09.11.2020
Buchdetails
Wachgeküsst: 20 Jahre neue Kulturpolitik des Bundes 1998 - 2018
von Olaf Zimmermann
Verlag: Deutscher Kulturrat
Seiten: 492
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Autor*in
Marcel Krohn
ist Theaterregisseur und Kulturmanager. Seit 2020 arbeitet er als Geschäftsführer der Akademie für gesprochenes Wort in Stuttgart. Er sitzt im Bundesvorstand der Tierschutzpartei und engagiert sich dort auch für kulturelle Themen.
Buchrezension
Wachgeküsst. 20 Jahre neue Kulturpolitik des Bundes 1998 – 2018
Seit mehr als zwei Jahrzehnten gibt es in Deutschland den sogenannten Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Der Sammelband "Wachgeküsst. 20 Jahre Kulturpolitik des Bundes 1998 - 2018" geht der Frage nach, wie sich dieses Amt auf die Qualität und Effektivität der Kulturpolitik auswirkt
Die vom Deutschen Kulturrat 2018 herausgegebene Festschrift beleuchtet in 14 Kapiteln mit 71 Einzelbeiträgen die staatliche Kulturpolitik von 1998 bis 2018. Zu Wort kommen nebst der bisherigen ‚Beauftragten für Kultur und Medien’ (im Folgenden: BKM) weitere kulturpolitische Akteure unterschiedlicher Ebenen. Sie betrachten die einzelnen Reformvorhaben und Leuchtturmprojekte und würdigen die zunehmende Akzeptanz, welche die Kulturpolitik allenthalben erfährt. Neben viel Anerkennung ist dabei auch manch Kritisches zu lesen.
Kulturpolitische Zeitreise
Die Festschrift beginnt mit einem ausführlichen historischen Überblick, der bereits in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland einsetzt. Denn Olaf Zimmermann, langjähriger Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, will keineswegs den Eindruck erwecken, als habe es vor 1998 überhaupt keine Kulturpolitik auf staatlicher Ebene gegeben. Bei aller Zurückhaltung, die aus der Instrumentalisierung von Kultur im Nationalsozialismus resultierte und den Weg in Richtung Kulturföderalismusnahelegte, unterhielten die meisten Bundestage einen Ausschuss für Kultur. Und selbstverständlich gab es auch stets einige Projekte, die der Bund voranbrachte und dauerhaft förderte. Insbesondere Helmut Kohl, unter dessen Regierung das Kulturbudget von rund 350 Millionen DM auf 1,3 Milliarden DM anstieg, werden von Zimmermann große kulturpolitische Verdienste eingeräumt.
Dennoch stellte die Etablierung eines dem Bundeskanzleramt beigeordneten BKM eine Zäsur dar. Für manchen dürfte es überraschend sein, dass nicht Gerhard Schröder, sondern der damalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine die vom Kulturrat vorgetragene Idee einer obersten Bundesbehörde für Kultur aufgriff und bereit war, sie in den Wahlkampf 1998 zu integrieren.
Die Festschrift beginnt mit einem ausführlichen historischen Überblick, der bereits in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland einsetzt. Denn Olaf Zimmermann, langjähriger Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, will keineswegs den Eindruck erwecken, als habe es vor 1998 überhaupt keine Kulturpolitik auf staatlicher Ebene gegeben. Bei aller Zurückhaltung, die aus der Instrumentalisierung von Kultur im Nationalsozialismus resultierte und den Weg in Richtung Kulturföderalismusnahelegte, unterhielten die meisten Bundestage einen Ausschuss für Kultur. Und selbstverständlich gab es auch stets einige Projekte, die der Bund voranbrachte und dauerhaft förderte. Insbesondere Helmut Kohl, unter dessen Regierung das Kulturbudget von rund 350 Millionen DM auf 1,3 Milliarden DM anstieg, werden von Zimmermann große kulturpolitische Verdienste eingeräumt.
Dennoch stellte die Etablierung eines dem Bundeskanzleramt beigeordneten BKM eine Zäsur dar. Für manchen dürfte es überraschend sein, dass nicht Gerhard Schröder, sondern der damalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine die vom Kulturrat vorgetragene Idee einer obersten Bundesbehörde für Kultur aufgriff und bereit war, sie in den Wahlkampf 1998 zu integrieren.
Kulturpolitik während Schröders Kanzlerschaft
Ausführlich geht Zimmerman im Weiteren auf die Arbeit der bisherigen Amtsinhaber ein. Obwohl mit Michael Naumann eine Persönlichkeit gefunden wurde, die dem Amt des Kulturstaatsministers Ausstrahlung verlieh, war der Beginn holprig. Zimmermann beklagt Naumanns mangelnde Bereitschaft zum Dialog mit den Bundeskulturverbänden und seinen dauerhaften Dissens mit mehreren Landesregierungen, deren Pochen auf ihre Kulturhoheit er als ‚Verfassungsfolklore‘ persiflierte. Wie das im Buch enthaltene Interview mit ihm zeigt, hat sich an dieser Haltung auch nach zwanzig Jahren wenig verändert.
Lobende Worte findet Zimmermann für den zweiten Amtsinhaber: Julian Nida-Rümelin. Dieser habe wesentliche Projekte realisieren können, vor allen anderen die Kulturstiftung des Bundes, habe sich zudem als guter Kommunikator erwiesen, die Kooperation mit den Verbänden gesucht und einen Ausgleich mit den Landesregierungen erzielt. Im Interview bestätigt Nida-Rümelin, dass es ihm ein wichtiges Anliegengewesen sei, die Angst vor einem Kultur-Zentralismus zu beseitigen. Zudem habe er die gesetzlichen Rahmenbedingungen verbessern wollen und damit verstärkt auf den ordnungspolitischen Aspekt von Kulturpolitik gesetzt, anstatt wie sein Vorgänger nur den Geldfluss zu fördern. Aus diesem Grund plädiert Nida-Rümelin für die Aufwertung des Amtes zu einem Bundeskulturministerium, denn nur so könnten eigene Gesetzesinitiativen ins Parlament eingebracht werden.
Der Staatsministerin Nummer drei, Christina Weiss, attestiert Zimmerman, dass sie dafür gesorgt habe, Kulturgelder verstärkt als Zukunftsinvestitionen zu betrachten. Weiss selbst benennt darüber hinaus konkrete Projekte, die sie zum Abschluss gebracht habe, wie die Überführung der Akademie der Künste in die Obhut des Bundes und die Gründung der Deutschen Nationalbibliothek.
Kulturpolitik während Merkels Kanzlerschaft
Mit der Kanzlerschaft von Angela Merkel hat eine Veränderung stattgefunden: Der BKM wurde nunmehr mit erfahrenen Bundespolitikern besetzt, die jedoch über wenig Erfahrung in praktischer Kulturarbeitverfügten. Bernd Neumann, der 2005 das Amt übernahm, wird von Zimmermann als solider, zu Kommunikation und Kooperation befähigter Pragmatiker dargestellt. In seine Amtszeit fiel die Fertigstellung des Berichts der Enquête-Kommission "Kultur in Deutschland", welche die Strukturen von Kunst und Kultur in der Bundesrepublik und in Europa offenlegte und 500 konkrete Handlungsvorschläge unterbreitete.
Die amtierende Kulturstaatsministerin Monika Grütters schließlich will Kulturförderung in der Breite betreiben, entsprechend ihrem Verständnis von Kultur als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zur Gewährleistung des sozialen Zusammenhalts. Hier trifft sie sich mit den 2017 veröffentlichten Thesen der "Initiative kulturelle Integration", zu deren Initiatoren neben dem BKM maßgeblich der Deutsche Kulturrat sowie das Innen- und das Außenministerium gehörten und an dem ein breites gesellschaftliches Bündnis aus kommunalen Spitzenverbänden, Landesvertretungen, Zivilgesellschaft, Medien und Kirchen mitwirkte. Die entscheidende These dürfte sein, dass es zwar einige klare Traditionslinien in der deutschen Kultur gebe, durch die der soziale Zusammenhalt gestärkt würde, dass es aber entscheidend auf eine ständige kulturelle Weiterentwicklung ankomme, an der sich alle gesellschaftlichen Akteure in respektvoller und von Toleranz getragener Weise beteiligen müssten.
Christina Weiss allerdings kritisiert die gegenwärtige Kulturpolitik des Bundes gerade für ihren mangelnden Mut zu kontroversen Debatten und für fehlende Diskussionsanreize. Dadurch bestehe bei den Kulturschaffenden kein Interesse an echter Zusammenarbeit. Hier divergieren das Selbstverständnis der gegenwärtigen Staatsministerin und die Sicht ihrer Amtsvorgängerin deutlich.
Kulturpolitische Sichtweisen
In zahlreichen kleinen Beiträgen betrachten (Kultur-)Politiker, Wissenschaftler und Vertreter der Kulturverbände und -institutionen die deutsche Kulturpolitik aus unterschiedlichen Perspektiven - sowohl in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung als auch in einzelnen Reformvorhaben und Leuchtturmprojekten. So konstatiert Klaus Hebborn, dass die Institutionalisierung des BKM Kultur auf allen Ebenen aufgewertet habe. Dabei werde sie inzwischen auch von Vertretern der Länder und Kommunen begrüßt, wozu in jüngerer Zeit die von Monika Grütters angeregten "Kulturpolitischen Spitzengespräche" beigetragen hätten.
Aber auch auf gesellschaftlicher Ebene hat die staatliche Kulturpolitik seit 1998 viel erreicht. Hortensia Völckers und Alexander Fahrenholtz sowie Max Fuchs würdigen die Kulturstiftung des Bundes, die mit ihren Programmen zur kulturellen Bildung und zur Kulturvermittlung tief in die Gesellschaft hineingewirkt habe.
Susanne Keuchel lobt den Beitrag des BKM zur inklusiven Kulturarbeit, um Menschen mit Behinderung eine umfassende kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Damit sei der Forderung Hilmar Hoffmanns nach einer ‚Kultur für alle‘ auch jenseits des Herkunftsaspekts Rechnung getragen worden.
Inspirierend ist zudem der Beitrag von Wolfgang Thierse - nicht nur, weil er die Schaffung des BKM als das "glücklichste Ereignis der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts" bezeichnet, sondern auch, weil er fragt, wie man in einer von Globalisierung geprägten Gesellschaft, die "unübersehbar mit Enttraditionalisierungs- und Nivellierungstendenzen verbunden ist", das als bewahrenswert Erkannte tatsächlich bewahren könne und zwar in "selbstbewusster Offenheit für das Neue, für das (bisher) Fremde" (S. 141).
Doch auch kritische und ernüchternde Zeilen sind in den Einzelbeiträgen zu finden. So sieht Matthias Theodor Vogt ein Versagen bundesdeutscher Kulturpolitik darin, dass die zum immateriellen Welterbe erklärten deutschen Theater und Orchester ausschließlich von den Kommunen und Ländern finanziert würden. Das bringe diese immer wieder an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Die Folgen sind Ausstieg aus Flächentarifverträgen, Entlassungen und langfristig ein Erodieren der Theaterlandschaft.
Norbert Sievers nimmt das Prinzip der Projektförderung unter die Lupe und führt aus, dass dieses zur zwanghaften Dauerinnovation und einer indirekten Beeinflussung der inhaltlichen Platzierung eines Projekts führt und darüber hinaus wenig nachhaltig ist. Er fordert eine Reformierung des Zuwendungsrechts, das unter anderem die institutionelle Struktur des Empfängers stärker berücksichtigen solle. Kritische Beiträge gibt es auch zum Reformprozess des Urheberrechts und zum Kulturgutschutz, viel Widersprüchliches zum Humboldt-Forum.
Ein grundsätzliches Problem bringt Hans-Joachim Otto zu Papier: Öffentlich geförderte Kulturangebote würden lediglich von fünf bis zehn Prozent der deutschen Bevölkerung aktiv genutzt, wohingegen gut die Hälfte lebenslang Nicht-Nutzer blieben. Damit macht er darauf aufmerksam, dass die kulturelle Teilhabe dringend erhöht werden muss, wenn "Kultur für alle" wirklich gelingen soll. Und Christian Höppner beklagt, dass sich an dem "lausigen Zustand" (Norbert Lammert) der kulturellen Bildung von Kindern und Jugendlichen bis heute nichts Grundlegendes geändert habe. Er ruft zu "deutlich verstärkter Zusammenarbeit im Sinne eines kooperativen Föderalismus zwischen Bund, Ländern und Kommunen" (S.387), zu interministerieller Kooperation und zu einer Aufwertung des "Kulturthemas Digitalisierung" (S. 388) auf.
Fazit
Mit "Wachgeküsst" hat Zimmermann einen poetischen und dem Thema adäquaten Titel für die Festschrift gewählt. Zweifellos möchte er damit zeigen, dass vor gut zwei Jahrzehnten ein Bewusstseinswandel in puncto bundesdeutscher Kulturpolitik anbrach und eine neue Sensibilität und Wertschätzung gegenüber der Kultur einsetzte. Nahezu alle Beiträge unterstreichen denn auch die Relevanz der Kulturförderung durch den Bund. Diese trägt der Tatsache Rechnung, dass wir Deutschen, laut Oliver Scheytt, seit der Unterzeichnung des Einigungsvertrags nicht nur in einem Rechts- und einem Sozialstaat, sondern gleichermaßen in einem Kulturstaat leben.
Es liegt im Wesen einer solchen Festschrift, einen heterogenen Eindruck zu vermitteln - und zwar sowohl in der thematischen Fokussierung als auch im methodischen und stilistischen Zugriff der Verfasser. Nicht jeder Beitrag wird jeden interessieren. Aber zu vielen kulturpolitisch relevanten Aspekten lässt sich etwas finden, und die Gliederung in 14 Kapitel sowie das Personenregister erleichtern dabei den Suchvorgang. Die biographischen Angaben zu den Autoren sind interessant und machen die Festschrift in Verbindung mit Zimmermanns einleitendem Beitrag auch zu einer historischen Dokumentation bundesdeutscher Kulturpolitik seit der Wiedervereinigung.
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