18.09.2020

Themenreihe Digitale Formate

Autor*in

Friedrich Rackwitz & Stephan Vorbrugg
Friedrich Rackwitz dreht und montiert seit 2006 Dokumentarfilme und realisierte als Autor zahlreiche Kurzfilme, Dokumentarfilme und Medienkunst. Stephan Vorbrugg drehte u. Kino-, und Fernseh-, aber auch Dokumentarfilme, Musikclips und Imagefilme. Seit 2013 realisieren beide mit ihrer Firma FORTIS GREEN FILM+MEDIEN Filme sowohl für Kunst- und Kulturorganisationen als auch Dokumentarfilme und Medienkunst. 
Veronika Schuster
ist ausgebildete Kunsthistorikerin und Kulturmanagerin. Sie hat mehr als 10 Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Co-Kuratorin für verschiedene Ausstellungsprojekte und Kultureinrichtungen gearbeitet. Sie verantwortet bei Kultur Management Network die Leitfäden und Arbeitshilfen und arbeitet als Lektorin und Projektleiterin für unterschiedliche Publikationsformate.
Kulturvermittlung via Video

Ein Meer an Möglichkeiten

Film ist das Medium unserer Zeit, auch für die Kulturvermittlung. Die beiden Münchner Filmemacher Stephan Vorbrugg und Friedrich Rackwitz machen das speziell und sehr erfolgreich für die Bereiche Museum und zeitgenössische Kunst.

Themenreihe Digitale Formate

Lieber Herr Vorbrugg, lieber Herr Rackwitz, welche Möglichkeiten bietet das Medium "Film", was andere Medien nicht leisten können?
 
Stephan Vorbrugg: Die vielen Ebenen machen Film zu einem komplexen wie auch komplizierten Kunstwerk. Diese Verbindung ermöglicht es aber, nicht nur Informationen zu vermitteln, sondern gleichzeitig Emotionen auszulösen und einen sinnlichen Zugang zu schaffen. In der Praxis führt das allerdings auch dazu, dass das Medium sehr viel schwieriger zu handhaben ist. Denn dreht man eine Stellschraube, müssen viele andere Rädchen ebenso in Gang gebracht werden und dafür benötigt man Erfahrung. 
 
Sind es diese ausgelösten Emotionen, weshalb sich Film als Medium für Kunst und Kultur so besonders gut eignet? 
 
SV: Ja, Emotionen sind hier sicher ein gemeinsamer Nenner. Deshalb ist es sehr spannend, sich Kunst mit einem ähnlich komplexen Medium zu nähern und Bezug darauf zu nehmen. 
 
Wie versuchen Sie, sich bei Ihrer Arbeit der Kunst zu nähern? Gerade im Haus der Kunst in München - für das Sie eine Vielzahl von Filmen gemacht haben1 - ist diese ja mitunter sehr komplex...
 
SV: Für uns ist der erste Kontakt mit der Kunst besonders wichtig, diesen Moment muss man auf sich wirken lassen. Und erst wenn wir uns einen Eindruck gemacht haben, gehen wir in das Gespräch und versuchen, uns einem Abgleich mit der Perspektive des*der Künstler*in anzunähern. Unsere Wahrnehmung, das, was die Kunst bei uns beiden ausgelöst hat, ist der Ausgangspunkt unserer Arbeit. 
 
Friedrich Rackwitz: Wahrnehmung kann man zuerst ganz subjektiv angehen. Aber hinter moderner Kunst stehen mitunter sehr komplexe Konzepte. Und will man diese ganz begreifen, muss man sich belesen. Recherche ist ebenso ein wichtiger Teil unserer redaktionellen Arbeit, die uns einen weiteren Zugang eröffnet. Dabei gibt es natürlich Kunst, die uns eher liegt als andere. Aber immer geht es zu allererst darum, sinnlich und intellektuell mehr über die Kunst, die präsentiert wird, zu erfahren. 
 
Ihre Filme nehmen verschiedene Elemente wie Bildsplitter, Interviews, Sounds ... auf. Wie gestaltet sich der Weg hin zu Ihrer Dramaturgie?
 
SV: Es ist gar nicht so einfach, in unseren Werkzeugkasten zu blicken. Aber wir haben in den vergangenen Jahren Bausteine entwickelt, sozusagen Säulen der Statik für unseren Aufbau, mit denen wir die ersten Arbeitsthesen für den Film entwickeln. Eine Säule etwa ist die Länge des Films. Es macht einen großen Unterschied für die Dramaturgie, ob der Film eine oder fünf Minuten Dauer hat. Ebenso ist es mit der Perspektive, aus der heraus wir erzählen: Ist es ein Interview mit einem*einer Kurator*in oder einem*einer Künstler*in? Die Ansprache für die Zuschauer*innen ist ebenso ein wichtiger Baustein: Wollen wir sie zum Mitdenken anregen? Wollen wir sie verführen? Wollen wir sie belehren? Mit diesen und weiteren Bausteinen nehmen wir eine Ausstellung genauer in den Blick. Daraus entwickeln wir - im Idealfall - bis zu vier Arbeitsthesen für die Institution, für die Ausstellung, für die Ressourcen, für die Plattformen, für das Storytelling... So sieben wir aus dem Meer der unendlichen Möglichkeiten das heraus, was uns zentral erscheint. Und darüber kommen wir dann mit den Beteiligten aus der Institution ins Gespräch. Aber das Ziel bei all dem ist, eine filmische Dramaturgie zu entwickeln, die den Zuschauer*innen Spaß macht und ihnen hilft, bis zum Schluss dranzubleiben. 
 
FR: Wir beschränken uns nicht auf die Vermittlung von Kunstwerken, dokumentieren oder reproduzieren sie nicht einfach. Wir nehmen eine filmische Perspektive ein. Das heißt auch, einen bestimmten Umgang mit den Zuschauer*innen zu entwickeln. Wir zeigen nicht nur, was betrachtet werden kann, sondern versuchen das Fenster zu öffnen, um zu zeigen, was die Kunst mit dem*der Zuschauer*in macht. 
 
Sie haben sich auch von dem "klassischen" Bericht oder der Ausstellungreportage, also von klassischen Erklärstrukturen gelöst, beinahe eigene kleine Kunstwerke entwickelt. Das braucht Mut, auch von der Institution selbst.
 
FR: Schön, dass Sie das so sehen. Aber was wir nie wollen, ist, dass unsere Ansicht vor die des*der Künstler*in oder des*der Kurators*in gestellt wird. Wir arbeiten immer im Dienst der Institution, der Kunst und des zukünftigen Publikums. Wir nehmen eben nur nicht eine journalistisch begleitende Perspektive ein, sondern eher die filmisch beschreibende. 
 
SV: Auch das Fernsehen versucht sicher, der Kunst, der Ausstellung, der Themen gerecht zu werden. Aber das Fernsehen nimmt oft eine Einordnung vor oder versucht eine Deutungshoheit. Das wollen wir nicht machen. Wir nehmen eine fragende Haltung ein und versuchen, die Fragen und die Gedankenräume, die im Gegenüber mit der Kunst entstehen, transparent zu machen. Um das zuzulassen, braucht eine Institution tatsächlich einen gewissen Mut. 
 
Sie fordern mit Ihren Filmen die Zuschauer*innen auf, sich auf die von Ihnen gestaltete Atmosphäre einzulassen, die ja sehr ungewohnt ist für solche - ich nenne es mal ganz schlicht - PR-Filme...
 
SV: Wir wünschen uns durchaus ein Spiel mit den Zuschauer*innen. Wir möchten, dass die Zuschauer*innen spüren, dass sie uns vertrauen können und dass die Zeit, die sie investieren, sich lohnen wird. Und wir gehen davon aus, dass nach 30 bis 60 Sekunden bereits der erste Check-up bei den Zuschauer*innen stattfindet. Es muss also nicht darum gehen, eine Ausstellung vollständig abzubilden, durch jeden Raum zugehen, jede These abzuhandeln, sondern es geht auch darum, den Zuschauer*innen in einem Pingpong immer neue Impulse zu bieten, um diese am Ball zu halten. 
 
Hinterfragen Sie dabei Ihren Arbeitsprozess immer wieder nach der Zielgruppe?
 
FR: Uns geht es um das Einlösen eines Versprechens bei der Zielgruppe. Wir können durch die Verweildauer auf den Videos sehr gut nachvollziehen, ob der Film über die Zeit trägt. Wir analysieren sehr genau, ob es Sinn macht, was wir tun. Aber wir sind auch in ständiger Kommunikation mit der Institution, mit den Künstler*innen, mit den Kurator*innen, um das zu erreichen. 
 
SV: Wir müssen auch fragen, für wen der Film geeignet ist. Das Publikum sollte dort abgeholt werden, wo es steht, und dann ein paar Schritte begleitet werden. Man muss schon auf die verschiedenen Zielgruppen, die unterschiedlichen Wissensgrade, die Anlässe, um sich mit dem Thema überhaupt zu beschäftigen usw. reagieren. Sich mit diesen Fragen zu beschäftigen, ist insoweit wichtig, da die Filme ihr Ziel erreichen sollen. In dieser Konsequenz machen wir aus dem Material auch nicht nur einen Film pro Ausstellung, sondern erstellen ein Paket, um verschiedene Kanäle wie Instagram, YouTube, Facebook zu bedienen. So kann man ebenso Werbefilme, Imagefilme, Lernfilme erstellen. Das heißt, die investierten Ressourcen werden vielfach genutzt. Das lohnt sich und sorgt für eine runde Kommunikationsstrategie für die Institution und die Ausstellung. 
 
Beraten Sie die Institutionen dann auch bei ihrer Contentstrategie? 
 
SV: Aus reinem Selbstzweck tun wir das natürlich. Aber wir versuchen, mit unseren Gesprächen und Workshops nicht nur uns das Arbeiten zu erleichtern, sondern auch den Mitarbeiter*innen Zugang für die Möglichkeiten des Films zu legen. Wir haben aber immer das Anliegen, das für die Einrichtung beste Paket zu erstellen. Da wir die entsprechende Erfahrung haben, wird unsere Kompetenz dahingehend auch genutzt. 
 
FR: Wenn man sich den Möglichkeiten des Films und der einzelnen Plattformen nähert, ergibt es sich von selbst, sich mit dem Thema Strategie beschäftigen zu müssen. Denn wo der eine Film funktioniert, muss er das nicht zwangsläufig auch an anderen Orten tun. Und diesen Lernprozess muss man gehen, da man nicht jedes Mal von vorne beginnen will. 
 
Sie arbeiten auch für das Lenbachhaus in München. Also eine andere Kunst als im Haus der Kunst. Was ist da anders? Gespräche mit Künstler*innen sind hier etwa nicht möglich...
 
SV: Ja, im Lenbachhaus nehmen wir eine völlig neue Perspektive ein. Aber dennoch ist das, was dort gezeigt wird, noch sehr viel näher an unserer Zeit, als man denkt. Aber die Filme erhalten sicher neue Formate, weil die Kunst einen anderen Zugang benötigt. 
 
FR: Wir gehen offen mit jeder Form und Zeit von Kunst um. Wir genießen natürlich die Gespräche mit den Künstler*innen, aber ebenso spannend sind die Gespräche mit Kunsthistoriker*innen, Restaurator*innen, Musiker*innen, Architekt*innen usw. Der Ansatz, wie wir an die Menschen und an das Thema herangehen, ist immer ähnlich und bleibt diskursiv. 
 
Gehen die Kultureinrichtungen offensiv genug mit dem Medium um? Könnten sie vielmehr damit arbeiten, vielleicht auch auf andere Art und Weise? 
 
SV: Film ist das zeitgenössische Medium schlechthin. Man kann hier sicher noch sehr viel mehr tun. Der große Vorteil des Mediums Film ist es zum einen, dass es angenehm niederschwellig ist. Man kann auf diesem Weg viele Menschen erreichen, die sich nicht die hohen Stufen des Kunsttempels hochtrauen. Ein Film ist eine freundliche Einladung, es doch zu wagen. Zum anderen sollte man den Blick auf andere Länder richten: Die Tate Gallery beispielsweise hat sehr spannende Projekte, die ganz neue Fragen aufwerfen: nach dem Wesen der Kunst, nach dem Warum sich mit Kunst auseinandersetzen? Sie nutzen Film, um einen Diskurs um und mit der Kunst zu eröffnen und sie lösen sich dabei von der reinen Betrachtung der Kunstwerke. Film kann den Anschluss an die Gesellschaft erreichen. Das können Kultureinrichtungen nutzen, um eine Position einzunehmen und in einen gemeinsamen Diskurs mit den Menschen außerhalb einzutreten. Es ist eines unserer Anliegen, genau das zu vermitteln: dass Film, ebenso wie Text, Anliegen, Inhalte, Wissen vermitteln kann. Der Katalog hat sicher noch seine Berechtigung, aber das spannendere Medium im Sinne des Austauschs ist einfach der Film. 
 
FR: Und Kultureinrichtungen müssen das, was sie tagtäglich tun, nach außen vermitteln. Und mit ihrer Arbeit, ihrem Wissen, ihrer Expertise können sie einen ungemein wichtigen Beitrag zu den dringenden politischen, gesellschaftlichen Debatten leisten. Sie nutzen aber bisher nicht genug die Möglichkeiten, sich einzubringen. 
 
Dieser Beitrag erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin "Video killed the Radiostar?"

Unterstützungsabos


Mit unseren Unterstützungsabos unterstützen Sie unsere Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – und damit alle unsere kostenfreien Inhalte, also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 15€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 15,00 EUR / 1 Monat(e)*

25€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 25€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 25,00 EUR / 1 Monat(e)*
* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Kommentare (0)
Zu diesem Beitrag sind noch keine Kommentare vorhanden.

Unterstützungsabos

Mit einem Unterstützungsabo unterstützen Sie die kostenfreien Inhalte unserer Redaktion mit einem festen Betrag pro Monat – also unser Magazin, unseren Podcast, die Beiträge und die Informationen zu Büchern, Veranstaltungen oder Studiengängen auf unserer Website. 

5€-Unterstützungsabo Redaktion

Mit diesem Abo unterstützen Sie unsere Redaktion mit 5€ im Monat. Das Abonnement ist jederzeit über Ihren eigenen Account kündbar.

Preis: 5,00 EUR / 1 Monat(e)*

15€-Unterstützungsabo Redaktion

25€-Unterstützungsabo Redaktion

* Alle Preise sind inkl. der gesetzl. Mehrwertsteuer, zzgl. evtl. anfallenden Gebühren
Cookie-Einstellungen
Wir setzen auf unserer Website Cookies ein. Einige von ihnen sind notwendig (z.B. für den Stellenmarkt), während andere uns helfen, unsere Angebote (Redaktion, Magazin) zu verbessern und wirtschaftlich zu betreiben. Einige Angebote können nur genutzt werden, wenn Cookies gesetzt wurden.
Sie können die nicht notwendigen Cookies akzeptieren oder per Klick auf die graue Schaltfläche ablehnen. Nähere Hinweise erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Ich akzeptiere
nur notwendige Cookies akzeptieren
Impressum/Kontakt | AGB