02.07.2021
Themenreihe Digitale Formate
Autor*in
Philipp Krechlak
ist beim Deutschen Orchestertag als Geschäftsführender Gesellschafter verantwortlich für Konferenzinhalte und strategische Ausrichtung. Von Oktober 2014 bis September 2023 arbeitete er im operativen Orchestermanagement - zunächst bei der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, danach beim Nationaltheater Mannheim - zuletzt als Orchesterdirektor. Er gründete einen satirischen Musik-Blog; daraus ergaben sich immer wieder musikjournalistische Tätigkeiten, insbesondere für die neue musikzeitung und kulturmanagement.net. Philipp Krechlak engagierte sich u. a. im Präsidium der Jeunesses Musicales Deutschland für musische Bildung sowie beim netzwerk junge ohren für Musikvermittlung. Er studierte Wirtschaftsmathematik und Musikmanagement. Währenddessen gründete er die inzwischen deutschlandweit stattfindende Kammermusikreihe Klangrausch.
musik-mitallemundvielscharf
Start blogging, they said, it’ll be fun, they said…
Digitale Herausforderungen müssen mit entsprechendem Know-how angegangen werden. Doch wie können Kulturschaffenden sich dieses aneignen, wenn es im Studium nicht vermittelt wird und die Ressourcen für Weiterbildungsangeboten in Kultureinrichtungen fehlen? Selbst die Initiative ergreifen und einen Blog betreiben, wäre eine Option.
Themenreihe Digitale Formate
"Warum zur §$@#* bloggst du eigentlich?" Diese Frage wurde mir bisher noch nie gestellt, ich möchte sie aber dennoch beantworten. Dass ein im Folgenden nicht erwähnter Teilaspekt meiner Begründung der ist, dass mein lokaler Streetworker mich damit davon abbringen wollte, Dosenbier trinkend auf Supermarktparkplätzen abzuhängen und dabei Rentner*innen anzupöbeln, kann ich weder bestätigen noch dementieren. Aber der Reihe nach:
2014 haben wir begonnen den Blog musik-mitallemundvielscharf.de samt Social Media-Accounts und ab 2017 zudem einen Podcast mit unseren Meinungen zu Musik, Kultur und dem, was wir für "lustig" halten, zu befüllen (Anm.: Aktuell befindet sich der Blog in seiner letzten großen Sommerpause - Stand Juni 2021). Dabei nehmen wir den Kulturbetrieb und uns selbst auf die Schippe, hinterfragen spöttelnd bis sarkastisch und wollen vor allem eines: unterhalten - unsere Leser- und Hörerschaft, aber auch uns (mit diesen). Wir, das sind vier befreundete Menschen, die einerseits Musik, -wissenschaft oder -management studier(t)en, aber andererseits und vor allem Musik in fast all ihren Ausprägungen und Formen lieben und nicht aus ihrem Leben wegdenken können.
Die Vorstellung, dass man sich nur ernst(haft) mit dem hehren Sujet Musik befassen darf, lässt uns ebenso leicht erschaudern wie der Gedanke, dass wir im Beruf nur mit dieser ernsten Herangehensweise in Berührung kommen könnten. Insofern ist unser Blog als gemeinsames Projekt der Versuch, sich weiterhin einen anderen, unbeschwerten, womöglich sogar unbedarften Blickwinkel zu bewahren. Dennoch möchten wir dringend davon abraten, unserem Beispiel zu folgen, womöglich einen Gastbeitrag auf musik-mitallemundvielscharf.de beizusteuern oder gar einen eigenen Blog zu gründen. Denn: Bloggen ist keine sinnvolle Weiterbildungsmaßnahme.
Keine Zeit für anderes
Wer denkt, dass Bloggen so etwas wie Beiträge erstellen ist, sollte wissen: Das beginnt viel früher - mit technischem Gefrickel im Backend, Finetuning beim Webspace-Hoster und dem Mailsystem. Dazu Ein- und Nachlesen, Tipps und Unterstützung bei IT-Expert*innen einholen und dabei selbst zumindest ein grundlegendes Verständnis erlangen von den Funktionalitäten und Möglichkeiten der eingesetzten Softwares. Hinter jedem veröffentlichten Beitrag stehen zudem x weitere Ideen für Themen, die redaktionsintern vorgeschlagen, diskutiert und verworfen werden - ein intensiver, manchmal zäher basisdemokratischer Entstehungsprozess.
Das Gleiche gilt für den Weg eines Beitrags vom ersten Entwurf zur veröffentlichungsfertigen Version: Mit Lust am Diskutieren und Dissen werfen wir uns auf die Vorlagen der anderen; wir schätzen die gnadenlose Ehrlichkeit untereinander und bieten diese auch unseren gelegentlichen Gastautor*innen an. Unsere einzige Bezahlung ist das Besser-Werden, das wir durch offen-herzhafte konstruktive Kritik erreichen wollen. Hinzu kommt das Bewerben unserer Beiträge via Social Media, worüber wir zusätzliche, externe Inhalte verteilen; sowie das Aufzeichnen, Schneiden und akustische Aufbereiten unseres Podcasts #LoremIpsum.
Die aufgewendete Zeit könnte man andererseits für die Lektüre von Kulturmanagement- und Musikvermittlungs-Fachlektüre verwenden, für das Belegen von Workshops und Seminaren für Zusatzqualifikationen, für den Ausbau des beruflichen Netzwerks und fürs Feilen an der Karriere - oder auch für ein eventuell vorhandenes Privatleben.
2014 haben wir begonnen den Blog musik-mitallemundvielscharf.de samt Social Media-Accounts und ab 2017 zudem einen Podcast mit unseren Meinungen zu Musik, Kultur und dem, was wir für "lustig" halten, zu befüllen (Anm.: Aktuell befindet sich der Blog in seiner letzten großen Sommerpause - Stand Juni 2021). Dabei nehmen wir den Kulturbetrieb und uns selbst auf die Schippe, hinterfragen spöttelnd bis sarkastisch und wollen vor allem eines: unterhalten - unsere Leser- und Hörerschaft, aber auch uns (mit diesen). Wir, das sind vier befreundete Menschen, die einerseits Musik, -wissenschaft oder -management studier(t)en, aber andererseits und vor allem Musik in fast all ihren Ausprägungen und Formen lieben und nicht aus ihrem Leben wegdenken können.
Die Vorstellung, dass man sich nur ernst(haft) mit dem hehren Sujet Musik befassen darf, lässt uns ebenso leicht erschaudern wie der Gedanke, dass wir im Beruf nur mit dieser ernsten Herangehensweise in Berührung kommen könnten. Insofern ist unser Blog als gemeinsames Projekt der Versuch, sich weiterhin einen anderen, unbeschwerten, womöglich sogar unbedarften Blickwinkel zu bewahren. Dennoch möchten wir dringend davon abraten, unserem Beispiel zu folgen, womöglich einen Gastbeitrag auf musik-mitallemundvielscharf.de beizusteuern oder gar einen eigenen Blog zu gründen. Denn: Bloggen ist keine sinnvolle Weiterbildungsmaßnahme.
Keine Zeit für anderes
Wer denkt, dass Bloggen so etwas wie Beiträge erstellen ist, sollte wissen: Das beginnt viel früher - mit technischem Gefrickel im Backend, Finetuning beim Webspace-Hoster und dem Mailsystem. Dazu Ein- und Nachlesen, Tipps und Unterstützung bei IT-Expert*innen einholen und dabei selbst zumindest ein grundlegendes Verständnis erlangen von den Funktionalitäten und Möglichkeiten der eingesetzten Softwares. Hinter jedem veröffentlichten Beitrag stehen zudem x weitere Ideen für Themen, die redaktionsintern vorgeschlagen, diskutiert und verworfen werden - ein intensiver, manchmal zäher basisdemokratischer Entstehungsprozess.
Das Gleiche gilt für den Weg eines Beitrags vom ersten Entwurf zur veröffentlichungsfertigen Version: Mit Lust am Diskutieren und Dissen werfen wir uns auf die Vorlagen der anderen; wir schätzen die gnadenlose Ehrlichkeit untereinander und bieten diese auch unseren gelegentlichen Gastautor*innen an. Unsere einzige Bezahlung ist das Besser-Werden, das wir durch offen-herzhafte konstruktive Kritik erreichen wollen. Hinzu kommt das Bewerben unserer Beiträge via Social Media, worüber wir zusätzliche, externe Inhalte verteilen; sowie das Aufzeichnen, Schneiden und akustische Aufbereiten unseres Podcasts #LoremIpsum.
Die aufgewendete Zeit könnte man andererseits für die Lektüre von Kulturmanagement- und Musikvermittlungs-Fachlektüre verwenden, für das Belegen von Workshops und Seminaren für Zusatzqualifikationen, für den Ausbau des beruflichen Netzwerks und fürs Feilen an der Karriere - oder auch für ein eventuell vorhandenes Privatleben.
An den Pranger
Wir stellten also schnell fest, dass es zwar herausfordernd, aber dennoch lohnend ist, die eigenen Gedanken zu digitalem Papier zu bringen oder in halbwegs stotterfreien Sätzen zu formulieren. Allerdings macht man sich damit angreifbar. Einmal Publiziertes ist nicht so einfach zu revidieren. Man muss zum eigenen Geschwätz von gestern stehen - wenn es z. B. um Musikvermittlung auf Pornoseiten geht - und sollte damit leben können, dass das eigene Geschreibsel nach dem Veröffentlichen von der Leser- oder Hörerschaft, die oft vom Fach ist, genüsslich seziert, kritisiert und gegebenenfalls total zerfetzt werden kann.
Arbeitgeberauswahl
Wenn man sich nebenberuflich journalistisch oder bloggend betätigt, also die eigene, idealerweise auch kritisch distanzierte Meinung öffentlich zu Vorgängen und Geschehnissen in (anderen) Kultureinrichtungen äußert, dann kann das unter Umständen dazu führen, dass man dadurch den zukünftigen Kreis der möglichen Arbeitgeber*innen vorselektiert. Besonders, wenn man die eigene Blogger-Tätigkeit selbstbewusst-naiv in den eigenen Lebenslauf schreibt oder wenn die Arbeitgeber*innen im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens selbst online recherchieren. Dessen sollte man sich bewusst sein, besonders, wenn man sich humorvoll oder satirisch gewissen Themen nähert. Da sind die Geschmäcker ja doch sehr verschieden.
Ich könnte mir zum Beispiel gut vorstellen, dass ein internationales Sommerfestival in Bayern mit Schwerpunkt auf exakt einen Komponisten sehr kritisch auf eine Bewerbung aus unserem Redaktionskreis reagieren würde - es gibt da eine Vorgeschichte mit einem satirischen Twitter-Fakeaccount, die in Klassik-Nerd-Kreisen bundesweit Wellen geschlagen hatte und wegen der wir kurzzeitig sogar vor einer anwaltlichen Auseinandersetzung standen. Wir empfehlen daher, sich nur über Sachen lustig zu machen, über die bereits alle relevanten Player eures Kulturzweigs gründlich gelacht haben. Macht auf gar keinen Fall euer eigenes Ding!
Rechtliche Knieschüsse
Das Äußern der eigenen Meinung und damit einhergehende ungewohnte Denkansätze werden demnach nicht überall mit lautem "Hurra!" begrüßt. Die im Studium erlernte bzw. nicht ausgebremste Angepasstheit an den "So war es schon immer"-Mainstream hat meistens den Nachteil, dass man sich in der Praxis nicht näher beschäftigen kann mit dem grundgesetzlich verbrieften Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Verantwortungs- und Einflussbereich eines Personalrats, wenn - sagen wir rein fiktiv - die Arbeitgeber*innen einem das hobbymäßige Bloggen in der eigenen Freizeit per Unterlassungsbitte untersagen will. Ihr lernt also nichts über Grundgesetz, Arbeitnehmerrechte und andere Errungenschaften unserer Zivilgesellschaft, aber die braucht ihr ja ohne Blog auch sicherlich niemals in eurem Leben.
Wir stellten also schnell fest, dass es zwar herausfordernd, aber dennoch lohnend ist, die eigenen Gedanken zu digitalem Papier zu bringen oder in halbwegs stotterfreien Sätzen zu formulieren. Allerdings macht man sich damit angreifbar. Einmal Publiziertes ist nicht so einfach zu revidieren. Man muss zum eigenen Geschwätz von gestern stehen - wenn es z. B. um Musikvermittlung auf Pornoseiten geht - und sollte damit leben können, dass das eigene Geschreibsel nach dem Veröffentlichen von der Leser- oder Hörerschaft, die oft vom Fach ist, genüsslich seziert, kritisiert und gegebenenfalls total zerfetzt werden kann.
Arbeitgeberauswahl
Wenn man sich nebenberuflich journalistisch oder bloggend betätigt, also die eigene, idealerweise auch kritisch distanzierte Meinung öffentlich zu Vorgängen und Geschehnissen in (anderen) Kultureinrichtungen äußert, dann kann das unter Umständen dazu führen, dass man dadurch den zukünftigen Kreis der möglichen Arbeitgeber*innen vorselektiert. Besonders, wenn man die eigene Blogger-Tätigkeit selbstbewusst-naiv in den eigenen Lebenslauf schreibt oder wenn die Arbeitgeber*innen im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens selbst online recherchieren. Dessen sollte man sich bewusst sein, besonders, wenn man sich humorvoll oder satirisch gewissen Themen nähert. Da sind die Geschmäcker ja doch sehr verschieden.
Ich könnte mir zum Beispiel gut vorstellen, dass ein internationales Sommerfestival in Bayern mit Schwerpunkt auf exakt einen Komponisten sehr kritisch auf eine Bewerbung aus unserem Redaktionskreis reagieren würde - es gibt da eine Vorgeschichte mit einem satirischen Twitter-Fakeaccount, die in Klassik-Nerd-Kreisen bundesweit Wellen geschlagen hatte und wegen der wir kurzzeitig sogar vor einer anwaltlichen Auseinandersetzung standen. Wir empfehlen daher, sich nur über Sachen lustig zu machen, über die bereits alle relevanten Player eures Kulturzweigs gründlich gelacht haben. Macht auf gar keinen Fall euer eigenes Ding!
Rechtliche Knieschüsse
Das Äußern der eigenen Meinung und damit einhergehende ungewohnte Denkansätze werden demnach nicht überall mit lautem "Hurra!" begrüßt. Die im Studium erlernte bzw. nicht ausgebremste Angepasstheit an den "So war es schon immer"-Mainstream hat meistens den Nachteil, dass man sich in der Praxis nicht näher beschäftigen kann mit dem grundgesetzlich verbrieften Recht auf freie Meinungsäußerung und dem Verantwortungs- und Einflussbereich eines Personalrats, wenn - sagen wir rein fiktiv - die Arbeitgeber*innen einem das hobbymäßige Bloggen in der eigenen Freizeit per Unterlassungsbitte untersagen will. Ihr lernt also nichts über Grundgesetz, Arbeitnehmerrechte und andere Errungenschaften unserer Zivilgesellschaft, aber die braucht ihr ja ohne Blog auch sicherlich niemals in eurem Leben.
Karrieren und andere Unfälle
Wir erfahren außerdem am eigenen Leib, dass Bloggen riskant ist für die eigentlich festgezurrte berufliche Planung. Niemand von uns wollte vor wenigen Jahren musikjournalistisch in Erscheinung treten; inzwischen haben wir als freie Autorinnen und Autoren für diverse Fachzeitschriften und Rundfunkanstalten unerwarteterweise weitere Arbeitspensen an der Backe. Kontraproduktiv as hell.
Das intensive Diskutieren und Nachdenken etwa über Musikvermittlung oder Gender im Kulturbereich, über richtig und falsch, über Rückständigkeiten und neue Ansätze kann schwerwiegende Spuren hinterlassen im beruflichen Werdegang und bei der eigenen Sichtweise auf aktuelle Zustände im Musikbetrieb. Bloggen ist also nicht mit Karrieregeilheit und Zielstrebigkeit vereinbar.
Qualifikation kommt von Quälen
"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit." Ähnlich verhält es sich mit einem Blog, der ständig gehegt und gepflegt werden will. Man lernt zwar viel über Technik und Software, arbeitet an den eigenen Ausdrucksfähigkeiten und der Stilistik, erweitert den eigenen Horizont und macht Bekanntschaft mit Presse- und Kunstfreiheit, aber man bekommt dafür eben keine Credit Points und kein Weiterbildungszertifikat. Man investiert Unmengen an Zeit und unangepasst wirkt man zu alledem auch noch.
Daher mein ganz klares Fazit: Wer bloggt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren. Und das kann auch ganz geil sein.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Kultur Management Network Magazin Nr. 137: "Aus- und Weiterbildung".
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