08.01.2015
Buchdetails
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Autor*in
Robert Fuchs
ist Leiter des Virtuellen Migrationsmuseums, einem Projekt von DOMiD e.V. (Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland). Nach seinem Studium der Geschichte, Politik und Germanistik war er am Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven, als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Caritas Bremen, beim Geschichtsbüro Reder, Roeseling & Prüfer in Köln und für das Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin tätig. Er promovierte zum Heiratsverhalten von MigrantInnen.
Buchrezension
Experimentierfeld Museum. Internationale Perspektiven auf Museum, Islam und Inklusion
Der Sammelband "Experimentierfeld Museum" von Susan Kamel und Christine Gerbich verdeutlicht, dass die Museumslandschaft äußerst lebendig ist und sich intensiv mit gesellschaftlichen Fragen beschäftigt. Der Band berichtet anhand eines Berliner Forschungs- und Ausstellungsprojektes darüber, wie der Islam im Museum als einem Ort des Hinterfragens und auch der Identitätsvermittlung dargestellt wird und werden kann. Robert Fuchs, Leiter des Virtuellen Migrationsmuseums, hat ihn für uns rezensiert.
Die Publikation entstand aus einem Forschungsprojekt an der Technischen Universität Berlin. Für dieses besuchten Susan Kamel und Christine Gerbich etwa 40 Museen in Amerika, Europa und Vorderasien, um neue Trends im Ausstellungswesen, vor allem im Hinblick auf die islamisch geprägte Welt und veränderte Besuchererwartungen, kennenzulernen. Sie sammelten und analysierten Museumskonzepte und Best-Practice-Beispiele. Die Ausweitung auf die internationale Ebene verwundert dabei nicht, da die Diskussionen um bzw. die Darstellung von Fragen kultureller Vielfalt oder Migration in der deutschen Museumslandschaft noch in einem vergleichsweise frühen Stadium stecken. Die übergeordnete Fragestellung und das Anliegen des Sammelbandes decken sich mit denen des Projekts:
Ausgangspunkt war die in Deutschland teilweise hysterisch geführte Debatte über den Islam, die sich durch Pauschalisierungen und antimuslimische Rassismen auszeichnet. Die ForscherInnen stellen die Frage, welche Rolle die Museen in dieser Debatte spielen. Ihr Ziel war es die Repräsentation islamisch geprägter Traditionen an einem wichtigen Ort gesellschaftlicher Selbstvergewisserung dem Museum zu erforschen, zu hinterfragen und zur Diskussion zu stellen (S. 11). Der Grundgedanke dahinter ist, dass Ausstellungen gebraucht werden, die sich den üblichen (medialen) Vereinfachungen entgegenstellen, Klischees aufzeigen und zum Nachdenken anregen.
Der Band vereint Aufsätze von 22 ExpertInnen aus der internationalen Museumspraxis und der Museumswissenschaft, die das Projekt begleiteten. In ihren Beiträgen fragen sie, welche Herausforderungen und mögliche Reaktionen in Hinblick auf Sammeln, Forschen und Vermitteln sich aus der sich immer stärker diversifizierenden Gesellschaft für Museen ergeben, die Objekte aus islamisch geprägten Regionen beherbergen.
Ein neues Verständnis von Museen
Alle Beiträge haben gemein, dass ihnen Ansätze der neuen Museologien zugrunde liegen. Diese betonen die Rolle von Museen als gesellschaftlich gestaltende Akteure. Sie setzen wissenschaftliche Erkenntnisse der Kommunikationsforschung bzw. Lerntheorien in ihren Vermittlungsstrategien um und fragen nach der Repräsentanz und Zugänglichkeit von marginalisierten Gruppen. So werden etwa BesucherInnen nicht mehr als bloße Rezipienten, sondern als aktive BedeutungsmacherInnen gesehen und Wissen nicht als objektiv, sondern als Konstrukt verstanden. Diese grundlegenden Herangehensweisen und Fragestellungen gehen einher mit Veränderungen in der praktischen Museumsarbeit von der Sammlung bis zur Organisationsstruktur.
Drei Hauptabschnitte gliedern den Band. Die theoretischen Konzepte der neuen Museologien sind nicht neu und vieles ist Konsens zumindest im angloamerikanischen Raum, sodass die Beiträge im ersten Teil, die sich mit den theoretischen Hintergründen beschäftigen, eher Bekanntes vorstellen. Vieles davon darf und muss aber mit Blick auf die deutsche Museumslandschaft auch wiederholt gesagt werden. Spannender sind der zweite und dritte Teil, in denen die AutorInnen anhand eigener Erfahrungen die theoretischen Überlegungen in die Praxis übersetzen. Der zweite Teil widmet sich dabei der Ausstellungspraxis internationaler Museen, der dritte ist auf Berlin fokussiert. Einige Aufsätze bzw. in mehreren Beiträgen geäußerte Gedanken möchte ich skizzieren, da sie m.E. wichtige Impulse setzen.
Drei Hauptabschnitte gliedern den Band. Die theoretischen Konzepte der neuen Museologien sind nicht neu und vieles ist Konsens zumindest im angloamerikanischen Raum, sodass die Beiträge im ersten Teil, die sich mit den theoretischen Hintergründen beschäftigen, eher Bekanntes vorstellen. Vieles davon darf und muss aber mit Blick auf die deutsche Museumslandschaft auch wiederholt gesagt werden. Spannender sind der zweite und dritte Teil, in denen die AutorInnen anhand eigener Erfahrungen die theoretischen Überlegungen in die Praxis übersetzen. Der zweite Teil widmet sich dabei der Ausstellungspraxis internationaler Museen, der dritte ist auf Berlin fokussiert. Einige Aufsätze bzw. in mehreren Beiträgen geäußerte Gedanken möchte ich skizzieren, da sie m.E. wichtige Impulse setzen.
Besucher, schwierige Fragen und Vermittlungskonzepte
In ihren Beiträgen verweisen Juliette Fritsch (Unscharfe Grenzen: Reflexionen über das interdisziplinäre Arbeiten mit unterschiedlichem Publikum) sowie Eithne Nightingale und Marilyn Greene (Religion und materielle Kultur im Victoria and Albert Museum of Art and Design in London: die Perspektiven verschiedener Glaubensgemeinschaften) auf die Bedeutung interdisziplinär zusammengesetzter Beiräte sowie der ausgeprägten Besucherforschung in der Konzeptionsphase von Ausstellungen und beschreiben ihre praktische Arbeit mit interkulturellen Beiräten und Guides unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften. Als einen Vorteil dieser Arbeit verweisen sie insbesondere auf die Bedeutung einer als angemessen wahrgenommenen Terminologie.
Deren Relevanz insbesondere in der Darstellung von Themenkomplexen wie Islam oder Migration wird in mehreren Aufsätzen aufgegriffen. Klas Grinell (Islam Ein Aspekt zeitgenössischer Weltkultur) fragt in diesem Zusammenhang, was der Islam und ein muslimisches Objekt eigentlich sind, und umschreibt den Übergang von der postkolonialen zu einer postsäkularen Perspektive: Während postkoloniale Theorien Religion zur reinen Privatsache erklärten, wurde sie in den letzten zehn Jahren im öffentlichen Raum immer präsenter. In einer postsäkularen Gesellschaft sollte sie als integraler Bestandteil wahrgenommen werden. Dies eröffnet Möglichkeiten für einen respektvollen, solidarischen Umgang miteinander jenseits von Diskursen über die Tolerierung von Unterschieden. Ian Parker Heath (Islamisch geprägte Objekte in britischen Museen) diskutiert die Bedeutungsunterschiede zwischen islamischen (religiöse Objekte) und islamisch geprägten (profanen) Objekten.
Den für die neuen Museologien zentralen Begriff der Partizipation erläutert Martin Düspohl (Geschichte aushandeln! Partizipative Museumsarbeit im Friedrichshain-Kreuzberg Museum in Berlin) anhand von vier Beispielen, die sein Museum umsetzte. Dabei unterscheidet er nach dem Schema von Nina Simon vier mögliche Formen der Partizipation (contributive, collaborative, co-creative participation und hosted projects).
Susan Kamel fügt in einem resümierenden Beitrag (Reisen und Experimentieren) hinzu , dass diese und sog. Outreach-Programme, die vermeintlich nicht museumsaffine Menschen in ihrem gewohnten Umfeld aufsuchen, nicht ausreichen, um die Institution Museum nachhaltig an den demografischen Wandel anzupassen, sondern von Änderungen innerhalb der Museumstrukturen (Inreach) begleitet werden müssen. Anhand praktischer Beispiele, die teilweise im Band detailliert ausgeführt werden, skizziert sie, wie Inreach-Konzepte im Museumsmanagement umgesetzt werden können: Das Spektrum reicht von Workshops mit KuratorInnen, MitarbeiterInnen und Mitgliedern beteiligter Gruppen, in denen Ziele und Inhalte geplanter Ausstellungen sowie die eigene Arbeit reflektiert werden, bis zur Personalpolitik. Hier sieht sie die Diversität des Museumsteams in zentralen Positionen als Gradmesser der internen Veränderungen. Zudem stellt sie vier Experimente vor, die aus dem Projekt entstanden. Diese konkretisieren den Umgang mit selbstreflexiver Arbeit, den Begriff der source communities, der Vielschichtigkeit von Objektbedeutungen und der Forderung, jenseits von Orientalismen zu kuratieren.
Ein weiteres Ergebnis des Projekts, das Konzept des Museumsdiwans, beschreibt Christine Gerbich (Partizipieren und Evaluieren). Es handelt sich dabei um eine partizipative Herangehensweise, die MuseumsexpertInnen, zivilgesellschaftliche AkteurInnen, BesucherInnen und NichtbesucherInnen einbindet, um die Zugänglichkeit von Museen (physisch, sozial und kulturell) zu erhöhen und gängige Interpretationen hier mit Blick auf den Islambezug zu hinterfragen bzw. zu bereichern.
Fazit: Ein tolles Projekt dessen Beschreibung sehr detailliert ausfällt mit dem richtigen Ansatz, über den deutschsprachigen Tellerrand zu schauen und internationale Best-Practice- Beispiele für die Entwicklung neuer Ausstellungskonzepte heranzuziehen. Der Band liefert für Interessierte im Bereich der Museologie wichtige Anregungen, theoretische Impulse in die Praxis zu übersetzen. Das gilt und hier hätte ich mir deutlichere Querverweise gewünscht auch für Museen, die sich mit anderen Thematiken auseinandersetzen. Es bleibt zu hoffen, dass der in dem Band geschilderte Weg der Ausstellungs- und Museumskonzeptionen Schule macht und sich auch in der Ausbildung niederschlägt. Rein inhaltliche Diskussionen werden zukünftig jedenfalls nicht mehr ausreichen, um die deutsche Museumslandschaft an geänderte gesellschaftliche Voraussetzungen anzupassen.
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