17.01.2022
Themenreihe Digitale Formate
Autor*in
Kevin Lesar
studierte im Master Design Interaktiver Medien an der Hochschule Furtwangen. Bereits während seinem Studium interessierte er sich für die Thematik Partizipation in Verbindung mit interaktiven Medien. Er absolvierte seine Masterarbeit am Badischen Landesmuseum und arbeitet derzeit als Junior UX/UI Designer in Karlsruhe.
Partizipative AR-App für Museen
Die virtuelle Eroberung des musealen Außenraums
Mit der Schließung von Museen in der Coronapandemie wurden neue Wege gesucht, Ausstellungen in den digitalen Raum zu bringen und bestenfalls mit partizipativen Angeboten zu verbinden. Dabei geriet auch der museale Außenraum zusehends in den Blick, um museale 3D-Objekte zu vermitteln und zu erkunden. Entsprechende Möglichkeiten bietet eine partizipative AR-App, deren Design ich in meiner Masterarbeit entwickelt habe und die im Folgenden vorgestellt wird.
Themenreihe Digitale Formate
Digitale Angebote nicht als Gegensatz zu analogen, sondern als Erweiterung zu betrachten, bietet insbesondere für Museen eine wichtige Chance. Das Badische Landesmuseum experimentiert dabei schon länger mit partizipativen und digitalen Ansätzen. Mit dem Projekt museum x.o will es eine digitale Plattform entwickeln, auf der aktuelle Themen aufgegriffen und im gemeinsamen Austausch zwischen Museum und Nutzer:innen, aber auch zwischen den Nutzer:innen selbst diskutiert werden können. Damit soll ein Raum für gesellschaftliche Diskussionen geschaffen werden und das soziale und emotionale Museumerlebnis in den digitalen Raum übertragen werden, wobei Besucher:innen Inhalte erstellen, teilen, konsumieren, kritisieren, experimentieren und neue Denkweisen erproben können. Insbesondere durch die 3D-Digitalisierung lassen sich Museen digital erweitern. Durch digitale Reproduktionen ist es den Institutionen auch möglich, ihre Sammlungen durch neue Technologien, wie Augmented Reality (AR) im Außenraum zu präsentieren und diesen somit ebenfalls zu erschließen. Indem virtuelle Elemente über die reale Welt gelegt und mittels eines technischen Ausgabegeräts rezipiert werden können, erweitert AR die Realität. Das Ziel ist demnach nicht, das physische Museum zu substituieren, sondern dessen Erweiterung sowie neue Nutzungen musealer Digitalisate. Im Rahmen meiner Masterarbeit im Studiengang Design Interaktiver Medien an der Hochschule Furtwangen in Kooperation mit dem Badischen Landesmuseum wurden die bisher als eher getrennt verhandelten Themenbereiche Partizipation im Museum, musealer Außenraum und die AR-Technologie systematisch miteinander in Beziehung gesetzt. Das Ergebnis der Arbeit ist das Design einer partizipativen AR-App.
Nutzer:innen werden zu Kurator:innen
Die mobile AR-Anwendung ist als native App für die privaten Geräte der Nutzer:innen konzipiert und folgt demnach dem Prinzip des Bring Your Own Device (BYOD). Auf der Grundlage von GPS-Koordinaten, mit denen die 3D-Digitalisate lokalisiert werden, sehen alle Betrachter:innen das Objekt immer an derselben Position. Die Nutzer:innen nehmen dabei die Rolle der Kurator:innen ein und gestalten die Ausstellung aktiv mit, sodass ein überdimensionaler Skulpturenpark entsteht. Das Museum stellt ausschließlich die 3D-Digitalisate zur Verfügung. Über die Objektgröße und -position sowie über Objektkombinationen entscheiden die Nutzer:innen mittels Touch-Gesten auf dem Display des Endgeräts. Je nach Nutzungsraum können die Objekte von Parkanlagen und Fußgängerzonen bis in den erweiterten Stadtraum verschoben werden. Eine interaktive Karte in der App zeigt alle existierenden Objekte an und dient als Übersicht und Orientierung. Das Konzept sieht vor, dass die Objekte ausschließlich vor Ort kuratiert werden können, weshalb sich die Nutzer:innen zunächst zum jeweiligen Objekt begeben müssen. Eine Navigationsfunktion hilft dabei, das ausgewählte Digitalisat zu erreichen. Wird ein Objekt an einem Ort platziert, verändert sich gleichzeitig dessen Position auf der Karte. Befindet sich das Objekt nicht in unmittelbarer Nähe, kann dieses für 15 Minuten (abhängig von dem vom Museum definierten Nutzungsradius) reserviert werden. Die Reservierfunktion ist an die Grundmechanik des E-Scooter-Sharings angelehnt und gewährleistet, dass sich das ausgewählte Objekt bei der Ankunft noch an der letzten Position befindet.
Nachdem ein Objekt kuratiert wurde, behält dieses für 24 Stunden die definierte Größe und die Position. Innerhalb dieser Zeit kann es nicht verändert oder verschoben werden. Nach Ablauf von 24 Stunden wird das Objekt an der letzten Position zur erneuten Kuration freigegeben. Durch diese Regelung wird gewährleistet, dass die Digitalisate nach einer Kuration nicht sofort wieder neupositioniert, sondern von anderen Nutzer:innen betrachtet und interpretiert werden können. Demzufolge lassen sich die Objekte täglich in einen neuen Kontext stellen. Das führt dazu, dass die Ausstellung ständig variiert.
Konzeptvideo zur partizipativen AR-App
Partizipation auf mehreren Ebenen
Um dem Publikum nicht nur die reinen 3D-Digitalisate zu präsentieren, werden diese mit auditiven Kontextinformationen ergänzt. Damit wird das Ziel einer niederschwelligen Vermittlung verfolgt, um allen Zielgruppen einen Zugang zum kulturellen Erbe zu ermöglichen. Der auditive Inhalt wird abgespielt, indem der Audio-Button betätigt wird. Das Objekt wird durch den Einsatz von auditiven Inhalten nicht beeinträchtigt, sie unterstreichen vielmehr den visuellen Fokus.
Eine zusätzliche Funktion, die auf visueller Ebene konzipiert wurde, ist die Kommentarfunktion. Jedes der 3D-Digitalisate ist mit einem Kommentarfeld verknüpft, welches ein- und ausgeblendet werden kann. Durch diese Funktion wird das Ausstellungserlebnis erweitert und schafft einen Raum für Diskussionen im öffentlichen Außenraum. Die Kommunikation findet zwischen den Nutzer:innen untereinander, aber auch zwischen Nutzer:innen und dem Museum statt. Das Erstellen von spezifischen Inhalten wie das Kommentieren erfordert eine gewisse Überwindung der User:innen, insbesondere bei bisher museumsfernem Publikum. Um schnell und ohne großen Aufwand auf die Kuration zu reagieren, gibt es entsprechende Emojis, mit denen bewertet werden kann, ob die Kuration gefällt oder nicht. Das Erlebnis wird durch eine integrierte Kamera- und Videofunktion unterstützt, mit der die Situation festgehalten und über Social-Media-Kanäle mit Freund:innen, Bekannten und Follower:innen geteilt werden kann. Gleichzeitig soll diese Funktion weitere Diskussionen über die Neukontextualisierung von musealen Objekten in den sozialen Netzwerken anstoßen. Aus Museumssicht bietet diese Verknüpfung eine Plattform, um Aufmerksamkeit und eine potentiell weltweite Reichweite zu generieren.
In Anlehnung an das Partizipationsmodell in der Museumsarbeit von Anja Piontek findet in der App Partizipation demnach sowohl auf der User:innen-Ebene als auch auf der Besucher:innen-Ebene statt. Während sich erstere auf eine Teilhabe im Netz oder in virtuellen Räumen bezieht, beschreibt die zweite Ebene das Angebot, auf welches die Besuchenden während eines Museumsbesuchs treffen, sodass die Partizipation spontan und ohne Vorbereitung möglich wird. Da es sich bei der App um ein digitales Medium handelt, welches online und im Außenraum genutzt wird, findet zwischen den beiden Ebenen eine Verschmelzung statt. Durch die Erweiterung der Ausstellungen ins Internet werden die Besucher:innen zu Online-User:innen. Die App bietet dabei partizipative Angebotsformate der "Ausführung" bzw. "Ausarbeitung" sowie der "Mitarbeit". Zudem finden sich in der Anwendung die musealen Aufgabenbereiche "Forschung" und "Vermittlung" wieder, die Piontek in ihrem Modell kategorisiert. In Anlehnung an Piontek werden auch die passiven User:innen berücksichtigt, indem eine reine Betrachtung der Digitalisate ermöglicht wird.
Verschiedene Zielgruppen erreichen und erschließen
Aufgrund des Einsatzes im Außenraum können mit der Anwendung vier Zielgruppen adressiert werden. Zum einen die potenziellen Museumsbesuchenden, die bereits zum etablierten Museumspublikum gehören. Durch die AR-App wird dieser Gruppe neben dem klassischen Museumserlebnis eine neue Erfahrung von musealen Objekten geboten. Geht es hier um ein zusätzliches und erweiterndes Erlebnis, können aber auch museumsferne Besucher:innen, Kunst- und Museumslaien angesprochen werden. Durch die Nutzung der AR-App soll diese Zielgruppe nicht nur auf das Museum aufmerksam gemacht werden, sondern auch dazu eingeladen werden, das physische Museum zu besuchen. Dabei sollen die 3D-Digitalisate auf die originalen Artefakte verweisen. Die AR-Technologie macht die App zudem für ein technikbegeistertes Publikum attraktiv, das sich sowohl aus klassischen als auch aus museumsfernen Besucher:innen zusammensetzt und insbesondere für neue Technologien und deren innovativen Einsatz interessiert.
Diese vier Zielgruppen bilden die Basis der Zielgruppendefinition, von der sich spezifische Bedürfnisse der Museumsbesuchenden ableiten lassen. Dazu wurden die Motivationstypen nach John H. Falk in der Konzeption der App berücksichtigt. Falk unterscheidet zwischen Explorers, Facilitators, Professionals/Hobbyists, Rechargers und Experience Seekers. Die Bedürfnisse von den Explorers sind Neugier und Interesse an den Inhalten des Museums. Bei den Facilitators stehen hingegen die Erfahrung und das Erlebnis der anderen bzw. einer sozialen Gruppe im Mittelpunkt. Besucher:innen, die ein inhaltliches Ziel verfolgen, das mit ihrem beruflichen oder leidenschaftlichen Interessen übereinstimmt, werden den Professionals/Hobbyists zugeordnet. Die Rechargers sind auf der Suche nach Erholung und Flucht aus dem Alltag. Das Museum ist für diesen Motivationstyp ein Zufluchtsort. Als letztes nennt Falk die Bedürfnisse der Experience Seekers, für die das Museum eine grundlegende Bedeutung hat und denen es primär darum geht, dort gewesen zu sein.
Neben der Vermittlung von musealen Inhalten, die für Explorers und Professionals/Hobbyists relevant sind, bietet die App für die Facilitators eine Gruppenerfahrung. Außerdem ermöglicht es den Experience Seekers einen unkomplizierten Zugang, um das digitale Angebot des Museums zu erleben. Auch die Bedürfnisse der Rechargers werden adressiert, da sie die App auch im Außenraum nutzen und dadurch einen erweiterten Zufluchtsort finden können.
Ausblick
Das Ergebnis der Arbeit bilden zwei Prototypen, die sowohl den Funktionsumfang als auch das grafische Design der App darstellen. Die Arbeit liefert ideale Voraussetzungen, um im nächsten Schritt des Designprozesses ein Usability Testing mit potenziellen Nutzer:innen durchzuführen. Mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen können das Interaction Design überarbeitet und noch offene Diskussionspunkte geklärt werden. Das Konzept bietet viele Ansatzpunkte für die zukünftige Forschung und Gestaltung solcher Anwendungen.
Prinzipiell bietet eine solche AR-Anwendung einen Lösungsansatz, um auf Situationen wie die Coronapandemie und die Schließung von Museen schnell reagieren zu können. Partizipation ist dabei auf einem sehr hohen Level möglich, da Ausstellungen auch ganz von Nutzer:innen kuratiert werden können. Durch die Gestaltung von Partizipation im digitalen Außenraum wird jeder und jedem ein freier Zugang zum kulturellen Erbgut ermöglicht. Dieser Zugang ist unabhängig von der sozialen Schicht oder Bildungshintergründen und zutiefst demokratisch, setzt allerdings das Vorhandensein und die Nutzung eines Smartphones voraus. Somit wird die kulturelle Relevanz der Museen erhöht, indem durch digitale Vermittlungsangebote neue Zielgruppen erschlossen werden können. Die Ausstellungsgestaltung mit 3D-Digitalisaten bietet neue Nutzungsmöglichkeiten, die mit dem originalen Artefakt nicht möglich sind. So können beispielsweise durch das Experimentieren mit Größe und Position des Digitalisats die musealen Objekte in neue Kontexte gestellt und neue Interpretationen möglich werden. Zusätzlich können die Objekte aus einer Nähe betrachtet werden, die im Museum aufgrund der Vitrinen und der Größe der Artefakte oft gar nicht möglich ist. Es können Details gesehen werden, die am Originalen mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind.
Mit der Anwendung wird eine nachhaltige Nutzung verfolgt, indem verschiedene Digitalisate und Ausstellungen kombiniert werden können. Daraus ergibt sich auch die Möglichkeit, Digitalisate von unterschiedlichen Museen im digitalen Außenraum miteinander zu verknüpfen. So können beispielweise Artefakte virtuell an einem anderen Ort präsentiert werden. Dies bietet einen Mehrwert gegenüber den Originalen, die aufgrund ihrer Fragilität nur mit aufwendiger Logistik oder oftmals gar nicht transportiert werden können.
Während die Ausstellung von den Nutzer:innen mitgestaltet wird, übernimmt das Museum eine gesellschaftliche Verantwortung, indem es durch die Kommentarfunktion zur Diskussion anregt. Aufgrund der Nutzung im digitalen Außenraum werden sowohl die potentiellen Museumsbesucher:innen als auch das museumsferne Publikum angesprochen. Die Arbeit versucht einen Kontakt zwischen diesen Zielgruppen herzustellen und bietet einen Ansatz, um auf gesellschaftliche Diskurse zu reagieren. Die Arbeit trägt somit zu einem kulturellen und sozialen Auftrag des Museums bei.
Literatur
- Bernhardt, Johannes C. (2021): Von Konzepten und Prototypen. In: Czech, H.; Kümpel, K.; Müller, R. (Hrsg.) Transformation. Strategien und Ideen zur Digitalisierung im Kulturbereich. S. 121-127.
- Blankenberg, N.; Lord, G. D. (2015): Thirty-two Ways for Museums to Activate Their Soft Power. In: Lord, Gail Dexter; Blankenberg, Ngaire (2015): Cities, Museums and Soft Power. Washington, DC: The AAM Press, S. 227.
- Falk, J. H. (2009): Identity and the Museum Visitor Experience (1st ed.). Routledge. https://doi.org/10.4324/9781315427058.
- Piontek, Anja (2022): Partizipation. In: J. Bernhardt (Hg.): Creative Collections, Karlsruhe, i. E.
- Simon, Nina (2010): The Participatory Museum. http://www.participatorymuseum.org/chapter1/.
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