19.09.2024
Autor*in
Bernward Tuchmann
ist Inhaber der TUCHMANN Kulturberatung (Münster/Berlin) und Geschäftsführer der INTHEGA e.V., dem Fachverband der Gastspielbranche. Er studierte Geographie, Politikwissenschaft, Verwaltung und Raumplanung. Seine berufliche Tätigkeit begann er als Planer und Marktforscher, im Anschluss war er Leiter Vertrieb am Theater Osnabrück. Er lehrt als Dozent am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und ist Mitglied im Präsidium des Deutschen Bühnenvereins.
Julia Jakob
studierte Musikwissenschaft und Kulturmanagement in Weimar. Praktische Erfahrungen im Kulturbetrieb sammelte sie bei unterschiedlichen Festivals und in verschiedenen Veranstaltungsbüros sowie als Agentin bei weim|art e. V. Seit 2021 ist sie die Chefredakteurin des Kultur Management Network Magazins und stellvertretende Leiterin der Redaktion.
Rückblick Fachtagung des INTHEGA-Kongress 2024
Herausforderungen und Chancen im Gastspieltheater
Gesellschaftliche und politische Veränderungen wirken sich auch auf die Gastspielbranche aus. Welche Rolle deren Akteur*innen der Kulturarbeit innerhalb der Demokratie zuschreiben, stand im Fokus der Fachtagung des INTHEGA-Kongress, den die Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen (INTHEGA) als Fachverband der Gastspielbranche** vom 24. bis 26. Juni in Bielefeld ausrichtete. Zu welchen Erkenntnissen die Veranstaltenden kamen, darüber spricht Bernward Tuchmann mit Julia Jakob.
Lieber Bernward, im Mittelpunkt der Fachtagung des INTHEGA-Kongress stand die Frage, welche Rolle die Kultur und somit unsere Kulturarbeit in der Demokratie spielt. Warum war das für euch wichtig?
Ein ausschlaggebender Grund war das 75-jährige Jubiläum des Grundgesetzes, dessen Bedeutung unsere Präsidentin, Dorothee Starke, betonen wollte. Insofern wollten wir mit unserer Fachtagung darauf hinweisen, dass es gut ist, was wir haben, und dass wir uns aber bewusst sein müssen, dass sich das jederzeit ändern kann und man sich für den Erhalt der Demokratie einsetzen muss.
Darüber hinaus wollten wir die Fachtagung anders gestalten und die Mitglieder mehr einbringen: Anfang des Jahres hatten wir eine Klausur mit dem Vorstand, um unser Schwerpunktthema für die Fachtagung zu bestimmen. In den letzten Jahren mussten wir unsere Themenwahl oft anpassen, was uns zu einer flexibleren Planung bewogen hat. Statt Expert*innen am Anfang luden wir zudem zwei Kolleg*innen von uns und zwei von Seite der Produzent*innen zur Diskussion ein, um verschiedene Perspektiven und persönliche Beobachtungen zu vertreten. So zeigte sich zum Beispiel, dass es in unserer heterogenen Gruppe unterschiedliche Auffassungen zum Thema "Kultur in der Politik und Demokratie" gibt, besonders im Umgang mit politischen Extremen. Einige merkten an, dass sie erst durch unsere Initiative angefangen haben, darüber nachzudenken. Das Ergebnis war, dass wir einen Impuls gesetzt haben, der nun regional weiter diskutiert wird. Generell sind unsere Mitglieder oft als Einzelkämpfer*innen in der Kulturarbeit kleiner und mittelgroßer Kommunen tätig, weshalb sie die INTHEGA als Plattform für den Austausch schätzen, der insbesondere auf regionaler Ebene wichtig ist.
Die Akteur*innen der ostdeutschen Bundesländern sind aktuell wahrscheinlich direkter mit Demokratiebedrohung konfrontiert? Inwieweit wurde das im Rahmen der Diskussionen deutlich?
Ja, da gibt es auf jeden Fall im Ost-West-Vergleich Unterschiede: In Thüringen wird die Debatte beispielsweise anders geführt als in Baden-Württemberg. Einige Kolleg*innen aus ostdeutschen Kommunen berichteten, dass sie täglich mit extremen politischen Positionen umgehen und arbeiten müssen und betonten damit verbunden auch, dass man sich im Westen theoretische Diskussionen leistet, die im Osten nicht möglich sind.
Was sind weitere Erkenntnisse aus der Diskussion? Und welche Aufgaben ergeben sich daraus für die unterschiedlichen Akteur*innen der Gastspielbranche?
Die Diskussion hat gezeigt, dass die jeweiligen Programme unserer Mitglieder wichtig sind, um die eigene Rolle und die Einflussmöglichkeiten deutlich zu machen. Die Veranstaltung hat damit verbunden diejenigen bestärkt, die inhaltlich gestalten wollen. Produzent*innen stehen zudem vor der Herausforderung, heute zu entscheiden, welche Inhalte sie in zwei Jahren präsentieren werden, was angesichts der unsicheren politischen und gesellschaftlichen Lage besonders schwierig ist. Einige Kolleg*innen überlegen daher, ihre Programme nicht vollständig festzulegen, sondern Flexibilität für aktuelle Reaktionen zu ermöglichen, was eine interessante Entwicklung darstellt. Denn in Zukunft könnten wir gezwungen sein, kurzfristiger auf politische und gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren. Stadttheater haben hier zwar mehr Potenzial aufgrund ihrer Ressourcen, aber auch Gastspielbetriebe können durch solche Anpassungen eine wichtige Rolle spielen, da unsere Veranstaltungsorte oft als soziale Zentren dienen, was die Bedeutung des Gastspiels unterstreicht. Die zunehmende Präsenz der freien Szene auf unseren Bühnen ist eine positive Entwicklung, die unsere Mitglieder außerhalb dieser Szene motivieren kann, flexibler zu reagieren und neue, zeitgenössische Themen einzubringen.
Mit der freien Szene hast du einen Punkt angesprochen, den ich gar nicht so auf dem Schirm hatte. Wie kommt es, dass die freie Szene jetzt mehr auf "eure" Bühnen strömt?
Wir haben das selbst ein wenig befeuert: Denn wir haben in den letzten Jahren bemerkt, dass einzelne Gruppen aus der freien Szene immer wieder im Gastspielbereich auftraten. Daher haben wir die Verbandsarbeit intensiviert und sehen uns als eine von drei Säulen neben dem Bühnenverein und den Landesverbänden der freien Szene, die sehr autonom arbeiten. Zu letzteren haben wir gute Beziehungen aufgebaut. Wir haben die Spielstätten, die nicht immer ausgelastet sind, und die freie Szene hat die Produktionen. Es geht also darum, diese zusammenzubringen - gerade im ländlichen Raum sehe ich hier gute Chancen. Unsere Mitglieder tun sich teilweise jedoch schwer mit der freien Szene, die wiederum Vorbehalte gegen Gastspielhäuser hat und lieber in Großstädten wie Hamburg oder Berlin auftritt. Hier gilt es also, einige Klischees zu überwinden, was am besten im gemeinsamen Austausch funktioniert, wie etwa auf unserem Kongress. Denn ich kann als Geschäftsführer zwar keine Programme machen, aber ich kann die Leute zusammen bringen. Wir haben dazu auch ein Projekt mit dem Fonds DaKu initiiert, um unsere Netzwerke mit der freien Szene zu stärken und besser aufeinander abzustimmen. Wir planen zudem ein Symposium, um zu sehen, wie die verschiedenen Bereiche effektiver kooperieren können. Im Kinder- und Jugendtheater sowie im Tanz sind wir bereits sehr fortschrittlich. Das Tanzland-Projekt mit der Bundeskulturstiftung ist ein Beispiel dafür.
Unser Ziel ist es, dass die verschiedenen regionalen Gruppen sich nach diesem Jahr besser kennen. Das würde bedeuten, dass die Kommunikation und Kooperation auf Länderebene funktioniert. Unsere Aufgabe sehe ich darin, die Türen dafür zu öffnen.
Mit den weiteren Workshops und Vorträgen, die im Rahmen der Fachtagung noch angeboten wurden, hat die INTHEGA ein breites Themenfeld abgesteckt: Von Nachhaltigkeit im Theater über Entwicklungen im Ticketing und Künstliche Intelligenz im Kulturbetrieb bis hin zur Gewinnung von Technikpersonal. Welche Rolle spielen denn diese Themen für die Gastspielbranche? Und was sollte sich dabei noch ändern in Zukunft?
Während Technisches Personal und die Entwicklung neuer Ausbildungsbereiche sowie Nachhaltigkeit wiederkehrende Themen waren, beginnen wir bei KI gerade erst, in das Thema einzusteigen. Viele Kolleginnen und Kollegen sind dankbar, dass sie überhaupt Informationen zu komplexen Themen wie Nachhaltigkeit oder KI erhalten, da es ihnen oft an Zeit fehlt, sich in ihrem Arbeitsalltag darüber zu informieren. Unsere Angebote dienen daher primär der Information und Aufklärung. Der bunte Strauß an Themen, den wir anbieten, kommt dabei sehr gut an, was das Feedback und die hohe Nachfrage zeigen. So waren alle Workshops sofort belegt, nachdem die Anmeldung möglich war.
Die Runden Tische boten darüber hinaus eine Plattform für spontanen Austausch und Solidarität, was oft unterschätzt wird. Denn die täglichen Sorgen unserer Mitglieder, wie Anfragen zu Investitionen für Stadthallen, zeigen die praktische Relevanz unserer Arbeit. Auch wenn es um kulturpolitische Positionierung geht, sehen wir unsere Aufgabe darin, Orientierung zu bieten und Aufklärung zu leisten. Wir müssen diejenigen einbinden, die Expertise haben.
Was nimmst du als Veranstalter für den nächsten INTHEGA-Kongress aus den Entwicklungen des diesjährigen mit?
Wir planen, das Auftaktthema für die Fachtagung kurzfristig zu definieren, um flexibel auf aktuelle Entwicklungen reagieren zu können. Die interne Diskussion hat dabei in diesem Jahr gut funktioniert, wir müssen also nicht immer externe Impulse suchen. Wir hatten dieses Jahr außerdem eine Rekordbesuchszahl mit über 900 Teilnehmer*innen, was uns bestätigt hat, dass unser Ansatz richtig ist. Das spiegelt auch unsere Mitgliederzahl wider, die wir in den letzten Jahren um über 10 % auf jetzt über 400 steigern konnten. Damit verbunden sind wir sehr glücklich, dass wir die Krisenzeit überlebt haben. Denn 2020 mussten wir kurzfristig den Kongress und den Theatermarkt absagen, was uns finanziell stark belastete. Dann kam mit Neustart Kultur glücklicherweise u.a. die Möglichkeit eines digitalen Kongresses. Der analoge Erfolg aus diesem Jahr zeigt jedoch, dass die Leute sich treffen und austauschen wollen. Die Digitalisierung ist dennoch ein unerlässlicher Punkt für uns und unsere Mitgliedsarbeit, denn wir betreiben mit unserer INTHEGA-Datenbank die zentrale Datenbank für die Gastspielbranche, die u.a. alle Informationen zu unseren Mitgliedern und deren Spielstätten sowie zu Tourneetheatern, den Gastspielproduzent*innen und deren Produktionen umfasst. Diese wächst ständig und wird bald auch Kleinkunst stärker integrieren durch die Kooperation mit der Internationalen Kulturbörse Freiburg.
Wir müssen trotz dieser Erfolge weiterhin daran arbeiten, wahrgenommen zu werden und kulturpolitisch aktiv zu bleiben, dies betonte auch unsere Präsidentin Dorothee Starke während des Kongresses. Der direkte Austausch mit Mitgliedern und Produzent*innen ist dafür wichtig, ebenso wie die fortlaufende Professionalisierung. Die nächsten Jahre werden zudem eine Zeit der Stabilisierung sein, in der wir uns auch finanziell neu orientieren müssen. Denn wir müssen marktorientiert und wirtschaftlich denken, da wir keine Fördergelder erhalten. Das sind für unser kleines Team, das auf insgesamt 3,0 Personalstellen arbeitet, also einige Herausforderungen. Trotz dieser sind wir aber dankbar und nehmen jedes Jahr neue Energie und das positive Gefühl mit, dass das, was wir tun, richtig ist.
Was wären deine Wünsche für die Gastspielbranche für das nächste Jahr und auch für die Zukunft?
Natürlich wünsche ich mir - und wünschen wir uns - eine finanzielle Absicherung der Etats in den Kommunen, die alle betrifft, nicht nur die kleinen, sondern auch die großen Einrichtungen. Wir erfahren manchmal erst durch Kündigungen der Mitglieder, dass sie keine Förderung mehr erhalten. Allerdings erwarte ich keine institutionelle Förderung wie andere Verbände. Damit verbunden streben wir nach Stabilität sowohl für die Kommunen als auch für den Verband: Denn wenn die Kommunen finanziell stabil sind, unabhängig von der Region, dann können wir unser kulturelles Angebot aufrechterhalten. Ich sehe jedoch keine unmöglichen Herausforderungen am Horizont, sondern eher die Möglichkeit, dass die Landesgruppen effektiv arbeiten und wir den internen Austausch sowie die Kommunikation verbessern können.
Ich wünsche mir daher, dass unsere Häuser die Freiheit haben, mit ihren Produktionen kreativ und offen zu arbeiten, sowohl inhaltlich als auch organisatorisch. Ich hoffe damit verbunden auch, dass wir weiter wachsen und aktiver arbeiten können.
Anm. d. Red.: Der nächste INTHEGA-Kongress findet vom 28. Juni bis zum 2. Juli 2025 in der Stadthalle Bielefeld statt.
Impressionen des INTHEGA-Kongress und der Fachtagung
**Die INTHEGA e.V. (Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen) ist der Fachverband der Gastspielbranche, welcher als mitgliederstärkster Theaterverband die Interessen von rund 400 Kommunen in Deutschland, Österreich und der Schweiz vertritt. Mitglieder sind Städte, Gemeinden und Vereine, die für ein kommunales Kulturprogramm verantwortlich sind und hierzu auf die Angebote von Gastspielproduzenten zurückgreifen. Weitere Infos: www.inthega.de
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