderungen im Curriculum, immer nach den Bedürfnissen ausgerichtet werden kann, die für einen einfachen Einstieg in die Musikwirtschaft nötig sind.
 
HH: Das ist richtig. Wir haben von vornherein daran gedacht, dass es Justierungen und Nachjustierungen inhaltlicher Art in der Zukunft geben wird. Der größte Fehler wäre, ein starres Curriculum herzustellen. Wir bieten ein ordentliches Paket Wissen, das vor allem zu Anfang in den ersten Semestern vermittelt wird. Dann entwickelt sich eine zunehmende Öffnung des Curriculums nach eigenen Schwerpunkten und auch nach Orientierungsmöglichkeiten außerhalb der Hochschule, die dann in Form von geeigneten Veranstaltungen, Projekten usw. testatfähig gemacht werden müssen. Also im Grunde reguliert sich das System ständig selbst.
 
KM: Was haben Sie in Zukunft noch vor? Welche Projekte sind geplant?
 
HH: Ich möchte gerne auf den Anfang zurückkommen, damit nicht Dinge verwechselt werden. Wir haben das Popinstitut weiterhin als Ausbildungsgelegenheit für Externe, für Musiker aus der Szene, und auch attraktiv für die Studierenden des Hauses gestaltet. Worüber wir hier jetzt geredet haben ist nicht das Popinstitut, sondern ein neuer Studiengang Popular Music - die Begriffe sind manchmal verwirrend. Die Ausbildung erfolgt auch weiterhin in den alten Studiengängen Jazz, Rock und Pop. Es handelt sich dabei um ein riesiges Konglomerat, mit dem wir hantieren. Das, was jetzt neu hinzugekommen ist, ist der Studiengang Popular Music als vollwertiger Studiengang mit spezifischen Schwerpunkten. Das Neue liegt in der Ausrichtung, in der Vielgestaltigkeit und Reaktionsfähigkeit auf alle Marktgegebenheiten im Bereich der Popularmusik; in dieser Vielgestaltigkeit bieten wir etwas Singuläres innerhalb der deutschen Hochschullandschaft.
 
KM: Ich bedanke mich bei Ihnen beiden für das interessante Gespräch und wünsche weiterhin viel Erfolg.
 

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