17.10.2024
Themenreihe Sponsoring
Autor*in
Christiane Dätsch
studierte Germanistik, Journalistik und Romanistik und war nach ihrer Promotion in Journalismus und Kultur-PR tätig. Sie war Akademische Oberrätin am Institut für Kulturmanagement der PH Ludwigsburg und ist seit 2024 Professorin für Kulturmanagement an der Hochschule Merseburg.
Namensrechte und Kultursponsoring im Theater
Wird Gerhart Hauptmann in Görlitz-Zittau abgelöst?
Viele Kultureinrichtungen suchen nach neuen Möglichkeiten, um für Sponsor*innen attraktiv zu werden. Das Theater Görlitz-Zittau geht einen in der öffentlichen Theaterlandschaft bislang einzigartigen Weg: Es will seine Namensrechte an einen Sponsor verkaufen - zumindest für eine Spielzeit. Verzweiflung, sinnvolle Alternative oder künstlerisches Experiment?
Themenreihe Sponsoring
Die Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau GmbH trägt einen Literaturnobelpreisträger in seinem Namen. Doch der literarische Glanz scheint zu verblassen, sobald das Gespräch auf die schwierige finanzielle Lage des Theaters kommt. Getragen von den Städten Görlitz, Zittau und dem Landkreis Görlitz, kämpft die aus zwei Spielstätten bestehende GmbH seit Jahren um ihr Überleben; gemeinsam mit anderen Stadt- und Kulturraumtheatern in Sachsen hat sie immer wieder auf ihre chronische Unterfinanzierung hingewiesen. Besonders deutlich wurden die Finanzprobleme im Jahr 2023, als dem Theater, bedingt durch Tariferhöhungen und Inflation, bis zu 1,3 Millionen Euro fehlten. Es drohte die Insolvenz, der Spielplan erschien verzögert und erneut kursierten Empfehlungen, eine der vier Sparten in Görlitz (Musik, Musiktheater) und Zittau (Schauspiel, Ballett) zu schließen - und das, obwohl das Theater in der nicht gerade üppig ausgestatteten Grenzregion eine wichtige zivilgesellschaftliche Funktion wahrnimmt, wie Daniel Morgenroth, Intendant und kaufmännischer Geschäftsführer in Personalunion, immer wieder betont. Auch deshalb greift er nun zu drastischen Mitteln: Er bietet privaten Geldgeber*innen die Namensrechte seines Hauses an und, damit verbunden, weitreichende Werbeflächen in der und rund um die künstlerische Produktion. Ist das eine innovative (und notwendige) Idee, um das Theater zu retten? Oder der Ausverkauf der Kunst, wie Gegner*innen befürchten?
Notwendigkeit neuer Finanzierungswege
Auch in anderen Regionen Deutschlands werden öffentliche Theater zunehmend aufgefordert, Einsparpotenziale zu prüfen, über marktwirtschaftliche Rechtsformen nachzudenken und neue Fundraising-Strategien zu ersinnen. Klassische Finanzierungsinstrumente wie die Zusammenarbeit mit Theaterstiftungen und Fördervereinen, mit lokalen Sponsor*innen und Unterstützer*innen kommen angesichts des steigenden Bedarfs an Einnahmen an vielen Orten an ihre Grenzen. Andere Ansätze wie Dynamic Pricing sind hingegen nicht leicht umzusetzen; gleichzeitig wird die (teilweise) Erhöhung von Eintrittspreisen von der Kulturpolitik nicht gerne gesehen.
Morgenroth geht einen anderen Weg: Er bietet Großsponsor*innen an, eine Spielzeit lang ihren Namen mit seinen Spielstätten zu verbinden. Er folgt damit einem Finanzierungsmodell, das in anderen Bereichen gang und gäbe ist, allen voran im Sport. So gibt es einen Deutsche Bank Park in Frankfurt/Main, ein Rheinenergie-Stadion in Köln, eine Red Bull Arena in Leipzig oder eine MHP-Arena in Stuttgart. Zwar werden diese und weitere Multifunktionsarenen - etwa die Uber Arena in Berlin oder die Barclay Arena in Hamburg - auch für Kulturveranstaltungen genutzt. Dass aber die Namen großer Unternehmen direkt und an prominenter Stelle auftauchen, ist im öffentlichen Kulturkontext eher die Ausnahme. Vereinzelt weisen große Musik- und Literaturfestivals im Namen auf ihre Geldgeber*innen hin (etwa bei den Siemens>Festspiel>Nächten in Salzburg, den Audi Sommerkonzerten oder den Vattenfall-Lesetagen, letztere bis 2013), ebenso urbane Forschungslabore (so beim BMW Guggenheim Lab 2012) oder Förderprogramme junger Talente (bspw. bei der International Telekom Beethoven Competition Bonn). Auch im Namen eines Orchesters trat dessen offizieller Sponsor schon in Erscheinung: Das einstige Chur Cölnische Orchester, heute Klassische Philharmonie Bonn, war in den 1990er-Jahren umgangssprachlich als "Telekom Orchester" bekannt. Ziel der Unternehmen ist in der Regel ein offensives Branding, manchmal fungieren sie auch als (Co-)Veranstaltende. Der Verkauf von Namensrechten im Theater wäre aber wohl tatsächlich ein Novum. Die Gesellschafter der GmbH gehen in Görlitz-Zittau offenbar mit, in den Fördervereinen und der kommunalen Politik hingegen regt sich Widerstand.
Werbeplattform Theater
Weitreichend ist, was das Haus gegen Geld anbietet: Nicht nur der Name, auch die Grenze zwischen Kunst- und Vermarktungsraum soll fallen. Die Angebote, die das Theater potenziellen Sponsor*innen auf seiner Website macht, sind entsprechend einschneidend: Möglich sind die Nennung auf der Website, in Printprodukten und auf Social-Media-Plattformen, die Anbringung des Firmenlogos an den Hausfassaden, auf den Kragen des Opernchores oder den Kostümen der Solist*innen. Ebenso wird die Platzierung des Unternehmens-Jingles vor den Konzerten der Neuen Lausitzer Philharmonie oder von Werbebotschaften auf der Übertitelanlage angeboten. Versprochen wird "maßgeschneiderte" Werbung, welche Marke und Kultur, wie es heißt, zu "unvergesslichen kulturellen Erblebnissen" verbindet.
Vor allem im Verkauf der Namensrechte sieht das Theater laut Website eine "revolutionäre Idee im Kulturmarketing", die zum "Erfolgsmodell für viele Theater deutschlandweit werden" könnte. Auch wenn der Intendant beteuert, dass die angebotenen Werbemaßnahmen nicht in die Kunstfreiheit des Theaters eingriffen, ist das angesichts ihrer angebotenen Präsenz im Bühnenraum nur schwer vorstellbar. Auffallend ist auch der verkaufspsychologische Zungenschlag: Menschen, so liest man, würden "im Theater und Konzert emotional ergriffen" und seien in dieser Stimmung potenziell bereit, sich "für neue Impulse" zu öffnen. Damit bietet das Theater seine Fähigkeit, ein Publikum in einen spezifischen Wahrnehmungs- und Gefühlszustand zu versetzen, offensiv feil und betont dessen Vorteil für Werbende. Das mag aus ethischen Gründen diskutabel sein, ebenso wie die Präsenz von Werbung in der künstlerischen Produktion. Wenn, wie in Görlitz angeboten, ein Firmenlogo gut sichtbar am Kleid von Künstler*innen befestigt wird, scheint die Grenze zwischen Produkt und Werbung fließend. Markenbotschaften können irritieren und die Illusion konterkarieren, die Theater, mit seinem Bühnenbild, mit Kostümen und dem Spiel der Künstler*innen herzustellen versucht, zumal bei hisotirschen Stücken.
Unabhängigkeit der Kunst
Zu bedenken ist auch, dass ein Kunstverständnis, das sich für Werbung öffnet, am Ende gegen die eigenen Interessen arbeiten könnte. Öffentliche Kultureinrichtungen sind Orte, an denen die Freiheit (des Denkens, Schreibens, Forschens, der Kunst) an oberster Stelle steht. Dafür achten sie auf Marktferne und verzichten in der Regel trotz knapper Budgets auf hohe Werbeeinnahmen. Entsprechend ironisch übertitelte die Süddeutsche Zeitung schon im Jahr 2008 einen Beitrag zum Thema Werbung in öffentlichen Theatern mit "Wirb oder stirb!". Darin hob sie deren Rolle als geschützte Räume hervor und betonte, dass das Angebot zu Selbst- und Weltreflexion auch den Schutz vor Kaufeinflüssen und Werbung impliziere. Theater, die diese Funktion nicht wahrnehmen, laufen Gefahr, ein gewichtiges Argument für ihre öffentliche Förderung zu verlieren.
Auch in Görlitz weiß man das. Vor allem die Partei Die Linke hält an der Idee einer Kunstfreiheit ohne Werbung fest. Sie sieht im Verkauf der Namensrechte einen Verstoß gegen diese Freiheit und argumentiert , man sei dem schlesischen Dichter, dessen Namen das Haus trägt, durch seine Herkunft, aber auch durch sein sozialkritisches Werk verbunden. Am 5. September startete sie eine Online-Petition gegen das Vorhaben und sammelte seitdem 259 Stimmen (Stand 5. Oktober 2024); für ein Quorum benötigt sie bis März 2025 jedoch 2.100 Voten. In der Görlitzer Diskussion spiegelt sich somit die Frage wider, die angesichts knapper öffentlicher Kassen für viele subventionsbedürftige Theater Alltag ist: Kunst ohne Geld? Oder Kunst mit (Privat-)Geld? Gefragt ist hier viel Pragmatismus.
Ein neues Marketing-Verständnis
Kulturmarketing-Bücher lehren, dass der Markenkern einer Organisation ihr Kapital ist, wenn es darum geht, Reputation zu generieren und Publikum (die "Kund*innen") zu binden. Der Sport lehrt schon seit einiger Zeit etwas ganz anderes - nämlich, dass Spielstätten auch dann funktionieren, wenn sie anders heißen als das ausführende Ensemble. Es müsste sich also erst erweisen, ob der Markenkern des Görlitz-Zittauer Theaters durch eine Umbenennung des Hauses zerstört wird oder ob sich ein "Gerhart Hauptmann Ensemble" auch in einem Coca-Cola-Theater durchsetzen könnte. Das würde implizieren, dass sich das Kulturpublikum ähnlich verhält wie das Sportpublikum. Immerhin ist es ähnlich groß, wenn nicht größer: "In Deutschland gehen jedes Jahr mehr Menschen ins Theater als ins Fußballstadion", heißt es in der Medieninformation aus Görlitz-Zittau. Dort kommen jährlich 150.000 Zuschauer*innen in die Spielstätten, eine halbe Million nimmt ihre Angebote im Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien wahr - also zehnmal so viele wie in ein mittelgroßes deutsches Stadion passen.
Tatsächlich gibt es in Deutschland mehr Theater als Stadien; derzeit sind es laut Deutschem Bühnenverein rund 140 öffentlich getragene und 200 Privattheater, 130 Opern-, Sinfonie- und Kammerorchester, 80 Festspiele und 600 Gastspielhäuser. Zum Vergleich: In der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga spielen jeweils 18 Mannschaften in mehr als 300 Spielen pro Saison und Liga. Im Schnitt verzeichnet dabei jedes Spiel etwa 30.000 Besucher*innen. Um ähnlich hohe Besuchszahlen zu generieren, müssen Theater deutlich mehr Abwechslung bieten, mehr Spieltage absolvieren und Kostüme bereit halten. Ein weiterer Unterschied liegt in der Nutzung der Spielstätten: Während Sportstätten als Mehrzweckorte konzipiert sind, sind das öffentliche Theater meist nicht. Zudem sind sie organisatorisch an politische Entscheidungen, feste Ensembles und Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst gebunden.
Der Vergleich mit dem Sport setzt zudem voraus, dass ihm die Sponsor*innen selbst folgen. Theater sind jedoch seltener mit jener Breiten- und Medienwirksamkeit gesegnet, die den Sport so attraktiv macht. Für Unternehmen stellt sich wohl auch die Frage, wie wirksam die (oft regional begrenzte) Strahlkraft eines Theaters für ihre Ziele ist und ob ihr Logo auf dem Kragen eines Opernchor-Mitglieds ähnlich viel Aufmerksamkeit erhält wie auf dem Hemd eines Fußballers. In Görlitz liegen laut Intendant schon "zwei ernsthafte Gebote" vor, doch bewegen sie sich noch in einem "überschaubaren finanziellen Rahmen".
Botschaften an die Politik
Es mag mediales Kalkül sein, dass der Vergleich mit dem Sport aufschreckt - und vielleicht weh tut. Die aktuelle Diskussion um den "Fall Görlitz" dürfte auch dort für Bewegung sorgen, wo die Warnungen der Intendant*innen aus den unterfinanzierten sächsischen Theatern im vergangenen Jahr zuerst landeten: in der sächsischen Landespolitik. Diese stellte den betroffenen Theatern nach Gesprächen für 2023 und 2024 rund 4,6 Millionen Euro zur Verfügung. Über die endgültige Absicherung der Theater- und Orchesterlandschaft im Freistaat muss aber die neue Landesregierung entscheiden. Es ist nicht auszuschließen, dass Beschlüsse fallen, wenn Görlitz bereits ein Allianz- oder ein Coca-Cola-Theater hat.
Der Görlitzer Vorstoß regt auch dazu an, eine zweite Dimension mitzureflektieren. Das Plädoyer für ein "revolutionäres Kulturmarketing" wird in Görlitz von einem Spielzeitmotto begleitet, das die Rolle des Geldes in den Mittelpunkt stellt: "Kapital". Ausgewählte Stücke laden dazu ein, über das Verhältnis von Kunst und Leben, von Ökonomie und Ethos nachzudenken. Dass sich die künstlerische Reflexion (und Kritik) des Kapitalismus an potentielle Sponsor*innen richtet, ist weniger vorstellbar, als dass sie auf eine Öffentlichkeit zielt, in der das Theater zeitgleich seine Existenzsorgen verhandelt. So lautet die Frage am Ende nicht nur, was einem Theater sein Name, sondern auch, was einer Gesellschaft ihr Theater wert ist. Der Schritt des Görlitzer Intendanten, sein Haus und dessen Namen Sponsor*innen anzubieten, ist einerseits innovativ, mutig und spielfreudig. Andererseits ist er es nicht: Er scheint schlicht existenziell zu sein.
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