23.11.2023

Autor*in

Philipp Krechlak
ist beim Deutschen Orchestertag als Geschäftsführender Gesellschafter verantwortlich für Konferenzinhalte und strategische Ausrichtung. Von Oktober 2014 bis September 2023 arbeitete er im operativen Orchestermanagement - zunächst bei der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, danach beim Nationaltheater Mannheim - zuletzt als Orchesterdirektor. Er gründete einen satirischen Musik-Blog; daraus ergaben sich immer wieder musikjournalistische Tätigkeiten, insbesondere für die neue musikzeitung und kulturmanagement.net. Philipp Krechlak engagierte sich u. a. im Präsidium der Jeunesses Musicales Deutschland für musische Bildung sowie beim netzwerk junge ohren für Musikvermittlung. Er studierte Wirtschaftsmathematik und Musikmanagement. Währenddessen gründete er die inzwischen deutschlandweit stattfindende Kammermusikreihe Klangrausch.
Rückblick Herbstkonferenz von Opera Europa 2023

Stromschnellen und Ankerpunkte im Fokus

Nicht nur deutsche Opernbetriebe stehen zunehmend unter finanziellem Druck - auch in anderen Ländern Europas sorgt man sich um eine auskömmliche (öffentliche) Finanzierung bzw. deren Fortschreibung. Deshalb diskutierten die Teilnehmenden der Herbstkonferenz von Opera Europa Anfang Oktober 2023 in Kopenhagen und Malmö insbesondere, welche Erfahrungen mit alternativen Einnahmequellen und Finanzierungsmöglichkeiten es im europäischen Raum gibt und wie diese an die jeweiligen länderspezifischen Rahmenbedingungen adaptiert werden können. Das "eigentliche” Thema, das während der gesamten Konferenz mitschwang, war allerdings die intensive Beschäftigung mit der eigenen (zukünftigen) Relevanz von Musiktheater-Einrichtungen als Orte der kulturellen Bildung und für Begegnungen für die Gesellschaft(en).
[Diesen Text können Sie auch auf Englisch auf unserer internationalen Plattform artsmanagement.net lesen: https://bit.ly/Review_OperaEuropa_AutumnConference2023
 
Die multiplen Krisen unserer Zeit, inzwischen müsste man wohl besser von einer daraus resultierenden Multikrise sprechen, belasten auch die Kulturbetriebe schwer und erfordern daher auch Antworten von diesen - einerseits auf sich selbst bezogene Lösungen und andererseits Angebote mit Blick auf die gesamte Gesellschaft. Die Finanzierungskrise - vor allem als Ergebnis einer Relevanzkrise - ist eine, deren Auswirkungen wohl am direktesten und drastischsten ist. Das Schaffen von Vernetzungs- und Austauschmöglichkeiten ist ein bewährter Lösungsansatz, um solche Herausforderungen gemeinsam anzugehen. 
 
Hier setzen Veranstaltungen wie diese an: Niemand ist allein (schuldig), und zusammen finden sich ungedachte Inspiration und Synergien, ergeben sich bessere Lösungen. Zweimal pro Jahr veranstaltet daher der europäische Dachverband für Musiktheater "Opera Europa" gemeinsam mit den jeweils ausrichtenden, wechselnden Mitgliedsbühnen eine Konferenz. Auf dieser tauschen sich Vertreter*innen der über 230 Mitgliedsopern und -festivals, darunter insbesondere Leitungspersonal aus Geschäftsführung, künstlerischer Administration und Technik aus. Bei der Herbstkonferenz als zweite Ausgabe in 2023 ging es für die über 370 Teilnehmenden dabei unter dem Titel "Troubled Waters” vor allem darum, Brücken zu bauen, Synergien zu nutzen und die herzliche Einladung zum voneinander Lernen. Symbolträchtig wurde dieser gemeinsame, europäische Charakter der Konferenz auch verbildlicht durch die verbindende Öresundbrücke zwischen Kopenhagen und Malmö.
 
Fester Stand in unruhigen Gewässern
 
Während der dritte Konferenztag in Malmö exklusiv für Teilnehmende der Mitgliedsbühnen war, war zu den ersten beiden Tagen in Kopenhagen auch interessiertes Fachpublikum geladen. Anfang und Ende dieses öffentlichen Teils markierte Kasper Holten, der CEO des Königlich Dänischen Theaters in Kopenhagen. In seiner dynamischen und unterhaltsamen Eröffnungskeynote nahm er eine erfrischend heutige Standortbestimmung des heutigen Musiktheaters vor: Er plädierte für ein "Mehr” an Musiktheater: an Ungewöhnlichem, an Neuem, an Experimenten, an Offenheit gegenüber sich verändernder Bedürfnisse der Stadtgesellschaft. Dieses "Mehr” brauche es vor allem, um nicht fast schon reflexartig gehorchend in eine Spirale der Selbstviktimisierung aus "weniger Förderung” heißt "weniger Produktionen” heißt "weniger Publikum” heißt "weniger Bedeutung, damit weniger Förderung” abzurutschen. Er sprach Mut zu, um in Zukunft selbstbewusst(er) gegenüber Öffentlichkeit und fördernder Politik aufzutreten, anstatt ängstlich den Programmkanon weiter auf Opernblockbuster und Musicals einzudampfen. Er stellte die These auf, dass das (zigfach totgesagte) Abonnement nicht am Ende sei, sondern als Flatrate-Modell längst zur Lebensrealität der streamenden, Car- und Bikesharing betreibenden Generation der (Noch-)Nicht-Operngänger*innen gehörte - ein Vorzeigebeispiel dafür, dass Opernhäuser Lösungen außerhalb bestehender Denkmuster finden müssen. Allerdings erfordert das eine enorme Anpassungsfähigkeit von Seiten der Kulturinstitutionen.
 
Weiter müssten bestehende Zugangsbarrieren mit unverstelltem Blick ermittelt und abgebaut werden, um eine durchgehend angenehme Kund*innenerfahrung vor, während und nach dem Opernbesuch zu ermöglichen: verständliches Wording ohne Opern-Sprech, schnell auffindbare Informationen zur Anreise, zum (nicht existenten) Dresscode…  Das gelte insbesondere für einen - enorm wichtigen - positiven Erstkontakt, mit dem über weitere Besuche entschieden werde. Abschließend präsentierte Kaspar Holten einen Theater-Spielplatz, der 2026 eröffnen soll, und als "dritter Ort" direkt im Theater ein partizipatives Angebot für Kinder, Jugendliche und Familien machen soll - einerseits für die Tourist*innen, die dann im besten Fall zurück in ihren Heimatstädten neugierig das heimische Theaterprogramm recherchieren, und andererseits als Freizeitangebot für einheimische Familien, das in der selben Liga wie der Vergnügungspark Tivoli oder SeaWorld spielt.
 
VR-tiefte Einblicke
 
Parallel zum Tagungsprogramm präsentierte die Technikabteilung der Finnischen Nationaloper Helsinki eine beeindruckende XR-Anwendung für den Produktionsprozess von externen Regieteams. Mit technischer Unterstützung aus der Gamingindustrie und auf Grundlage eines 3D-Scans wird die hauseigene Bühne samt Zuschauerraum virtuell reproduziert. Darin können Bühnenbild-Entwürfe sowie Lichtstimmungen dezentral erstellt, diskutiert sowie frühzeitig und detaillierter ausprobiert werden als es aktuell mit Modellen im Legomaßstab und extrem begrenzten Bühnenzeiten für Einrichtung und Beleuchtungsproben möglich ist. Die Lichteffekte ändern sich bereits mit dem ausgewählten Oberflächenmaterial. In diesem virtuellen Bühnenraum finden bereits Sicherheitsunterweisungen statt. Als nächstes soll die Anwendung ergänzt werden durch Schwerkraft, also die Einbeziehung der Gewichte bei Bühnenaufbauten und im Schnürboden hängenden Materialien. Außerdem ist eine inklusive Implementierung zur besseren Orientierung für rollstuhlabhängige Personen in der Entwicklung.
Durststrecken und Themen-Oasen
 
Fast alle Panels eröffneten - sofern inhaltlich notwendig - mit einer Powerpoint-gestützten Kurzvorstellung der jeweils vertretenen Opernhäuser zu Budgets, Fördersummen, Produktions- oder CO2-Outputs. Das war sehr hilfreich, um die Diskussionsbeiträge einzuordnen. Einen der sehr wenigen Durchhänger gab es direkt beim ersten Panel zum Thema Encouraging Creation. Die Diskussion blieb zu sehr im Ungefähren und wurde nicht konkret. Das lag vor allem daran, dass die Ideen sowie sicherlich tollen Projekte und Produktionen, die die Panelist*innen mitgebracht hatten, nur mündlich vorgetragen wurden. Fotos oder ein Trailer wären hier wünschenswert gewesen zur besseren Visualisierung und Verständlichkeit für das neugierige Publikum - eigentlich erwartbar bei einer Kunstform, für die das begleitende Produzieren eines solchen Materials Marketing-Routine ist.
 
Neben einer Techniktour durch den Kopenhagener Opernneubau fanden am zweiten Tag Gesprächsrunden zu den Vor- und Nachteilen von Gesangswettbewerben für den zukünftigen Opernbetrieb und ein Brainstorming zu Nachwuchsförderung statt. Darüber hinaus gaben drei (!) Panels sehr transparente Einblicke in die finanziellen Schwierigkeiten, denen sich Theater europaweit momentan stellen müssen: 
 
  • angefangen bei steigenden Energiekosten und der Transformation zu einem klimaneutralen Betrieb, 
  • über unerwartete und ebenso unerwartet heftige Einschnitte öffentlicher Fördergelder und notwendigem Kulturlobbyismus 
  • hin zu alternativen Finanzierungsmöglichkeiten wie der Kultivierung von Freundeskreisen und privatwirtschaftlichem Interesse an Aufmerksamkeit versprechenden Projekten und allgemein Neuem. 
Hier zeigte sich die Stärke einer Musiktheater-Gemeinschaft, die sich nicht als Konkurrenz sieht, sondern als füreinander verantwortlich durch Wissenstransfer und gegenseitiges Einstehen.
 
Nordische Opernensembles: "Trotz” Festverträgen Kunst im Überfluss
 
Weitere spannende Einblicke gab es zudem in das nordische Opernensemble-Management aus Oslo, Göteborg und Kopenhagen: Die Sänger*innen erhalten grundsätzlich unbefristete Verträge - bei einem aktuellen Renteneintrittsalter von 69 oder 70 Jahren. Mehrjährige befristete Verträge zu Anstellungsbeginn sind zwar möglich, allerdings begrenzt in Relation von der Anzahl der Festverträge. Ab Mitte 50 gibt es bei Sänger*innen mit altersbedingten Stimmproblemen die Möglichkeit einer arbeitgeberseitigen Frühverrentung, allerdings auf eigene Kosten. Üblicher sind daher externe Umschulungen, aber vor allem: interne Positionswechsel zu Outreach-Programmen, Moderationstätigkeiten, kleineren Rollen etc. All das wird in einem jahrzehntelang währenden Dialog unter Berücksichtigung der sozialen Situation gut vorbereitet. Dennoch scheint es auf dem nordischen Operngesangsmarkt Dynamik und Wechselwilligkeit zu geben, die immer wieder auch Chancen für den Nachwuchs zum Karriereeinstieg bietet. Alle auf dem Panel waren sich ihrer Verantwortung für freie Sänger*innen bewusst.
 
Das alles ist insbesondere interessant aus der deutschen Perspektive: Denn hierzulande wird weiterhin unter dem Vorwand der Kunstfreiheit des Intendanten die antiquierte, tariflich mögliche, aber sozial zynische Praxis der Ketten-Befristungen für jeweils ein weiteres Jahr bis zum 15. Jahr der Anstellung gelebt. Dabei kann das Vertragsende "aus künstlerischen Gründen" jederzeit, (gefühlt) willkürlich und unvorbereitet kommen.
 
Wir sind (Opera) Europa
 
Insgesamt bestach die Konferenz durch eine herzliche Offenheit und ein überall zu spürendes Wir-Gefühl. Keine*r der Panelgäste und keine der Wortmeldungen aus dem Publikum waren von Konkurrenzdenken geprägt - im Gegenteil: das Teilen von Wissen und Erfahrungen, auch negativen, zog sich durch alle Beiträge und auch Pausengepräche.
 
Ein Großteil der Bühnengäste kam aus Nord- und Westeuropa, was teilweise dem Fokus auf die gastgebenden Länder Dänemark und Schweden geschuldet war. Zudem befinden sich in diesem Teil Europas viele der (historisch und finanziell) potenten Musiktheaterstätten. Allerdings hätten andere Perspektiven aus Süd- und Osteuropa die ein oder andere Diskussion gesamteuropäisch abgerundet und um deren Perspektiven bereichert. Der Anspruch an eine gesamteuropäische Opernkonferenz wäre so noch besser erfüllt worden.
 
Die Branche steht vor herausfordernden Aufgaben. Sie kann und sollte allerdings zuversichtlich in die Zukunft blicken - vor allem nach einer Konferenz, die so deutlich Einheit und Gemeinsamkeit als Stärke beschwört, und die sicherlich auch bei der nächsten Konferenz wieder offen und ehrlich zu sich selbst ist.
 
Impressionen der Herbstkonferenz
 

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