24.02.2009

Autor*in

Monika Wagner
Best Practice

"Hunger auf Kunst und Kultur"

Eine Initiative zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Die Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur" hat erreicht, dass auch "Kulturhungrige" mit finanziellen Engpässen in Österreich ihre Lust auf geistige Nahrung stillen können.
Die Idee

Die Idee "Kunst und Kultur auch für Menschen, die in prekären finanziellen Verhältnissen leben, zugänglich zu machen" wurde im Dezember 2003 im Wiener Schauspielhaus von Airan Berg, dem damals co-künstlerischen Leiter ins Leben gerufen. Sie steht eng mit einer Philosophie von " Offenheit" in Verbindung, die das Haus in der sechsjährigen Ära Berg und Kosky von 2001 bis 2007 geprägt hat. "Theater ist und war auch früher ein Ort der Kommunikation und der Begegnung ohne Rücksicht auf soziale Schichten" begründet Airan Berg die Initiative. "Das Theater ist per se politisch und sollte auch engagiert sein. ... es ist letztendlich unsere Aufgabe, Kunst und Kultur für alle zu machen und nicht nur für diejenigen, die es sich gerade leisten können." (KulturKontakt Austria 2005/3)

Auch Menschen mit finanziellen Engpässen haben ein Recht auf Kunst und Kultur. Die Teilhabe am kulturellen Leben ist ein Grundrecht, das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte [Artikel 27] verankert ist (Vereinte Nationen 1948). Durch steigende Armut sind jedoch immer mehr Menschen von der Teilhabe an Kunst und Kultur ausgeschlossen. Kunst wird zum Luxusgut, das für viele verschlossen bleibt. Airan Berg hatte die Vision, diese Türen für alle, auch für jene, die sozial benachteiligt sind, zu öffnen. Mit der Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur" und der Einführung des "Kulturpasses" hat er diese Öffnung gemeinsam mit Martin Schenk von "Der Armutskonferenz" ermöglicht und seither vielen Menschen in ihrer erschwerten Lebenssituation einen Lichtblick gegeben.
Geschichte und Entwicklung der Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur" Initiiert im Dezember 2003, war die Aktion zunächst ein Jahr lang nur auf eine kulturelle Einrichtung - das Schauspielhaus - beschränkt. Kulturpässe, Broschüren, Plakate wurden gedruckt und an 25 soziale Einrichtungen, die für die Vergabe verantwortlich waren, verteilt. In Zusammenarbeit mit der Armutskonferenz startete die Aktion am Schauspielhaus ohne über zusätzliche Ressourcen zu verfügen. Rasch und unbürokratisch sollte über das Partnernetzwerk der Armutskonferenz und über die AMS-Regionalstellen jenen Menschen geholfen werden, die sozial benachteiligt und "kulturhungrig" sind. Eine zentrale Rolle spielt dabei der "Kulturpass", der zum unentgeltlichen Eintritt, zunächst nur ins Schauspielhaus, berechtigte. Bereits ein Jahr später schlossen sich sechs kulturelle Einrichtungen darunter das Essl Museum, die Kunsthalle Wien und die Wiener Volksoper der Aktion an, Ende 2006 waren es bereits 33. Das kulturelle Angebot nahm zu, ebenso die Zahl der KulturpassbesitzerInnen sowie der zuständigen Ausgabestellen. Im Dezember 2006 folgte die Konstituierung der Aktion als unabhängiger gemeinnütziger Verein, der von der Stadt Wien finanziell unterstützt wird. Durch die aktive Kontaktaufnahme mit zahlreichen kulturellen Einrichtungen seit Anfang 2007 wuchs das Wiener Netzwerk schließlich derart rasant, dass sich die Anzahl der Kulturpartner Ende September 2007 verdreifacht hatte. In der Zwischenzeit weitete sich die Aktion "Hunger auf Kunst & Kultur" beinahe auf ganz Österreich aus. Mittlerweile haben "Kulturhungrige" auch in Salzburg, Oberösterreich, Vorarlberg, Tirol und in der Steiermark die Möglichkeit, ihren Hunger auf Kunst und Kultur zu stillen.
Export eines Gedankens
Das Projekt hat aber auch über die Grenzen Österreichs hinaus Nachahmer gefunden. So ermöglicht das Theater am Neumarkt in Zürich seit 2004 unter dem Titel "Aktion 41 Theater für alle" in Zusammenarbeit mit der Caritas Zürich all jenen Menschen, die es sich im Moment nicht selbst leisten können, den kostenlosen Besuch von Vorstellungen. Auch in Berlin gab die Aktion Anlass zu einer intensiven Auseinandersetzung. Das Wiener Modell des Schauspielhauses wurde im Berliner Senat behandelt und heftig diskutiert und schließlich ein ähnliches Projekt initiiert. "Das heißt" kommentiert Airan Berg diese Entwicklung, "dass das Thema richtig ist. Es geht nicht darum das Projekt zu exportieren, sondern den Gedanken zu exportieren und die Leute für das Thema zu sensibilisieren" (KulturKontakt Austria 2005). Auch aus Stuttgart und aus Frankfurt wird Interesse bekundet, eine ähnliche Initiative aufzubauen, und in Luxemburg wird von Vertretern aus Kultur und Politik ebenfalls ernsthaft darüber nachgedacht, einen "passeport culturel" für Luxemburg umzusetzen (vgl. Bechet-Metz 2008).
Struktur und Wesen der Aktion
Die Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur" besteht im Wesentlichen aus zwei Netzwerken, einem Netzwerk von Kultureinrichtungen (mittlerweile rund 380 Institutionen in ganz Österreich), die Partner der Aktion sind und sich verpflichten, dem/der Kulturpassbesitzer/in gegen Vorlage des Kulturpasses und eines Lichtbildausweis einen freien Eintritt zu gewähren, und einem Netzwerk von Ausgabestellen (derzeit rund 445 österreichweit), die für die korrekte Vergabe der Pässe verantwortlich sind.
In der Vernetzung und Zusammenarbeit von Kulturexperten und Experten aus dem Sozialbereich liegt der Schlüssel zum Erfolg dieser Aktion begründet. Kulturverantwortliche wissen um die jeweiligen Rahmenbedingungen in Kulturbetrieben bestens Bescheid, SozialarbeiterInnen wiederum sind gefordert, ebenso ihre Erfahrungen mit den jeweiligen Menschen sozialer Randschichten einzubringen und etwaige Bedürfnisse und Anliegen zu kommunizieren. Der reziproken Vermittlungsarbeit zwischen diesen beiden Netzwerken kommt daher eine immense Bedeutung zu. Sie wird durch regelmäßige von den Verantwortlichen der Aktion organisierte Treffen zum Erfahrungsaustausch gewährleistet.
Ausblick
Die Aktion hat ein Netzwerk geschaffen, das sozial benachteiligten Menschen die Möglichkeit gibt, unentgeltlich Kulturveranstaltungen zu besuchen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass viele KulturpassbesitzerInnen diese Möglichkeit aus diversen Gründen nicht ausreichend in Anspruch nehmen. Die Motive dafür sind vielfältig. Sprachbarrieren, Herkunft und Sozialisation, Isolation, aber auch psychische und/oder physische Barrieren sind oftmals Hemmschwellen, warum Menschen sozialer Randgruppen am kulturellen Leben nicht teilnehmen. Die Aktion "Hunger auf Kunst und Kultur" hat sich daher zum Ziel gesetzt, über die Erweiterung des Kulturangebots hinaus, Kulturvermittlungsprogramme speziell für KulturpassbesitzerInnen gemeinsam mit den Kultureinrichtungen und den sozialen Partnern zu entwickeln. Dieses Projekts soll sowohl Anreize für soziale und karitative Einrichtungen schaffen, mit Ihren BewohnerInnen und KlientInnen das bestehende Angebot vermehrt anzunehmen, als auch eine Schärfung des Bewusstseins bei den Kulturpartnern erzielen, dass diese Gruppe an Menschen gezielt angesprochen, eingeladen und eingeführt werden muss, um am kulturellen Leben teilzuhaben.
Hinweis
Dieser Artikel von Monika Wagner erschien in ungekürzter Fassung im Band 2 der Fachbuchreihe "Kulturmanagement konkret" der Institute für Kulturkonzepte Hamburg und Wien. Weitere Informationen finden Sie hier: www.kulturkonzepte.at
Literatur
· Bechet-Metz, Claudine (2008): "La culture pour tous » Table ronde dans le cadre de l »invitation aux musées » In : Luxemburger Wort (Tagezeitung), 19.5.2008
· Bitzan, Gerhard (2006): "Gratiskultur für Sozial Schwache in Wien". PRESSE-Gespräch. Stadtrat Mailath-Pokorny will einen "Kulturpass" und engagierte Integrationspolitik. In: DIE PRESSE, 5. Jänner 2006
· Die Armutskonferenz [Hg]: "Armut in Österreich, unter www.armutskonferenz.at/armut_in_oesterreich_armut_ist.htm, Download am 3.6.2008
· Feiertag, Claudia (2006): "Den Kunsthunger stillen" In: DIE FURCHE, Nr.3, 19. Jänner 2006
· KulturKontakt Austria [Hg] (2005): "Gegengefragt: Eine Frage der Offenheit" In: Transfer Zeitschrift für Kulturvermittlung, KulturKontakt Austria, Herbst 2005, S.3
· KulturKontakt Austria [Hg] (2005): "Gegengefragt: Eine Frage der Offenheit". Airan Berg im Gespräch über die Aktion des Wiener Schauspielhauses "Hunger auf Kunst und Kultur" Langfassung unter www.kulturkontakt.or.at/page.aspx?target=202139 Download 3.6.2008
· Trenkler, Thomas (2006): "Porträt: Ein treuer Diener seines Herrn und der Stadtkultur" Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny will zur Integration aller Bevölkerungsschichten beitragen. In: DER STANDARD, 4.1.2006
· Vereinte Nationen (1948): Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 1948, unter www.unhchr.ch/udhr/lang/ger.htm Download 4.6.2008
MAG. MONIKA WAGNER war in den Jahren 2001 2007 am Schauspielhaus in Bereichen Marketing und Kommunikation tätig. Seit Juli 2007 ist sie Geschäftsführerin des Vereins Hunger auf Kunst und Kultur in Wien.

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