02.07.2015
Autor*in
Eva Göbel
verantwortet die Drittmittelakquise für den städtischen Eigenbetrieb „JenaKultur“. Zuvor arbeitete sie als Kulturmanagerin u.a. für die IBA Thüringen, als Redakteurin und Journalistin, unter anderem bei Kultur Management Network. Sie studierte Literatur, Kunst und Kultur in Göttingen, Paris und Jena.
TTIP und Kulturförderung
Der Culture Clash ist unter uns
In der Debatte Freihandel vs. Kultur geht es um weitaus mehr, als nur um die Angst vor dem Verlust kultureller Inhalte. Gefährdet das geplante Freihandelsabkommen TTIP die deutsche Kulturlandschaft? Ist Kultur eine Ware? Welche Arten von Kulturverständnis prallen bei der Debatte aufeinander?
Die Angst kommt aus Deutschland
EU und USA verhandeln seit fast genau zwei Jahren über das transatlantisches Freihandels- und Investitionsschutzabkommen TTIP (engl.: Transatlantic Trade and Investment Partnership). Sinn und Zweck dieses Abkommens ist der Abbau von Handelshemmnissen, um den Handel und Investitionen der Vertragsparteien untereinander anzukurbeln.
Die öffentliche Diskussion über TTIP wird in Deutschland im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern besonders stark geführt. Im Juli 2014 formierte sich eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) gegen TTIP, die allerdings von der EU-Kommission abgelehnt wurde, da das Abkommen noch in Verhandlung steht. Trotzdem sammelt die quasi-EBI weiter Stimmen, denn ist TTIP einmal unterschrieben, hilft auch keine Petition mehr. Bis jetzt sind es knapp 2, 3 Millionen Unterschriften, die Hälfte stammt allein aus Deutschland. Wäre die EBI zugelassen, hätte sie bereits die Marke von 1 Millionen EU-Bürgerinnen überschritten, deren Unterschriften nötig sind, um die EU-Kommission zur Vorlage eines Rechtsaktes aufzufordern bzw. eine Anhörung im Europäischen Parlament zu erreichen.
Was hat Kultur mit Freihandel zu tun?
Gerade in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, wird Kultur staatlich gefördert. Maßnahmen sind hierzulande etwa die staatlichen Subventionen für öffentliche Kultureinrichtungen, wie Theater, Oper und Museen. Aber auch die Buchpreisbindung, die deutsche Filmförderung und Projektförderungen zählen dazu. Diese Maßnahmen können aus Sicht des Freihandels als nichttarifäre Handelshemmnisse verstanden werden, die abgebaut werden müssen. TTIP-GegnerInnen fürchten, dass sich damit internationalen Unternehmen in die staatliche Kulturförderung einklagen könnten oder mit ihren Klagen dafür sorgen, dass die Subventionen insgesamt als nicht mehr zulässig bewertet werden. Möglich machen dies private Schiedsgerichte zum Investorenschutz, vor denen ausländische Unternehmen Staaten verklagen können. So könnte die Buchpreisbindung durch TTIP in Gefahr sein und amerikanische Großkonzerne wie amazon dagegen klagen, um sich unbeschränkten Zugang zum europäischen Buchhandel zu verschaffen und einen Preiskampf zu starten. Dies fürchtet der Börsenverlag des Deutschen Buchhandels.
In diesen Verhandlungen treffen zwei ganz verschiedene Vorstellungen des Wertes von Kultur aufeinander
So sieht es Ursula Sinnreich vom Fachausschuss Kultur der deutschen UNESCO-Kommission. Die UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt, die von den europäischen Mitgliedsstaaten vertreten wird, ist von den USA nicht unterzeichnet worden. In der Konvention ist ausdrücklich die Möglichkeit staatlicher Maßnahmen zum Schutz der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen genannt. Dem US-amerikanischen Verständnis zufolge ist staatliche Förderung ein unzulässiges Eingreifen in die künstlerische Freiheit und die Freiheit des Marktes. Dort, so murren Kritiker, würde nur das Gesetz des Kommerz das Kulturangebot formen. Was sich nicht auszahlt, fliegt aus dem Kultursystem. Allerdings ist auch dieses nicht frei von Unfreiheiten, denn was in Europa der Staat in puncto Kulturförderung erledigt, nehmen in den USA private Mäzenen in die Hand. Sie lenken mitunter nicht unerheblich die öffentliche Wahrnehmung von Kultur.
Unterstützt wird die Angst, dass diese grundlegend unterschiedlichen Kulturverständnisse die Wahrung europäischer Kulturinteressen verhindert, von der Studie des Völkerrechtlers Hans-Georg Dederer. Sie wurde von der Bundestagsfraktion der Gründen in Auftrag gegeben und kommt zu dem Schluss: Gegenwärtig ist nichts dafür ersichtlich, dass die USA in absehbarer Zeit Vertragspartei der UNESCO-Konvention werden könnten. Daher ist nicht damit zu rechnen, dass die USA einer wie auch immer lautenden Bezugnahme auf die UNESCO-Konvention, sei es in der Präambel, sei es im Vertragstext, zustimmen werden.
Die ominösen audiovisuellen Medien
Sowohl die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström als auch der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel beschwichtigen hingegen: Kultur sei laut Ziffer 9 des Verhandlungsmandats kein Verhandlungsgegenstand von TTIP. In den Texten der EU-Kommission wird Kultur mit audiovisuellen Medien umschrieben. Hierbei weiß aber niemand, was genau damit gemeint sein könnte. KritikerInnen geben zu bedenken, dass beispielsweise kulturelle Inhalte im Internet unter Telekommunikation fallen und somit nicht als Ausnahme gelten könnten. Prinzipiell sei die Arbeit mit Negativlisten gefährlich. Das heißt, es wird über alles verhandelt, es sei denn, es steht als Ausnahme festgeschrieben. Da sich allerdings der Markt im Zuge der Digitalisierung rasant verändert, würde alles unter die TTIP-Richtlinien fallen, was zum Zeitpunkt des Abschlusses noch nicht marktgängig war und somit nicht auf die Negativliste geschrieben werden konnte.
EU und USA verhandeln seit fast genau zwei Jahren über das transatlantisches Freihandels- und Investitionsschutzabkommen TTIP (engl.: Transatlantic Trade and Investment Partnership). Sinn und Zweck dieses Abkommens ist der Abbau von Handelshemmnissen, um den Handel und Investitionen der Vertragsparteien untereinander anzukurbeln.
Die öffentliche Diskussion über TTIP wird in Deutschland im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern besonders stark geführt. Im Juli 2014 formierte sich eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) gegen TTIP, die allerdings von der EU-Kommission abgelehnt wurde, da das Abkommen noch in Verhandlung steht. Trotzdem sammelt die quasi-EBI weiter Stimmen, denn ist TTIP einmal unterschrieben, hilft auch keine Petition mehr. Bis jetzt sind es knapp 2, 3 Millionen Unterschriften, die Hälfte stammt allein aus Deutschland. Wäre die EBI zugelassen, hätte sie bereits die Marke von 1 Millionen EU-Bürgerinnen überschritten, deren Unterschriften nötig sind, um die EU-Kommission zur Vorlage eines Rechtsaktes aufzufordern bzw. eine Anhörung im Europäischen Parlament zu erreichen.
Was hat Kultur mit Freihandel zu tun?
Gerade in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern, wird Kultur staatlich gefördert. Maßnahmen sind hierzulande etwa die staatlichen Subventionen für öffentliche Kultureinrichtungen, wie Theater, Oper und Museen. Aber auch die Buchpreisbindung, die deutsche Filmförderung und Projektförderungen zählen dazu. Diese Maßnahmen können aus Sicht des Freihandels als nichttarifäre Handelshemmnisse verstanden werden, die abgebaut werden müssen. TTIP-GegnerInnen fürchten, dass sich damit internationalen Unternehmen in die staatliche Kulturförderung einklagen könnten oder mit ihren Klagen dafür sorgen, dass die Subventionen insgesamt als nicht mehr zulässig bewertet werden. Möglich machen dies private Schiedsgerichte zum Investorenschutz, vor denen ausländische Unternehmen Staaten verklagen können. So könnte die Buchpreisbindung durch TTIP in Gefahr sein und amerikanische Großkonzerne wie amazon dagegen klagen, um sich unbeschränkten Zugang zum europäischen Buchhandel zu verschaffen und einen Preiskampf zu starten. Dies fürchtet der Börsenverlag des Deutschen Buchhandels.
In diesen Verhandlungen treffen zwei ganz verschiedene Vorstellungen des Wertes von Kultur aufeinander
So sieht es Ursula Sinnreich vom Fachausschuss Kultur der deutschen UNESCO-Kommission. Die UNESCO-Konvention zur kulturellen Vielfalt, die von den europäischen Mitgliedsstaaten vertreten wird, ist von den USA nicht unterzeichnet worden. In der Konvention ist ausdrücklich die Möglichkeit staatlicher Maßnahmen zum Schutz der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen genannt. Dem US-amerikanischen Verständnis zufolge ist staatliche Förderung ein unzulässiges Eingreifen in die künstlerische Freiheit und die Freiheit des Marktes. Dort, so murren Kritiker, würde nur das Gesetz des Kommerz das Kulturangebot formen. Was sich nicht auszahlt, fliegt aus dem Kultursystem. Allerdings ist auch dieses nicht frei von Unfreiheiten, denn was in Europa der Staat in puncto Kulturförderung erledigt, nehmen in den USA private Mäzenen in die Hand. Sie lenken mitunter nicht unerheblich die öffentliche Wahrnehmung von Kultur.
Unterstützt wird die Angst, dass diese grundlegend unterschiedlichen Kulturverständnisse die Wahrung europäischer Kulturinteressen verhindert, von der Studie des Völkerrechtlers Hans-Georg Dederer. Sie wurde von der Bundestagsfraktion der Gründen in Auftrag gegeben und kommt zu dem Schluss: Gegenwärtig ist nichts dafür ersichtlich, dass die USA in absehbarer Zeit Vertragspartei der UNESCO-Konvention werden könnten. Daher ist nicht damit zu rechnen, dass die USA einer wie auch immer lautenden Bezugnahme auf die UNESCO-Konvention, sei es in der Präambel, sei es im Vertragstext, zustimmen werden.
Die ominösen audiovisuellen Medien
Sowohl die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström als auch der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel beschwichtigen hingegen: Kultur sei laut Ziffer 9 des Verhandlungsmandats kein Verhandlungsgegenstand von TTIP. In den Texten der EU-Kommission wird Kultur mit audiovisuellen Medien umschrieben. Hierbei weiß aber niemand, was genau damit gemeint sein könnte. KritikerInnen geben zu bedenken, dass beispielsweise kulturelle Inhalte im Internet unter Telekommunikation fallen und somit nicht als Ausnahme gelten könnten. Prinzipiell sei die Arbeit mit Negativlisten gefährlich. Das heißt, es wird über alles verhandelt, es sei denn, es steht als Ausnahme festgeschrieben. Da sich allerdings der Markt im Zuge der Digitalisierung rasant verändert, würde alles unter die TTIP-Richtlinien fallen, was zum Zeitpunkt des Abschlusses noch nicht marktgängig war und somit nicht auf die Negativliste geschrieben werden konnte.
Keine Kultur ohne Wirtschaft?
VertreterInnen der Wirtschaft geben hingegen zu bedenken, dass kulturelle Produktion im Kontext von staatlicher Kulturförderung nur möglich ist, wenn genügend Haushaltsmittel aus Steuereinnahmen bzw. einem starken BIP zur Verfügung stehen. Das wird im Wesentlichen durch Handel und Industrie generiert. Matthias Wissmann vom Verband des deutschen Autohandels warnt davor, den Anschluss an den Welthandel zu verpassen und die Setzung von Standards in Wirtschaft, Umweltschutz, Kultur und Gesundheit dem asiatischen Kontinent zu überlassen. Da hätte Europa mit Nordamerika laut Wissmann noch mehr ethische Überschneidungen.
Der culture clash ist unter uns
Der Clash der Kulturen verläuft allerdings weniger topographisch entlang an Kontinentgrenzen als vielmehr zwischen Vision und Tradition. So ist es augenfällig, dass die Kulturverbände, wie der Deutsche Kulturrat, lautstark einen Protest gegen TTIP formulieren, während die Stimmen der meisten Kulturschaffenden ruhig bleiben. Am Aktionstag gegen TTIP am 21. Mai 2015 waren kaum VertreterInnen der Kulturszene beteiligt, wie ein Beitrag von 3Sat zeigt. Claudius Seidel schrieb in der FAZ hierzu, es müsse bei der Debatte um TTIP und Kultur doch um mehr gehen, als darum wer wann welche Subventionen bekommt. Ihm zufolge sträubt sich der öffentlich subventionierte Kulturbetrieb dagegen, seinen Status quo aufgeben zu müssen. Natürlich müsse ein Betrieb, der Steuergelder für die Produktion von Inhalten bekäme, rechtfertigen, ob diese Subventionen verdienen. Schließlich kommt es auch auf die Perspektive an, unter der Kultur als Ware verhandelt wird. Die Kulturschaffenden wären sicherlich froh, wenn für ihre Inhalte auch gezahlt wird.
VertreterInnen der Wirtschaft geben hingegen zu bedenken, dass kulturelle Produktion im Kontext von staatlicher Kulturförderung nur möglich ist, wenn genügend Haushaltsmittel aus Steuereinnahmen bzw. einem starken BIP zur Verfügung stehen. Das wird im Wesentlichen durch Handel und Industrie generiert. Matthias Wissmann vom Verband des deutschen Autohandels warnt davor, den Anschluss an den Welthandel zu verpassen und die Setzung von Standards in Wirtschaft, Umweltschutz, Kultur und Gesundheit dem asiatischen Kontinent zu überlassen. Da hätte Europa mit Nordamerika laut Wissmann noch mehr ethische Überschneidungen.
Der culture clash ist unter uns
Der Clash der Kulturen verläuft allerdings weniger topographisch entlang an Kontinentgrenzen als vielmehr zwischen Vision und Tradition. So ist es augenfällig, dass die Kulturverbände, wie der Deutsche Kulturrat, lautstark einen Protest gegen TTIP formulieren, während die Stimmen der meisten Kulturschaffenden ruhig bleiben. Am Aktionstag gegen TTIP am 21. Mai 2015 waren kaum VertreterInnen der Kulturszene beteiligt, wie ein Beitrag von 3Sat zeigt. Claudius Seidel schrieb in der FAZ hierzu, es müsse bei der Debatte um TTIP und Kultur doch um mehr gehen, als darum wer wann welche Subventionen bekommt. Ihm zufolge sträubt sich der öffentlich subventionierte Kulturbetrieb dagegen, seinen Status quo aufgeben zu müssen. Natürlich müsse ein Betrieb, der Steuergelder für die Produktion von Inhalten bekäme, rechtfertigen, ob diese Subventionen verdienen. Schließlich kommt es auch auf die Perspektive an, unter der Kultur als Ware verhandelt wird. Die Kulturschaffenden wären sicherlich froh, wenn für ihre Inhalte auch gezahlt wird.
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