08.08.2024

Autor*in

Luisa Banhardt
studierte Kulturwissenschaft und -management in Karlsruhe und Ludwigsburg. Praktische Erfahrungen sammelte sie u.a. als Projektleitung und Beraterin bei der TanzSzene BW, der HfG Karlsruhe sowie Ramboll Management Consulting. Auf dem Weg zur Kulturorganisation von morgen möchte die angehende Agile Change Coachin künftig institutionelle Transformationsprozesse gestalten.
Rückblick 12. Kulturpolitischer Bundeskongress

Post-Polarisierung? Kulturpolitische Narrative gestalten

Kurz nach der Europawahl wird die Kultur angesichts der Bedrohung unserer offenen Gesellschaft erneut als Verteidigerin der Demokratie berufen. Im Diskurs um Funktionalisierungen und etablierte Handlungsmuster eröffnet sich dabei die Chance, den Selbstwert der Kultur wiederzuentdecken und Widersprüche innerhalb der Kulturpolitik auszuhalten. Wie das gelingen kann, diskutierte der 12. Kulturpolitische Bundeskongress Mitte Juni in Berlin.
Am 13. und 14. Juni 2024 widmete sich der Kulturpolitische Bundeskongress unter dem Titel "Post-Polarisierung? Kulturpolitische Narrative gestalten" der Frage, wie Kultur und -politik Diskursräume für handlungsorientierte Strategien und kulturpolitische Szenarien gegen Popularisierung und zur Demokratiestärkung eröffnen können. Die Veranstalter*innen der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. (KuPoGe) und der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hatten in Kooperation mit dem Deutschen Städtetag Gäste aus den Bereichen Kunst und Kultur, Kulturpolitik und -verwaltung, Wissenschaft sowie kulturelle und politische Bildung nach Berlin geladen. Die Gegenwart und Zukunft beleuchtend, bauten die zwei Kongresstage dramaturgisch aufeinander auf, bestehend aus drei Panels und zwei Forenblöcken mit je sieben parallel stattfindenden Sessions.  
 
Da ich, der Parallelität der Sessions geschuldet, lediglich an ausgewählten Beiträgen teilnehmen konnte, führe ich nur einen Teil des besprochenen Themenspektrums aus. Wer sich mit weiteren Inhalten des Kongresses beschäftigen möchten, empfehle ich die auf der Website der Veranstaltung hinterlegten Aufzeichnungen.
 
Kultur und Demokratie
 
Zwei Seiten derselben Medaille?
Wie Kultur(-politik) und Demokratie(-erhalt) zusammenhängen, machte Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth deutlich: Sie bezeichnete "Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik": Eine lebendige Kultur brauche Vielstimmigkeit, welche wir nur in der Kunst erleben könnten. Da Vielfalt als Schlüsselbegriff des Demokratieverständnisses fungiere, stellten Kunst und Kultur den "Sound unserer Demokratie" dar. Thomas Krüger, Präsident der bpb, ergänzte, dass Ambiguitätstoleranz das verbindende Element von Demokratie und Kulturschaffen sei. Mithilfe ihrer Fähigkeit, "Mehrdeutigkeiten" zu erzeugen, sehen Roth und Krüger Kunst und Kultur dementsprechend in der Pflicht, Demokratie zu verteidigen und nicht-demokratische Systeme zu bekämpfen. Wie dies konkret umzusetzen wäre, blieb leider offen. 
 
Demokratisierendes Potenzial der Kultur - Ein Status Quo
Wagen wir jedoch angesichts dieser schönen Utopie den Praxistransfer, zeigen sich nach wie vor Barrieren, die dem demokratisierenden Potenzial der Kultur entgegenstehen: Der Kultursektor hat auch 40 Jahre nach dem Plädoyer einer "Kultur für alle" zwar eine Vielzahl an Angeboten, die sich jedoch verstärkt an ein Kulturpublikum aus einer homogenen sozialen Gruppe mit entsprechendem Bildungsabschluss und gehobenem Lebensstandard richten. Das heißt im Umkehrschluss: Zu viele Menschen werden davon ausgeschlossen. Birgit Mandel, Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Kulturpolitik der Universität Hildesheim, thematisierte dies im Forum "Demokratie und Kultur stärken - Menschen über Kunst und Kultur zusammenbringen". Sie betonte, dass das Potenzial der Kultur ungenutzt bleibe, wenn es nur der Bestätigung der Perspektiven gut situierter Besucher*innen diene. Wie also lassen sich die Zugangsbarrieren innerhalb kultureller Institutionen weiter abbauen?
 
Strategien der Öffnung
Der praktische Kontext zeigt: Jahrzehntelang wurde zu stark auf operative Maßnahmen gesetzt, um breitere Bevölkerungsschichten anzusprechen. Disziplinen wie Organisationsentwicklung und Change Management, die strukturelle Wandlungsprozesse betreffen, finden erst langsam Einzug in die Praxis. Mandel und Claudia Ehgartner, Leitung Bildung und Vermittlung am Hamburger Bahnhof, zufolge könne Diversität nur gelebt werden, wenn klassische Strukturen und Hierarchien aufgebrochen würden. Dies bedeute, dass Vermittlungspositionen gestärkt und Besucher*innen bei der Ausstellungsentwicklung viel intensiver mitgedacht werden müssten. Gespräche auf Augenhöhe ermöglichten es, Deutungshoheit abzugeben und Identifikation mit den besuchten Häusern zu schaffen. Einblicke hinter die Mauern der Kulturorganisationen, Begegnungen mit der Nachbarschaft oder die Analyse der gezeigten Inhalte auf benötigtes Vorwissen sind keine neuen Ansätze. Sie müssen jedoch weiterhin flächendeckendere Umsetzung finden, um die Kulturlandschaft für die Breite der Gesellschaft zu öffnen. 
 
Leitbilder im Spagat von Gegenwart und Zukunft
Ein weiterer zentraler Themenkomplex widmete sich den Leitbildern, die den Kontext der Kulturarbeit bilden. Den Ausgangspunkt stellt das bisherige Narrativ der sozial-ökologischen Transformation dar: Im Zentrum steht hier der tiefgreifende Wandel der Lebens- und Wirtschaftsweise der industrialisierten Länder, der sozial, ökologisch und demokratisch vollzogen werden soll. Dieses Narrativ, inklusive seiner etablierten Ordnung und Reparaturmechanismen, sei gescheitert. Dies stelle insbesondere für Kulturschaffende, als Pioniere einer progressiven, links gerichteten und kritischen Gesellschaft, ein Trauma dar. Uns fehle die Vision einer lebenswerten Zukunft, wobei derzeit ein "Früher war alles besser" die Leerstelle fülle, so Ingolfur Blühdorn, Leiter des Instituts für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit der WU Wien. Beate Küpper, Professorin für Sozialwesen und stellvertretende Leitung des Institutes SO.CON Krefeld, fragte davon ausgehend provokativ, ob wir als Kulturschaffende selbst, die das "Diversity-Gedöns" immerzu forciert hätten, letztlich leider auch Mitverantwortung für den Rechts-Ruck targen würden. 
 
Aufgeben? Steht nicht zur Option!
Angesichts dieser populistischen Entwicklungen plädierte Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, dafür, den Auftrag der demokratie- und gesellschaftsbildenden Kulturarbeit nicht aufzugeben. Ihr Museum ist ein Paradebeispiel für einen progressiven Kulturort, der sein klar herausgearbeitetes Leitbild als Grundlage nutzt, um sich für eine politische Bildungsarbeit außerhalb der institutionellen Mauern zu engagieren. Wenzel betonte das aktivistische Potenzial von Kultureinrichtungen, die im Spagat von Anschlussfähigkeit und Auseinandersetzung bewusst für bestimmte Werte einstehen. Blühdorn argumentierte im Diskurs um eine mündige Bürgerschaft für Institutionen, die Freiheits- und Demokratieverständnisse zu hinterfragen. Diese sollten auch kritisch beleuchten, was passiert, wenn wir gesellschaftliches "Individualitäts- und Egodenken" zu dominant werden lassen. Auch an dieser Stelle blieb der Praxistransfer aus, wobei es mit Sicherheit lohnenswert gewesen wäre, gemeinsam über praktische Strategien nachzudenken. 
Leitbilder und Realität: Zwischen Selbstentfaltung und -erhaltung
Am zweiten Tag des Kongresses wurde diskutiert, welche Leitbilder zukünftig Gestaltung finden sollen, die eine Haltung zur Demokratie und gegen Popularisierung verkörpern. Julia Wissert, Intendantin des Schauspiels Dortmund, empfand die Festlegung auf ein Leitbild als zu starr, während Christina Ludwig, Direktorin des Stadtmuseums Dresden, deutlich machte, dass sie ein Leitbild als "living document" versteht, das sich also weiterentwickeln kann und muss. Die Herausforderung liege dabei im Praxistransfer, da partizipativ ausgerichtete Leitbilder oft an verwaltungstechnischen Strukturen scheiterten.
 
Philipp Staab, Professor für Soziologie von Arbeit, Wirtschaft und technologischem Wandel an der HU Berlin, warf die These auf, dass Leitbilder angesichts aktueller Krisen der Realität angepasst werden sollten, wobei er sich für das Paradigma der Selbsterhaltung aussprach. Zukünftige Leitbilder seien demnach so zu gestalten, dass sie die Voraussetzungen für die Adaption an unsere dynamische Umwelt schaffen. Im Zuge der Bereitstellung von partizipativen demokratischen Räumen übersetzte Ludwig diese Idee in die Praxis, indem sie auf kulturelle Diskursräume einging, innerhalb derer Besucher*innen die Fähigkeit (weiter-)entwickeln, Meinungsverschiedenheiten auszuhalten. Leider blieben Ansätze hinsichtlich der Frage, wie verwaltungstechnische Strukturen überwunden oder eine Adaption an unsere Umwelt in der Praxis aussehen könnten, wiederholt aus. Es wurde lediglich dafür plädiert, das eigene Wissen netzwerkartig stärker mit anderen Institutionen, die an einer (gemeinsamen) Themenstellung arbeiten, zu teilen. Eine Überlegung wäre hier, dass die mit den Panels betraute Moderation den Fokus künftig verstärkt auf praxisorientierte Handlungsempfehlungen legt.
 
Quo vadis, Kulturpolitik?
 
Folgende Fragestellungen fanden während des Kongresses ex- oder implizit immer wieder Eingang in die Debatte: Muss die Kultur, um ihrer Legitimation willen, eine Funktion erfüllen? Wird sie dadurch zum Spielball immer neuer Projektionen, sodass sie scheinbar ohne Funktionalisierungen ihrer Berechtigung beraubt wird? Mit Bezug zum Erstarken der AfD bezog Helge Lindh, kultur- und medienpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, wie folgt Stellung: "Wir haben der Kultur zu viel zugemutet." Es gelte, die Wirksamkeit der Kultur und deren Grenzen realistisch zu betrachten. So erwies sich zum Abschluss der Tagung hin vielleicht eine neue Stoßrichtung als wegweisend: eine solche, die Kultur ihrer Funktionalisierungen entledigt. Die unter anderem die Gleichung "mehr Kultur gleich mehr Demokratie" als Trugschluss entlarvt, wie Daniela Schneckenburger, Beigeordnete für Bildung, Integration, Kultur, Sport und Gleichstellung beim Deutschen Städtetag, es formulierte. 
 
Möglichweise erschienen deshalb alle Versuche, im Laufe des Kongresses eindeutige Antworten zu finden, etwas unausgereift, weil sie an der Komplexität der Sache scheiterten? Weil sich die Kulturakteur*innen bereits in den letzten Jahrzehnten daran abgearbeitet haben? Für Martin Zierold, Leiter des Instituts für Kultur- und Medienmanagement der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, ging es demzufolge darum, den Selbstwert der Kultur nicht aus dem Blick zu verlieren sowie zu lernen, Unsicherheiten und Paradoxien auszuhalten. Anstatt neuer Narrative brauche es verstärkt Raum für Reflexion und Lernprozesse, um alte Muster loszulassen und neue zu erkunden. Anstatt Projekte zu fördern, gelte es, den Fokus auf die Förderung von Prozessen mit zumindest teilweise noch offenem Ausgang zu legen, so Raphaela Henze, Professorin für Kulturmanagement an der Hochschule Heilbronn. 
 
Um diese Überlegungen nachhaltig zu verankern, bedarf es eines entsprechenden kulturpolitischen "Schutzraums", der noch viel stärker eine Kultur des Scheiterns mitdenkt. Ein Schutzraum, der Kulturakteur*innen dazu veranlasst, resiliente Netzwerke für Wissenstransfer zu etablieren. Kulturpolitik muss noch gezielter Rahmenbedingungen für besucher*innenorientierte Kultureinrichtungen schaffen: Sei es durch die Förderung interner Restrukturierungs- und Lernprozesse, Anreize zur Überwindung systembedingter Hemmnisse oder Innovationspotenziale mittels neuartiger Formen der Zusammenarbeit mit Publikum und Künstler*innen. Vielleicht haben wir alle darauf gehofft, die "Heilsversprechen der Kultur" und das bisherige Systemdenken doch noch aufrechterhalten zu können. Einige Zeit nach Abschluss des Kongresses wirkt jedoch noch eine Frage nach: Vielleicht sollten wir mutig dem Impuls folgen, ab und zu etwas von dem über Bord unserer Kulturtanker zu werfen, was wir als gesicherte Erkenntnis betrachten, um so die Reise in ungewisse Fahrwasser wagen zu können?
 
Mitschnitte des 12. Kulturpolitischen Bundeskongresses
 

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