16.02.2023
Themenreihe klimafreundlich
Autor*in
Annett Baumast
ist seit Herbst 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Postdoktorandin am Institut für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Seit 2011 ist sie mit ihrem Büro baumast. kultur & nachhaltigkeit selbständig und arbeitet als Expertin für Nachhaltigkeit im Kulturbetrieb.
Ökologische Nachhaltigkeit messbar machen
Konzepte verstehen und im Kulturbetrieb anwenden
Ökologischer Fußabdruck, CO2-Fußabdruck, Carbon Footprint, Treibhausgas-Bilanz, Öko-Bilanz und viele mehr. Die Begriffe und Konzepte, die herangezogen werden, um (ökologische) Nachhaltigkeit - auch im Kulturbereich - messbar zu machen, sind vielfältig.[1] Oft werden sie durcheinandergeworfen oder (ungerechtfertigterweise) synonym verwendet. Dieser Beitrag soll daher zur Begriffsklärung beitragen und den verschiedenen Konzepten praktische Beispiele aus dem Kulturbetrieb zuordnen, um eigene Schritte hin zu mehr ökologischer Nachhaltigkeit zu erleichtern.
Themenreihe klimafreundlich
Der ökologische Fußabdruck
Mehr als ein Vierteljahrhundert ist das Konzept des ökologischen Fußabdrucks[2] alt. Entwickelt wurde es in den frühen 1990er Jahren von Mathis Wackernagel und William Rees als ein Flächenmaß, das wiedergibt, in welchem Ausmaß die natürlichen Ressourcen von unserem Lebensstil beeinflusst werden. Gemessen in globalen Hektaren (gha), weist der individuelle ökologische Fußabdruck die sogenannte biologisch produktive Fläche aus, die benötigt wird, damit ein Mensch den eigenen Lebensstandard dauerhaft beibehalten kann. Zu diesen Flächen werden solche gezählt, die notwendig sind, um beispielsweise Nahrung oder Kleidung herzustellen (also Fischgründe, Wälder, Äcker etc.) oder um Energie zu erzeugen. Ebenso sind Senken wie Wälder Teil dieser Flächen, die zum Beispiel zum Binden des emittierten CO2 notwendig sind. Diesem ökologischen Fußabdruck werden in einem nächsten Schritt die tatsächlich vorhandenen biologisch produktiven Flächen gegenübergestellt, die sogenannte Biokapazität, die ebenfalls in globalen Hektaren ausgewiesen wird. Dies kann auf der Ebene eines einzelnen Individuums passieren, aber ebenso auf Länderebene, für Städte oder auch für Produkte.
Ein ökologischer Fußabdruck, der die natürlichen Ressourcen bzw. die Biokapazität nicht überstrapaziert, liegt heute bei ca. 1,7 gha pro Person und Jahr. Das heißt, wenn wir alle einen ökologischen Fußabdruck in dieser Höhe aufweisen, sind wir im Gleichgewicht mit den Ressourcen, die die Erde uns im Laufe eines Jahres zur Verfügung stellt und die sich im entsprechenden Zeitraum wieder regenerieren können. Dieses Gleichgewicht haben wir jedoch nach den Berechnungen des Global Footprint Network bereits 1970 überschritten. Seitdem nimmt die durchschnittliche Biokapazität kontinuierlich ab, während der ökologische Fußabdruck vor allem seit Beginn der 2000er Jahre pro Kopf und Jahr wieder deutlich zunimmt. Heute liegen wir weltweit bei einem durchschnittlichen ökologischen Fußabdruck von 2,8 gha pro Person und Jahr. Wir bräuchten also eigentlich mehr als 1,6 mal unseren Planeten Erde, um die benötigte biologisch produktive Fläche für unseren Lebens- und Konsumstil zur Verfügung zu haben.
Dass wir keinen zweiten Planeten im Kofferraum haben, ist bekannt und auch der Begriff des Welterschöpfungstages oder Erdüberlastungstages (earth overshoot day), der im Zusammenhang mit dem Konzept des ökologischen Fußabdrucks steht, zieht jährlich breitere Kreise. Der Welterschöpfungstag ist der Tag, an dem diejenigen Ressourcen aufgebraucht sind, die eigentlich bis Jahresende ausreichen sollten. Fiel dieser im Jahr 2000 noch auf den 22. September, fand er 2010 bereits am 7. August statt. Und während sich diese Entwicklung bis 2019 (29. Juli) weiter fortsetzte und der Welterschöpfungstag jährlich auf ein früheres Datum fiel, erholten sich die Ressourcen 2020 vorübergehend aufgrund der Covid 19-Pandemie und die Erdüberlastung datierte im letzten Jahr auf den 22. August.
Was hat das mit Kunst- und Kultureinrichtungen zu tun? Der ökologische Fußabdruck kann nicht nur für Individuen berechnet werden, sondern auch für Organisationen und einzelne Produktionen bzw. Projekten. Mit letzterem hat sich die Wiener Gruppe "toxic dreams" detailliert auseinandergesetzt, indem sie den ökologische Fußabdruck ihrer Produktion "The 100% environmentally friendly show" berechnet hat.[3] Dafür wurden sowohl in der Probephase als auch während den Aufführungen und in der Postproduktion alle Aktivitäten sowie Infrastrukturen, die mit "The 100% environmentally friendly show" in Zusammenhang standen, detailliert dokumentiert, bewertet und schließlich in globalen Hektaren ausgewiesen. Der gesamte Fußabdruck der Produktion belief sich auf 4,967 gha und entsprach damit knapp dem durchschnittlichen jährlichen pro Kopf-Fußabdruck in Österreich. Die Berechnung des ökologischen Fußabdrucks der Produktion gab Aufschluss über diejenigen Bereiche, die besonders zu Buche schlugen und ermöglichten "toxic dreams" auch die Kommunikation der ressourcenbezogenen Folgen ihrer Show an das Publikum und damit das Angebot zu diesem Thema in einen Dialog zu treten. So sollten die Zuschauenden am jeweiligen Aufführungsabend angeben, welche Aktivitäten sie wie oft durchführen wollten, um dem Fußabdruck der Theaterproduktion wieder auszugleichen: etwa einen Tag auf Fleisch verzichten, einen Tag mit dem Fahrrad, statt mit dem Auto zu fahren etc. Das Ergebnis: Der Fußabdruck wurde fast doppelt kompensiert.
Der persönliche Fußabdruck - als eine der Komponenten, die dem Fußabdruck von "The 100% environmentally friendly show" zugrunde liegen - lässt sich auf der Homepage des Global Footprint Network berechnen, indem verschiedene Auskünfte zur eigenen Lebensweise eingegeben werden.[4] Das Ergebnis wird in globalen Hektaren ausgegeben und es wird aufgezeigt, welcher der betrachteten Bereiche (Lebensmittel, Unterkunft, Mobilität, Waren und Dienstleistungen) welchen Anteil am eigenen Fußabdruck haben. Doch noch ein weiterer wichtiger Wert wird angegeben: der CO2-Fußabdruck.
Der CO2-Fußabdruck/ Carbon Footprint
Sehr häufig werden der ökologische Fußabdruck und der CO2-Fußabdruck (englisch: Carbon Footprint) fälschlicherweise miteinander gleichgesetzt. Der CO2-Fußabdruck ist jedoch lediglich eine Teilmenge des ökologischen Fußabdrucks. Er weist die mit unserem Konsum zusammenhängenden CO2-Emissionen sowie die Emissionen anderer für den Treibhauseffekt relevanter Gase wie z.B. Methan, die in CO2-Äquivalenten (CO2e) gemessen werden, aus. Der CO2-Fußabdruck wird beim o.g. Rechner sowohl als Anteil als auch absolut in Tonnen angegeben, kann aber auch separat berechnet werden. So etwa mit Hilfe des durch das Umweltbundesamt zur Verfügung gestellten Rechners. 2 Tonnen Co2e pro Jahr pro Kopf wäre der klimaverträgliche Wert, knapp 12 Tonnen pro Kopf pro Jahr sind in Deutschland der Durchschnitt.[5]
CO2-Fußabdrücke lassen sich ebenfalls für Organisationen oder aber auch für Veranstaltungen berechnen. Letzteres hat das Projekt Ice Watch von Ólafur Elíasson detailliert berechnet und dokumentiert, für das der Künstler Eisblöcke von Grönland nach Paris und London bzw. in einer ersten Installation nach Kopenhagen transportieren ließ.[6] Um direkt zum Ergebnis zu kommen: Das komplette Londoner Projekt verursachte einen CO2-Fußabdruck in Höhe von 55 Tonnen.[7] Dieser Wert entspricht laut Bericht dem CO2-Fußabdruck von 52 Personen, die von London nach Grönland und zurück fliegen, um dort das Schmelzen der Gletscher beobachten zu können. Diese stehen den mehreren tausend Besuchenden gegenüber, die die Installation vor Ort erleben konnten. Unterstützt hat die Berechnung des CO2-Fußabdrucks das gemeinnützige englische Unternehmen Julie‘s Bicycle, das mit den Creative Green Tools CO2-Rechner für Kultureinrichtungen und Kulturprojekte zur Verfügung stellt.
Von 2009 bis 2012 lief das Projekt ÜBER LEBENSKUNST, das die Kulturstiftung des Bundes initiierte und in Kooperation mit dem Haus der Kulturen der Welt durchgeführt wurde. Dieses weist im dabei entstandenen Leitfaden für eine nachhaltige Produktion im Kulturbereich die (bis 2011) verursachten CO2-Emissionen von 281 Tonnen aus.[8] Allerdings ist im Bericht von einer Umweltbilanz die Rede, die mit Hilfe des Freiburger Öko-Instituts erstellt wurde - wie passt das ins Bild der Fußabdrücke?
Umweltbilanz, Ökobilanz, Klimabilanz - wer bilanziert was?
Tatsächlich international normiert und festgehalten in den Normen DIN EN ISO 14041 und DIN EN ISO 14044 ist eine Ökobilanz, welche das Umweltbundesamt wie folgt definiert: "Die Ökobilanz ist ein Verfahren, um umweltrelevante Vorgänge zu erfassen und zu bewerten. Ursprünglich vor allem zur Bewertung von Produkten entwickelt, wird sie heute auch bei Verfahren, Dienstleistungen und Verhaltensweisen angewendet."[9] Die Begriffe der Ökobilanz und der Umweltbilanz werden tatsächlich synonym verwendet[10] - oft fällt auch der Begriff der Lebenszyklusanalyse (englisch: Life Cycle Analysis, LCA). Eine Klima- oder Treibhausgasbilanz erfasst lediglich die Auswirkungen auf den Treibhauseffekt, also nur eine einzelne Umweltauswirkung. Ökobilanzen umfassen hingegen sämtliche Umweltauswirkungen, wie z.B. das Versauerungspotenzial von Gewässern und Böden, den Stratosphärischen Ozonabbau sowie Einflüsse auf die menschliche Gesundheit. Dafür betrachten sie sämtliche In- und Outputs für eine Organisation/ein Produkt/eine Veranstaltung etc., deren Mengen erfasst und - im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt - bewertet werden.
Über die Jahre haben sich viele verschiedene Ansätze für Ökobilanzen entwickelt, zu denen auch die "Methode der ökologischen Knappheit" zählt, deren Ergebnis in sogenannten Umweltbelastungspunkten ausgedrückt wird. Auch das Konzept des "Virtual Water" (Water Footprint) oder CO2-Fußabdrücke zählen letztlich zu den Bilanzen, wenngleich die Betrachtung eindimensional bleibt. Auf der "Methode der ökologischen Knappheit" baut die Ökobilanz auf, die für das Theater Winterthur in der Schweiz (ein Gastspielhaus) aufgestellt wurde.[11] Sie zeigt auf, wie hoch die Umweltauswirkungen des eigenen Betriebs im Vergleich zu den empfangenen Gastspielen ausfallen und wo die sogenannten "Hot Spots" liegen, an denen es zu arbeiten gilt, um die Umweltauswirkungen zu verringern. Neben der Gebäudeinfrastruktur, für die nur mittelfristig Maßnahmen entwickelt werden können, sind dies neben dem Gebäudebetrieb vor allem die Warentransporte, auf die von Seiten des Theaters nur wenig Einfluss genommen werden kann. Ein weiteres, aktuelles Beispiel einer Klima- bzw. Treibhausgasbilanz ist das Projekt der Kulturstiftung des Bundes. In dessen Rahmen erstellen bundesweit 19 Kultureinrichtungen aus verschiedenen Sparten (z.B. Darstellende Kunst, Bildende Kunst, Literatur) ihre Treibhausgasbilanz, um in einem modellhaften Prozess deren Einsatz für den Kulturbereich zu erproben.[12]
Fazit: Messen, um gezielte Maßnahmen zu entwickeln
Es wird deutlich, dass in den letzten Jahrzehnten viele verschiedene Methoden und Indikatoren für die Messung ökologisch relevanter Auswirkungen unseres Handelns - auch in Kunst und Kultur - entstanden sind. Ob man sich in einem ersten Schritt für eine eindimensionale Messung wie den CO2-Fußabdruck entscheidet oder das umfassendere Modell eines ökologischen Fußabdrucks bzw. einer Ökobilanz wählt: Wichtig ist, dass wir durch das Messen die Möglichkeit haben, auf einer guten Datenbasis zu entscheiden, auf welche Bereiche wir unseren Fokus legen sollten. Damit lassen sich aufgewendetes Geld, Zeit und Ressourcen dort einsetzen, wo wir am stärksten selber die Auswirkungen unseres Handelns auf die Umwelt positiv beeinflussen und somit unseren Fußabdruck verringern können.
Fußnoten
[1] Für Theorie und Praxisbeispiele verschiedener Konzepte und Indikatoren zur Messung von Nachhaltigkeitsleistung siehe auch: Annett Baumast, Jens Pape, Simon Weihofen, Steffen Wellge (Hg.): Betriebliche Nachhaltigkeitsleistung mes-sen und steuern. Stuttgart: UTB 2019.
[2] Vgl. im Folgenden: https://www.footprintnetwork.org, zuletzt abgerufen am 20.01.21.
[3] Im Folgenden und für einen detaillierteren Projektbericht vgl. http://toxicdreams.at/the-100-efs-ecological-foot-print-tracking/, zuletzt abgerufen am 20.01.21.
[4] Einen Fußabdruckrechner für Kinder stellt das ZOOM Kindermuseum Wien zur Verfügung: https://www.kindermuseum.at/fussabdruck/, zuletzt abgerufen am 20.01.21.
[5] Für weitere Informationen zum Thema CO2-Emissionen und Konsum siehe z.B. https://utopia.de/ratgeber/co2-fussabdruck-die-fakten-zum-co2-footprint/, zuletzt abgerufen am 20.01.21.
[6] Für den Bericht zum CO2-Fußabdruck des Londoner Projekts siehe: http://olafureliasson.net.s3.amazonaws.com/subpages/icewatchlondon/press/Ice_Watch_London_Carbon_Footprint.pdf, zuletzt abgerufen am 20.01.21.
[7] Dieser umfasst die Installation der Eisblöcke in London (vor der Tate Modern sowie dem Londoner Hauptsitz von Bloomberg) inklusive aller damit zusammenhängender Aktivitäten (Transport des Eises, Reisen des Teams, Aufstellen der Eisblöcke etc.).
[8] Vgl. http://www.ueberlebenskunst.org/downloads/uelk_leitfaden_01_de.pdf, zuletzt abgerufen am 20.01.21.
[9] https://www.umweltbundesamt.de/themen/wirtschaft-konsum/produkte/oekobilanz, zuletzt abgerufen am 20.01.21.
[10] Vgl. z.B. https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/oekobilanz-44115, zuletzt abgerufen am 20.01.21.
[11] Vgl. A. Baumast und C. Hugi: Von der Bühne bis zur Bahre - die Ökobilanz eines Theaters, in: Baumast, A.; Pape, J.; Weihofen, S.; Wellge, S.: Betriebliche Nachhaltigkeitsleistung messen und steuern, 2019.
[12] Für weitere Informationen zum Projekt vgl. https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/de/projekte/nachhaltigkeit_und_zukunft/detail/klimabilanzen_in_kulturinstitutionen.html, zuletzt abgerufen am 20.01.21.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin Nr. 158: "Ökologischer Fußabdruck".
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