30.11.2020

Themenreihe Digitale Formate

Autor*in

Martin Zierold
studierte Kultur, Kommunikation & Management. Er war im Bereich Kommunikation in verschiedenen Kultureinrichtungen und als wissenschaftlicher Geschäftsführer des International Graduate Centre for the Study of Culture der Justus-Liebig-Universität Gießen tätig und Professor für Kulturmanagement an der Karlshochschule University. Seit 2017 hat er die Zajadacz-Stiftungsprofessur für Innovation durch Digitalisierung am Institut für Kultur- und Medienmanagement (KMM) der Hochschule für Musik und Theater Hamburg inne.
Kristin Oswald
leitet die Online-Redaktion von Kultur Management Network. Sie studierte Geschichte und Archäologie in Jena und Rom sowie Social Media-Marketing in Berlin. Sie ist freiberuflich in der Wissenschaftskommunikation und im Museumsmarketing mit Schwerpunkt online tätig.
Kultur-Podcasts

Spontan erfolgreich

Die Idee zum Podcast "Wie geht’s? Kultur in Zeiten des Corona-Virus" kam Martin Zierold unter der Dusche. Zwei Tage später nahm er die erste Folge auf. "Wie geht’s" zeigt damit, dass es für den erfolgreichen Start eines Kultur-Podcast nicht zwingend ein Konzept oder eine perfekte technische Ausstattung braucht.

Themenreihe Digitale Formate

KMN: Lieber Martin, wie bist du auf die Idee gekommen, einen Corona-Podcast zu starten? 
 
Martin Zierold: Die Idee stand im Institut für Kultur- und Medienmanagement (KMM) seit längerem im Raum, aber immer mit den Bedenken, dass man dafür Ressourcen und ein umfassendes Konzept braucht, denn es soll ja professionell sein. Es gab also lauter Gründe, die es bis dahin zu einem "Das wäre schön, aber jetzt gerade geht es nicht" gemacht haben, obwohl sich alle einig waren, dass das ein spannendes Format für uns wäre. 
 
Aber an dem Wochenende um den 13. März war klar: Am Montag hat nichts mehr auf in der Kultur. Und am Samstag stand ich sprichwörtlich unter der Dusche und dachte: Jetzt musst du einen Podcast machen. Wir werden nicht unterrichten können. Wir werden keine Konferenzen besuchen usw. Das ist der richtige Moment, um Gespräche zu führen und herauszufinden, was gerade passiert in den Häusern. Damit einherging die Überlegung, dass es schnell gehen muss, denn der 5. Podcast zu Kultur im Lockdown interessiert dann niemanden mehr. Deswegen habe ich einfach angefangen und noch an dem Wochenende ein paar Leute aus dem engeren Umfeld des KMM angeschrieben. Es ging also erstmal darum, zu schauen, wie sich das entwickelt. Erfreulicherweise fanden es fast alle sofort interessant, weil sie selbst in einem Prozess des Nachdenkens waren und noch nicht wussten, wohin die Reise geht. Am Montag habe ich die erste Folge von "Wie geht’s?" aufgenommen und während der ersten Phase des Lockdowns jeden Tag ein Gespräch geführt. Das hat sich schnell verselbstständigt, weil die Rückmeldung und die Download-Raten sehr gut waren. Inzwischen gibt es eine feste Dramaturgie, aber am Anfang war das alles noch nicht so durchdacht. 
 
KMN: Inzwischen hat dein Podcast fast 60 Folgen. Wie schaffst du das neben deiner Arbeit als Professor und Institutsleiter?
 
MZ: In den ersten zwei bis drei Monaten war es einfach Teil meines Tagesprogramms, ein Gespräch zu führen, manchmal zwei, und die über ein bis zwei Tage verteilt zu veröffentlichten. Pro Folge ist das ein 90 Minuten-Block: halbe Stunde Gespräche, Nachbearbeitung, online stellen, Social Media. Das hat gut funktioniert, aber im Nachhinein frage ich mich auch, wie das ging, weil natürlich noch sehr viel anderes anstand. Ich glaube, der entscheidende Trick war, dass das der Teil des Tages war, der sich für mich nicht nach Arbeit angefühlt hat, sondern als Ort des Austauschs trotz der Isolation, bei dem es nicht um Troubleshooting und bürokratisches Krisenmanagement ging, sondern darum, gemeinsam tiefgehend und kollegial zu reflektieren, was das gerade ist und was in dieser Zeit drin steckt an Gefahren, aber auch an Lernmöglichkeiten. Deswegen hat sich in der ersten Phase nie die Frage gestellt, wie ich das unterbringen kann. Heute ist es etwas anders. Es ist immer noch ein Geschenk, mit Menschen sprechen zu können. Aber aktuell ist es, obwohl nur einmal die Woche, viel schwieriger in meinen Arbeitsalltag zu integrieren. 
 
KMN: Und siehst du den Podcast als Teil deiner Arbeit oder deiner Freizeit? 
 
MZ: Für mich ist der Podcast Wissenschaftskommunikation und damit ein Teil meiner Arbeit als Hochschullehrer. Wir haben uns, genauso wie die Kultureinrichtungen, auch gefragt, wie wir im Lockdown in Kontakt mit unseren Communities bleiben. In dieser Phase, in der wir nicht in einem Seminarraum gemeinsam reflektieren konnten, waren wir gezwungen, über neue Kommunikation und Formate nachzudenken, um - vielleicht auch besser als vorher - zugänglich zu sein und trotzdem die Beschäftigung mit unseren Themen stattfinden zu lassen. Es ist also nicht in erster Linie mein Podcast, sondern der des Instituts, in dem ich der Gastgeber bin. Und er hat tatsächlich die Sichtbarkeit des KMM erhöht.
 
Außerdem wird mit dem Podcast ein Archiv aufgebaut, eine bestimmte Atmosphäre eingefangen, dieser besondere Moment in der Geschichte des Kulturmanagements, über den wir wahrscheinlich auch in 20 Jahren noch in Seminaren sprechen werden. Dazu wollte ich einen Fundus an Material sichern in einer Zeit, die sonst zwischen den Fingern verrinnt. 
 
KMN: Was hast du in den letzten Monaten über das Podcast Machen gelernt?
 
MZ: Gerade in den ersten vier Wochen war es ein rapider Lernprozess auf allen Ebenen. Die erste Aufnahme habe ich mit meinen Apple Earpods gemacht und dann schnell ein richtiges Mikrofon und Kopfhörer angeschafft und mich mit Software beschäftigt. Eigentlich war aber immer meine Vermutung, dass es so schwer nicht sein kann. Das hat sich bestätigt. Zudem wollte ich unter Lockdown-Bedingungen meinen Gesprächspartner nicht mehr zumuten als unbedingt notwendig, also beispielsweise, dass sie eine eigene Audiospur aufnehmen, was eine deutliche Verbesserung der Qualität bedeuten würde. Mir war wichtig, einer Person so wenig Mühe wie möglich zu machen, wenn sie sich schon für mich Zeit nimmt in einer Phase, in der die Kultureinrichtung unter Umständen mit massiven Herausforderungen zu tun hat.
 
Es war auch nicht mein Anspruch, professionelle Features zu produzieren. Es sollte ganz bewusst kein Hochglanzformat sein, sondern ein kollegiales, ungefärbtes, neugieriges und einzigartiges Gespräch in einem intimen Setting, mit allen Längen, Füllwörtern und unerwarteten Entwicklungen. Das finde ich besonders interessant und charmant. "Wie geht's?" meint echtes Interesse am Menschen und auch am Zwischenmenschlichen. Das hat den guten Nebeneffekt, dass es die Nachbearbeitung sehr viel einfacher macht. Ein weiterer großer Lernprozess war inhaltlich, zu merken, welche Fragen das Potenzial haben, einem Gespräch eine Art von Ritual zu geben, eine gewisse Wiedererkennbarkeit eines Podcast-Formats, vor allem am Anfang und Ende. Unter diesen Bedingungen ist das Podcast Machen also gar nicht so schwer.
 
KMN: Das Thema Kulturmanagement hat, so meine Vermutung, weniger Reichweite als ein inhaltliches Kulturthema. Würdest du dem zustimmen?
 
MZ: Prinzipiell auf jeden Fall. Die potenzielle Zielgruppe ist mit Sicherheit kleiner. Zugleich ist es leichter, so eine gut vernetzte Zielgruppe anzusprechen, sodass über Mund-zu-Mund-Propaganda und ohne viel Marketing gewisse Multiplikationseffekte entstehen und eine treue Hörer*innenschaft, die ich von Anfang an adressieren wollte: einerseits Studierende, auch als Kompensation zu dem verschobenen Semesterstart, den abgesagten Vorträgen, Besuchen in Einrichtungen usw. Und sie sollten Kontakt zu diesem besonderen Moment in der Praxis haben. Andererseits die Hoffnung, dass die Menschen, mit denen ich spreche, auch die Hörer*innen der anderen Gespräche sind. Das hat dazu geführt, dass es keine so große Herausforderung war, eine stabile Zuhörer*innenschaft aufzubauen. Ich bin aber auch bemüht, diese Community aufzubrechen, und habe zum Beispiel ein Gespräch mit dem Kommunikationsdirektor von Borussia-Mönchengladbach geführt. Fußball und Hochkultur haben gerade mit Blick auf Corona mehr gemein, als man auf den ersten Blick meinen könnte.
 
KMN: Und sind die tatsächlichen Hörer*innen auch die, die du ansprechen wolltest? 
 
MZ: Es ist eine der technischen Schwierigkeiten des Podcast-Formats, dass man nicht viel über die konkreten Personen weiß. Ich kann gut sehen, wie oft die Folgen gehört werden, auf welchen Endgeräten und in welchen Regionen. Da gibt es einen großen Kern im deutschsprachigen Bereich, aber auch Zugriffe von anderen Kontinenten, bei denen nicht klar ist, wer die eigentlich sind und über welche Netzwerke die kommen, außer bei Folgen zu dem konkreten Land. Von den Klickzahlen her kann ich sagen, dass Folgen oft einen verzögerten zweiten Frühling haben, woraus ich schließe, dass es Empfehlungseffekte gibt, denn manchmal sind das Gespräche mit weniger bekannten Namen, aber sehr spannenden Themen. Konkretere Informationen weiß ich nur über die Rückmeldungen, die uns erreichen. Und die kommen weit überwiegend aus dem Kulturmanagement, der Kulturpolitik, auch aus der freien Kreativwirtschaft. Das sind also die Bereiche, an die ich gedacht habe, aber nicht nur Menschen, die wir vorher schon kannten. Es gibt auch immer wieder positive Rückmeldungen oder Vorschläge für Gäste, was ich sehr schön finde. Und zunehmend - das ist natürlich auch ein Kompliment - klopfen PR-Agenturen an, um mir ihre Klient*innen für Gespräche anzubieten. 
 
KMN: Wie wird das Format von den Studierenden wahrgenommen? 
 
MZ: Ich bin eher zurückhaltend damit, das aktiv anzufragen, weil ich ja ihr Dozent bin und kein fishing for compliments betreiben möchte. Aber es gibt schon Begegnungen mit Studierenden, bei denen jemand sagt, er oder sie habe eine der Folgen gehört und fand sie toll. An den Klickzahlen kann man gut sehen, dass es eine untere Schwelle an Zuhörer*innen gibt, die jede Folge erreicht. Ich glaube schon, dass das auch an den Studierenden liegt. Das war auch eine meiner Überlegungen am Anfang: Wir haben ungefähr 40 Studierende im Präsenzstudium und über 400 im Fernstudium. Wenn von denen nur zehn Prozent jede Folge hören, hat man schon 50 als minimale Zuhörer*innenzahl. Inzwischen sind wird pro Folge deutlich darüber, das erklärt sich sicher auch daraus, dass wir eine Stammhörer*innenschaft bei unseren Studierenden haben. 
 
Ich habe den Podcast aber nicht zu einem festen Lehrinhalt gemacht. Ich überlege zwar, ob in der Zukunft bestimmte Folgen eine Grundlage für ein bestimmtes Seminarthema sein können. Dass ich das aktuell noch nicht mache, hat verschiedene Gründe. Zum einen will ich meine eigene Eitelkeit soweit bremsen, dass ich das nicht übermäßig in der Lehre ausschlachte. Für mich ist der Podcast eher eine eigene, extra-curriculäre Lehrveranstaltung. Zudem ist er ja ohnehin jederzeit zugänglich und dafür gedacht, dass jede*r und auch die Studierenden schauen können, welche Themen und Gäste gerade interessant sind und wann sie einen freien Moment dafür haben. 
 
KMN: Was hat dich inhaltlich am meisten überrascht?
 
MZ: Dominant ist für mich grundsätzlich dieses positive Gefühl am Ende von Gesprächen. Manchmal ist das eine fachlich-inhaltlich-handwerkliche Anregung, aber oft ist es einfach die Qualität des Kontakts und des Austauschs in einer Zeit voller Sorgen und Ängsten. Das leistet für mich einen Beitrag dazu, Zuversicht zu bewahren. Die Gesprächspartner*innen sind so unterschiedlich. Wir haben uns mit den USA beschäftigt, mit Brasilien, mit Großbritannien, mit Frankreich, die zudem im Zeitraum der Gespräche nicht immer in der gleichen Pandemiesituation waren. Aber es war nie schwierig, in kürzester Zeit eine vertrauensvolle Gesprächsgrundlage zu haben: also dass mir ein fremder Mensch glaubt, dass ich wirklich interessiert bin, sodass auch bei den Gesprächspartner*innen eine Reflexionstiefe entsteht, ein Zulassen eines frischen Blicks auf die eigene Praxis. Das überrascht mich immer wieder und ist völlig unabhängig von Person, Land, Branche und Position. Ich stelle zum Schluss immer die Frage, was die Gesprächspartner*innen zum Ausgleich machen, zur Inspiration. Und was da manchmal preisgegeben wird, sind ganz oft die Punkte, bei denen ich am liebsten sofort weiterlesen möchte. 
 
KMN: Weißt du schon, wann der Podcast endet? 
 
MZ: Aussagen über die Zukunft sind immer mit Vorsicht zu genießen. Mein Wunsch heute ist, dass die Frage "Wie geht's?" - und zwar genau in ihrer Doppeldeutigkeit von "Wie geht es den Menschen?" und "Wie funktioniert etwas?" - lebendig bleibt. Wir konzentrieren uns zu selten auf diese menschliche Frage und nehmen uns in Gesprächen zu wenig Zeit dafür. Warum lassen wir das nicht zu oder haben zu wenig danach gefragt und Interesse gehabt? Und dann natürlich auch: Was kann ich lernen von Dir? Was hast Du verstanden? Was probierst du gerade aus? Solche Fragen sind auch unabhängig von der Pandemie relevant. Deswegen habe ich die Hoffnung, dass der Podcast eine langfristige Perspektive hat. 
 
Zugleich denke ich aber auch darüber nach: Wie lange kann man sowas machen und wann braucht es einen neuen Impuls? Also wann muss man loslassen und überlegen, wie man das gleiche Anliegen in ein passenderes, besseres Format weiterentwickeln kann? Ich halte es für denkbar, dass es erstmal so weiter geht, wie es ist - das ist für mich die leichtere Variante. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass wir vielleicht zu einem bestimmten Zeitpunkt sagen, es wird etwas anderes daraus, aber das Anliegen dahinter bleibt das Gleiche. Das wird sich zeigen. 

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