14.12.2022

Themenreihe klimafreundlich

Autor*in

Christiane Dopp
absolvierte beim NDR eine Ausbildung zur Aufnahmeleiterin. Sie ist seit 2001 bei der MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein tätig. Dort ist sie Ansprechpartnerin für Dreharbeiten und Projektleiterin für den Grünen Filmpass, der für Nachhaltigkeit und Ökologie in der Filmbranche sorgt.
Johannes Hemminger
studierte Philosophie sowie Neuere und Neueste Geschichte in Tübingen und arbeitete danach im Marketing, Community Management und Projektmanagement in der Videospielbranche. Von 2021 bis 2023 war er Redakteur bei Kultur Management Network.
Green Filming

Nachhaltigkeit als Förderkriterium

Seit 2012 unterstützt die MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein Filmproduktionen dabei, sich klima- und umweltfreundlich aufzustellen. Christiane Dopp, die bei der Film Commission direkte Ansprechpartnerin für die Filmbranche ist, sprach mit uns darüber, wie trotz einiger Widerstände Nachhaltigkeit durch Vorgaben aus der Förderlandschaft etabliert werden kann.

Themenreihe klimafreundlich

Wie kam es dazu, Nachhaltigkeit zu einem Kriterium für die MOIN Filmförderung zu machen? 
 
Christiane Dopp: Ich habe 2011 bei einem AFCI-Kongress (Association of Film Commissioners International) das erste Mal von Green Filming gehört. Da habe ich bemerkt, wie präsent das Thema in anderen Ländern schon war. In Schweden, England, Belgien oder auch Amerika gab es schon viele Gedanken dazu, was man verbessern muss und dass wir unseren CO2-Fußabdruck sichtbar machen müssen. Zu diesem Zeitpunkt gab es den sogenannten Drehpass, den wir als Film Commission ausgestellt haben, um die Kommunikation zwischen den Antragsteller*innen und den Behörden zu erleichtern und Drehgenehmigungen einfacher zu erhalten. Noch in der Nähe von Paris kam mir dann die Idee: Aus dem Drehpass wird der Grüne Drehpass, mit ökologischen Auflagen und nachhaltigen Konzepten. Und in zwei, drei Jahren sind wir durch. Dann haben wir die ganze Branche umgestellt und alles ist grün. Hamburg war 2011 noch Europas Umwelthauptstadt, entsprechend war die Umweltbehörde sehr interessiert. So konnten wir diesen Grünen Drehpass als Gütesiegel von der Umweltbehörde zertifizieren lassen und damit 2012 auf den Markt gehen. So haben wir versucht, die Branche für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. 
 
Wie waren die Reaktionen in der Filmbranche?
 
CD: Zuerst einmal ungläubig, viele waren skeptisch. Jeder Drehtag kostet Geld und Nachhaltigkeit wurde als zusätzliche Belastung aufgenommen, die darüber hinaus mit schlechten Gefühlen gekoppelt war - ein schlechtes Gewissen, weil viele wussten, dass was dran ist, und Unwissenheit, weil viele noch gar nicht wussten, worum es geht. Wir haben darauf mit grünen Workshops reagiert, um Fragen zu klären und Vorbehalte abzubauen.
 
Wie hat sich die grüne Filmförderung seitdem entwickelt?
 
CD: Zwischen 2012 und 2019 galt: Je jünger die Verantwortlichen einer Produktion waren, umso größer war die Bereitschaft, etwas zu verändern. Natürlich gab es auch ältere Teammitglieder, die Nachhaltigkeit angemahnt haben, aber die Produktionen haben sich oft nicht bewegt. Man darf nicht vergessen, da gab es noch genug Leute, die die Klimakrise grundsätzlich in Frage gestellt haben. Die Bewegung von Greta Thunberg und Fridays for Future hat uns 2019 einen unglaublichen Kick verschafft, indem sie eingeklagt hat: "Das ist unsere Zukunft, die ihr uns kaputt macht." Bis dahin war es oft ein mühsames Vorankommen, begleitet von viel Skepsis und Misstrauen. Durch die Hartnäckigkeit und den Durchsetzungswillen von Fridays for Future hat sich das Blatt gewendet. Plötzlich waren viel mehr Leute in der Branche, in den Institutionen und in der Politik bereit, wirklich etwas zu tun. Seitdem hat sich bei uns und in den regionalen und bundesweiten Filmförderungen viel getan. 

Mit der Pandemie gab aus hygienischen Gründen Rückschritte, die aber zum Teil neue Entwicklungen mit sich gebracht haben. Beispielsweise hörte ich von Catering-Unternehmen, dass sie personalisierte Kunststoffboxen für jedes Teammitglied angeschafft hatten. So konnten die Leute sich abends Essen mit nach Hause nehmen. Dadurch war plötzlich kein Essen mehr überschüssig. Das war ein schöner Effekt, an dem man sieht, wie kreativ die Branche mit dem Thema Nachhaltigkeit umgeht. 
 
Ebenfalls 2020 hat der Grüne Filmpass den Grünen Drehpass abgelöst. Er ist weiter gefasst und deckt mehr Aspekte als nur die Produktion ab, zum Beispiel die Kinos. Über die MOIN Filmförderung hinaus haben Fördergeber*innen und die Filmbranche inzwischen gemeinsam das Green Motion Label entwickelt. Dieses Label gilt für die reine Produktionsförderung und ist seit dem 1. Januar 2022 eine Selbstverpflichtung der großen Sender am Produktionsstandort Deutschland. Das ist noch in der Evaluierung, aber ich denke, da wird eine gute Summe an gesparten Emissionen zusammenkommen, denn die Vorgaben werden wirklich ehrgeizig und ernsthaft umgesetzt. Bei der Wirkungsmessung arbeiten wir mit dem Öko-Institut zusammen, das den Prozess wissenschaftlich begleitet. Die Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth hat außerdem zusammen mit einem weiteren Institut ein Reallabor geschaffen, in dem zwischen 30 und 40 Produktionen genau analysiert wurden. Aktuell werden die daraus gewonnenen Erkenntnisse ausgewertet und zu neuen ökologischen Standards zusammengefasst. Diese neuen Standards werden ab Anfang 2023 keine Selbstverpflichtung mehr sein, sondern Pflicht.
 
Welche Hindernisse standen Ihnen bei der Umsetzung nachhaltiger Filmförderung im Weg?
 
CD: Ein Hindernis war, dass in einer Filmproduktion viele Gewerke zusammenkommen. Ob es Kostüm ist, Maske, Kamera oder Szenenbild, in jedem Bereich muss man genau nach den Emissionsquellen suchen und Ansatzpunkte für Reduktionen finden. Wie wir festgestellt haben, sind die großen Hebel bei einer Produktion die Bereiche Mobilität, Transport und Energie; da wird am meisten emittiert. Die anderen Bereiche - zum Beispiel Catering - werden gern als erstes genannt, aber sind nicht so ausschlaggebend. Bei den sehr unterschiedlichen Gewerken ist es also nicht einfach mit "Hebel umlegen" getan. Wir mussten die Maßnahmen außerdem als Regulierungen und Auflagen verfassen, weil es immer Produzent*innen gab, die dachten, sie müssen sich nicht ganz so streng daran halten. Mit den Auflagen entsteht Verbindlichkeit und daraus entstehen Glaubwürdigkeit und Vertrauen, die wichtigsten Hebel dafür, die Branche für das Thema zu sensibilisieren.
Was hat bei der Sensibilisierung funktioniert und was vielleicht auch nicht?
 
CD: Je konkreter, je fassbarer, je klarer umsetzbar die Maßnahmen waren, umso größer war der Erfolg. Die Workshops, die wir 2013/14 mit Phillip Gassmann - einem Experten aus München - angefangen haben, haben deshalb enorm viel gebracht. Gegen die Kommentare, das habe alles wenig Sinn und bringe nicht genug, muss man immer wieder mit guten Argumenten und Fakten gegenhalten. Aber es hat eine Weile gedauert, bis wir die ersten Zahlen und Daten sammeln und mit ihnen erklären konnten, dass es nicht teurer ist, grün und nachhaltig zu drehen, sondern dass es sich die Balance hält oder sogar günstiger sein kann als konventionelle Produktionsweisen. 

Wie kommt man an diese Fakten?
 
CD: Man kann damit anfangen, zu übernehmen, was schon gut erprobt ist. Entsprechend haben wir uns viel mit dem PGA (Producer’s Guild of America) Green Guide aus den USA befasst. Das ist ein Leitfaden, in dem die Maßnahmen für alle Gewerke erfasst wurden. Wir haben das auf unsere Art des Produzierens adaptiert. Ansonsten haben wir mit den Jahren natürlich auch selbst aus der Klimaforschung und der Zusammenarbeit mit Zertifizierungsstellen und wissenschaftlichen Instituten wie Ökoprofit gelernt.

Transport und Mobilität sind die großen Hebel, haben Sie gesagt. Wie werden diese nachhaltiger?
 
CD: Das geht mit dem eigenen Fuhrpark der Produktion los und mit Fahrzeugen mit umweltfreundlichen Antriebstechniken. Mit den Autoverleiher*innen haben wir zum Beispiel viel Kontakt. Das Thema Car-Pooling war auch lange kontrovers, also dass nicht jedes Teammitglied zu Sets oder Locations mit einem eigenen Fahrzeug fährt. Inzwischen hat man gesehen, dass man damit viel sparen kann. Bei LKWs war es viel schwieriger, Verbesserungen zu erzielen, denn umweltfreundliche Antriebsarten für diese sind nach wie vor ein großes Problem. Hier läge es nahe, den Fuhrpark zu reduzieren, aber das ist eine große Herausforderung für das Filmen, denn das bedeutet im weiteren Sinne eine Einschränkung der künstlerischen Möglichkeiten, weil ich nicht mehr alle Lampen und Technologien ständig dabeihabe. Hier hat uns die präzise Technologie der neuesten Kameras sehr geholfen - die Kameras von heute sind lichttechnisch hochempfindlich und benötigen entsprechend viel weniger Lichtequipment. Und so müssen inzwischen weniger Geräte auf den LKW gepackt werden. 
 
Wie gehen Sie bei der Ermittlung des CO2-Fußabdrucks vor?
 
CD: Da muss es genau zugehen: Was haben wir an CO2-Emissionen pro Tag im Lichtbereich, im Kamerabereich und so weiter? Sogenannte Green Consultants errechnen das im Detail. Das ist eine neue Berufsgruppe, die die Brücke zwischen Filmbranche und dem Know-how von Nachhaltigkeitsmanager*innen schlägt. Mittlerweile gibt es zwei offizielle Stellen in Deutschland, an denen man sich ausbilden lassen kann. Ein Green Consultant muss bei jeder Produktion dabei sein, die von uns gefördert ist. Von den Consultants erhalten wir einen Bericht darüber, wie die ökologischen Standards beim Dreh eingehalten wurden - und was nicht geklappt hat. Denn nicht alles läuft reibungslos. Zurzeit gibt es beispielsweise Probleme, zertifiziertes Holz für das Szenenbild und die Ausstattung zu bekommen. Man merkt an solchen Stellen, wie die Einstellungen sich verändert haben: Heute ist der Ärger meistens bei den Fördernehmer*innen am größten, wenn etwas nicht geklappt hat - nicht, weil sie es versuchen müssen. 
 
Welche aktuellen Entwicklungen gibt es?
 
CD: Der Grüne Filmpass umfasst ja mehr als nur die Produktion. Es fängt beim Green Storytelling an. Das bedeutet, dass man schon beim Drehbuchschreiben Nachhaltigkeit mitdenkt. Ein Klassiker ist der Kommissar, der mit dem Fahrrad zum Tatort fährt oder keinen to-go-Becher mehr hat. Man kann auch schon im Drehbuch überlegen, Reisen zu reduzieren, indem man beispielsweise look-alike-Kulissen nutzt. Man muss nicht unbedingt für ein paar Bilder die Produktion nach London oder Amsterdam fliegen, denn in Hamburg findet man ähnliche Orte. Ich bin eine große Verfechterin der Idee, dass Student*innen schon in den Filmhochschulen mit dem Thema konfrontiert werden, ohne Einfluss auf die künstlerische Arbeit zu nehmen. Wir wollen nicht, dass Drehbücher nur noch nach erhobenem ökologischen Zeigefinger klingen, sondern dass sich das Thema Nachhaltigkeit smooth und easy integriert. Es geht darum, zu überlegen, wie man eine Geschichte so erzählt, dass es für die Umwelt und die Gesellschaft weniger Belastung bedeutet. Und das geht! 
 
Was würden Sie gerne an Menschen in anderen Kulturbranchen weitergeben, die Nachhaltigkeit in ihren Häusern etablieren wollen?
 
CD: Man sollte immer wieder erklären, warum bestimmte Schritte und Maßnahmen sinnvoll sind. Wenn man einem Team zum Bergfest, das ist immer zur Hälfte der Dreharbeiten, präsentieren kann, wie viele Tonnen CO2 mit welchen Maßnahmen eingespart wurden, motiviert das ungemein.
 
Es ist für uns wirklich ein langer Weg gewesen, aber mittlerweile gibt es nur noch eine Richtung und die heißt Klima- und Umweltschutz. Also sollte man sich auf keinen Fall abhalten lassen, sondern dabeibleiben und gute Partner*innen finden. Es gibt mittlerweile viele Quellen, bei denen man sich Hilfe holen kann. Wir von der MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein sind immer ansprechbar und bereit für jede Frage, auch aus anderen Kulturbereichen.
 
Video zum Green Filming bei der Romanverfilmung "Mittagsstunde"
 

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