Rückblick Tagung des Landesverbandes der Musikschulen 2007
Musikschul-Aufgaben im 21. Jahrhundert
Ganz offensichtlich stehen die Menschen in Sachsen-Anhalt - ihrem Landesmotto folgend - wirklich früher auf. Wie anders ist es zu erklären, daß die Abgeordneten im Landtag einer bildungspolitischen Novität zustimmen? Einstimmig haben sie in diesem Jahr ein Musikschulgesetz verabschiedet, das richtungweisende und in seiner Klarheit so noch nicht formulierte Akzente für die zukünftige Aufgabenstellung der Musikschule setzt: klare Zuordnung der Musikschule zum Bildungssystem, Betonung des Landesinteresses an der Zusammenarbeit der Musikschulen mit den Kindertagesstätten und allgemeinbildenden Schulen, um Chancengerechtigkeit für alle Kinder zu gewährleisten, sowie unverkrampfte Einstellung zur Wahl der Trägerform, die auch die sogenannten "privaten Musikschulen" nicht ausklammert, sondern als musikpädagogische Unternehmungen bewußt mit einbezieht.
Der Landesverband der Musikschulen begleitet und unterstützt die Musikschulen deshalb nicht nur bei der Anpassung an vermeintlich Unvermeidliches, was die katastrophale Situation der öffentlichen Haushalte betrifft. Er betreibt nicht nur fachliche Kosmetik am inhaltlichen Programm. Er kümmert sich nicht nur um das Image seiner Musikschulen, um Musikschule als Brand, als Marke, und sucht auch nicht nur nach ergänzenden programmbezogenen Ausrichtungen.
Gemeinsam mit seinen Mitgliedern, den Musikschulträgern, mit den Musikschulleitern und lehrern sowie mit Eltern und Schülern hat der Verband damit begonnen, sehr vorsichtig eine Neubestimmung der bildungspolitischen Rolle der Musikschulen im 21. Jahrhundert vorzunehmen.
In welche Richtung die Veränderungen in den Musikschulen sowie in allen anderen Kultur- und Bildungseinrichtungen eines Landes - im 21. Jahrhundert gehen könnten und wohl auch gehen werden, wurde in der Fachtagung Musisch-ästhetische Bildung in Kitas (MäBi Kita) im Köthener Schloß deutlich angesprochen.
Die gut besuchte Tagung - eine Informationsveranstaltung für Eltern, Erzieher, Musikpädagogen, Kulturpolitiker, Kulturadministratoren und für die interessierte Öffentlichkeit - wurde vom Landesverband der Musikschulen in Sachsen-Anhalt mit Unterstützung des Kultusministeriums sowie der Kommune Landkreis und Stadt Köthen - organisiert.
Ganz im Sinne des Musikschulgesetzes, das mit Nachdruck auf die änderungsbedürftige gemeinwohlorientierte Allokation öffentlicher Mittel hinweist, richtete sich das Augenmerk der Fachtagung auf die Herausforderung, allen Kindern und Jugendlichen einer Kommune so früh wie möglich einen Zugang zur musikalischen Grundbildung oder Musisch-ästhetischen Bildung (MäBi), wie der Landesverband diesen Bildungsbereich nennt - zu ermöglichen.
Es ging um nicht mehr - aber auch um nicht weniger - als um eine erste Verständigung über den gemeinsamen Weg von Musikschulen und Kindertagesstätten hin zu einer gemeinsamen Weiterentwicklung der Musikalischen Früherziehung der Musikschulen einerseits und des sachsen-anhaltischen Bildungsprogramms Bildung:elementar für Erzieherinnen in Kitas andererseits.
In der Fachtagung wurde eines deutlich: Die Bedeutung des Themas musisch-ästhetische Bildung kann nicht überschätzt werden. Schon angesichts der demographischen Entwicklung müssen unsere Bildungsanstrengungen der Förderung aller Kinder gelten: Die Anzahl der Geburten hat sich in Sachsen-Anhalt in den vergangenen 15 Jahren halbiert - von ca. 34.000 auf ca. 17.000. Hinzu kommt die allmählich wachsende Kinderarmut, der wir nur mit kompensatorischen Angeboten im Bildungsbereich begegnen können, begegnen müssen. Wir sind mit unserem Bildungssystem Weltmeister der sozialen Selektion.
Angesichts der komplexen und nicht voneinander zu trennenden Probleme der demographischen Entwicklung, der oft zu monetär konzipierten und gestalteten Familienpolitik, der Entwicklung der Staatsfinanzen, der Kinderarmut, der schwierigen Ausländerintegration, der instabilen sozialen Sicherungssysteme, des miserablen Arbeitsmarktes, der wirtschaftlichen und kulturellen Globalisierung usw. ist die musisch-ästhetische Bildung - gemeinsam mit elementarer ethisch-religiöser und elementarer intellektuell-wissenschaftlicher Allgemeinbildung Kern erfolgreicher Zukunftsgestaltung in Familien, Kitas, Schulen und beruflichen Bildungsstätten.
Wir werden die genannten gesellschaftlichen Probleme nur lösen, wenn sich unser Bildungssystem qualitativ und quantitativ zutiefst ändert , indem es verbessert wird.
Ohne einen nachhaltigen Wandel im Bildungssystem, der die Förderung der Allgemeinbildung auf allen gesellschaftspolitisch relevanten Feldern und angepaßt an die jeweilige Entwicklungsstufe der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen gemeinsam mit anspruchsvollen Medien vorantreibt, werden wir das derzeitige weitverbreitete kulturelle Analphabetentum nicht abbauen können. Noch zu viele Rundfunk- und Fernsehsender und Printmedien verdienen mit Niveaulosigkeiten und dummdreisten Spaßmüllhalden, die der bildungsbewußte Zuhörer und Zuschauer wider seinen Willen auch noch über die Rundfunkgebühren oder über die Preise der beworbenen Konsumgüter mitfinanzieren muß.
Wie die bewußt oder unbewußt - im alten Trott verharrenden Veränderungswiderstände in der Gesellschaft durch größere Bildungsbemühungen vor allem auch in der frühen Kindheit verdrängt werden können, dazu haben die Referenten während der Tagung und unter intelligenter, umsichtiger, charmanter und humorvoller Moderation von Antonia Bongartz vom Mitteldeutschen Rundfunk wichtige Beiträge geleistet. Sie alle sollen jetzt in das Projekt MäBi Kita, das wegen seines wohl einmaligen Ansatzes einen Modellcharakter - nein besser: Vorbildcharakter - bekommen könnte, einfließen und weiterentwickelt werden. Und im Juni nächsten Jahres wiederum in Köthen soll erstmals Rechenschaft über die Projektentwicklung gegeben werden.
In einem kurzen Einführungsvortrag beschrieb die Initiatorin des Projekts, Elke Brommer - seit Februar 2005 Geschäftsführerin des Landesverbandes in Sachsen-Anhalt -, Entstehungsgeschichte und Zielrichtung des Projekts MäBi Kita: Die Prinzipien der Chancengerechtigkeit und Gleichbehandlung aller Kinder, wie sie in Kitas aus gesellschafts- und bildungspolitischen Gründen berücksichtigt werden müssen, kollidieren mit den Angeboten der Musikalischen Früherziehung (MFE) der Musikschulen, die immer nur für einige wenige Kinder und dann noch in den Stammzeiten am Vormittag - als Vorstufen der musikalischen Bildungsbiographie in Frage kommen.
Beiden Seiten war zwar die Notwendigkeit einer professionell geleiteten musisch-ästhetischen Bildung für alle Kinder im Kita-Alter einleuchtend, allein es fehlte noch die zündende Idee für ein entsprechendes Angebot. Diese Idee tauchte im Zusammenhang mit einem Impuls-Workshop im März 2006 auf: Beide Seiten Musikschule und Kita werden ihre je spezifische professionelle Kompetenz zusammentun und sich in gemeinsamen Weiterbildungen mit der Konzeption einer breiten musisch-ästhetischen Bildung - mit Hilfe der Primärmedien Musik und Bewegung - und mit den Chancen und Strukturen einer gemeinsamen konkreten Umsetzung von MäBi Kita aus ihrer je spezifischen Sicht befassen.
Seitdem hatten sich die beiden Vertreterinnen der Musikschule wie der Kita in Köthen, Regina Baufeld, Diplom-Musikpädagogin an der Kreismusikschule Johann Sebastian Bach, und Silke Stimm, Leiterin des Kompetenzzentrums Kita Pinocchio, gemeinsam mit ihrem kommunalen Träger und ihren Kolleginnen und Kollegen Gedanken zu MäBi gemacht und die Ergebnisse ihrer praxisbezogenen Überlegungen auf der Fachtagung vorgetragen. Sie wurden im Anschluß daran sozusagen multi- und transdisziplinär aus der Sicht der Erziehungswissenschaft und Soziologie, der Neurobiologie und Medizin und der Musikpädagogik beleuchtet und unterstützt.
Die Kernaussagen der drei Fachreferate lassen sich so zusammenfassen: Jedes Kind hat seine eigene Bildungsbiographie, die sich aus seinen genetischen Anlagen und vor allem aus der individuellen neuronalen Verarbeitung der Anregungen im Austausch mit seinem jeweiligen Lebensumfeld ergibt.
Die Intensität der Lernprozesse im Kind Entwicklung von Neugier, Verarbeitung von Erfahrungen und Wissen, Wahrnehmungsfähigkeit und Motorik - ist abhängig von der emotionalen Sicherheit des Kindes, von der Intensität seiner Bindungserfahrung im Umgang mit den es begleitenden Menschen. Musikhören und Musikmachen als Bildungsmedium fördern starke Bindung und hohe emotionale Sicherheit des Kindes vorausgesetzt - den Erwerb und die Stabilisierung von Metakompetenzen (Gerald Hüther), die man nicht lehren kann, die das Kind vielmehr vorbildhaft erleben können muß, um sie sich anzueignen Metakompetenzen wie Selbstwirksamkeit, Handlungsplanung, Selbstwahrnehmung, Selbstregulation, Kreativität und Einfühlungsvermögen.
Musisch-ästhetische Bildung ist für alle Kinder und Jugendlichen unverzichtbar. MäBi als Wahrnehmungsschulung, als elementare kulturelle Bildung gehört zwingend in das Aufgabenportfolio der Musikschulen, Kindertagesstätten und Schulen.
In ihrem Referat Rhythm is it! Musik als elementare Bildung in Kitas Sachsen-Anhalts erläuterte Ursula Rabe-Kleberg, Professorin für Erziehungswissenschaft und Soziologie der Bildung und Erziehung an der Universität Halle-Wittenberg, die Strukturen frühkindlicher Bildungsprozesse. Sie verwies - für das Gelingen dieser Prozesse sehr eindringlich auf die Relevanz vielfältiger musisch-ästhetischer Bildungsgelegenheiten, die Musikpädagogen und Erzieherinnen in den Kindertagesstätten gemeinsam herstellen. Die dafür erforderliche zusätzliche Professionalität auf beiden Seiten könnten Musikpädagoge und Erzieherin ergänzend zum und aufbauend auf dem Bildungsprogramm Bildung:elementar für Erzieherinnen in Sachsen-Anhalt - in gemeinsamen Weiterbildungen erwerben.
Für die Erziehung eines Kindes braucht man ein ganzes Dorf. Dieses afrikanische Sprichwort beschreibt sehr bildhaft den Ansatz des weithin bekannten Sachbuchautors Gerald Hüther, Professor für Neurobiologie und Direktor der Abteilung für neurobiologische Grundlagenforschung an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen. In seinem Referat Musik ist Doping für die Kindergehirne: Die Bedeutung aktiver und passiver Musikerfahrungen für die Verankerung von Metakompetenzen im Frontalhirn wies er sehr anschaulich und überzeugend nach, daß unser alltäglicher Begriff von Bildung noch immer weitgehend und in der Regel ganz unbewußt - dem Maschinenzeitalter verhaftet ist. Noch immer stellen wir uns Bildung als ein Verfahren mit dem Nürnberger Trichter vor: In manch einer der modernsten Säuglingsabteilungen werden Säuglinge heute wir sahen ein eindrucksvolles Bild - über Kopfhörer mit Musik beschallt, ohne irgendeinen Kontakt zu einem Menschen zu haben, der ihnen Wärme und emotionale Sicherheit vermitteln könnte. Solche Kinder erfahren Musik zwangsläufig als etwas Seelenloses.
Bildung ist, wie wir heute wissen, kein lineares, sondern ein dynamisches Geschehen komplexer neuronaler Verschaltungen und Vernetzungen, die sich in dem Maße im Kind und Jugendlichen herausbilden, wie sie in starken menschlichen Beziehungen genutzt werden. Je vielfältiger und häufiger sie in starken Bindungen zu Eltern, Freunden, Lehrern genutzt werden, desto breiter und intensiver sind die kindlichen Bildungsprozesse, die Bahnungen im Gehirn. Die wichtigsten Bildungsprozesse führen zu Metakompetenzen wie Selbstwahrnehmung, Einfühlungsvermögen und Beziehungsfähigkeit, die nicht gelehrt werden können, sondern die das Kind durch möglichst viele Vorbilder selbst lernt und die für die gelingende Bewältigung des Lebens unverzichtbar sind. Daß passive wie aktive Musikerfahrungen hierbei eine herausragende Rolle spielen, ist inzwischen hinlänglich bekannt. .
Im abschließenden Referat Vom Erlebnis zum Ergebnis Musik Lernen im Spannungsfeld von prozeß- und produktorientiertem Handeln bestätigte Werner Beidinger, Professor für Elementare Musikpädagogik und Geschäftsführender Leiter des Instituts für Musik und Musikpädagogik der Universität Potsdam, die Erkenntnisse der Neurobiologie aus der Sicht der Elementaren Musikpädagogik. Sein Ansatz einer allgemeinen Musikalisierung aller Kinder zielt gerade nicht auf gute bis solistische vokale oder instrumentale Leistungen weniger Kinder, sondern auf frühkindliche Bildungsprozesse, in denen sich alle Kinder und Jugendlichen körperlich, sprachlich, musikalisch und motorisch besser auszudrücken lernen.
In der abschließenden Diskussion wurde deutlich: Für die Musikschulen eröffnet sich mit der Musisch-ästhetischen Bildung zukünftig ein weites Wirkungsfeld in Kitas und Schulen mit pädagogischen Strukturen, die vor allem von der neu konzipierten alten Idee des Vorbilds leben. Bildung braucht Vorbilder! Bildung lebt davon, daß Menschen sich am guten Beispiel anderer orientieren, daß sie sich begeistern und mitnehmen lassen. Jeder kann ein Vorbild sein: Eltern, Nachbarn, Trainer, Lehrer, Klassenkameraden. (Horst Köhler)
Alle Kinder müssen in Zukunft von einem Bildungssystem erreicht werden, das verhindert, daß - wie im vergangenen Jahr in Deutschland - 80.000 Jungen und Mädchen ohne Schulabschluß von der Schule entlassen werden.
Mit ihrem insofern präventiven Angebot Musisch-ästhetischer Bildung für alle Kinder und Jugendlichen fangen die Musikschulen in Sachsen-Anhalt alle Musikschulen und ihr gesamtes musikpädagogisches Umfeld - in ihrem jeweiligen Einflußbereich entschlossen an.
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Dr. Joachim Kreutzkam ist Geschäftsführer der Akademie Gesellschaft und Wissenschaft (AGW) Bad Harzburg und Vorsitzender des Beirats der Landesmusikakademie Sachsen-Anhalt
Gemeinsam mit seinen Mitgliedern, den Musikschulträgern, mit den Musikschulleitern und lehrern sowie mit Eltern und Schülern hat der Verband damit begonnen, sehr vorsichtig eine Neubestimmung der bildungspolitischen Rolle der Musikschulen im 21. Jahrhundert vorzunehmen.
In welche Richtung die Veränderungen in den Musikschulen sowie in allen anderen Kultur- und Bildungseinrichtungen eines Landes - im 21. Jahrhundert gehen könnten und wohl auch gehen werden, wurde in der Fachtagung Musisch-ästhetische Bildung in Kitas (MäBi Kita) im Köthener Schloß deutlich angesprochen.
Die gut besuchte Tagung - eine Informationsveranstaltung für Eltern, Erzieher, Musikpädagogen, Kulturpolitiker, Kulturadministratoren und für die interessierte Öffentlichkeit - wurde vom Landesverband der Musikschulen in Sachsen-Anhalt mit Unterstützung des Kultusministeriums sowie der Kommune Landkreis und Stadt Köthen - organisiert.
Ganz im Sinne des Musikschulgesetzes, das mit Nachdruck auf die änderungsbedürftige gemeinwohlorientierte Allokation öffentlicher Mittel hinweist, richtete sich das Augenmerk der Fachtagung auf die Herausforderung, allen Kindern und Jugendlichen einer Kommune so früh wie möglich einen Zugang zur musikalischen Grundbildung oder Musisch-ästhetischen Bildung (MäBi), wie der Landesverband diesen Bildungsbereich nennt - zu ermöglichen.
Es ging um nicht mehr - aber auch um nicht weniger - als um eine erste Verständigung über den gemeinsamen Weg von Musikschulen und Kindertagesstätten hin zu einer gemeinsamen Weiterentwicklung der Musikalischen Früherziehung der Musikschulen einerseits und des sachsen-anhaltischen Bildungsprogramms Bildung:elementar für Erzieherinnen in Kitas andererseits.
In der Fachtagung wurde eines deutlich: Die Bedeutung des Themas musisch-ästhetische Bildung kann nicht überschätzt werden. Schon angesichts der demographischen Entwicklung müssen unsere Bildungsanstrengungen der Förderung aller Kinder gelten: Die Anzahl der Geburten hat sich in Sachsen-Anhalt in den vergangenen 15 Jahren halbiert - von ca. 34.000 auf ca. 17.000. Hinzu kommt die allmählich wachsende Kinderarmut, der wir nur mit kompensatorischen Angeboten im Bildungsbereich begegnen können, begegnen müssen. Wir sind mit unserem Bildungssystem Weltmeister der sozialen Selektion.
Angesichts der komplexen und nicht voneinander zu trennenden Probleme der demographischen Entwicklung, der oft zu monetär konzipierten und gestalteten Familienpolitik, der Entwicklung der Staatsfinanzen, der Kinderarmut, der schwierigen Ausländerintegration, der instabilen sozialen Sicherungssysteme, des miserablen Arbeitsmarktes, der wirtschaftlichen und kulturellen Globalisierung usw. ist die musisch-ästhetische Bildung - gemeinsam mit elementarer ethisch-religiöser und elementarer intellektuell-wissenschaftlicher Allgemeinbildung Kern erfolgreicher Zukunftsgestaltung in Familien, Kitas, Schulen und beruflichen Bildungsstätten.
Wir werden die genannten gesellschaftlichen Probleme nur lösen, wenn sich unser Bildungssystem qualitativ und quantitativ zutiefst ändert , indem es verbessert wird.
Ohne einen nachhaltigen Wandel im Bildungssystem, der die Förderung der Allgemeinbildung auf allen gesellschaftspolitisch relevanten Feldern und angepaßt an die jeweilige Entwicklungsstufe der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen gemeinsam mit anspruchsvollen Medien vorantreibt, werden wir das derzeitige weitverbreitete kulturelle Analphabetentum nicht abbauen können. Noch zu viele Rundfunk- und Fernsehsender und Printmedien verdienen mit Niveaulosigkeiten und dummdreisten Spaßmüllhalden, die der bildungsbewußte Zuhörer und Zuschauer wider seinen Willen auch noch über die Rundfunkgebühren oder über die Preise der beworbenen Konsumgüter mitfinanzieren muß.
Wie die bewußt oder unbewußt - im alten Trott verharrenden Veränderungswiderstände in der Gesellschaft durch größere Bildungsbemühungen vor allem auch in der frühen Kindheit verdrängt werden können, dazu haben die Referenten während der Tagung und unter intelligenter, umsichtiger, charmanter und humorvoller Moderation von Antonia Bongartz vom Mitteldeutschen Rundfunk wichtige Beiträge geleistet. Sie alle sollen jetzt in das Projekt MäBi Kita, das wegen seines wohl einmaligen Ansatzes einen Modellcharakter - nein besser: Vorbildcharakter - bekommen könnte, einfließen und weiterentwickelt werden. Und im Juni nächsten Jahres wiederum in Köthen soll erstmals Rechenschaft über die Projektentwicklung gegeben werden.
In einem kurzen Einführungsvortrag beschrieb die Initiatorin des Projekts, Elke Brommer - seit Februar 2005 Geschäftsführerin des Landesverbandes in Sachsen-Anhalt -, Entstehungsgeschichte und Zielrichtung des Projekts MäBi Kita: Die Prinzipien der Chancengerechtigkeit und Gleichbehandlung aller Kinder, wie sie in Kitas aus gesellschafts- und bildungspolitischen Gründen berücksichtigt werden müssen, kollidieren mit den Angeboten der Musikalischen Früherziehung (MFE) der Musikschulen, die immer nur für einige wenige Kinder und dann noch in den Stammzeiten am Vormittag - als Vorstufen der musikalischen Bildungsbiographie in Frage kommen.
Beiden Seiten war zwar die Notwendigkeit einer professionell geleiteten musisch-ästhetischen Bildung für alle Kinder im Kita-Alter einleuchtend, allein es fehlte noch die zündende Idee für ein entsprechendes Angebot. Diese Idee tauchte im Zusammenhang mit einem Impuls-Workshop im März 2006 auf: Beide Seiten Musikschule und Kita werden ihre je spezifische professionelle Kompetenz zusammentun und sich in gemeinsamen Weiterbildungen mit der Konzeption einer breiten musisch-ästhetischen Bildung - mit Hilfe der Primärmedien Musik und Bewegung - und mit den Chancen und Strukturen einer gemeinsamen konkreten Umsetzung von MäBi Kita aus ihrer je spezifischen Sicht befassen.
Seitdem hatten sich die beiden Vertreterinnen der Musikschule wie der Kita in Köthen, Regina Baufeld, Diplom-Musikpädagogin an der Kreismusikschule Johann Sebastian Bach, und Silke Stimm, Leiterin des Kompetenzzentrums Kita Pinocchio, gemeinsam mit ihrem kommunalen Träger und ihren Kolleginnen und Kollegen Gedanken zu MäBi gemacht und die Ergebnisse ihrer praxisbezogenen Überlegungen auf der Fachtagung vorgetragen. Sie wurden im Anschluß daran sozusagen multi- und transdisziplinär aus der Sicht der Erziehungswissenschaft und Soziologie, der Neurobiologie und Medizin und der Musikpädagogik beleuchtet und unterstützt.
Die Kernaussagen der drei Fachreferate lassen sich so zusammenfassen: Jedes Kind hat seine eigene Bildungsbiographie, die sich aus seinen genetischen Anlagen und vor allem aus der individuellen neuronalen Verarbeitung der Anregungen im Austausch mit seinem jeweiligen Lebensumfeld ergibt.
Die Intensität der Lernprozesse im Kind Entwicklung von Neugier, Verarbeitung von Erfahrungen und Wissen, Wahrnehmungsfähigkeit und Motorik - ist abhängig von der emotionalen Sicherheit des Kindes, von der Intensität seiner Bindungserfahrung im Umgang mit den es begleitenden Menschen. Musikhören und Musikmachen als Bildungsmedium fördern starke Bindung und hohe emotionale Sicherheit des Kindes vorausgesetzt - den Erwerb und die Stabilisierung von Metakompetenzen (Gerald Hüther), die man nicht lehren kann, die das Kind vielmehr vorbildhaft erleben können muß, um sie sich anzueignen Metakompetenzen wie Selbstwirksamkeit, Handlungsplanung, Selbstwahrnehmung, Selbstregulation, Kreativität und Einfühlungsvermögen.
Musisch-ästhetische Bildung ist für alle Kinder und Jugendlichen unverzichtbar. MäBi als Wahrnehmungsschulung, als elementare kulturelle Bildung gehört zwingend in das Aufgabenportfolio der Musikschulen, Kindertagesstätten und Schulen.
In ihrem Referat Rhythm is it! Musik als elementare Bildung in Kitas Sachsen-Anhalts erläuterte Ursula Rabe-Kleberg, Professorin für Erziehungswissenschaft und Soziologie der Bildung und Erziehung an der Universität Halle-Wittenberg, die Strukturen frühkindlicher Bildungsprozesse. Sie verwies - für das Gelingen dieser Prozesse sehr eindringlich auf die Relevanz vielfältiger musisch-ästhetischer Bildungsgelegenheiten, die Musikpädagogen und Erzieherinnen in den Kindertagesstätten gemeinsam herstellen. Die dafür erforderliche zusätzliche Professionalität auf beiden Seiten könnten Musikpädagoge und Erzieherin ergänzend zum und aufbauend auf dem Bildungsprogramm Bildung:elementar für Erzieherinnen in Sachsen-Anhalt - in gemeinsamen Weiterbildungen erwerben.
Für die Erziehung eines Kindes braucht man ein ganzes Dorf. Dieses afrikanische Sprichwort beschreibt sehr bildhaft den Ansatz des weithin bekannten Sachbuchautors Gerald Hüther, Professor für Neurobiologie und Direktor der Abteilung für neurobiologische Grundlagenforschung an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen. In seinem Referat Musik ist Doping für die Kindergehirne: Die Bedeutung aktiver und passiver Musikerfahrungen für die Verankerung von Metakompetenzen im Frontalhirn wies er sehr anschaulich und überzeugend nach, daß unser alltäglicher Begriff von Bildung noch immer weitgehend und in der Regel ganz unbewußt - dem Maschinenzeitalter verhaftet ist. Noch immer stellen wir uns Bildung als ein Verfahren mit dem Nürnberger Trichter vor: In manch einer der modernsten Säuglingsabteilungen werden Säuglinge heute wir sahen ein eindrucksvolles Bild - über Kopfhörer mit Musik beschallt, ohne irgendeinen Kontakt zu einem Menschen zu haben, der ihnen Wärme und emotionale Sicherheit vermitteln könnte. Solche Kinder erfahren Musik zwangsläufig als etwas Seelenloses.
Bildung ist, wie wir heute wissen, kein lineares, sondern ein dynamisches Geschehen komplexer neuronaler Verschaltungen und Vernetzungen, die sich in dem Maße im Kind und Jugendlichen herausbilden, wie sie in starken menschlichen Beziehungen genutzt werden. Je vielfältiger und häufiger sie in starken Bindungen zu Eltern, Freunden, Lehrern genutzt werden, desto breiter und intensiver sind die kindlichen Bildungsprozesse, die Bahnungen im Gehirn. Die wichtigsten Bildungsprozesse führen zu Metakompetenzen wie Selbstwahrnehmung, Einfühlungsvermögen und Beziehungsfähigkeit, die nicht gelehrt werden können, sondern die das Kind durch möglichst viele Vorbilder selbst lernt und die für die gelingende Bewältigung des Lebens unverzichtbar sind. Daß passive wie aktive Musikerfahrungen hierbei eine herausragende Rolle spielen, ist inzwischen hinlänglich bekannt. .
Im abschließenden Referat Vom Erlebnis zum Ergebnis Musik Lernen im Spannungsfeld von prozeß- und produktorientiertem Handeln bestätigte Werner Beidinger, Professor für Elementare Musikpädagogik und Geschäftsführender Leiter des Instituts für Musik und Musikpädagogik der Universität Potsdam, die Erkenntnisse der Neurobiologie aus der Sicht der Elementaren Musikpädagogik. Sein Ansatz einer allgemeinen Musikalisierung aller Kinder zielt gerade nicht auf gute bis solistische vokale oder instrumentale Leistungen weniger Kinder, sondern auf frühkindliche Bildungsprozesse, in denen sich alle Kinder und Jugendlichen körperlich, sprachlich, musikalisch und motorisch besser auszudrücken lernen.
In der abschließenden Diskussion wurde deutlich: Für die Musikschulen eröffnet sich mit der Musisch-ästhetischen Bildung zukünftig ein weites Wirkungsfeld in Kitas und Schulen mit pädagogischen Strukturen, die vor allem von der neu konzipierten alten Idee des Vorbilds leben. Bildung braucht Vorbilder! Bildung lebt davon, daß Menschen sich am guten Beispiel anderer orientieren, daß sie sich begeistern und mitnehmen lassen. Jeder kann ein Vorbild sein: Eltern, Nachbarn, Trainer, Lehrer, Klassenkameraden. (Horst Köhler)
Alle Kinder müssen in Zukunft von einem Bildungssystem erreicht werden, das verhindert, daß - wie im vergangenen Jahr in Deutschland - 80.000 Jungen und Mädchen ohne Schulabschluß von der Schule entlassen werden.
Mit ihrem insofern präventiven Angebot Musisch-ästhetischer Bildung für alle Kinder und Jugendlichen fangen die Musikschulen in Sachsen-Anhalt alle Musikschulen und ihr gesamtes musikpädagogisches Umfeld - in ihrem jeweiligen Einflußbereich entschlossen an.
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Dr. Joachim Kreutzkam ist Geschäftsführer der Akademie Gesellschaft und Wissenschaft (AGW) Bad Harzburg und Vorsitzender des Beirats der Landesmusikakademie Sachsen-Anhalt
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