10.06.2013

Autor*in

Patrick S. Föhl
ist Gründer und Leiter des "Netzwerks Kulturberatung" in Berlin sowie ein international agierender Kulturentwicklungsplaner, Kulturmanagement-Trainer und Hochschulreferent. Darüber hinaus publiziert er regelmäßig in den Bereichen Kulturpolitik sowie Kulturmanagement und ist Beirat im Bereich "Bildung und Diskurse" des Goethe-Instituts. 
Kulturentwicklungsplanung

Alter Wein in neuen Schläuchen?

Am Donnerstag beginnt der 7. Kulturpolitische Bundeskongress zum Thema "Kulturentwicklungsplanung". Patrick S. Föhl gehört zu den Experten, die zahlreiche Regionen und Kommunen bei Planungsprozessen beraten und moderieren. Föhl nennt kulturpolitische Herausforderungen sowie Funktionen und Strategien der Kulturplanung.
"Die Arbeitsgruppe kam zu dem Ergebnis, dass es höchste Zeit sei, regionale Kulturentwicklungspläne vorzulegen. Dringlich sei die Vorlage solcher Pläne vor allen Dingen deshalb, weil die freien Finanzspitzen in den Haushalten der Kommunen ständig geringer werden." So heißt es in der Dokumentation einer Veranstaltung der Kulturpolitischen Gesellschaft zum Thema "Kulturentwicklungsplanung". Eigentlich könnte diese Veranstaltung gerade erst gestern stattgefunden haben, fordert und fördert zum Beispiel das Land Thüringen vor dem Hintergrund der Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels doch in seinem jüngsten Kulturkonzept die vermehrte Durchführung regionaler Kulturentwicklungsplanungen. Dieser Eindruck täuscht jedoch, die besagte Veranstaltung fand bereits im Jahr 1977 in Bielefeld statt.
 

Hat Kulturpolitik ihre Hausaufgaben nicht gemacht?

Nun stellt sich die Frage, ob die Kulturpolitik seitdem keine Hausaufgaben gemacht hat, sind doch die Zustandsbeschreibung und Forderungen nach wie vor von großer Aktualität. Doch so einfach ist die Antwort nicht. Auch wenn das obige Zitat finanzielle Aspekte in den Vordergrund rückt, so waren damalige Kulturentwicklungsplanungsbemühungen immer auch und vordringlich damit verknüpft, dass Konzept der "Neuen Kulturpolitik" kommunal/regional zu verankern. Zudem ist die Erkenntnis nicht neu, dass sich Wissen und Erfahrung nicht über die Zeit exponentiell anhäufen wir also immer dazulernen und dadurch Situationen stets verbessern , sondern durch Brüche und veränderte Umstände zum Teil wieder verloren gehen beziehungsweise situationsbezogen wieder neu aufgebaut werden müssen. Man kann diese Entwicklung auch mit wellenartigen Bewegungen beschreiben. Ein Beispiel dafür ist das Thema Kooperation, das noch nie so umfänglich diskutiert wurde wie gegenwärtig, aber kulturpolitisch gesehen ein "alter Hut" ist, da Kooperationen/Fusionen in Folge der diversen Finanz- und Wirtschaftskrisen in den letzten 100 Jahren gerade im öffentlichen Theaterbereich immer wieder thematisiert und umgesetzt und in "besseren Zeiten" nicht selten wieder aufgelöst wurden.
 
Genauso verhält es sich bei Planungen im Allgemeinen. So gesehen ist auch jede Planung ein Spiegel der jeweiligen Zeit. Dennoch bleibt der wohl berechtigte Beigeschmack, dass viele Probleme und Erfordernisse bereits frühzeitig bekannt waren, aber strategische Ansätze zur nachhaltigen Entwicklung der kulturellen Infrastruktur nicht implementiert wurden. Das spricht dafür, dass jeweils kurz- bis mittelfristig auf Herausforderungen reagiert wurde, aber da politisch nicht durchsetzungsfähig umfängliche Veränderungen wie die Konzentration auf Schwerpunkte und die Umverteilung von Mitteln nicht vorgenommen wurden.
 
 

Zunahme von Planung angesichts der Grenzen des Wachstums

Eines scheint jedoch festzustehen: Noch nie waren die Bestrebungen so umfangreich, Kulturpolitik und folglich auch Kulturmanagement konzeptionell zu begründen. Der Grund dafür liegt in der hohen Kadenz finanzieller Herausforderungen in den letzten 20 Jahren (u. a. Internet- und Hypothekenblase). Hinzu kommen die diversen weiteren Herausforderungen wie der demografische Wandel, die Pluralisierung und Individualisierung, die Medialisierung und Globalisierung. Diese wirken sich massiv auf die vorhandenen kulturellen Angebote aus und stellen Anforderungen an neue Kulturformate und das alles vor dem Hintergrund tendenziell stagnierender beziehungsweise abnehmender Ressourcen.
 
Da in vielen Teilen Deutschlands keine ausreichenden Ressourcen mehr zur Verfügung stehen ("Grenzen des Wachstums"), ist das Prinzip, additiv mit zusätzlichen Mitteln auf die steigenden Anforderungen zu reagieren, überholt. Besonders deutlich wird dies beim Blick auf die neuen Länder. Hier steht vielerorts eine breite, historisch gewachsene kulturelle Infrastruktur einem drastischen gesellschaftlichen Wandel in Form von sozialer Polarisierung, Abwanderung und Überalterung gegenüber. Offensichtlich wird dies beim Blick auf die Struktur der öffentlichen Theater in den neuen Ländern. In der Spielzeit 2010/2011 wurden laut der Theaterstatistik des Deutschen Bühnenvereins von 140 öffentlichen Theatern in der Bundesrepublik allein 53 in den neuen Ländern inklusive Berlin unterhalten, wenngleich dort gerade einmal knapp 20 % der gesamtdeutschen Bevölkerung leben und dieser Anteil in den kommenden Jahren weiter zurückgehen wird. Die mit Abstand kostenintensivste Kultursparte stellt vor allem die zahlreichen Trägerkommunen in den neuen Ländern mit weniger als 100.000 Einwohnern vor eine große Gestaltungsaufgabe. Nicht selten beteiligen sich deswegen die Länder in umfangreichem Ausmaß, teilweise mit 50 % und mehr, an den Kosten der kommunalen Theater, um diese Strukturen aufrecht zu erhalten. Allerdings scheint auch hier das Ende der Fahnenstange erreicht, da das Gros der Landesförderung für Theater und Orchester in Sachsen-Anhalt gegenwärtig zum Beispiel 42 % den Handlungsspielraum für andere Kultursparten und kulturelle Entwicklungen immer weiter einengt.
 

Bedeutungsgewinn von Kultur

Während die Kultur(-politik) einerseits große Aufgaben zu meistern hat und zahlreiche etablierte Kultureinrichtungen durch die Erosion des klassischen Bildungsbürgertums einen zunehmenden Bedeutungsverlust hinnehmen müssen, gewinnt Kultur zur gleichen Zeit an anderer Stelle an Bedeutung. Diese auf den ersten Blick paradoxe Situation erklärt sich vor allem dadurch, dass Kultur im Aufgabenhorizont anderer Politik- und Entwicklungsfelder (wieder) einen zunehmend größeren Stellenwert erfährt. Zuvorderst sind hier die folgenden Bereiche zu nennen:
 
  • die Kulturelle Bildung,
  • der Kulturtourismus,
  • die Kulturwirtschaft sowie
  • die Stadt- und Regionalentwicklung im Allgemeinen.
Auf den ersten Blick erhöht sich dadurch die beschriebene Komplexität. Auf den zweiten Blick bieten sich aber auch neue Chancen wie die Etablierung neuer Begründungsmuster für Kulturförderung, die Nutzung und dadurch Revitalisierung vorhandener kultureller Infrastruktur für interdisziplinäre Projekte, Zugang zu anderen Fördermöglichkeiten sowie neuen Zielgruppen und das Aufbrechen segmentierter Sicht- und Handlungsweisen im (öffentlichen) Kulturbereich. Da es sich jeweils um Felder handelt, die eine zentrale Kooperations- und Koordinationsimmanenz aufweisen, sind auch hier zahlreiche Planungsbedarfe vorhanden, um tatsächlich sinnhafte Projekte und Entwicklungen zwischen Kultur und Tourismus, Kultur und Bildung usw. anzustoßen.
 

Funktionen kultureller Planung

Betrachtet man Kulturentwicklungsplanung etwas differenzierter, ergeben sich neben den allgemeinen Aspekten Transparenz, Komplexitätsreduktion, Schwerpunktsetzung und Konsensbildung im Rahmen ihrer Formulierung und Umsetzung folgende zentrale Funktionen:
 
 

Kulturpolitische Entscheidungen fundieren und forcieren

Bereits 2007 sprach Armin Klein von einer fortschreitenden Marginalisierung von Kulturpolitik. Norbert Sievers reflektierte wenig später unter dem Titel "Kulturpolitik ohne Subjekt?" über eine zunehmende Gefahr der Ideen- und Ziellosigkeit zahlreicher Kulturpolitiker sowie entsprechender Programme. Vor diesem Hintergrund stellt(e) sich die Frage, wie sich Kulturpolitik zukünftig realisieren lässt und welche Funktionen sie übernehmen kann und wird. Es ist deutlich geworden, dass konzeptorientierte Kulturpolitik potenziell auf diese Warnungen reagiert. Denn einerseits ist ersichtlich, dass durch entsprechende Verfahren zumindest zum Teil konsensfähige sowie zeitgemäße kulturpolitische Ziele und Maßnahmen formuliert werden können. Andererseits erschließen sich vor allem durch die Bearbeitung der genannten Querschnittsthemen neue Möglichkeiten für kulturelle Einrichtungen sowie Projekte in der Kooperation mit anderen Wirkungsfeldern. Damit kann der beschriebenen Marginalisierung von Kulturpolitik potenziell entgegen gewirkt werden und auf die Gestaltungs- sowie Entwicklungspotenziale von Kunst und Kultur aufmerksam gemacht werden.
 
Wichtig ist und wird es dabei sein, dass es nicht bei Glaubensbekundungen bleibt, sondern trotz der virulenten Situation kulturpolitische Entscheidungen getroffen werden. Dabei wird man es nicht immer allen recht machen können. Mit Widerständen ist folglich zu rechnen. Kulturentwicklungsplanung kann dabei helfen, auch weitreichende Entscheidungen analytisch-konzeptionell zu fundieren und damit Transparenz zu erzeugen. Zeitgemäße Kulturentwicklungsplanungen dürfen folglich und das ist der wohl entscheidende Unterschied zu zahlreichen bisherigen Planungsverfahren nicht bei einer Selbstvergewisserung über die eigenen Stärken stehen bleiben, sondern müssen durch klug gesetzte Schwerpunkte eine zeitgemäße Kulturpolitik ermöglichen, die sich mit aktuellen gesellschaftlichen Themen aktiv auseinandersetzt. Dabei ist allerdings darauf zu achten, dass entsprechende Ziele und Maßnahmen realistisch sind, um einer Überforderung von Kulturpolitik und ihren Möglichkeiten entgegenzuwirken.
 

Zum Autor

Dr. phil. Patrick S. Föhl (*1978) ist Leiter des Netzwerks für Kulturberatung (www.netzwerk-kulturberatung.de) und der Forschungsgruppe "Regional Governance im Kulturbereich" der FH Potsdam. In diesen Funktionen hat er u. a. zahlreiche Kulturentwicklungsplanungen in deutschen Kommunen und Regionen als Projektleiter durchgeführt (z.B. Stadt Dessau-Roßlau, KulturRegion Stuttgart, Kreis Euskirchen, Stadt Brandenburg an der Havel, Regionaler Wachstumskern Wittenberge-Perleberg-Karstädt, Landkreis Ostprignitz-Ruppin). Aktuell arbeitet er an folgenden Projekten (Auswahl):
 
Fortschreibung der "Kulturpolitischen Konzepte" der Landeshauptstadt Potsdam
 
Verfahrenskonzeption für die Neugestaltung der Musikförderung des Bundes unter Berücksichtigung des Governance-Ansatzes (in Kooperation mit dem Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim; im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung)
 
Kulturstrategie für die Stadt Plovdiv, Bulgarien (gemeinsam und im Auftrag der KULTUREXPERTEN Dr. Scheytt GmbH).
 
Er ist Referent und Dozent an Hochschulen und Einrichtungen im In- und Ausland. Zudem ist er Autor und Mitherausgeber von über 60 Publikationen und Standardwerken zum Kulturmanagement und zur Kulturpolitik in Theorie und Praxis wie z.B. Das barrierefreie Museum (2007, transcript), Regionale Kooperationen im Kulturbereich (2009, transcript), Das Kulturpublikum (2011, 2., erw. Aufl., VS), Kooperationen und Fusionen von öffentlichen Theatern (2011, VS). Seit 2013 ist Patrick S. Föhl Vorstandsmitglied des Fachverbandes Kulturmanagement e.V.
 

Hinweise

Aufgrund der dargestellten Entwicklungen befasst sich auch der 7. Kulturpolitische Bundeskongress und das entsprechende Jahrbuch für Kulturpolitik 2013 der Kulturpolitischen Gesellschaft mit den diversen Planungsaktivitäten in den deutschen Kommunen und Ländern.
 
Der Beitrag ist ein Auszug aus einem umfangreicheren Aufsatz des Autors: Föhl, Patrick S. (2013): Kulturentwicklungsplanung Renaissance und Expansion eines Steuerungsinstrumentes. Reflexion und Entscheidungsfindung in Kulturpolitik und Kulturmanagement, in: Loock, Friedrich; Scheytt, Oliver (Hg.): Handbuch Kulturmanagement und Kulturpolitik, Berlin u.a.O. 2006ff., Kap. B 1.10.
 
Der 7. Kulturpolitischer Bundeskongress findet in Berlin am 13. + 14. Juni 2013 zum Thema "Kultur nach Plan? Strategien konzeptgestützter Kulturpolitik" statt. Kongressveranstalter sind die Kulturpolitische Gesellschaft e.V. und die Bundeszentrale für politische Bildung. Kulturmanagement Network und LabKultur.TV sind die Online-Medienpartner und berichten gemeinsam im Vorfeld sowie während und nach dem Kongress über die spannendsten Aspekte.
 
 

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